E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Ein Inspector-Ghote-Krimi
Keating Inspector Ghote reist 1. Klasse
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-293-30375-1
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman. Ein Inspector-Ghote-Krimi (2)
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Ein Inspector-Ghote-Krimi
ISBN: 978-3-293-30375-1
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Es sieht zunächst ganz harmlos aus: Inspector Ghote soll nach Kalkutta reisen, dort einen Meisterverbrecher in Empfang nehmen und ihn nach Bombay eskortieren. Aber weil Ghote die Gelegenheit nutzen und aus der Reise einen Kurzurlaub machen will, nimmt er den Zug. Das hätte er besser nicht getan, denn seine Mitreisenden stellen sich schon bald als äußerst seltsam heraus. Die Reise quer durch Indien wird sehr, sehr aufregend.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Sie lasen beide etwa zur gleichen Zeit die gleiche Meldung in der Times of India. Doch die sorgsam abgeschlossene und verriegelte Luxuswohnung in dem großen, neuen gelben Häuserblock auf dem Cumballa Hill lag ungefähr drei Meilen entfernt von der muffigen, verstaubten Kammer, die Inspector Ganesh Ghote vom Criminal Investigation Department Bombay als Büro diente. Die kurze Meldung in der Zeitung, die vor ihm auf der zerkratzten, von Tintenflecken übersäten Schreibtischplatte ausgebreitet lag, sollte auf seine Zukunft eine beträchtlich größere Auswirkung haben, als er ahnte. Zugleich sollte sie die Zukunft des anderen Lesers beeinflussen. In diesem Moment jedoch erschien sie Ghote ganz einfach als Markstein in seiner Laufbahn. Sein Bild in der Zeitung! In der Times of India! Zugegeben, es war kein sehr gutes Bild. Ein graues, verschwommenes Gesicht starrte über den offenen Kragen eines weißen Hemdes hinweg ins Leere; ein kleiner, heller Fleck markierte die Nasenspitze, eine dunkle, starre Linie den Mund. Doch es war ein Erfolg. Es war öffentliche Anerkennung. Wilde, völlig unerwartete Gedanken ergriffen plötzlich Besitz von ihm. Dies würde erst der Anfang sein. In anderen Ländern waren Detektive berühmte Personen. Ihnen wurde mit Respekt begegnet. In Europa, hatte er gelesen, waren sie angesehen wie Filmstars. Gewöhnliche Menschen gaben alles, um ihr Darshan zu empfangen, sich ihrem Einfluss auszusetzen. Und in Amerika wurden ganze Bücher über die Karrieren bekannter Detektive geschrieben. Er wandte sich dem Text zu. Bhattacharya zurück nach Bombay. »Ein Beamter des CID wird A.K.Bhattacharya, der mit Antiquitäten Schwindelgeschäfte im Wert von Rs. 72,85 Lakhs getätigt haben soll, aus Kalkutta zurückbringen, wo er gestern verhaftet wurde. Der Beamte, Inspector G.V.Ghote, fährt heute Abend mit dem Kalkutta-Express ab.« Der Wortlaut der Meldung riss ihn, als er ihm zu Bewusstsein kam, hart auf den Boden der Tatsachen zurück. Nun ja, dachte er, so schwierig war die Aufgabe vielleicht nicht. Weder hatte er den Mann verhaftet, noch war er mit dem Fall befasst gewesen. Gut, es konnte sogar Zufall sein, dass diese Aufgabe in seinen Schoß gefallen war. Aber es war trotzdem eine wichtige Angelegenheit. Der Bhattacharya-Fall war die größte Betrugsgeschichte, die das CID Bombay bislang aufgedeckt hatte. Der Commissioner persönlich hatte die Leitung übernommen. Diesen Mann zurückzuholen, damit man ihn vor einem ordentlichen Gericht zur Verantwortung ziehen