Lindstrom | Brand Sense | Buch | 978-3-593-39447-3 | sack.de

Buch, Deutsch, 212 Seiten, Format (B × H): 152 mm x 221 mm, Gewicht: 421 g

Lindstrom

Brand Sense

Warum wir starke Marken fühlen, riechen, schmecken, hören und sehen können

Buch, Deutsch, 212 Seiten, Format (B × H): 152 mm x 221 mm, Gewicht: 421 g

ISBN: 978-3-593-39447-3
Verlag: Campus Verlag GmbH


Wussten Sie, dass der angenehme Duft eines Neuwagens eigentlich aus der Sprühdose mit 'Neuwagen-Aroma' kommt? Oder dass der 'Crunch' der Kellogg’s Cornflakes in einem Soundlabor entwickelt wurde? In diesem erstaunlichen Buch zeigt der Marketingguru Martin
Lindstrom auf wunderbar unterhaltsame Weise, wie unsere fünf Sinne unsere täglichen Kaufentscheidungen beeinflussen. Coca-Cola, Marlboro, Nivea, Toys’ ’Us, Microsoft, Nokia, Disney – sie alle nutzen es äußerst erfolgreich aus, dass wir Sklaven unserer Sinne sind.
Nach der Lektüre dieses Augen öffnenden Buches werden Sie Produkte nie wieder sehen, hören oder anfassen wie vorher!

Schon das Cover hält, was der Titel verspricht: Durch Berührung verändert das mit Thermolack veredelte Cover seine Farbe.
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Kapitel 1
Mit Sinn und Verstand

