E-Book, Deutsch, 208 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
Liebermeister Führen mit Alpha Intelligence
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-648-18442-4
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Startklar für die Arbeitswelt der Zukunft
E-Book, Deutsch, 208 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
ISBN: 978-3-648-18442-4
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Barbara Liebermeister ist renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin mit langjähriger Erfahrung im Management internationaler Kosmetikkonzerne wie Dior, Marbert und L'OREAL. Sie ist nicht nur systemischer Coach und ausgebildete Trainerin, sondern auch Sportmental Coach. Kürzlich hat sie ihren Master in Neurowissenschaften abgeschlossen und vor zehn Jahren das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter gegründet, um die Herausforderungen von Führungskräften im digitalen Wandel zu erforschen. Als führende Expertin für New Leadership und die Zukunft der Arbeit unterstützt sie eine breite Palette von Organisationen - von globalen Konzernen über agile Startups bis hin zu Behörden. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die essenziellen Grundlagen effektiver Führung und wird durch fundierte Studien und praktische Erfahrungen bestätigt. Barbara Liebermeister liefert praxisnahe Lösungen und erklärt auf faszinierende Weise, wie neurowissenschaftliche Erkenntnisse helfen können, die häufigsten Probleme von Führungskräften zu überwinden.
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Ein kurzer Impuls vorab
Vom Wandel überholt?
Anna, die Bereichsleiterin des führenden Technologieunternehmens ByteBeast, beginnt das Online-Meeting pünktlich um 9 Uhr. Sie hat sich viele Gedanken zur Agenda gemacht, die jetzt doch wieder zehn Punkte umfasst. Dennoch nimmt sie sich vor, sie gleich mit den Kolleginnen und Kollegen innerhalb einer Stunde abzuarbeiten. Mit Elan eröffnet sie das Meeting, aber schon meldet sich Tom, der Vertriebsleiter, aus dem Auto: »Sorry, ich bin unterwegs, aber ich wollte unbedingt dabei sein!« Die Verbindung knackt, das Bild bleibt immer wieder hängen und seine Stimme bricht ab. Es ist klar, dass Toms Teilnahme mehr Störung als Beitrag bringen wird, aber alle schweigen höflich und nachsichtig – schließlich waren sie alle schon einmal in dieser Situation.
Anna lässt sich nichts anmerken und fährt fort, doch ihre Aufmerksamkeit wird schnell von Sabine abgelenkt, die die Marketingabteilung vertreten soll. Sabine hat die Kamera ausgeschaltet. »Sabine, möchtest du dazu etwas sagen?« Es bleibt still, bis Sabine sich leise meldet: »Sorry, ich bin noch nicht ganz fertig im Bad …« Ein kurzes, peinlich berührtes Lächeln huscht über die Gesichter der Teilnehmenden, aber das Meeting muss weitergehen. Unterdessen bemerken einige, dass Kai und Laura, beide aus dem Controlling, ständig auf ihre Handys schauen. Sie tippen ununterbrochen – wahrscheinlich beantworten sie Mails oder chatten. Ihre Blicke sind kaum in die Kamera gerichtet. Als Anna sie direkt anspricht, zuckt Kai zusammen und stammelt: »Ähm, ja … sorry, kannst du das noch mal wiederholen?«
Anna, inzwischen leicht frustriert, setzt ihre Moderation fort, aber es scheint, als würde niemand wirklich zuhören. Die Agenda wird Punkt für Punkt durchgegangen, doch die Energie im virtuellen Raum ist längst verpufft. Diskussionen bleiben aus, Nachfragen ebenso. Anna redet und redet, während der Rest der Mannschaft sich beschallen lässt. Es ist, als würde sie eine Radiosendung moderieren, bei der niemand wirklich zuhört. Gegen Ende des Meetings, als Anna gerade zum letzten Punkt kommen will, unterbricht plötzlich Frank aus der IT: »Entschuldigung, ich muss gleich raus, ich habe in fünf Minuten ein anderes Meeting.« Anna, bereits entnervt, nickt nur und beeilt sich, den letzten Punkt abzuhandeln.