konnte, war eine Aufgabe, die man nicht jedem Beliebigen übertragen konnte. Und das Bild in der Zeitung war der Beweis für seine Bedeutsamkeit. Nützlicher allerdings wäre es gewesen, man hätte nicht dieses verschwommene, graue Bild von ihm veröffentlicht, sondern eine gute, scharfe Aufnahme von A.K.Bhattacharya. Doch der legendäre Bhattacharya hatte es immer verstanden, sich dem Auge der Kamera zu entziehen. So eifrig er sich auch in die Gesellschaft der reichen Amerikaner und Europäer, spätere Opfer seiner gigantischen Schwindelgeschäfte, gedrängt hatte, der geistesgegenwärtige Bengale hatte stets zu vermeiden gewusst, mit ihnen fotografiert zu werden. Er hatte in den Kreisen wohlhabender Kunstliebhaber verkehrt. Er hatte Beziehungen zu den Repräsentanten der großen Händler und Museen des Westens geknüpft. Und hatte ihnen, mit der Auflage strengster Geheimhaltung, alle jene genialen Fälschungen von Tempelstandbildern, ›zweitausendjährigen‹ Götzenbildern, ›antiken‹ Steinfriesen verkauft, die angeblich von ihren Standorten entfernt worden waren und nur darauf warteten, aus Indien herausgeschmuggelt zu werden. Das war jahrelang gut gegangen. Am Ende jedoch war der große Bhattacharya erwischt worden. Ghote erinnerte sich an die Geschichten, die seine mit dem Fall befassten Kollegen seit einigen Tagen pausenlos erzählten, mit den noch geheim gehaltenen Details seiner Ergreifung, die später vor Gericht als die entscheidenden Beweismittel dienen würden. Bhattacharya hatte seinen Meister in einem Amerikaner gefunden, der sich als wesentlich weniger vertrauensselig entpuppt hatte, als es die anderen Opfer des Schwindlers gewesen waren. Der bereits zur Legende gewordene Mann war auf ganz simple Weise mit Hilfe eines Feuerzeugs entlarvt worden. Wieder einmal hatte er auf seine gewohnte Art eine Wachsstatue hergestellt und sie dann einem Spezialverfahren unterzogen, das bewirkte, dass das Wachs wie alter Stein aussah und sich beim Berühren auch so anfühlte. Der Amerikaner, ein Professor Frankenheimer, hatte das Standbild wie üblich in einem düsteren Hinterzimmer gezeigt bekommen, wo es zur Verpackung bereitstand. Doch der Professor war misstrauischer gewesen, als er sich hatte anmerken lassen. Im Lauf der Verhandlungen hatte er sich eine Zigarre zwischen die Lippen gesteckt. Und bevor er sie anzündete, hatte er die Flamme seines Feuerzeugs ganz dicht an die Statue herangeführt. Und der jahrhundertealte Stein war weich geworden. A.K.Bhattacharya war geflohen und wäre dank seiner Gewohnheit, sich niemals fotografieren zu lassen, auch beinahe entkommen. Aber dann war er auf Grund der Personenbeschreibung, die man von Professor Frankenheimer erhalten und an sämtliche Polizeidienststellen Indiens weitergegeben hatte, in Kalkutta erkannt und festgenommen worden. Sobald nun Frankenheimer, der in Kürze in Kalkutta eintreffen sollte, die amtliche Identifizierung vorgenommen haben würde, brauchte man A.K.Bhattacharya nur noch sicher und wohlbehalten nach Bombay zu bringen, wo ihm der Prozess gemacht werden sollte. Und die Pflicht, A.K.Bhattacharya nach Bombay zurückzubringen, lag jetzt auf Inspector Ghotes Schultern. Bei diesem Gedanken verharrte er mit einiger Verlegenheit. Sein Vorgesetzter hatte es, als er ihm seine Order gegeben hatte, für selbstverständlich gehalten, dass er fliegen würde. Und als Ghote gefragt hatte, ob er statt des Flugzeugs nicht auch die Bahn nehmen könnte, sehnsüchtig an die lange Zugfahrt denkend, während deren er sich in seine Gedanken verspinnen konnte, war Deputy Superintendent Samant nicht gerade erfreut gewesen. Nachdem sie sich jedoch geeinigt hatten, dass Ghote einen Urlaubstag opfern würde, um die verlorenen Arbeitsstunden einzubringen, hatte der D.S.P. widerstrebend eingewilligt. »Wenn Sie so großzügig mit Ihrer freien Zeit sein wollen, Inspector, ich werde nicht derjenige sein, der Sie davon abhält.