Kullmann Stars
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-446-28403-6
Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-446-28403-6
Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Carla Mittmann, einst hoffnungsfrohe Philosophiestudentin, hat ihr Leben in der Serviceabteilung einer Möbelfirma geparkt. Nebenher betreibt sie eine Horoskop-Website - aus Spaß, als Zuverdienst, Schicksalsglauben liegt ihr fern. Doch dann steht ein Schuhkarton vor ihrer Tür, darin zehntausend Dollar, Absender unbekannt. Sie ergreift die Chance, setzt alles auf eine Karte, steigt in großem Stil ins Astrobusiness ein - und da ist er endlich, der Erfolg. Schnell wird sie zur gefragten Starastrologin und bewegt sich in höchsten gesellschaftlichen Sphären, bis sie sich plötzlich nicht mehr sicher ist: Lenkt sie die Sterne oder lenken die Sterne sie? Ein brillanter, scharfsinniger Roman über die Lust der Verführung und die Sehnsucht nach kosmischer Ordnung in Zeiten der Krise.
Katja Kullmann, 1970 geboren, lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Für den Bestseller 'Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein' erhielt sie 2003 den Deutschen Bücherpreis. Zuletzt erschien 2022 bei Hanser Berlin 'Die Singuläre Frau'.
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»Ich freu mich so! Ich bin einfach ehrlich, gleich ganz ehrlich, ja? Ich bin richtig, richtig aufgeregt«, sagt Felicitas Miller von Blachno, dreht den Kopf zu mir und lacht unsicher. Der Fahrtwind strubbelt ihr die dunklen Haare ins Gesicht, die Silberreifen an ihren Armen klimpern, und mir wäre es lieber, sie schaute auf die Straße statt zu mir, denn sie legt ein ganz schönes Tempo hin mit dem Cabrio, mit dem sie uns durch ein durchschnittliches Nirgendwo schießt.
Es ist ein knallblauer Julitag. Felicitas Miller von Blachno hat mich vom Regionalbahnhof abgeholt. Bevor ich die drei Stufen auf den Vorplatz hinab- und auf sie zuging, habe ich sie durch die Scheiben der Halle einen Moment beobachtet. Sie stand an den Wagen gelehnt, die knöchernen Ärmchen vor der schmalen Brust verschränkt, und kratzte mit dem rechten Fuß an einer Kopfsteinpflasterritze herum. Ein tunikaartiges, knöchellanges Sommerkleid, eine XXL-Sonnenbrille, Ohrringe, Halsketten, Kettengürtel, ein flirrendes Gehänge von Kopf bis Fuß, First-Class-Hippie-Style, teuer, aber billig, dachte ich. Als ich aus dem Gebäude trat, stieß sie sich von der Karosserie ab und winkte mir klimpernd zu. Ihren Daten zufolge ist sie nur zwei Jahre jünger als ich, doch ich kam mir direkt plump vor, in meinem gerade erst neu bestellten Businesswomananzug, Taupe mit einem Stich ins Bleu, gut geschnitten, aber viel zu warm für das Wetter, schon in der Bahn habe ich diese Wahl bereut, in der Hitze dünstet die ganze mittelpreisklassige Textilchemie aus mir aus.
Nun, da ich neben meiner Kundin in ihrem Angeberauto sitze, legt sich meine Befangenheit etwas. Wenige diskrete Seitenblicke genügten, und die ersten Umrisse des Dramas haben sich mir in aller Plastizität erschlossen. Ihr Gestus: angestrengte Mädchenhaftigkeit. Ihr Hals: faltig wie Plisseeseide, faltiger als meiner. Ihre Wangen: so prall, dass von »gut gemacht« keine Rede sein kann, äußerst offensichtlich hat es hier jemand um einiges zu gut gemeint mit den Fillern. Wie viel sie wohl investiert hat in dieses drittklassige Vorabendseriengesicht und welcher Horror sie sonst noch quält: Schon sehr bald wird sie es mir in ihren eigenen Worten sagen.
»Es dauert nicht lang, wir sind gleich da«, sagt Felicitas Miller von Blachno (deren Name mich so enerviert, dass ich sie im Folgenden FMB nenne) und schaut schon wieder zu mir statt auf die enge und vor allem auch sehr kurvige Landstraße. »Herrliches Wetter«, sage ich, deute mit ausgestrecktem Arm nach vorn, »was für ein Blau«, und fahre meinen Zeigefinger aus, damit auch sie auf die Straße schaut.
Doch FMB denkt gar nicht daran. Sie blickt auf den in die Holzarmatur eingelassenen Player und drückt darauf herum. Seichtes Ambientzeug ertönt, sie skippt hektisch weiter, weiter und weiter, jedes Stück, das sie anspielt, klingt beinahe identisch mit dem vorigen. »Fuck«, sagt meine Kundin, »fucking Fuck«, und lässt schließlich irgendein Beachclubgeblubber laufen. »Ich freu mich so«, sagt sie ein weiteres Mal und blinzelt mir unter ihrer Sonnenbrille vielleicht zu, ich kann ihre Augen hinter den Monsterlibellengläsern ja nicht sehen, was ich aber sehe, ist, dass sich das Cabrio bedenklich schnell und bedenklich weit auf die linke Spur bewegt. »Achtung!«, rufe ich. »Huch!«, jauchzt FMB und reißt das Lenkrad herum, worauf der Wagen die Grasnarbe am rechten Rand der Fahrbahn streift. »Das ist der Schütze in mir«, sagt das flatternde Persönchen, »ich weiß nicht, was ich mit diesem Aszendenten anfangen soll, ich fühle mich meistens mehr wie ein Fisch. Obwohl ich ja Waage bin.« Wieder wendet sie ihren Kopf zu mir, dreimal kurz hintereinander. Ich schaue stur geradeaus, auf den Traktor, auf den wir zurasen. »Lieber doch keine Musik«, sagt FMB, schaltet den Player wieder aus und überholt den Trecker mit einem furchterregenden Schlenker. Ich muss sie irgendwie runterbringen, sonst geht das hier nicht gut aus.
