E-Book, Deutsch, Band 72, 448 Seiten
Reihe: Horror Taschenbuch
Lee Incubus
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86552-268-9
Verlag: Festa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 72, 448 Seiten
Reihe: Horror Taschenbuch
            ISBN: 978-3-86552-268-9 
            Verlag: Festa Verlag
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 0 - No protection
Edward Lee (geboren 1957 in Washington, D. C.). Nach Stationen in der U.S. Army und als Polizist konzentrierte er sich lange Jahre darauf, vom Schreiben leben zu können. Während dieser Zeit arbeitete er als Nachtwächter im Sicherheitsdienst. 1997 konnte er seinen Traum endlich verwirklichen. Er lebt heute in Florida und hat mehr als 50 Romane geschrieben, darunter den Horrorthriller Header, der 2009 verfilmt wurde. Er gilt als obszöner Provokateur und führender Autor des Extreme Horror. Festa warnt ausdrücklich: Edward Lees Werke enthalten überzogene Darstellungen von sexueller Gewalt. Wer so etwas nicht mag, sollte die Finger davon lassen. Für Fans dagegen ist Edward Lee ein literarisches Genie. Er schreibt originell, verstörend und gewagt - seine Bücher sind ein echtes, aber schmutziges Erlebnis. Bighead wurde das »most disturbing book« genannt, das jemals veröffentlicht wurde. Mancher Schriftsteller wäre über solch eine Einordnung todunglücklich, doch nicht Edward Lee - er ist stolz darauf.
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Kapitel 1
Der Flieder im Wasserglas ließ den Kopf hängen: bevorstehendes Verderben.
Veronica konnte das Verderben in seinen Augen erkennen, noch bevor sie ein Wort sprachen. Erfahrung?, hatte er sie gestern angebrüllt. Wovon redest du? Gott, kapierte er denn überhaupt nichts? Um Erfahrung ging es nicht mal. Sondern um Leben.
Sie liebte ihn, aber auch darum ging es nicht. Jack war bloß ein Bulle – so bezeichnete er sich selbst ständig. Und er hatte Probleme. »Du bist ein fürchterlich schlechter Tänzer«, hatte sie mal scherzhaft zu ihm gemeint. »Schätzchen, ich bin in vielen Sachen fürchterlich schlecht«, hatte er geantwortet, »und verdammt stolz drauf.« Paranoid, dachte sie. Unsicher.
Brauchte sie das?
»Also?«, fragte er.
Veronica betrachtete den sterbenden Flieder auf der Theke.
»Red schon«, forderte er sie auf. »Spuck’s aus. Was ist los? Ich bin nicht hergekommen, um die verfluchte Wand anzustarren.«
So viel Wut. Hab ich die ausgelöst?, fragte sie sich.
»Ich habe viel nachgedacht«, begann sie.
Oh bitte. Mach Schluss mit mir. Tu’s. Zwing mich nicht, dass ich es umgekehrt tun muss.
»Wir sind dafür bestimmt, zusammen zu sein«, versicherte er. »Davon bin ich überzeugt. Ich finde nicht, dass wir unsere Beziehung wegen ein paar Meinungsverschiedenheiten wegwerfen sollten.«
Tritt mal auf die Bremse, Jackson, dachte sie, brachte jedoch nur heraus: »Ich brauche Urlaub.«
»Was?«
Veronica senkte den Blick auf die Zierleiste der Theke.
Das Undercroft war ihr Lieblingslokal, das sie als Stammgäste regelmäßig besuchten. Eigentlich handelte es sich um eine Kneipe, einen Geheimtipp aus Ziegelstein, Mörtel und altem Holz. Hierher kamen Menschen, die von der Szene in der Innenstadt nichts hielten – eine interessante Mischung aus Kunststudenten, Journalisten, Schriftstellern und anderen Leuten. Allerdings stellte das Undercroft einen weiteren Fixpunkt in Veronicas Leben dar, den sie infrage stellte. Hier hatte sie Jack kennengelernt; hier kannte sie jeden. Und dadurch wurde die Angelegenheit nur umso unangenehmer. Gott sei Dank hatten Ginny und sie beschlossen, eine Auszeit einzulegen. Eine Auszeit von allem. Die Zeit heilte alle Wunden.
