Loth | Mitten in Europa | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 335 Seiten

Loth Mitten in Europa

Die Deutschen und die europäische Einigung
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-593-46243-1
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Deutschen und die europäische Einigung

E-Book, Deutsch, 335 Seiten

ISBN: 978-3-593-46243-1
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie wurden die Deutschen zu Europäern? Wilfried Loth zeichnet in einer Langzeitstudie die Entwicklung des europapolitischen Denkens der Deutschen in den weltpolitischen und gesellschaftlichen Umbrüchen nach - vom Vorabend des Ersten Weltkriegs bis zum Bruch der »Ampel«-Koalition. Dabei werden Kontinuitäten deutlich, aber auch Brüche und Lernprozesse. Wichtige Europapolitiker, die in der Bundesrepublik Deutschland dazu beigetragen haben, werden auf ihre Konzeptionen und Leistungen hin befragt: Konrad Adenauer und Walter Hallstein, Willy Brandt und Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble und Angela Merkel. Eine erste Bilanz der Europapolitik der »Ampel«-Koalition führt abschließend zur Skizzierung der Herausforderungen, vor denen die deutsche Europapolitik im zweiten Viertel des 21. Jahrhunderts steht. Insgesamt macht Loth, einer der besten Kenner der Geschichte der europäischen Einigung, deutlich, wie wichtig das Europa-Projekt für das Gelingen der deutschen Demokratie und für die Sicherung des Friedens in Europa war. Gleichzeitig wird dem Leser bewusst, wie groß die Verantwortung ist, die Deutschland als großes Land mitten in Europa für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Europäischen Union trägt.

Wilfried Loth ist emeritierter Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.
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2.Die Europa-Idee im deutschen Widerstand


Widerstand von Deutschen gegen das nationalsozialistische Regime war Widerstand gegen die legal installierte Regierung. Von 1933 an wurde jedes politische Lager, das sich seine Unabhängigkeit von der offiziellen Ideologie der »nationalen Wiedergeburt« erhielt und erst recht jede Opposition gegen Maßnahmen des Regimes von einem höchst effizienten Terror-Apparat unterdrückt: der Geheimen Staatspolizei, die unter dem Akronym gefürchtet war. Sogleich zu Beginn von Hitlers Machtergreifung wurden prominente Vertreter liberaler, sozialistischer oder kommunistischer Ideen in Konzentrationslager oder Gefängnisse gesteckt oder zur Emigration gezwungen; eine Oppositionsgruppe nach der anderen wurde entdeckt und zerstört. Allein von 1933 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 mussten etwa eine Million Deutsche kürzere oder längere Zeit in Konzentrationslagern verbringen. Tausende erlagen den harten Lebensbedingungen in diesen Lagern, Tausende wurden ermordet oder in Schnellverfahren zum Tode verurteilt.21

Unter diesen Umständen konnte sich keine kohärente und organisierte Widerstandsbewegung entwickeln. Das Nachdenken über die künftige politische Gestaltung der deutschen Gesellschaft und die internationale Ordnung, in der sie eingebettet werden sollte, gehörte nicht zu den vordringlichsten Aufgaben der Widerstandsgruppen; die Herstellung und Verteilung von Papieren, in denen solche Ziele beschrieben wurden, war höchst gefährlich. Helmuth von Moltke, einer der führenden Köpfe des »Kreisauer Kreises«, schrieb im Mai 1942 an einen britischen Freund: »Die Tyrannei, der Terror, der Zerfall aller Werte ist größer, als ich es mir noch vor kurzem hätte vorstellen können. […] Die ständige Gefahr, in der wir leben, ist furchtbar. Zur gleichen Zeit ist der größere Teil der Bevölkerung entwurzelt, wurde zu der einen oder anderen Form von Zwangsarbeit gezwungen und über den ganzen Kontinent verteilt. Dabei haben sich alle Bindungen der Natur und der Umwelt gelöst und das Tier im Menschen freigesetzt, das jetzt herrscht. Die wenigen wirklich guten Leute, die versuchen, die Flut aufzuhalten, sind isoliert, wenn sie in diesem unnatürlichen Umfeld arbeiten müssen. Sie können ihren Kameraden nicht trauen und sie müssen den Hass der Unterdrückten fürchten, selbst wenn es ihnen gelingt, sie vor dem Schlimmsten zu retten«.22

Dennoch wurde im deutschen Widerstand über die Zukunft Deutschlands und Europas nach dem Untergang des NS-Regimes nachgedacht; dabei spielte auch die Idee eines vereinten Europas eine prominente Rolle. Diese Idee kam an unterschiedlichen Stellen auf. Sie entwickelte sich mit den politischen Rahmenbedingungen, von der Vorkriegszeit über die Zeit der NS-Herrschaft über den europäischen Kontinent bis zur Zeit des Sieges der Alliierten über das deutsche Imperium. Gegen Ende dieser letzten Phase gab es sogar Kontakte zwischen verschiedenen Widerstandsgruppen, die sich wechselseitig beeinflussten.23

