E-Book, Deutsch, 1004 Seiten
Koch Im Haus des Hutmachers, Die Karte des Todes & Die Stunde der Artisten
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98690-977-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die ersten drei Kommissar-Lavalle-Bände in einem eBook
E-Book, Deutsch, 1004 Seiten
ISBN: 978-3-98690-977-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Stefanie Koch, geboren 1966 in Wuppertal, studierte in Frankreich, arbeitete in Italien, Thailand und Bangkok und lebt heute in Düsseldorf, wo sie unter anderem als Datenschutzbeauftragte in einem Stromkonzern tätig ist. Seit 2003 veröffentlicht sie erfolgreich Thriller und Kriminalromane, sowohl unter ihrem echten Namen als auch unter dem Pseudonym Mia Winter. Die Autorin im Internet: www.stefanie-koch.com Bei dotbooks erschienen bereits Stefanie Kochs Thriller »CROSSMATCH - Das Todesmerkmal«, der Kriminalroman »Hurenpoker«, der rabenschwarze Kurzroman »TRULLA - Mord ist immer eine Lösung« sowie die erfolgreiche Krimiserie rund um den Düsseldorfer Kommissar Lavalle: »KOMMISSAR LAVALLE - Der erste Fall: Im Haus des Hutmachers« »KOMMISSAR LAVALLE - Der zweite Fall: Die Karte des Todes« »KOMMISSAR LAVALLE - Der dritte Fall: Die Stunde der Artisten« »KOMMISSAR LAVALLE - Der vierte Fall: Der Kopf der Schlange« Die ersten drei Fälle von Kommissar Lavalle sind auch als Sammelband erhältlich.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Montag, 26. Juli
Henri Lavalle war, wie so oft in einer Mordnacht, der Letzte. Sein kleines Büro roch nach Staub, Rauch und feuchten Akten.
»Guten Morgen, Signor Lavalle.« Auf seinem morgendlichen Rundgang schloss der italienische Hausmeister die einzelnen Büros auf und legte Henri die aktuellen Zeitungen auf den Tisch. Der Blick des Kommissars fiel auf einen Artikel über sein Spezialgebiet.
Was unterscheidet weibliche und männliche Serienmörder?
Professor Müller, Leiter der kriminologischen Abteilung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, hat in detaillierten Studien herausgearbeitet, dass männlichen wie weiblichen Serienmördern wesentliche Merkmale wie eine ausgeprägte Kränkbarkeit, emotionale Armut, schwaches Selbstwertgefühl und eine starke Labilität zu eigen sind. Typischerweise stammen sie aus schwierigen Familienverhältnissen. Der erste gravierende Unterschied zeigt sich laut Professor Müller im Erwachsenenalter. Die Serienmörderinnen seien im Gegensatz zu ihrem männlichen Pendant oft sehr gut in die Gesellschaft integriert, hätten einen ausgesprochen großen Freundeskreis, zeigten sich stets hilfsbereit und engagiert und würden ausnahmslos als verantwortungsbewusst gelten.
Besonders bemerkenswert sei, so Professor Müller, der Unterschied ihrer Mordmotive. Demnach mordeten Männer, um zu beherrschen, während Frauen mordeten, um sich nicht beherrschen zu lassen. Die Serienmörderin töte mit dem Ziel der Selbsterhaltung, wobei ihr der Mord im Moment der Tat als das einzige und geeignete Mittel scheine, sich und ihr Leben zu schützen und zu erhalten.
Wenig später verließ Henri Lavalle das Polizeipräsidium und machte sich auf den Weg zum Rheinhafen. Es war einer dieser seltenen Tagesanbrüche, wenn ein großer Temperaturunterschied zwischen Luft und Rheinwasser den gewaltigen Strom in dicken, weißen Nebel hüllte. Der Klang der Nebelhörner von den Containerschiffen und das gedämpfte Plätschern des nicht sichtbaren Wassers erzeugten eine ganz besondere Stimmung, die ihn stets schaudern ließ. Er schlenderte vom Landtag zum Rheinturm, dessen Kuppel im Nebel verschwand, und weiter in Richtung Medienhafen, wo die Tochter der Ermordeten lebte, der er gleich die Todesnachricht würde überbringen müssen.