In den Wochen und Monaten nach dem Erscheinen von Buyo-logy. Warum wir kaufen, was wir kaufen war ich regelmäßiger Gast bei Amerikas beliebtester Sendung im Frühstücksfernse-hen Today. Die Themen, zu denen ich mich äußern sollte, wa-ren sehr vielfältig. Wir sprachen über Kaufsucht, darüber, ob Sex tatsächlich ein effektives Werbeinstrument ist, über unter-schwellige Werbung und vieles mehr. Bei meinem jüngsten Auftritt arbeitete ich mit einer Fokusgruppe ausgewählter Teil-nehmer zwischen acht und zwölf. Wozu? Um zu messen, in welchem Maß sensorisches Branding - also die Verwendung von Düften, Klängen und Strukturen zur Steigerung des Reizes eines Produkts - auf diese Kids wirkte. Ich kam mir dabei vor wie der Moderator einer exzentrischen neuen Spielshow, bei der es um das Erraten angesprochener Sinne geht.
Erst spielte ich ein paar bekannte Songs an, die wir mit ver-schiedenen namhaften Unternehmen und populären Fernseh-sendungen assoziieren. Die meisten Kinder erkannten sie auf Anhieb. Darunter waren Disney, Apple Computer und die Titel-melodien von SpongeBob Schwammkopf und NBC. Dann kam der Geruchstest. Der erste Duft, der freigesetzt wurde, war (ist und wird es immer sein) der mit dem weltweit größten Wieder-erkennungswert.
"Oh, ich weiß, wie das riecht", sagte einer.
"Den Geruch kennt doch jedes Kind", ein anderer.
"Also gut", meinte ich, "auf drei sagt ihr mir die Marke. Fer-tig? Eins … zwei … drei - "
Sie wussten es alle: Knetmasse von Play-Doh! Die nächsten beiden Duftnoten? Wachsmalkreiden von Crayola und Babypu-der von Johnson's. Auch diese beiden Marken wurden von den Kindern problemlos erkannt. Dann wandten wir uns einer schwierigeren Aufgabe zu: einer "Marken-Collage". Auf einer Tafel waren nur Teile oder Fragmente der Logos oder Symbole von Unternehmen zu sehen. Dennoch konnten die Kinder prak-tisch alle Marken zuordnen - von Kellogg's über Pepsi-Cola und MTV bis zu Nike. Manche erkannten zu meiner Überra-schung sogar die Logos von Gucci und Tiffany's.
Nachdem ich verschiedene Logos abgefragt hatte, präsen-tierte ich diverse Produkte von namhaften Designern, bekann-ten Kaufhäusern und sogar ein paar typische Kleidungsstücke, die ich an Straßenständen erworben hatte.
Nun sind Jeans für die meisten mode- und markenbesesse-nen Mittelstüfler kein ganz einfaches Thema. Eines der Mäd-chen - Olivia hieß sie - hielt eine Jeans im Arm.
"Die ist von Abercrombie!", schwärmte sie.
So unverfänglich ich konnte, fragte ich: "Woher willst du denn wissen, dass sie wirklich aus dem Laden kommt und nicht gefälscht ist?"
"Weil sie so riecht", erwiderte Olivia und beugte sich vor, um den süßlichen Geruch (den mancher ekelerregend finden könn-te) der Abercrombie & Fitch-Jeans einzuatmen.
Die Hose, die Olivia da in er der Hand hielt, sah aus wie jede andere. Sie hätte genauso gut von Target stammen können, oder von Macy's. Sie hätte aus jedem beliebigen Factory Outlet irgendwo in Amerika kommen können. Doch die Schülerin hatte sie sofort zweifelsfrei richtig zugeordnet, und zwar nur aus ei-nem Grund: wegen ihres unverwechselbaren Geruchs.
So seltsam und faszinierend Olivias Markenpräferenz wirken mochte, mein Auftritt bei Today rief mir zwangsläufig das erste globale Forschungsprojekt über sensorisches Branding ins Gedächtnis, das ich je durchgeführt hatte. Es wurde 2005 ab-geschlossen. Daran waren Hunderte von Forschern und Tau-sende von Verbrauchern auf vier Kontinenten beteiligt, die eine fünfjährige Mission verfolgten. Unser Ziel war, die Gründe für ein Verhalten zu verstehen, wie es Olivia an den Tag legte - und den Verbrauchern einen Wegweiser an die Hand zu geben, der ihnen begreiflich machte, warum sie sich zu einem Produkt hingezogen fühlten - ob das ein iPod war, ein Glas Nescafé oder nur ein Frühstücksmüsli.