Der konservative Widerstand


Die prominenteste Gruppe des deutschen Widerstands war zunächst weit davon entfernt, die Schaffung einer europäischen Föderation als politisches Ziel zu betrachten. Sie entstand 1938 angesichts der zunehmenden Deutlichkeit von Hitlers Kriegsplänen als Oppositionsgruppe prominenter Konservativer, Nationalisten, hochrangiger Offiziere und Spitzenbeamter. Führende Rollen spielten der frühere Generalstabschef Ludwig Beck, der frühere Diplomat Ulrich von Hassell, der preußische Finanzminister Johannes Popitz und der frühere Oberbürgermeister von Leipzig, Carl Friedrich Goerdeler. In ihrer konservativen Gedankenwelt waren sie davon überzeugt, dass Hitlers »kriminelle Kriegspolitik« den Erfolg einer geduldigen Arbeit an der Revision des Versailler Vertrages zunichte gemacht hatte. Sie hielten es für ihre moralische Pflicht, Hitler zu stürzen und die alte Ordnung und Legalität wiederherzustellen. Europa sollte durch die Beseitigung Hitlers und die Erfüllung der revisionistischen Forderungen Deutschlands befriedet werden. Das schloss die Möglichkeit einer erneuten Zusammenarbeit im Völkerbund mit ein, aber nicht eine Vereinigung europäischer Nationalstaaten.24

Um Kontakt zur britischen Regierung aufzunehmen, händigte von Hassell im Februar 1942 einem Mittelsmann in der Schweiz ein »Statement« aus, in dem »das Prinzip der Nationalität« als Grundlage für den »Friedensschluss« und den »Wiederaufbau Europas« bekräftigt wurde. Polen und die Tschechoslowakei sollten nach diesem Programm wiederhergestellt werden. Die Rüstungen sollten begrenzt werden, wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte wiederhergestellt werden, und alle europäischen Staaten sollten »gewisse Leitgedanken« in der Tradition des Christentums und der Aufklärung anerkennen: »Grundsätze der christlichen Sittlichkeit, Gerechtigkeit und Gesetz als Grundsatz des öffentlichen Lebens, soziale Wohlfahrt als Leitmotiv, effektive Kontrolle der Staatsgewalt durch das Volk […], Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Geistesarbeit.« Deutschland wurde hier als eine der großen Mächte Europas gesehen, auf gleicher Stufe mit Großbritannien und vielleicht mit Frankreich, auf der Grundlage einer demokratischen Ordnung, aber mit revisionistischen Korrekturen an der der Ordnung von Versailles. Von Hassell erklärte, dass »die deutsch-polnische Grenze im Wesentlichen mit der deutschen Reichsgrenze im Jahre 1914 übereinstimmen muss.« Die »Vereinigung Österreichs (und des Sudetenlandes) mit dem Reich« sollte nicht mehr in Frage gestellt werden.25

Ein derart »beruhigtes Europa« sollte nach den Vorstellungen von Goerdeler, wie er sie in seinem »Politischen Testament« vom 1. Dezember 1937 skizziert hatte, »in organischer Entwicklung zu immer größerer wirtschaftlicher Einheit« fortschreiten.26 Nach den deutschen Siegen über Polen, die Niederlande und Frankreich sah er für Deutschland die Führungsrolle in einer solchen Union vor: »Genau wie einst Preußen im preußischen Zollverein und im Norddeutschen Bunde muss heute Deutschland im neuen Europa den sichtbaren Vorteil der neuen Ordnung als Anziehungskraft auf die freie Entschließung der Völker wirken lassen, um sie für diese Ordnung und für eine deutsche Führung zu gewinnen.« Goerdeler bestand nicht in der gleichen Weise wie von Hassell auf der Verwirklichung demokratischer Prinzipien in den europäischen Ländern. Er betonte aber, »dass die einzelnen an einem einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum beteiligten Völker […] ihre nationalen Angelegenheiten selbst verwalten […] und sich vollkommen frei fühlen« müssten. Eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die von Berlin aus ins Leben gerufen würde, könne »keinen Erfolg haben.« Langfristig könne eine Wirtschaftsgemeinschaft, die die Freiheit der beteiligten Völker achtet, dazu führen, dass man »fortschreitend auch auf militärischem Gebiet zusammenarbeite[t] und schließlich gemeinsame Einrichtungen schaff[t], die es diesem Europa ermöglichen, seine Menschen und seine Kultur, wenn es nottut, auch nach außen zu sichern«.27

Ende 1941, nachdem die deutsche Offensive gegen die Sowjetunion ins Stocken geraten war und Hitler auch den USA den Krieg erklärt hatte, warnte Goerdeler, die Chance auf deutsche Führung einer europäischen Gemeinschaft »nicht durch Unmäßigkeit oder durch Machtsuchtmanieren« zu verderben. Die Generäle, die sich gegen Hitler verschworen hatten, rief er dementsprechend zu raschem Handeln auf: »Es ist nicht zu kühn gesagt, dass bei rechtzeitigem Handeln, d.h. Abbruch des Krieges zugunsten eines sinnvollen politischen Systems, der europäische Staatenbund unter deutscher Führung in 10 bis 20 Jahren Tatsache sein wird. Wird der Zeitpunkt verpasst, so ist an die deutsche Führung überhaupt auf lange Zeit gar nicht zu denken«.28 Solange die militärische Niederlage noch nicht eine konkrete Gefahr darstellte, bewegte sich die konservative Opposition um Beck und Goerdeler weiterhin entlang der Linien eines gemäßigten Revisionismus, der Verbindungen zum imperialen Denken in seiner liberalen Form aufwies. Für die militärischen Führer und die hohen Staatsbeamten stellte die deutsche...



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