Henri kannte den Hafen noch, als die Schönen und Reichen dieses Viertel mit den Eckkneipen tunlichst mieden und die Kriminalitätsrate dort weit über dem Düsseldorfer Durchschnitt lag. Sein Lieblingsrestaurant, Roberts Bistro, hatte schon früh die Zeichen erkannt und sich auf der Hafenmeile eingemietet, obwohl die Gäste noch durch Baustellen und Schlamm fahren mussten, um in den Genuss seiner Küche zu kommen. Danach waren Schritt für Schritt neue Restaurants und Szenekneipen hinzugekommen, während die ersten zwischen die alten Hafengebäude gezwängten Bürohäuser entstanden. Der WDR mit seinem blauen Aquarium, wie Henri es nannte, hatte als Erstes gezeigt, dass Neues auch schön sein kann.
Er hatte schon zum zweiten Mal auf den roten Klingelknopf neben der Sprechanlage gedrückt, als sich endlich jemand meldete.
»Ja, bitte?«
»Ist dort Stahl?«
»Was wollen Sie denn um diese Uhrzeit? Es ist morgens um halb sieben!«
»Henri Lavalle von der Kriminalpolizei. Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen.«
»Fahren Sie mit dem Aufzug in den sechsten Stock, dort ist eine Tür, an der Sie nochmals klingeln müssen. Ich drücke dann auf.«
Als er Ann Stahl einige Minuten später gegenüberstand, war er erstaunt, wusste aber nicht, was er erwartet hatte. Vielleicht eine verschlafene, zierliche, blonde Person im Morgenmantel oder eine stämmige Frau mit Küchenschürze, die gerade ihren Kindern den Orangensaft presste. Es überraschte Henri, dass er Ann Stahl in die Augen sehen konnte. Und dass sie keinerlei Unsicherheit über seinen Besuch erkennen ließ, machte ihn für einen Augenblick sprachlos.
»Sie wünschen?«, fragte Ann Stahl ungeduldig.
»Darf ich hereinkommen? Ich muss Ihnen etwas mitteilen, was ich ungern zwischen Tür und Angel sagen möchte.« Henri Lavalle machte einen Schritt auf die Frau zu, die mit den Schultern zuckte und ihn dann in die untere Etage der großzügigen Maisonettewohnung führte, wo vor dem großen Wohnraum eine Dachterrasse lag, die übersät war mit Blumen und Kräutern. Der satte Duft des großen Lavendelstrauchs ließ ihn einen Moment an die Provence denken.
»Wollen Sie einen Kaffee? Ich glaube, er ist noch warm.«
»Ja, gerne, wenn es keine Umstände macht«, antwortete Henri.
»Milch oder Zucker?«, fragte sie aus dem Halbdunkel der Küche.
»Schwarz, bitte.«
Sie reichte ihm den Kaffee, setzte sich auf einen der drei exklusiven Gartenstühle und klopfte auf ihre Armbanduhr.
»Ich habe kaum Zeit. Worum geht es?«
Henri räusperte sich, trank einen Schluck lauwarmen Kaffee und folgte ihrem Blick zu den drei riesigen Eichen, die den großen Hinterhof in eine grüne Oase verwandelten.
»Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber …«
»Was denn, bitte?«, fragte Ann Stahl.
»Ihre Mutter ist vergangene Nacht gestorben.«
Einen Moment meinte er, Verwirrung in ihrem Gesicht zu sehen. Aber sie sammelte sich so schnell wieder, dass er glaubte, es wäre Einbildung gewesen.
»Wenn Sie jetzt Tränen oder Schluchzen erwarten, muss ich Sie enttäuschen. Ich habe meine Mutter seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Sonst noch was? Ich muss jetzt los. Um acht Uhr geht mein Flugzeug nach Berlin.«
»Sie wurde ermordet.«
»Das ändert gar nichts. Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so abwimmele, aber Flieger warten nicht. Sehen Sie sich hier um, wenn Sie wollen. Mich erreichen Sie ab Freitag wieder hier.«
Ann Stahl stand auf, sah ihm ohne jede Verlegenheit in die Augen, gab ihm ihre Visitenkarte und griff nach ihren gepackten Taschen.
»Noch was: Bitte erschrecken Sie nicht, wenn Sie sich umsehen. Oben schläft noch ein Mann, den Sie gerne wecken können.«
Henri hörte das Klappern ihrer Absätze und dann das Zuschlagen der Wohnungstür.