Olivia war schließlich ein lebendes, atmendes Beispiel dafür, was Marketingexperten mit der Entwicklung einer Marke errei-chen wollten. Ich habe lange darüber nachgedacht, was ein Kind (oder auch einen Erwachsenen) dazu bringt, ganz und gar einer Marke wie Apple oder Kellogg's zu erliegen. Welche Komponenten der Marke sind es, die eine solch magische, magnetische, langlebige Beziehung begründen? Weicht die obsessive Überzeugung von einer Marke je der Enttäuschung oder gar der Langeweile?
Aus diesem Grund ging ich mit meinem Team für das Projekt Brand Sense 2005 los und stellte Menschen mit ausgeprägter Affinität - ja, in manchen Fällen buchstäblich Affenliebe - zu bestimmten Marken alle möglichen Fragen. Sie teilten uns be-reitwillig und großzügig ihre Leidenschaften und Erkenntnisse mit - unschätzbare Informationen, die mich zu dem Schluss brachten, dass wir unseren Kurs komplett ändern müssen, wenn Produkte und Werbung das nächste Jahrhundert erleben wollen. Eine weitere Anzeige auf einer Tafel am Times Square wird nicht ausreichen. Gefragt ist eine ganz neue - sensorische - Vision, die unsere Gefühle anspricht.
Seither weiß ich, dass sich eine Marke in eine sensorische Erfahrung verwandeln muss, die weit über das hinaus geht, was wir sehen. Ebenso wurde mir klar, dass Kinder mehr als jeder andere auf unserem Planeten besonders tiefe Bindungen zu wahrhaft sensorischen Marken entwickeln - solche, die Gehör, Tastsinn und Geruchssinn einbeziehen. Das ist vielleicht gar nicht so überraschend, wenn man berücksichtigt, dass die Sin-neswahrnehmungen eines Kindes normalerweise rund 200 Prozent intensiver sind als die eines Erwachsenen. Einer jun-gen Mutter, die ihr Neugeborenes im Arm hält, wird kaum be-wusst sein, dass dessen Geruchssinn 300 Prozent stärker aus-geprägt ist als ihr eigener. Vielleicht ist das ja die geniale Me-thode der Natur zur Gewährleistung einer dauerhaften Bindung zwischen Mutter und Kind.
Ich will Ihnen noch ein weiteres verblüffendes Beispiel für die Wirkung des sensorischen Brandings geben. Der nationale Postdienstleister in Großbritannien ist die Royal Mail. Wie viele wissen, leiden solche Unternehmen in aller Welt unter drasti-schen Umsatzeinbußen. Nur wenige Menschen schreiben heut-zutage noch Briefe. Man schickt Pakete, ja, aber nicht mehr diese weißen Dinger, die man Umschläge nennt und in deren rechter oberer Ecke ein Papierfetzchen klebt, das Briefmarke heißt. Denken Sie doch mal nach - wann hatten Sie zuletzt einen handgeschriebenen Brief im Kasten? Die Welt kommuni-ziert weitaus lieber bequem über E-Mail, Facebook und Twitter. Um den sinkenden Zahlen direkter Briefsendungen entgegen-zuwirken, dachte sich die Royal Mail eine Kampagne namens "Touching Bands" aus. Sie verfolgte zwei Ziele: die Wiederan-bindung von Verbrauchern, die sich von dem etwas abfällig als "Schneckenpost" bezeichneten Kommunikationskanal abge-wandt hatten, und die Betonung der zentralen Rolle der traditi-onellen Post im digitalen Zeitalter als natürlicher Partner der neuen Medien. Mit Unterstützung der britischen Brand Sense Agency wurde ausgelotet, wie die fünf Sinne eingesetzt werden konnten, um Bezug zu einer Marke herzustellen - in diesem Fall der Royal Mail. Das Experiment bekam den Titel "Sensati-onal Mail". Und die Ergebnisse waren tatsächlich sensationell.
Die erste solche "sensationelle" Sendung der Royal Mail bestand aus einem persönlich adressierten Brief, der in eine Tafel Schokolade eingeritzt war. Ja, ganz richtig! Und wer lässt sich von Schokolade nicht verführen - von ihrer geschmeidigen Textur, ihrem appetitlichen Duft, dem verheißungsvollen Kna-cken beim Abbrechen und nicht zuletzt vom Geschmack?
Die Resonanz auf unsere als innovativ und plakativ geprie-sene Royal-Mail-Schokoladenpost übertraf am Ende alle Erwar-tungen. Drei Viertel der Empfänger merkten, wie eine Postsen-dung alle fünf Sinne ansprechen konnte, und ließen sich von unserem postalischen Experiment zum Handeln anregen - auf eine Weise, wie ich betonen darf, die weit über den Verzehr des Schokoladenbriefs hinausging. Sie begannen schlicht, wieder Briefe zu schreiben!