« Und als Ghote gerade dabei gewesen war, Samants Büro zu verlassen, hatte der ihm noch eine letzte Warnung hinterhergeschickt. »Aber glauben Sie nicht, Sie könnten sich die Flugkosten gutschreiben lassen.« »O nein, Sir, das ganz sicher nicht.« Er würde also heute Abend mit dem Kalkutta-Express abfahren. Bei diesem Gedanken hätte er am liebsten einen Freudensprung gemacht. Zu diesem Zeitpunkt etwa blickte in der verschlossenen Wohnung auf dem Cumballa Hill der andere Leser der kurzen Meldung in der Times of India auf das blassgraue Foto Inspector Ghotes, und ein feines Lächeln der Belustigung zuckte um die Winkel seines breiten, schmallippigen Mundes. Er fuhr sich mit seinen langen Fingern durch das volle schlohweiße Haar, dann stand A.K.Bhattacharya auf und rief in scharfem Ton nach dem zerlumpt gekleideten Jungen, der derzeit sein einziger Bediensteter war. Als der Junge hereinkam, zog A.K.Bhattacharya eine prall gefüllte Brieftasche heraus und entnahm ihr zwei Hundert-Rupien-Noten. »Du musst mir ein paar Sachen besorgen«, sagte er. »Erstens, ein Haarfärbemittel. Das beste, das es gibt. Dann eine Sonnenbrille, und zwar eine gute. Nimm eine Polaroid. Polaroid. Hast du das verstanden?« Der Junge stopfte die beiden großen Scheine in seine verschmutzten Khakishorts, während sein Arbeitgeber sich in einem hohen Spiegel betrachtete, der die Rückwand eines Alkovens im Wohnzimmer bildete. Er sah eine hochgewachsene, distinguiert wirkende Gestalt im gut geschnittenen Seidenanzug. Die breite Krawatte war auffallend, aber nicht geschmacklos. Die schwarzen Schuhe aus feinem Leder entsprachen der letzten Mode. »Und Kleidung brauche ich auch«, fügte er hinzu. »Einen Dhoti. Weiß natürlich. Und einen Kurta – nein, drei Kurtas. Komm mir aber ja nicht mit europäischen Hemden zurück. Gute indische Kurtas will ich haben. Also, mach dich auf den Weg.« Als er dann den schweren Riegel an der Wohnungstür zurückschob, fiel ihm noch etwas ein. »Sandalen«, sagte er. »Die besten, die du bekommen kannst.« Als an diesem Abend der lange Kalkutta-Express aus der Victoria Station stampfte, machte es sich Inspector Ghote auf seinem Platz in einem klimatisierten Vier-Bett-Abteil bequem. Es war der Beginn einer Reise, die ganz anders verlaufen sollte, als er zunächst dachte. Doch davon ahnte Ghote noch nichts, als er sich in die bequemen Polster schmiegte. Vierzig Stunden lang, dachte er, bis der Zug in die Howrah Station in Kalkutta einfuhr, würde er frei von Pflichten und Verantwortung sein. Er würde A.K. Bhattacharya aus Kalkutta holen, und zu diesem Zweck brauchte er vorerst nichts zu tun als zu reisen. Als er sich vom Fenster abwandte, beugte sich abrupt die einzige andere Person im Abteil nach vorn, ein in Kurta und Dhoti gekleideter Mann mit dichtem schwarzem Haar und dunkel getönter Brille. »So«, sagte er mit unverkennbar britischem Akzent, »wir sind also Reisegefährten, Sir.« ...