Leyshon | Der Wald | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Leyshon Der Wald

Roman
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96161-059-4
Verlag: Econ
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-96161-059-4
Verlag: Econ
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



VON DER AUTORIN DES BESTSELLERS DIE FARBE VON MILCH »EINE HERZZERREISSENDE LIEBESERKLÄRUNG AN SÖHNE UND IHRE MÜTTER.« BRIGITTE Eine Mutter und ihr Sohn. Zwei Leben - eine Vergangenheit. Polen im Zweiten Weltkrieg: Der kleine Pawel wächst wohlbehütet in einem bürgerlichen Warschauer Haushalt auf. Doch als der Krieg kommt und sein Vater sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagiert, ändert sich alles. Die Familie lebt in ständiger Gefahr. Eines Nachts bringt der Vater einen schwer verwundeten englischen Kampfpiloten mit nach Hause und löst damit eine Kette folgenschwerer Ereignisse aus ... England, viele Jahre später: Pawel führt ein Leben als freier Künstler. Tief in sich trägt er die Erinnerung an die Erlebnisse seiner Kindheit - daran, wie er mit seiner Mutter in den Wald fliehen musste und dort Monate verbrachte, jenseits von allem, was er kannte, allein inmitten der Natur. Haben die Geschehnisse von damals Mutter und Sohn stark genug gemacht, um sie eine schwere Krise in der Gegenwart bestehen zu lassen? »Eine unfassbar starke Stimme.« DONNA über Die Farbe von Milch »Ein kompromissloses Werk von seltsamer, sprachlicher Schönheit.« Brigitte über Die Farbe von Milch »Großer kleiner Roman.« Frankfurter Rundschau über Die Farbe von Milch

Nell Leyshons Romane, Theaterstücke und Hörspiele erhielten bereits zahlreiche Auszeichnungen. Im Eisele Verlag erschien mit großem Erfolg bei Presse und Publikum der Roman Die Farbe von Milch, für den sie neben James Salter und Zeruya Shalev für den Prix Femina nominiert war. Es folgte Der Wald, 'eine herzzerreißende Liebeserklärung an Söhne und ihre Mütter' (Brigitte). Mit Ich, Ellyn legt Nell Leyshon erneut einen historischen Roman vor, in dem ein junges Mädchen seine von Geburt an benachteiligte Stellung nicht hinnimmt und sich mit aller Macht seinen Platz im Leben erkämpfen will. Nell Leyshon wurde in Glastonbury geboren und lebt heute in Dorset.
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ein teppich

ZOFIA steht auf der Schwelle zur Küche. Ihre Schwester Joanna steht an der Spüle vor dem Fenster, aus dem man auf die Backsteinmauer des Innenhofs schaut. Ihre Arme sind ganz im Wasser, sie ist völlig reglos. Ihr gelbes Kleid wird von einer weißen Kattunschürze geschützt, deren Bänder unten auf dem Rücken zu einer Schleife geknotet sind. Das dunkle Haar hat sie zu Zöpfen geflochten und am Kopf festgesteckt. Es sieht aus, als wäre der Fensterrahmen der Rahmen eines Gemäldes und Joanna das Motiv.

Zofia räuspert sich. Ihre Schwester dreht sich um und schaut sie an. Große Augen, flächige Lider. Ihre Augenbrauen sind dunkel und stark geschwungen; ihr Haar sieht in diesem dämmrigen Küchenlicht schwarz aus. Als wäre sie das Negativ zu Zofias Positiv.

Sie schauen sich an. Es ist ein fester Blick, keiner weicht dem anderen aus. Sie wissen beide, was die andere denkt, denn sie können ohne Worte miteinander sprechen. Und ihr Blick sagt Folgendes: Selbst in diesem Raum im Keller, in den Eingeweiden des Mietshauses, in dem man kein Geräusch von Automotoren oder menschlichen Stimmen hört, wo die Stadt zu einer stummen, imaginären Landschaft irgendwo dort draußen geworden ist, selbst hier hört man die Geschütze, fühlt man die Vibrationen.

Joanna senkt den Blick und schaut auf den Boden. Der Augenkontakt, der anfangs noch angenehm tröstlich war, ist plötzlich unangenehm entblößend. Angst liegt auf einmal in der Luft.

Zofia tritt über die Schwelle und geht zur Spüle. Sanft zieht sie Joannas Hände aus dem dampfenden Wasser und sieht, dass die Haut rot und entzündet ist. Und jetzt steht sie direkt neben ihrer Schwester, sie sieht, dass ihr dunkles Haar oben zwar glattgekämmt und straff zurückgenommen scheint, sich aber doch ein paar Strähnen aus den Nadeln gelöst haben und sich wie Schlangen um ihre feuchte Stirn und den Hals ringeln. Unter den Ärmeln ihres gelben Kleides sieht man dunkle Flecken.

Joanna hebt eine wunde Hand an die Stirn und versucht sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Zofia ist ihr behilflich, schiebt die Strähnen wieder in den Zopf, befestigt die Nadeln neu.

