Kroll / Schurich Die Tote von Wandlitz
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95958-709-9
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
und zwei weitere authentische Kriminalfälle aus der DDR
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Blutiger Osten
ISBN: 978-3-95958-709-9
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Remo Kroll, geboren in Burg bei Magdeburg, ist langjähriger Angehöriger der Berliner Polizei und widmet sich der Historie der Kriminalpolizei und der Morduntersuchung in der DDR. Er ist Mitherausgeber der Schriftenreihe Polizei. Studien zur Geschichte der Verbrechensbekämpfung, darüber hinaus hat er vielfach publiziert, u. a. Die Kriminalpolizei im Ostteil Berlins 1945-1990 (2012) sowie Morduntersuchung in der DDR (2014, zus. m. Ingo Wirth). Frank-Rainer Schurich lehrte als ordentlicher Professor für Kriminalistik an der Humboldt-Universität zu Berlin; seit 1994 ist er freier Autor. Regelmäßig arbeitete er bei der Berliner Kripo. Er legte zahlreiche Publikationen vor, zuletzt bei Bild und Heimat Darauf können Sie Gift nehmen. Kleines Kuriositätenlexikon der Kriminalgeschichte (2013).
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Die Tote von Wandlitz
In der berühmten Kriminalerzählung Der Richter und sein Henker von Friedrich Dürrenmatt diskutieren die Hauptakteure über das Phänomen des perfekten Verbrechens. Der eine meint, dass die menschliche Unvollkommenheit, die Tatsache, dass wir die Handlungsweisen anderer nie mit Sicherheit voraussagen können und dass wir ferner den Zufall, der in alles hineinspielt, nicht in unsere Überlegungen hineinbauen können, der Grund sei, dass die meisten Verbrechen zwangsläufig zu Tage gefördert werden. Der andere meint dagegen, dass gerade die Verworrenheit der menschlichen Beziehungen es möglich mache, Verbrechen zu begehen, die im Verborgenen bleiben, also nicht erkannt werden können.
Daraus können wir zunächst entnehmen, dass nicht die Intelligenz oder Nichtintelligenz des Täters entscheidend sind, ob ein Verbrechen aufgedeckt und aufgeklärt wird, sondern die Quantität und Qualität der menschlichen Beziehungen. Sind diese offenkundig, besteht immer eine große Gefahr der Entdeckung, sind sie verworren und unübersichtlich und vielleicht sogar latent, könnte eine in diesem Umfeld begangene Straftat tatsächlich im Dunkelfeld bleiben.
Werner Maschke, der als Personenschützer im Range eines Oberleutnants zuletzt persönlicher Referent des Leiters einer Diensteinheit des Ministeriums für Staatssicherheit und Sonderoffizier für Organisation war, kannte diese Erzählung wohl nicht. Er hatte den Abschluss der achten Klasse und verfügte nach Absolvierung eines zweiten Bildungsweges, in der DDR Volkshochschule genannt, über nachgeholte Abschlüsse der zehnten Klasse in den Fächern Deutsch, Physik, Geschichte und Staatsbürgerkunde, was ja nur etwas über den Bildungsstand und nichts über seine Intelligenz aussagt. Von Beruf Universalfräser, machte sich Werner Maschke zwar viele Gedanken, wie er sein Leben in geordnete Bahnen lenken konnte, litt aber in erheblichem Maße an einer massiven Fehleinschätzung, was die Wirkungen seiner Lebensäußerungen und die Klarheit und das Wesen seiner sozialen Beziehungen betraf.
In seiner Arbeit als Personenschützer war er aber vorbildlich und achtete darauf, dass Ordnung und Sicherheit jederzeit gewährleistet waren. So erstattete er am 18. September 1970 bei seinem Dienstvorgesetzten Meldung, dass er in Ausübung eines Spätdienstes das Fehlen des Panzerschrankschlüssels Nr. 22 festgestellt habe. Er vertrat im Kollektiv die Meinung, dass der Verlust des Schlüssels durch einen Mitarbeiter ein grober Verstoß gegen die Wachsamkeit sei und als unverantwortlich und leichtsinnig eingeschätzt werden muss. Der Schlüssel blieb unauffindbar; der betreffende Kollege wurde disziplinarisch zur Verantwortung gezogen.