Erfahrung, dachte Veronica.
Sie waren beide verwirrt, das wusste sie. Am Anfang hatten ihre Probleme sie zusammengeschweißt. Aber jetzt? Nach dem Longford-Fall hatte Jack ein ernstes Alkoholproblem bekommen. Damals hatten sie sich noch nicht gekannt. Die Sache hatte etwas mit einem Pädophilenring und Kinderpornos zu tun gehabt. Jack hatte den Fall zwar gelöst, aber die Nachwehen hätten ihn beinah fertiggemacht. Manchmal vergaß Veronica, dass er ebenfalls Probleme hatte. Wie viele Male schien ihm ihre Verwirrung umgekehrt schon entgangen zu sein? Wie konnte er weiter an ihr festhalten, obwohl die Sprache ihres Lebens deutlich zum Ausdruck brachte, dass dies nicht die richtige Zeit war, um verliebt zu sein? Es spielte keine Rolle, dass sie ihn liebte. In ihrem Leben fehlte etwas.
»Ich nehme an Exerzitien teil«, sagte sie. »So eine Kreativsache.«
»Kreativsache? Was ist das?«
»Ein Forum für Künstler. Wir treffen uns und blicken in uns selbst.«
Jack schloss die Augen und schien etwas zurückzudrängen, wahrscheinlich Wut. »Ihr blickt in euch selbst? Und wonach willst du su...«
»Hallo, Leute«, fiel ihm Craig ins Wort. »Was kann ich für euch tun?«
Craig arbeitete unter der Woche abends als Barkeeper im Undercroft und war berüchtigt. Wahrscheinlich sorgte er allein durch Frauen für die Hälfte des Umsatzes im Lokal. Charismatisch ohne Ende und unverschämt attraktiv. Frauen mussten Nummern ziehen, um mit Craig auszugehen.
Veronica und Jack lächelten – das taten sie immer. Als sei alles in Ordnung. Als wollten sie zum Ausdruck bringen: Ach, hier gibt’s kein Problem, Craig. Nein, nein, wir streiten nicht schon wieder. Und wenn du das glaubst ...
Sie bestellten zwei Glenfiddich mit Eis ... und lächelten.
Als sich Craig abwandte, wiederholte Veronica: »Ich brauche Urlaub.«
»Urlaub!«, stieß Jack gereizt hervor, dann senkte er die Stimme. »Na schön. Wir fahren nach Ocean City oder so. Wohin du willst.«
Veronicas Magen krampfte sich zusammen. »Ich meinte Urlaub von dir.«
So. Sie hatte es ausgesprochen.
Jacks Blick wanderte erst die Theke entlang, dann zum Flieder. Abwesend zündete er sich eine Zigarette an und blies den Rauch aus.
Erfahrung. Der Gedanke kehrte unablässig zurück. »Ich brauche etwas Zeit für mich«, sagte sie. »Vielleicht funktioniert es deshalb nicht. Ich brauche Zeit, um Neues zu erleben. Ich brauche ...«
»Ich weiß. Du willst dir die Hörner abstoßen«, fiel er ihr ins Wort. »Normalerweise machen das eher Kerle.«
»Künstler müssen neue Erfahrungen sammeln. Ich habe das eigentlich noch nie gemacht, und ich muss ... muss eine bessere Künstlerin werden.«
Verbittert tippte Jack Asche in den großen Aschenbecher mit dem Spaten-Logo. »Verarsch mich nicht. Es geht um Sex, oder?«
Sei ehrlich!, brüllte sie sich innerlich an. »Na ja, das gehört vielleicht auch dazu«, räumte sie ein.
»Dich von jedem auf der Straße herumschwingenden Schwanz ficken zu lassen, wird keine bessere Künstlerin aus dir machen, Veronica.«
Es ging schon wieder los. Feindseligkeit. Sarkasmus. Kleinliche Eifersucht. Er wollte nicht einmal wissen, was sie wirklich meinte.