»Ich versuch das gerade sauberzukriegen«, sagt Joanna, »nur dieser Fleck hier will einfach nicht raus.«

Im Spülbecken liegt ein weißes Stoffbündel mit einem Fleck, der wie Rost aussieht, aber keiner ist. Es ist Blut. »Ich glaube nicht, dass der rausgehen wird«, meint Zofia sanft.

»Muss er aber«, sagt Joanna.

Zofia legt ihr eine Hand auf den Arm. »Du hast genug getan.«

Doch Joanna will nicht davon ablassen: Wieder taucht sie die Arme ins brühheiße Wasser und reibt energisch Stoff gegen Stoff. Sie nimmt noch mehr Natronlauge, noch mehr Seife. Die Haut auf einer ihrer Hände reißt und springt auf. Unbemerkt tritt unter Wasser ein Blutstropfen aus und bildet kleine Schlieren und Fäden, bevor er sich auflöst.

Da taucht Zofia beide Hände in die Spüle, greift Joannas zarte Handgelenke und versucht sie herauszuziehen. »Hör auf«, sagt sie. »Du musst aufhören.«

Joanna wehrt sich. »Nein. Nein.«

Doch Zofia ist die stärkere der beiden Schwestern, und Joanna gibt nach und stolpert von der Spüle weg. Zofia führt sie zu einem harten Holzstuhl, auf dem sie zusammenbricht, als würde sie in ihr Kleid hineinsinken, mitten in die gelben Falten. Sie bleibt still sitzen und starrt in die Luft, dann fängt sie an, ihre nassen Hände immer und immer wieder an der Schürze abzuwischen, wobei der raue Kattunstoff ihre Haut noch mehr aufreißt. Blutstropfen sickern in den groben Stoff. Sie blickt auf zu Zofia.

»Wo sind eigentlich alle?«, fragt sie.

»Es geht ihnen gut«, sagt Zofia.

»Und Pawel?«, fragt sie. »Wo ist Pawel.«

»Es geht ihm gut.«

»Hast du ihn oben allein gelassen?« Zofia gibt keine Antwort, und Joanna wird lauter. »Ja, du hast ihn allein gelassen. Du hast ihn allein gelassen.«

»Es geht ihm gut«, sagt Zofia. »Er übt.«

»Du musst ihn runterholen. Er kriegt doch Angst.«

»Der wird schon kommen, wenn er möchte.«

Zofia wendet den Blick ab. Es ist einfach zu intensiv. Sie legt Joanna die Hand auf die Schulter, wo sich die Knochen anfühlen, als wären sie direkt unter der Haut. Sie fühlen sich an wie die Knochen unter dem Fell eines Kaninchens, das gleich gehäutet werden soll. Sie hat noch weiter abgenommen. Zofia nimmt die Hand weg und geht zum Ofen, wo sie die Klappe schließt. Vergeudung von Brennstoff. Sie schaut sich im Zimmer um. Die Spüle, das Fenster, der Ofen, der Tisch und Stühle, die große Anrichte, die Regale. Die silbernen Kerzenleuchter, die Silberteller, die Silberdeckel. Das blau-goldene Porzellan.

Das hier war nie ihre Welt gewesen. Das war die Welt der Köchin und der Dienstmädchen.

Sie hört das Geräusch von Füßen auf der Treppe, sie gehen hinunter, hinunter, dann hört man, wie sie halb gehen, halb rennen, über den ganzen Flur, bis er schließlich auf der Schwelle erscheint. Sie sagt nichts. Joanna schaut ihn von ihrem Stuhl an, nickt, erteilt ihm die wortlose Erlaubnis, die er braucht, um einzutreten. Er rennt zu seiner Tante, schlingt die Arme um ihren Rock und ihre Beine. Sie legt ihre Arme um ihn und schaut auf ihn hinunter.

Pawel schaut zu ihr auf, in ihre Augen. Sie sehen aus, als wären sie verschiedenfarbig, doch er weiß, dass das nicht stimmt. Er kennt die Wahrheit: Das eine Auge hat eine leicht verkleinerte Pupille: Die beiden Regenbogenhäute haben dasselbe Blassblau, dasselbe Blassblau wie die Augen seiner Mutter, dasselbe Blassblau wie seine eigenen Augen, dasselbe Blau, das das Kleid seiner Mutter, das er am liebsten mag, haben würde, wenn man es in der Sonne liegen ließe.

Zofia sieht, wie sich die beiden anschauen, wie Pawel den Stoff von Joannas Rock streichelt.

Ach, was soll’s, lass die beiden.

Sie wendet sich ab, geht wieder zum Waschbecken. Sie hebt die Emailleschüssel hoch und kippt sie, bis das heiße Wasser ganz durch den Abfluss abgelaufen ist. Sie nimmt den fleckigen Stoff aus der Schüssel und wringt ihn fest aus, erst in die eine Richtung, dann in die andere. Sie schlägt ihn kräftig aus, dann hält sie ihn in die Höhe, so dass ihre Schwester den Fleck in der Mitte sehen kann. »Der geht nie mehr raus«, sagt sie. »Der ist schon ganz eingetrocknet.«

»Weich es noch länger ein«, sagt Joanna. »Schrubb es noch länger.«

Aber das tut Zofia nicht: Sie hängt den Stoff über den hölzernen Wäscheständer, der neben dem schwarzen Ofen steht. »Das kann man trotzdem noch benutzen«, sagt sie.