Zwar hat sie ihre zehn Punkte abgearbeitet, doch es bleibt das Gefühl, dass nichts wirklich besprochen oder entschieden wurde. Das Meeting endet ohne Raum für zwischenmenschlichen Austausch. Niemand fühlt sich wirklich abgeholt oder einbezogen, und als die letzten Teilnehmenden den Call verlassen, seufzt Anna tief – und macht sich direkt auf ins nächste Meeting.
Von Routine zu Resonanz: mehr Mensch in der hybriden Führung
Führungskräfte wie Anna bringen in virtueller und hybrider Führung viel Erfahrung mit. Doch genau diese Routine kann zur Falle werden. Die Selbstsicherheit, mit der sie ihre Meetings leitet und ihre Teams steuert, gibt ihr das Gefühl, alles im Griff zu haben – und genau das verhindert, dass sie spürt, was fehlt: der Mensch.
Effizient arbeitet sie ihre Agenda ab, sorgt für klare Abläufe, doch was dabei oft unsichtbar bleibt, ist die Distanz, die sich in virtuellen oder hybriden Teams schneller einschleicht als in Präsenz. Führung ist eben mehr als die Verwaltung von Aufgaben. Es geht darum, Nähe und Vertrauen aufzubauen – auch auf Distanz.
Menschen sind keine Zahnräder im System. Sie brauchen Verbindung, Austausch und das Gefühl, wirklich gesehen zu werden. Fehlt das, drohen Meetings zu Pflichtveranstaltungen zu werden – jeder ist »anwesend«, aber niemand wirklich dabei.
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Persönlicher Austausch – auch digital – bleibt essenziell. Gute Führung erkennt die individuellen Bedürfnisse und Potenziale jedes Teammitglieds und fördert diese aktiv.
Führung ist Beziehung. Und genau diese Beziehung ist es, die Menschen antreibt, über sich hinauszuwachsen. Nur wenn die Verbindung zwischen Führungskraft und Team tragfähig ist, entsteht echte Bereitschaft, gemeinsam das Beste zu geben. Fehlt diese zwischenmenschliche Tiefe, bröckelt das Zusammengehörigkeitsgefühl – und mit ihm die Teamidentität. Das wirkt sich direkt auf die Produktivität aus. Eine schlechte Stimmung senkt nachweislich die Leistung drastisch, wie zahlreiche Studien zeigen.1 Wird das nicht erkannt, scheitert die Führungskraft langfristig an ihren Zielen – und landet selbst in der Überforderung. Ein Teufelskreis, der sich nur schwer durchbrechen lässt.
Doch diese Überlastung ist selten nur die Folge äußerer Umstände. Vielmehr wurzelt sie oft in einem verzweifelten Festhalten an überholten Führungsprinzipien. Viele Führungskräfte erkennen nicht, dass ihr Gefühl der Überforderung eng mit einem Führungsstil verknüpft ist, der nicht mehr in die Zeit passt.
Moderne Führung erfordert mehr, als eine Duz-Kultur einzuführen oder Meetings ins Virtuelle zu verlagern. Besonders das Festhalten an klassischen Kontrollprinzipien – oder anders gesagt: die fehlende Kontrollverlustfähigkeit – wird zur Last. All dies blockiert den Weg, die neuen Herausforderungen mit frischem Denken und innovativen Methoden zu meistern.
Um Stress in der Führung zu überwinden, ist es entscheidend, sich auf den Kern erfolgreicher Führung zu besinnen: das Zwischenmenschliche zu fördern. Denn auch oder gerade im digitalen Zeitalter bleibt die persönliche Verbindung das Herzstück jeder effektiven Führung. Die meisten Menschen unterschätzen diesen Part jedoch. Sie legen den Fokus bei der digitalen und hybriden Zusammenarbeit auf technische oder organisatorische Details. Allerdings besteht die wahre Stärke einer Führungskraft heute darin, auch auf Distanz eine echte Verbindung zu den Mitarbeitenden zu halten. Wenn diese Verbindung fehlt, ist die Gefahr groß, dass das Wir-Gefühl im Team schwindet und die Motivation sowie das Engagement der Mitarbeitenden leidet.2
In der nichtdigitalen Arbeitswelt konnten Missverständnisse oft durch persönliche Begegnungen – sei es in der Kaffeeküche oder am Kopierer – unauffällig korrigiert werden. Ich erinnere mich an eine Situation, die einer meiner Coachees erzählte und die genau das widerspiegelt.