Jack fuhr fort: »Du bist jetzt schon berühmt und ...«
»Ich bin nicht berühmt.«
Jack lachte. »Fernsehinterviews und Zeitungsartikel bedeuten sehr wohl, dass jemand berühmt ist. Mann, noch dazu das Time Magazine – das ist berühmt. ›Vorbotin der Neubelebung der Postmoderne.‹ ›Zelebrieren der neuen Weiblichkeit in der Kunst.‹ Ich versteh schon. Du bist jetzt angesagt, und ich bin Schnee von gestern.«
Das also denkt er? Scheiß auf ihn. Warum sollte sie sich schuldig dafür fühlen, erfolgreich zu sein?
»Manchmal bist du das größte Arschloch der Welt«, warf sie ihm vor.
Er zögerte keine Sekunde. »Das weiß ich. Aber lass mich dir etwas verraten, Schätzchen. Wenn du nach Perfektion suchst, dann viel Glück. Die wirst du nicht finden.«
In dem Augenblick hätte sie ihn am liebsten mit aller Kraft getreten. Mussten alle Männer so unreif sein, so erbärmlich?
Jack ließ auf dem Barhocker die Schultern hängen. Craig stellte die Drinks vor ihnen ab und war feinfühlig genug, um sich sofort zu verziehen.
Jacks Stimme klang niedergeschlagen und düster. »Aber ich liebe dich trotzdem.«
Ich liebe dich auch, ging Veronica seltsamerweise durch den Kopf. Nur konnte sie ihm das nicht sagen, nicht jetzt. Sie musste ehrlich sein. Sie musste weiterziehen.
Er bemühte sich, nicht vor ihr die Fassung zu verlieren. »Ich möchte, dass wir der Sache noch eine Chance geben.«
Veronica schluckte und erwiderte nichts. Die Pause zog sich länger und länger wie ein Seil, das in einen Abgrund ausgerollt wird.
»Sag mir wenigstens noch eins: Hat es andere Männer gegeben, seit wir zusammen sind? Raus damit. Ich muss es wissen.«
»Ich ...«, setzte sie an. Sie fühlte sich wie zu Eis erstarrt. Die Wahrheit, verdammt noch mal! Sag ihm die Wahrheit!
»Nur einen«, brachte sie schließlich heraus.
Jacks Gesicht sah aus, als rutsche es ihm jeden Moment vom Schädel.
»Mit Sex hatte es nichts zu tun. Es war ... du weißt schon ...«
»Nein. Nein, ich weiß es nicht, also erklär’s mir.«
Veronica blickte in ihren Drink, als enthalte er kabbalistische Antworten. »Es war ein ganz besonderer Draht, so was in der Art. Er ist derjenige, der mich zu den Exerzitien eingeladen hat. Als ich ihm begegnet bin ... haben Funken gesprüht.«
»Funken haben gesprüht!«, konterte Jack zu laut. »Wenn mir der Auspufftopf vom Auto fällt, sprühen auch Funken, trotzdem verlieb ich mich nicht direkt in das Scheißding!«
Craig schaute hilflos über die Theke zu den beiden; dasselbe galt für mehrere Gäste. Veronica konnte nur die Augen schließen.
»Unsere Beziehung ist vorbei, nicht wahr? Ja oder nein?«
Sie sah überallhin, nur nicht zu ihm. »Ja«, bestätigte sie.
Langsam, wie betäubt nickte er mit geschlossenen Lidern. »Und wer ist der Neue? Wie heißt er?«
Erneut blickte Veronica zum sterbenden Flieder. »Khoronos«, antwortete sie. »Sein Name ist Khoronos.«
»» – ««
Was fand sie nur an dem Kerl?
Jedenfalls konnte es nicht nur sein Aussehen sein. Davon ließ sich Veronica nie beeinflussen. Vielleicht war er bloß zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufgetaucht. Erfolg konnte oft auch zum Problem werden. Die Ausstellung, die positiven Kritiken, die Verkäufe, die Stewie für sie erzielt hatte. Aber auch damit hatte es nichts zu tun, sondern mit etwas an dem Mann selbst. Vermutlich mit seiner Ausstrahlung.
»Mein Name ist Khoronos«, hatte er sich mit einem leichten, attraktiven Akzent vorgestellt, den sie nicht zuordnen konnte. »Ich bin schon lange ein Voyeur subjektiver Psychologie in der modernen Kunst.«
Subjektive Psychologie? Er schien ein weiterer Kritiker zu sein. »Voyeur ist ein seltsamer Ausdruck, um Kunstbegeisterung zu...