Und er war irgendwo auch ein Detektiv, denn er besaß die Kriminalmarke Nr. 885, wie es sich für einen Personenschützer gehörte. Nicht ganz zu Unrecht, denn er hatte vier Semester Kriminalistik beim MdI studiert und auch den Grundlehrgang für Kriminalistik an der Hochschule des MfS in Potsdam-Eiche von 1969 bis 1970 absolviert.
Das Jahr 1971, in dem wir uns jetzt befinden, war in der DDR ein politisch brisantes Jahr. Bei einem Gespräch zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker am 28. Juli 1970 in Moskau wurde vereinbart, dass Ulbricht die Macht in der DDR abzugeben habe. Am 21. Januar 1971 schrieben dann 13 (der damals 20) Mitglieder und Kandidaten des Politbüros der SED einen siebenseitigen geheimen Brief an den Generalsekretär der KPdSU Breschnew. Mitverfasser dieses als »Geheime Verschlusssache« deklarierten Briefes waren unter anderem Willi Stoph, Erich Honecker und Günter Mittag. Darin formulierten sie, dass Ulbricht nicht mehr in der Lage sei, die wirtschaftlichen und politischen Realitäten richtig einzuschätzen und mit seiner Haltung gegenüber der Bundesrepublik eine Linie verfolge, die das zwischen der SED und der KPdSU abgesprochene Vorgehen empfindlich störe. Sie schlugen Breschnew vor, die Entmachtung Ulbrichts in der Art vorzunehmen, wie zwischen Honecker und ihm im Juli 1970 besprochen.
Am 3. Mai 1971 erklärte Ulbricht dann gegenüber dem Zentralkomitee der SED »aus gesundheitlichen Gründen« seinen Rücktritt von fast allen seinen Ämtern. Wie bereits in den Absprachen mit Breschnew vorgesehen, wurde als Nachfolger der damals 58-jährige Erich Honecker nominiert, der dann auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees gewählt wurde. Nur das relativ einflusslose Amt des Vorsitzenden des Staatsrates behielt Ulbricht bis an sein Lebensende. Außerdem erhielt er das neu geschaffene Ehrenamt des »Vorsitzenden der SED«. Er starb am 1. August 1973 im Gästehaus der Regierung der DDR am Döllnsee mitten in den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten, die in einer begeisternden Atmosphäre in Ost-Berlin stattfanden.
Und am 3. Mai 1971 ermordete Werner Maschke brutal seine 30-jährige Ehefrau Ruth auf einem Waldweg zwischen den Abteilungen 233 und 228 in der Nähe der Fernverkehrsstraße 273 und der Ortschaft Wandlitz.
In der großen Politik und im kleinen Leben des Werner Maschke gab es also am 3. Mai 1971 gewaltige Umbrüche. Zufall oder Notwendigkeit? Wie hing alles zusammen? Wie konnte das geschehen? Was war wirklich passiert? Wir wollen es ergründen.
Es begann alles damit, dass der verheiratete Werner Maschke Mitte Februar 1971 während eines 14-tägigen Urlaubs mit seinem elfjährigen Sohn im FDGB-Heim »Josef Orlopp« in Bansin auf Usedom eine Frau kennenlernte und sich Hals über Kopf in sie verliebte. Sie waren im »Haus Teltow« untergebracht und wurden im Heim »Josef Orlopp« verpflegt, so wäre die genaue Beschreibung der Örtlichkeiten. Beide Häuser lagen direkt am Meer, an der Ostsee.