Doch wir wollten unsere Feststellungen für Medienplaner und Werbefachleute gern wissenschaftlich bestätigt sehen. Unter Einbezug von Neurowissenschaft und fortschrittlichster Technik zur Abbildung von Gehirnaktivitäten wie fMRI untersuchte das Forschungsinstitut Millward Brown in Großbritannien die Gehir-ne von 20 Testpersonen, um zu prüfen, ob das "Royal-Mail-Experiment" eine echte emotionale Bindung ausgelöst hatte - ob beim Verbraucher eine effektive emotionale Reaktion her-vorgerufen wurde. Man wollte feststellen, ob die Gehirne der freiwilligen Testpersonen in irgendeiner Hinsicht anders reagier-ten, wenn ihnen solche Informationen statt direkt mit der Post über andere Kanäle übermittelt wurden - etwa über den Com-puterbildschirm. Eine Marke, Anzeige oder sonstige Avance, die funktionieren (und im Gedächtnis bleiben) sollte, musste es schaffen, sich in dem ohnehin überfüllten Speicher des menschlichen Gehirns einen Platz zu erobern. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, ist unser Gehirn sehr geübt darin, irrelevante Informationen auszufiltern. Gefühle verschaffen sich über unsere Sinne Aufmerksamkeit - und beeinflussen wieder-um unsere Entscheidungsprozesse. Marken, die eine emotiona-le Beziehung zum Verbraucher herstellen, sind stärker als an-dere - so einfach (und gleichzeitig kompliziert) ist das.
Die Ergebnisse der Forschungsarbeit von Millward Brown bestätigten, dass herkömmliche Postsendungen - insbesonde-re die Schokoladenaktion - für das Gehirn viel "realer" waren und einen klar definierten "Platz" in der Wahrnehmung der Verbraucher hatten. Außerdem konnten die Gehirne der Pro-banden Postsendungen leichter verarbeiten, weil sie stärkere Gefühle auslösten und so für eine zügigere Entscheidungsfin-dung sorgten. Kurz, das Royal-Mail-Experiment bewies schlüs-sig, dass es möglich war, mit Postsendungen den Weg in den vollgestopften Wandschrank zu finden, den unser Kopf darstellt - eine beachtliche Leistung, wenn man berücksichtigt, dass die meisten von uns in einer immer stärker digitalisierten Umge-bung leben.
Doch ich nahm noch einen weiteren Aspekt der neuen Mar-kenführung aus meinen Erfahrungen mit Olivia und der Royal Mail heraus: nämlich, dass jede Marke versuchen sollte, sich eine Gefolgschaft aufzubauen, die eine ähnliche, an Besessen-heit grenzende Bewunderung empfindet wie ein Sportfan oder in mancher Hinsicht vielleicht sogar der Anhänger einer Glau-bensrichtung.
Ohne den Vergleich mit der Religion zu weit zu führen, ha-ben spirituelle Elemente für bestimmte Aspekte des sensori-schen Brandings eindeutig eine Bedeutung. Die einprägsams-ten favorisierten Marken der Zukunft werden solche sein, die nicht nur in der Tradition verankert sind, sondern darüber hin-aus religiöse Merkmale aufweisen, weil sie zeitgleich und um-fassend auch sensorisches Branding einbeziehen. Punktum. Jede voll integrierte Marke wird mit einer eigenen Identität auf-warten, die in jeder Botschaft, jeder Form, jedem Symbol, je-dem Ritual und jeder Tradition Ausdruck findet - genauso wie eine Fußballmannschaft oder eine Religionsgemeinschaft.
Doch eine Reaktion hervorzurufen, die an religiösen Eifer er-innert, ist nur ein Ziel der nächsten Produkt- und Werbungsge-neration. Um zu überleben, müssen Marken eine "Markenplatt-form" beinhalten. (Damit ist eine Reihe von Assoziationen ge-meint, die ein Produkt oder ein Unternehmen beim Verbraucher auslösen.) Diese Plattform muss alle fünf Sinne in sich vereinen - wie Abercrombie! Wir leben in einer Welt, in der die Konsu-menten etwas brauchen, an das sie glauben können. Das mag ironisch klingen, doch während die Religionen Mühe haben, neue Anhänger zu finden, sind die Verbraucher verzweifelt auf der Suche nach mehr. Bedauerlicherweise (wie mancher sagen würde) ist dieses "Mehr" mehr denn je in Marken zu finden - ein Phänomen, dass Sie vielleicht besser erfassen könnten, wenn Sie China besuchen würden, wo die "Markenreligion" allem Anschein nach schon weit mehr Macht hat als die ihres jahrtausende alten glaubensbasierten Pendants.
