Kramp Totentänzer
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-95441-066-8
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman aus der Eifel
E-Book, Deutsch, Band 6, 252 Seiten
Reihe: Herbie Feldmann
ISBN: 978-3-95441-066-8
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ralf Kramp, geb. 1963 in Euskirchen, lebt in einem alten Bauernhaus in der Eifel. Für sein Debüt »Tief unterm Laub« erhielt er 1996 den Förderpreis des Eifel--Literatur-Festivals. Seither erschienen zahlreiche Kriminalromane und Kurzgeschichten. In Hillesheim in der Eifel unterhält er zusammen mit seiner Frau Monika das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-Archiv« (30.000 Bände), dem »Café Sherlock«, einem Krimi-Antiquariat und der »Buchhandlung Lesezeichen«. Im Jahr 2023 wurde er mit dem Ehren--Glauser für »herausragendes Engagement für die deutschsprachige Krimiszene« ausgezeichnet.
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2. Kapitel
Vorsicht, auf der A1 zwischen Münster und Osnabrück liegt ein Rasenmäher auf der Fahrbahn. Wir melden es, wenn die Gefahr vorüber ist.« Herbie drehte das Radio ab und zog grimmig die Mundwinkel nach unten.
Jedes Mal, wenn er das Gebäude betrat, breitete sich augenblicklich ein flaues Gefühl in Herbies Magen aus. Eigentlich schon vorher, wenn er genauer darüber nachdachte. Am Ortsrand von Zingsheim ungefähr. Oder vor Antritt der Fahrt, oder sogar am Abend vorher, wenn er ganz genau nachdachte.
Das mit dem »Genau nachdenken« vermied er, wenn er seine Tante in der Klinik besuchte, in der sie jetzt schon acht Tage lang residierte, nachdem ihr das morsche linke Hüftgelenk durch ein prächtiges neues aus kostbarem Platin ersetzt worden war. Das Teuerste, was zu kriegen war. Nachdenken machte die Sache eigentlich nur noch schlimmer.
Wenn er in der Ferne das klobige Gebäude inmitten der schneebedeckten Eifellandschaft im Berghang liegen sah, hätte er am liebsten das Steuer herumgerissen und auf der Stelle kehrtgemacht, doch die regelmäßigen Besuche bei Tante Hettie waren nun einmal unerlässlich.
Wo Tante Hettie war, da war auch sein Geld. Kraft Gesetzes war sie nun einmal zu seinem Vormund bestimmt worden und achtete darauf, dass er von den durchaus üppigen Finanzen, die ihm eigentlich zustanden, höchstens dann und wann mal ein paar schäbige Euros zu sehen bekam. Sein Leben war ein steter Kampf um ein paar mickrige Brosamen.
Die Stimme kam von Rücksitz. Herbie reckte den Kopf, um die Gestalt seines Begleiters besser erkennen zu können. Groß und prall gerundet zeichnete er sich als finsterer Schatten vor der grellen Winterlandschaft ab, die durch das Rückfenster zu sehen war.
Da saß er, der Grund für seine Misere. Julius, sein ständiger Begleiter. Für niemanden zu sehen oder zu hören außer für Herbie, ein Garant für erstklassigen Slapstick, für Herbies Freunde, für Herbies Psychiater aber dennoch ein massiver Grund, ihn als seiner Tante zu überantworten.
Julius war groß, fett, bärtig, trug edlen Zwirn und zeichnete sich durch glänzende Manieren und eine ausgeprägte Schwäche für schlechte Witze aus, mit der er Herbie immer wieder zur Weißglut zu treiben pflegte.
Das breite Grinsen von Herbies Begleiter strahlte fast so grell wie die Wintersonne. Julius hatte in den vergangenen Tagen eine diebische Freude an diesen bevorstehenden Krankenhausbesuchen entwickelt. Da konnte Herbie das Autoradio noch so laut aufdrehen, das alberne Gepfeife, das Julius aus seinen prallen Backen entließ, ließ sich durch nichts unterdrücken.
»Guck dir die Gesichter an«, knurrte Herbie, ohne die Lippen zu bewegen aus dem Mundwinkel, als sie das Foyer der Eifelhöhenklinik betraten.
Die Frau in der Empfangsloge, die Bediensteten, einige der Patienten, sie alle bedachten ihn mit einem Nicken und einem freundlichen Lächeln, das im selben Moment einem bedauernden Kopfschütteln oder Stirnrunzeln wich, in dem er an ihnen vorbeigetrottet war, eine Tüte Trauben und ein paar zusammengerollte Rätselhefte in den Händen.
»Toi, toi, toi!«, rief der alte Herr Pauli ihm aus dem Bistro zu und reckte die Krücke zum Gruß in die Höhe. »Halt die Ohren steif, Kerlchen!«
Aus einer anderen Ecke streckte ihm Frau Opitz mit verkniffenem Gesicht die fest gedrückten Daumen entgegen.
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»So wird es sein«, brummte Herbie kaum hörbar, als sich die Aufzugtür hinter ihnen schloss. Jetzt waren sie allein. Eine Seltenheit in diesem Haus. Besonders im Aufzug.