Die junge Frau war eine ledige Lehrerin, die nicht in Berlin wohnte, mit der er sich nach Bansin nur an geheimen Orten treffen konnte – wie es sich für einen Geheimdienstmitarbeiter gehörte. Die Liebe war von Anfang an groß, und sie liebten sich inniglich, während der Sohn im Bett des FDGB-Ferienheims schlief und von einer guten Zukunft träumte. »Durch das tägliche Zusammensein mit der … H. im Urlaubsort festigte sich das Verhältnis zwischen ihr und mir. Ihre Art, wie sie es verstand, auf meine Probleme einzugehen und mich liebevoll umsorgte, ließ mich zu dem Entschluss kommen, dass ich diese Frau auf keinen Fall verlieren dürfe. Bei den sexuellen Beziehungen, die ich mit der H. im Urlaubsort und später hatte, verspürte ich, dass dies anders war als bei meiner Ehefrau«, schrieb Werner Maschke in der Stellungnahme vom 27. November 1971. »Aus den Gesprächen, die ich mit der … H. führte, konnte ich entnehmen, dass unsere Interessen weitestgehend in Übereinstimmung standen. Sie brachte es so zum Ausdruck, dass sie sehr wirtschaftlich sei, gern ein Buch liest, Theaterveranstaltungen besucht und mit Kindern umzugehen versteht, da sie Lehrerin ist … In der Zeit von Anfang März bis Anfang Mai 1971 schrieb ich der … H. 15 Briefe, deren Inhalt sich auf unser Verhältnis zueinander und auf die durch mich ihr gegenüber gegebene Erklärung meiner Scheidung bezogen. Insbesondere enthielten diese Briefe Verleumdungen meiner Ehefrau, wodurch ich der H. gegenüber den Eindruck zu erwecken versuchte, dass an der ganzen Misere meiner gescheiterten Ehe meine Frau die ganze Schuld trägt. Gleichzeitig beabsichtigte ich, noch mehr ihre Zuneigung zu gewinnen, indem ich meine Sorge um die Erziehung zum Ausdruck brachte.«
Bei aller Harmonie – Werner Maschke machte aber der Freundin gegenüber aus seinem Leben ein großes Geheimnis. Und er log insofern, als er ihr gegenüber behauptete, dass er bereits geschieden sei. Bis zu diesem Mai 1971 wusste sie nicht einmal, wo der Geliebte denn in Berlin wohnte, der sowohl liebevoll als manchmal auch so geheimnisvoll und konspirativ mit ihr sprach.
Den Ferienplatz in Bansin, und auch das gehört zur Tragik der Geschichte, besorgte Ruth Maschke über ihren Betrieb. Sie selbst konnte nicht mit in den Urlaub fahren, da die Maschkes geplant hatten, im August 14 Tage nach Polen zu fahren, und ihr Urlaubsanspruch reichte nicht aus. Sie hätte dann für die Polenreise unbezahlten Urlaub nehmen müssen, und das wollte sie verständlicherweise nicht.
Wer war Werner Maschke? Er hatte mit seiner Frau Ruth zwei Söhne, damals elf und sieben Jahre alt. Er hatte sie 1960 bei einem Patenschaftstreffen seiner Einheit mit einer Brigade des VEB »Treffmodelle« Berlin kennengelernt, als er als Soldat im Wachregiment des MfS diente. Frau Ruth war Näherin und arbeitete sich durch zahlreiche Qualifizierungen und eine sehr gute Arbeit an die Spitze. Sie war Parteisekretärin der SED des Betriebes und Abteilungsleiterin. 1970 hatte sie ihre Stellung gekündigt und ging zum Ingenieurbüro der VVB Konfektion. In der dortigen Tätigkeit war Ruth Maschke oft auf Dienstreise. In manchen Wochen konnte sie sich nur zwei Tage um die Familie kümmern, die anderen Tage war der Ehemann gefordert. Das war das eigentliche Konfliktpotenzial.
Von außen betrachtet waren sie eine ganz normale Familie, aber in der Ehe kriselte es erheblich. Werner Maschke ließ sich nach der Rückkehr aus Bansin hinsichtlich seiner Geliebten zunächst nichts anmerken, aber kurz nach dem Urlaub an der Ostsee krachte es. Seine Ehefrau hatte natürlich den Sohn ausgehorcht und in Erfahrung gebracht, dass ihr Mann in Bansin eine Frau kennengelernt hatte und mit ihr im Clubraum des Heimes, bei Wanderungen und auch bei Veranstaltungen ständig zusammen war. Ruth Maschke machte ihrem Mann heftige Vorwürfe, dass er mit einer fremden Frau sein Geld durchgebracht hatte, und sie sagte ihm auch auf den Kopf zu, dass er ein intimes Verhältnis in Bansin begonnen hatte. So gab...