»Felicitas von Miller-Blachno ist ein schöner Name«, sage ich, »Ihr Gatte ist Amerikaner?«
»Nein. Brite«, sagt meine Kundin, und von der Seite betrachtet, verändert sich schlagartig die Tektonik ihres Gesichts, die Nasolabialfalten graben sich einige Mikromillimeter tiefer um ihren Mund. Ehekrise. Sah ich ja schon in ihrem Horoskop. Weiß ich längst schon alles — denke ich.
»›Miller von Blachno‹ heißt es, nicht ›von Miller-Blachno‹«, sagt sie, »aber egal, sowieso egal, scheißegal, nennen Sie mich einfach Feli, ist das okay für Sie?«
»Ja, natürlich.«
Stille.
»Sagen Sie gern Carla zu mir.«
»Gern. Sehr gern!«, sagt die Frau, die ich Feli nennen soll, und schaltet ihr Strahlen wieder an.
Auch mir fliegen die Haare ins Gesicht, sie fliegen von oben hinter meine Brillengläser (Standardgröße) und kitzeln meine Lider, der Geruch von Heu, Gülle und FMBs Parfüm oder Bodylotion tanzt mir um die Nase, dicke weiße Pollenbüschel schweben durch die Luft. In der Regionalbahn stank es nach Schweiß und Wurst, es tut gut, da raus zu sein und vom warmen Wind gestreichelt zu werden. Vor allem setze ich darauf, dass der Fahrtwind die Buy-two-get-one-free-Transpiration meines Online-Fashion-Anzugs verweht. »Schöne Gegend«, sage ich. »Ach na ja«, sagt FMB und hat damit natürlich völlig recht. Wir rasen durch ein halb ländliches Mischgebiet vor den Toren der Stadt, an Hüpfburgen, Tankstellen, verwaist wirkenden Scheunen und Steinmetzbetrieben mit fußballfeldgroßen Grabsteinausstellungen vorbei, und an einer Containerburg, auf der steht. Ab und an fliegt ein Ortsschild durchs Bild, worauf rechts und links der Straße eng aneinandergequetschte, abweisend wirkende Wohnhäuser an uns vorbeirauschen, keine zehn Sekunden lang, dann sind wir schon wieder durch, durch die Siedlung, die Ortschaft, das Dorf, die abgehalfterte Ex-Idylle, und ringsum ist dann wieder nichts, absolut nichts, außer goldbraun verdorrten Äckern und vereinzelten Windrädern am Horizont.
Vor einem schmalen asphaltierten Seitenweg bremst FMB radikal ab und biegt, ohne den Blinker zu setzen, scharf nacht rechts. Hinter uns hupt jemand. »Wichser«, zischt Feli Freifrau von Prada und steuert den Wagen eine Anhöhe hinauf, auf ein freistehendes Haus zu. Glas, Holz, Beton. Das Wort »Architektentraum« drängt sich mir auf. Einzig ein roter Kleinwagen, neben der Haustür geparkt, am Heck eingedellt, stört das Bild. Auf den letzten Metern gibt FMB noch einmal Gas und bringt das Cabrio in einer schneidigen Kurve (Kiessteinchen fliegen durch die Luft) hinter dem krummen roten Auto zum Stehen. Sie zieht den Zündschlüssel, steckt sich die Sonnenbrille ins Haar und sagt: »Willkommen am Arsch der Welt.«
Mit wackeligen Beinen steige ich aus. Meine Kundin eilt an meine Seite und bedeutet mir, stehen zu bleiben. Endlich sehe ich ihre Augen, die Augen sagen ja so viel, die Augen sagen alles, heißt es, und wahrscheinlich ist da etwas dran. In diesem Fall: graublau, kaum geschminkt und sehr viel müder, als ich erwartet hatte. FMB legt ihre Handflächen aufeinander wie zu einem Gebet, führt ihre Hände von der Stirn zum Brustkorb und atmet auf dramatische Art aus.
»Spüren Sie’s?«, fragt sie mich, mit einem flehentlichen Ausdruck in ihrem Blick.
»Was meinen Sie?«
»Die Atmosphäre? Die Aura? Können Sie schon etwas aufnehmen?«
»Äh-nein. Noch nicht. Ein schönes Haus, also Anwesen ist das. Reizvolle Architektur. Und … was für ein Ausblick …«, sage ich.
Unglücklich schaut meine Kundin mich an. Und wir gehen hinein.
Im Haus ist es hotelhallenkühl. Sichtbeton, eine freischwebende Treppe, flache Möbel, metallene Bodenvasen mit meterhohem Interior-Design-Gestrüpp. Für einen Augenblick kommt es mir so vor, als ob ich genau dieses Haus an genau solch einem sonnigen Tag schon einmal betreten hätte, was vermutlich daran liegt, dass die Set-Dekorateure beim sich zeitgemäßen Reichtum exakt so vorstellen, weshalb die Millionärsvillen, in denen die brutalsten Blutbäder stattfinden, meist genau so ausgestattet sind. Seitlich des saal-, nein, des loftartigen Wohnzimmers raschelt es. Meine Kundin winkt mich heran, um die Ecke herum. »Danke, Hanna«, sagt sie zu einer kleingewachsenen stämmigen Frau von Mitte, Ende dreißig, Crocs, Jeans, ein T-Shirt, auf dem steht. »Darf ich vorstellen, das ist unsere geschätzte Hanna. Hanna, das ist Carla, ...