»Ach, Julius, es gibt so viele Rehakliniken in Deutschland. Warum ist sie hier? Direkt vor meiner Haustür gewissermaßen?«
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»Warum haben sie nur die Hüfte ausgetauscht? Warum nicht die ganze Tante?«
Herbie schüttelte sich. Mit einem leisen Glöckchenton hielt der Aufzug im vierten Stock des Gebäudes, das in den Siebzigern terrassenförmig in den Hang gebaut worden war und dessen Fluchtpläne, die in den Fluren aushingen, wie ein Querschnitt durch die Cheopspyramide anmuteten. Ein Aufzug nur für sie beide allein – das war ihm hier noch nie passiert.
Im Flur begegneten sie wieder einer Angestellten im weißen Dress. Herbie kannte sie. Elke oder Silke oder so ähnlich. Ein heiteres Mädchen. Sah sie jetzt nicht verheult aus? Kam sie nicht aus Tante Hetties Zimmer? Es würde ihn nicht wundern.
Die vierte Türe rechts. Herbie atmete tief durch.
Normalerweise war es erträglich. Seine Tante wohnte in Bad Münstereifel und er in der Vulkaneifel. Zwischen ihnen lag eine gute halbe Stunde Autofahrt. Und ein Auto hatte er bis dato nicht einmal besessen. Es war also so eingerichtet, dass er höchstens einmal im Monat die umständliche Prozedur der Eisenbahnfahrt auf sich nahm, um für Schönwetter zu sorgen. Zugfahren in der Eifel ist etwas für Leute, die ihre Zeit gestohlen haben.
Jetzt aber war alles anders. Tante Hettie war chronisch unterbeschäftigt. Sie zitierte fortwährend ihre Günstlinge in die Klinik und bestand auch darauf, dass ihr Neffe mindestens alle zwei Tage zum Rapport antrat. Sie sorgte sich sehr um ihre völlig verzogene Pudeltöle, die sich in Hundeferien im Nachbarhaus in Bad Münstereifel befand. Herbie musste antanzen, da konnte geschehen, was wollte. Dass das Örtchen Zingsheim noch nicht einmal über eine Zuganbindung verfügte, war ihr in diesem Zusammenhang völlig gleich.
Dass Herbie aber nun seit genau zweieinhalb Stunden ein eigenes Auto besaß, wusste seine Tante noch nicht. Er hatte keinen blassen Schimmer, wie er es ihr beibringen sollte.
»Sie wird wissen wollen, wo ich das Geld her habe«, hatte Herbie mit zerfurchter Miene gemurmelt, als er zum ersten Mal den Schlüssel ins Zündschloss gesteckt hatte.
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»Bei welchem Preisausschreiben gewinnt man einen neunzehn Jahre alten VW-Golf, bei dem die Ersatzteile das gesamte Farbspektrum des Regenbogens widerspiegeln?«
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Herbie holte noch einmal ganz tief Luft und klopfte.
Es verstrichen Sekunden bitterer Stille.
Tante Hetties »Herein!« klang ungewohnt sanft.
Das wiederum flößte ihm auch schon wieder Angst ein. Mit einem letzten Seufzer öffnete er die Tür und zwang sich zu einem Lächeln.
Julius wankte hinter ihm her zu Tante Hettie ins Zimmer.
Sie thronte auf einem Sessel und blickte durch die auf der Nasenspitze positionierte Lesebrille, an der rechts und links ein goldenes Tragekettchen herunterbaumelte, auf ihre funkelnde Armbanduhr.
Ein schweres Damenparfüm nahm ihm beinahe den Atem. Es roch, als habe seine Tante darin gebadet.
»Siebzehn Uhr vier«, schnarrte sie tonlos. »Siehst du, Josefine, auf meinen Neffen ist nun einmal kein Verlass. Ganz, wie ich es dir gesagt habe.« Jetzt blickte sie endlich auf. Ihre grellrot geschminkten Lippen kräuselten sich und zeigten widerspenstig ein klebriges Lächeln.
Auf einem Stuhl der winzigen Sitzgruppe saß eine weitere Person.
Die Frau war klein und verschrumpelt und sah mit ihrem steifen grünen Lodenmantel beinahe aus wie eine Schildkröte. Ihr Gesicht verschwand nahezu völlig hinter einer Hornbrille, deren Gläser die Größe von Dessertschälchen hatten.
Ihre Lippen waren schmal und blass, und ihre Haare verschwanden bis auf ein paar knappe Strähnen unter einer graumelierten Pelzmütze.
Als Herbie ihr die Hand zum Gruß reichte, erhob sie sich von ihrem Stuhl, und er bemerkte, dass sie kaum größer war als im sitzenden Zustand.
»Das ist meine alte Freundin, Frau Doppelfeld«, sagte Tante Hettie und zog die dünnen Linien ihrer Augenbrauen in die Höhe. »Sie hat extra solange gewartet, bis du kommst. Sie seit einer Dreiviertelstunde weg sein.«
Herbie war nicht der Größte, aber Josefine Doppelfeld...