Joanna spricht wieder: Ihre Stimme ist hartnäckig, sie wird lauter. »Mama hat mir gesagt, ich soll das waschen.«

»Ich weiß, dass sie das gesagt hat«, sagt Zofia. Wenn sie mit ihrer Schwester spricht, ist ihre Stimme tief und ruhig. Es ist eine ganz bewusste Entscheidung, nicht zu zeigen, was sie wirklich fühlt, alles Gefühl in einem engen Rahmen zu halten. Je mehr die Stimme ihrer Schwester in unkontrollierten Wellen auf und ab schwankt, umso tiefer und fester wird ihre eigene.

Joanna hält den Blick fest auf Zofia gerichtet. »Sie hat mir gesagt, ich soll es waschen. Das hat sie gesagt.«

»Ich weiß, Joanna«, sagt Zofia, »aber du weißt genauso gut wie ich, dass Blut Flecken macht. Es ist nur ein altes Laken. Es ist egal. Es ist nicht wichtig.« Zofia wendet den Blick von ihr ab und geht wieder ans Waschbecken. Sie dreht das Wasser auf, aber es kommt nichts heraus. Seit Monaten ist dort schon nichts mehr herausgekommen, aber die Gewohnheit ist hartnäckig, die Erinnerung an den Handgriff ist tief in ihren Muskeln verankert. Sie dreht den trockenen Hahn wieder zu und greift nach dem Eimer Wasser, der neben der Spüle steht, gießt ein wenig in die Emailleschüssel, schwenkt sie aus und leert das Wasser aus. Dann gießt sie noch mal ein bisschen hinein und steckt die Hände ins saubere Wasser, um sich die Seifenreste von der Haut zu spülen. Sie trocknet sich die Hände am Handtuch ab, jeden Finger wischt sie langsam ab, ihre Körpersprache ist genauso ruhig wie ihre Stimme. Sie trocknet sich zwischen allen Fingern ab, um ihren Ehering herum, den sie hin und her schiebt, damit sie die Haut darunter auch abtrocknen kann, denn jegliche Seifenreste reizen sie und hinterlassen einen roten Streifen, als hätte man das Metall des Rings so erhitzt, dass ihre Haut verbrennt.

Pawel beobachtet, wie sich seine Mama die Hände abtrocknet. Als sie fertig ist und das Handtuch wieder an seinen Haken gehängt hat, lässt er Tante Joanna los und entfernt sich ein paar Schritte von ihr. Er hat sein Buch auf dem kleinen Schrank liegen sehen – auf dem Schrank mit dem Gitter in der Tür, in dem früher mal lauter Käse vom Land lagerte, der jetzt aber leer ist – und er nimmt es, drückt es sich an die Brust und trägt es zum Tisch. Er setzt sich, legt das Buch vor sich hin. Er dreht es so hin, dass er den Buchrücken sehen kann, der ausgeblichen ist, weil er auf einem Regal direkt in der Sonne stand. Die Buchstaben sind auf den blauen Stoff geprägt, er sieht die goldenen Fragmente. Er legt beide Hände auf den Buchdeckel, als könnte er den Inhalt durch seine Handflächen lesen. Er scheint völlig versunken, ist es aber nicht: Er hört zu, schaut zu.

Seine Mama, Zofia, spricht mit ihrer Schwester. »Du musst essen. Ich weiß, dass du abnimmst.«

»Ich versuche es ja.«

»Wenn man erst mal abgenommen hat, ist es schwierig, wieder zuzunehmen.«

»Warum hast du ihn da oben allein gelassen?«

Ein ungeduldiger Unterton schleicht sich in Zofias Stimme. »Es geht ihm gut. Schau...


Leyshon, Nell
Nell Leyshons Romane, Theaterstücke und Hörspiele erhielten bereits zahlreiche Auszeichnungen. Im Eisele Verlag erschien mit großem Erfolg bei Presse und Publikum der Roman Die Farbe von Milch, für den sie neben James Salter und Zeruya Shalev für den Prix Femina nominiert war. Es folgte Der Wald, „eine herzzerreißende Liebeserklärung an Söhne und ihre Mütter“ (Brigitte). Mit Ich, Ellyn legt Nell Leyshon erneut einen historischen Roman vor, in dem ein junges Mädchen seine von Geburt an benachteiligte Stellung nicht hinnimmt und sich mit aller Macht seinen Platz im Leben erkämpfen will. Nell Leyshon wurde in Glastonbury geboren und lebt heute in Dorset.

Kuhn, Wibke
Wibke Kuhn (geboren 1972) übersetzt Romane und Sachbücher aus dem Schwedischen und Englischen. Zu ihren Übersetzungen zählen zahlreiche Bestseller, darunter etwa die Romane von Stieg Larsson und Jonas Jonasson.



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