Er arbeitete in einem Büro, in dem er sich mit Kolleginnen und Kollegen nur dann und wann zusammenfand, weil meist vom Homeoffice aus gearbeitet wurde. Von einem sehr sympathischen Kollegen erhielt er an einem Tag eine Mail, die ungewöhnlich schroff und kurz angebunden wirkte. Im ersten Moment fühlte sich mein Coachee ein wenig vor den Kopf gestoßen und fragte sich, ob sein Kollege verärgert war oder ob er selbst etwas falsch gemacht hatte.
Normalerweise hätte er dieses Gefühl vielleicht mit sich herumgetragen – nicht schlimm genug für ein offizielles Gespräch, aber doch störend genug, um Unbehagen zu hinterlassen. Doch genau in diesem Moment kam ihm der Zufall zur Hilfe: In der Kaffeeküche liefen sie sich spontan über den Weg. In dieser lockeren Atmosphäre, ganz ohne formellen Rahmen, traute er sich, die Situation anzusprechen: »Hey, ich habe gerade deine E-Mail gelesen. Sie war ganz schön kurz. Ist alles okay bei dir?«
Der Kollege war kurz irritiert, bis er verstand, worum es ging – und konnte sofort aufklären: Er sei einfach nur im Stress gewesen und hätte die Mail deshalb so knapp gehalten. Die Situation klärte sich in Sekunden.
Solche zufälligen Begegnungen sind weit mehr als bloße Plaudermomente – sie sind das unsichtbare Sicherheitsnetz sozialer Beziehungen. In diesen kleinen, oft beiläufigen Momenten entstehen Klarheit, Vertrauen und das Gefühl, auf einer Wellenlänge zu sein. Fehlt dieses Netz, wird aus jeder kleinen Unsicherheit schnell ein großes Fragezeichen – und auf Distanz schnell ein Missverständnis.
Die stille Macht der Emotionen
Neurowissenschaftlich betrachtet spielen solche persönlichen Interaktionen eine wichtige Rolle, weil wir alle Beziehungswesen sind. In unserem Gehirn gibt es neuronale Schaltkreise, die speziell auf nonverbale Signale, wie Gesichtsausdruck, Tonfall und Körpersprache, reagieren. Diese Signale helfen uns, die Absichten und Emotionen unseres Gegenübers besser zu verstehen. In der digitalen Kommunikation fehlen viele dieser nonverbalen Hinweise häufig. Das macht es unserem Gehirn schwerer, den Kontext einer Nachricht richtig zu interpretieren. Dies wiederum kann dazu führen, dass wir etwas negativer auffassen, als es gemeint ist, oder zu einer Fehlinterpretation kommen – so entstehen Missverständnisse und im schlimmsten Fall ein Konflikt.3
Persönliche Begegnungen bieten dagegen die Möglichkeit, Missverständnisse direkt zu klären, denn sie aktivieren auch jene Teile unseres Gehirns, die für das gegenseitige Verständnis wichtig sind. Heute fallen solche spontanen Gelegenheiten für den direkten, persönlichen Austausch oft weg. In einer digitalen Welt ist es daher umso wichtiger, gezielt Möglichkeiten für informelle Klärungen zu schaffen. Jede Führungskraft sollte also bewusst auf die zwischenmenschliche Ebene achten.
In der vordigitalen Zeit war es nicht üblich, auf das Zwischenmenschliche zu achten, da der Fokus stärker auf Strukturen und Prozessen lag und wir uns in Präsenz trafen. Wenn diese Unachtsamkeit im virtuellen oder hybriden Umfeld allerdings weiter besteht, wir also an veralteten Praktiken festhalten, ohne die Bedürfnisse und Dynamiken unserer Teams wirklich wahrzunehmen, dann schaden wir dem Unternehmen, weil unsere Teammitglieder in einem solchen Umfeld weniger leisten. Ohne achtsame...