Diesem Buch liegt unmittelbar das umfängliche Forschungs-projekt zugrunde, das untersucht hat, welche Rolle jeder unse-rer fünf Sinne bei der Entstehung einer leidenschaftlichen Be-ziehung zwischen einem Verbraucher und einer Marke spielt. Unsere Studie sollte darüber hinaus feststellen, in welchem Maß religiöse Aspekte wie Vertrauen, Glaube, Zugehörigkeit und Gemeinschaftssinn für die Zukunft des Brandings richtung-weisend sein könnten. Auf den ersten Blick haben Religion und Marke lächerlich wenig miteinander zu tun. Aber ist das wirklich so? Besuchen Sie doch einmal ein Gotteshaus. Schon vor dem Betreten des Gebäudes erleben Sie einen Frontalangriff auf Ihre Sinne - ob durch das Mittagsgeläut im schweizerischen Zürich oder durch die Gebetsrufe über Istanbul. Aber auch im Inneren von Sakralbauten werden Ihre Sinne angeregt und geweckt, ob durch den unverkennbaren Weihrauchduft in der Luft, oder den muffigen Geruch des Kirchengestühls. Egal wo Sie leben und welcher Glaubensrichtung Sie angehören - Reli-gion sendet eine ganze Reihe klarer, unmissverständlicher Signale über die Sinne, noch bevor Sie überhaupt einen Blick auf ein Kreuz, einen Altar, ein Buntglasfenster oder eine Kippa erhaschen. Unsere ältesten Religionen gibt es seit rund 3500 Jahren. Und unsere ältesten Marken? Seit 150 Jahren. Aus diesem Grund glaube ich, dass es für Marken an der Zeit sein könnte, respektvoll Anleihen bei der Religion zu machen - und ein paar entscheidende Dinge über Glaube und Loyalität zu lernen.
Ferner gelangten wir zu dem Schluss, dass unsere Brand-Sense-Studie nur dann Aussagekraft besitzen würde, wenn sie auf globaler Ebene durchgeführt würde. Zu unserem multikultu-rellen Forschungsteam gehörten Menschen aus 24 Ländern, die 18 Sprachen sprachen. Doch unsere globale Studie hatte noch ein weiteres Ziel. Wir wollten erstarkende Trends ermitteln und die Entwicklung lokaler Marken erforschen, um so eine solide Grundlage für die Umsetzung unserer voll integrierten Markentheorie zu schaffen, die ungeachtet aller kulturellen Un-terschiede und Präferenzen an jeden Mark angepasst werden konnte.
Ich beschloss, mich an Millward Brown zu wenden, deren umfassendes Markenwissen sie für ein Projekt dieses Kalibers zum Partner der Wahl machte. Das Konzept, das wir "Brand Sense" tauften, entstand 1999 und entwickelte sich am Ende in ein Markenforschungsprojekt, an dem sich rund 600 Forscher weltweit beteiligten.
Ich will ganz offen sein. Zuvor hatte noch nie jemand For-schung zur sensorischen Wahrnehmung und zu religiösen Pa-rallelen zum Branding durchgeführt. Wir versuchten, möglichst sensibel mit den Unterschieden in Charakter, Tiefe und ultimati-ver Wahrheit umzugehen. Mein Verleger war ernstlich besorgt - und das nicht ohne Grund -, als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann. Ich ging sogar so weit, an verschiedenen Orten in den USA eine Veranstaltungsreihe durchzuführen, um meine Theorien live vor Publikum auszutesten. Insbesondere erinnere ich mich an einen Vortrag in Washington, bei dem ich auf die eine Seite der Leinwand ein Foto des Papstes warf und auf die andere eins von Ronald McDonald. Als gebürtiger Däne gehen mir Glaubenstraditionen weitgehend ab. Ich merkte aber schnell (extrem schnell sogar), dass Menschen aus anderen Ländern auf das Thema Religion sehr empfindlich reagierten. Das war ein klassisches Beispiel dafür, dass man nie auslernt.
Insofern ist das Brand-Sense-Projekt (wenn ich das so sagen darf) eine Pionierstudie. Wir arbeiteten mit Fokusgruppen aus 13 Ländern, die auf der Basis ihrer Marktgröße, der Markenrep-räsentation, allgemeiner Produktinnovationen, religiöser Reprä-sentation, Reifezustand der Marken und nicht zuletzt auch der sensorischen Geschichte des Landes ausgewählt wurden. Wir erkannten rasch, dass auch eine vermeintlich globale Marke in lokalen Kulturen ganz unterschiedlich wahrgenommen werden kann.