Auf dem Weg zum Flughafen machte Ann sich zu ihrem Vortrag noch schnell ein paar Notizen und prüfte eine Kalkulation. Erst als sie sich zum Start anschnallte, fiel ihr der morgendliche Besucher ein, und sie dachte an ihre Mutter.
Sie wurde ermordet. Ann ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen und lächelte.
Kaum hatte das Flugzeug die Reiseflughöhe erreicht, kreisten ihre Gedanken um andere Themen: die anstehenden Termine, das Essen mit dem Vorstand des Reuss-Konzerns heute Abend, die anschließende Party.
Henri Lavalle setzte sich und musterte skeptisch die Visitenkarte: Ann Stahl, Financial & Marketing Consultant.
Dass Menschen bei einer Todesnachricht nicht erschraken, hatte er durchaus schon erlebt. Dass sie aber nicht einmal beim Wort »ermordet« reagierten, und sei es nur aus Neugier – das war ihm in seinen 20 Berufsjahren noch nicht untergekommen. Er wendete die Visitenkarte in seinen Händen. Ob die dringenden beruflichen Termine für Ann Stahl eine willkommene Ausflucht gewesen waren, um in der Gegenwart eines Fremden keine Gefühle zeigen zu müssen? Henri schüttelte den Kopf.
Er stand auf, trat an den Rand der Dachterrasse, zog seine Hand durch den Rosmarin, atmete den herben Geruch ein und schmeckte gebratenes Hühnchen mit Rosmarin und Zitrone auf der Zunge. Die Dämmerung brach durch die dunklen Wolken, und ein fernes Donnergrollen war zu hören. Der Sommer war so plötzlich über Düsseldorf hereingebrochen, dass viele Menschen mit der unvermittelten Hitze zu kämpfen hatten. Seufzend drehte Henri sich um und überlegte, ob es sich lohnte, die Wohnung anzusehen. Ann Stahl schien ihm nicht verdächtig.
Er beschloss, sich auf den Heimweg zu machen, um noch mit seinen vier Töchtern zu frühstücken, bevor sie in die Schule gingen. Plötzlich hörte er ein Knarren. Ein nur mit einer Jeans bekleideter Mann kam die Treppe herunter, die in den Wohnraum führte.
»Habe ich hier irgendwas verpasst?«
Henri lächelte. »Nein, nicht wirklich. Mein Name ist Henri Lavalle, ich bin von der Kriminalpolizei. Es geht nur um die Mutter Ihrer Freundin. Frau Stahl sagte mir, ich solle mich nicht vor Ihnen erschrecken, und ich könne Sie gerne wecken. Wie heißen Sie?«
Der Mann warf dem Kommissar einen argwöhnischen Blick zu, ging an ihm vorbei zur Spüle, füllte den Wasserkocher und schaltete ihn an. Langsam drehte er sich zu Henri um.
»Chris Willner.«
Er wirkt etwas konturlos, dachte Henri. Der Mann passt gar nicht zu dieser Ann Stahl.
»Sie sind 30«, konstatierte er.
»Stimmt genau, ist das wichtig?«
»Nein. Wie alt ist Ihre Freundin?«
»24.«
Chris Willner füllte gemahlenen Kaffee in eine Glaskanne und ließ das kochende Wasser gemächlich hineinlaufen.
»Dann ist Ann Stahl nicht Ihre Freundin.«
»Schlau kombiniert, Herr Kommissar.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Chris Willner drückte mit dem Siebeinsatz das Kaffeemehl auf den Boden der Kanne, nahm eine benutzte Tasse aus der Spüle und goss sich ein. Auch Henri ließ sich nachschenken.
»In welcher Beziehung stehen Sie zu Frau Stahl?«
»Geht Sie das etwas an?«
Henri lächelte. Zu oft hatte er ähnliche Reaktionen erlebt.
»Vielleicht schon sehr bald. Frau Stahls Mutter wurde gestern zwischen 22 und 24 Uhr ermordet.«
Willner pfiff durch die Zähne, stellte seine Kaffeetasse ab und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Und das haben Sie ihr vorhin zwischen Tür und Angel gesagt, und sie ist dann wie...