Die Brand-Sense-Studie ist daher ein Konglomerat aus be-stimmten und unterschiedlichen Märkten. So entschieden wir uns zum Beispiel für Japan, Indien und Thailand, weil alle drei Länder eine langjährige Geschichte der Integration aller fünf Sinne in Kultur und Traditionen aufweisen. Viele der innovativs-ten japanischen Marken machen sich alle fünf Sinne zunutze. Selbst wenn Sie noch so in Eile sein sollten, können Sie beim Betreten eines japanischen Einzelhandelsgeschäfts nicht mit einer Einkaufserfahrung nach der Devise "nehmen und gehen" rechnen. Doch das hat auch enorme Vorteile. Ihr Einkauf geht vielleicht nicht so schnell vonstatten, doch dafür erleben Sie ein wirklich eindrucksvolles, mitunter halbstündiges Verpackungsri-tual und verlassen das Geschäft in der Regel mit einem bän-derverzierten exquisiten Kunstwerk. Immerhin ist Japan das Land, in dem Marken wie Marlboro festgestellt haben, dass der schleppende Umsatz sprunghaft anzog, wenn man die Plastik-folie, die die kultigen Zigarettenpackungen umhüllt, mit einer zarten gepunkteten Linie versah. Wieso, fragen Sie? Weil es die Japaner gar nicht mögen, wenn die Folie beim Auspacken einer Schachtel Zigaretten reißt oder in Fetzen hängt. Durch ein winziges Extra wie die einfache Stanzlinie konnten die Verbrau-cher das Päckchen hinfort problemlos öffnen, ohne die Optik zu ruinieren. Durch diesen einfachen Trick drehte Marlboros Um-satz innerhalb weniger Wochen deutlich ins Plus.
Die lange Design-Tradition skandinavischer Länder hat dafür gesorgt, dass die visuelle Identität ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation geworden ist. In dieser Region hinterlässt die Hand des Designers überall ihre Spuren - von Kondomen für Frauen bis hin zu Öffnern für Tablettenfläschchen. Die Ver-einigten Staaten und Großbritannien mit ihren enorm großen Märkten und ihrer bunten Medienlandschaft stellen die größten Herausforderungen für den Aufbau und die Pflege von Marken dar. Wir haben aber auch Länder wie Chile, Mexiko, Polen und Spanien in die Studie einbezogen, weil Religion und Frömmig-keit dort Tradition haben oder weil Musik und Küche auf eine lange Geschichte zurückblicken. Doch wo Sie auch leben, eins sollten Sie sich klar machen: unsere Werte, unsere Gefühle und Emotionen, unsere Erinnerungen - das alles wird in unserem Gehirn abgespeichert. Dieses menschliche Ablagesystem ist mit einem altmodischen Videorekorder zu vergleichen, der auf zwei separaten Spuren Bild und Ton festhält. Menschen verfü-gen über mindestens fünf solcher Spuren - für Bild, Ton, Ge-ruch, Geschmack und Beschaffenheit. Diese Spuren enthalten mehr Daten, als man sich vorstellen kann und haben direkten, unmittelbaren Einfluss auf unser Gefühlsleben. Sie können auf Knopfdruck vor- und zurückgespult und an einem bestimmten Punkt angehalten werden. Wir erinnern uns umso besser an eine Erfahrung, je mehr Spuren sie belegt.
Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass wir in den nächs-ten zehn Jahren eine bahnbrechende Veränderung in der Wahrnehmung von Marken durch die Verbraucher erleben wer-den. Mir drängt sich da ein Vergleich mit der Umstellung von Schwarz-weiß- über Farbfernseher mit Monoton auf hochauflö-sende 52-Zoll-Magnolia-Heimkinosysteme mit allen Schikanen auf.
Schnallen Sie sich an. Sie gehen auf eine Reise der Sinne - die, so hoffe ich, dafür sorgen sollte, dass Sie eine Marke nie wieder genau so sehen (oder riechen) werden wie zuvor.


Martin Lindstrom ist ein international anerkannter Experte im Bereich Markenbildung. Mit nur zwölf Jahren gründete er seine eigene Werbeagentur und legte damit den Grundstein für seine steile Karriere, die ihn zu einem der bekanntesten Marketinggurus
der Welt machte. Zu seinen Klienten zählen die Walt Disney Company, Nestlé, LEGO, American Express, Mercedes- Benz, McDonald’s und Microsoft.


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