Lykk | Totensand | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Küsten Krimi

Lykk Totensand


1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-86358-002-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Küsten Krimi

ISBN: 978-3-86358-002-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Bei einem Einsatz in Kiel wird ein Kollege des Drogendezernates erschossen. Der Mörder trickst das Spezialeinsatzkommando der Polizei regelrecht aus. Malbek gibt Lüthje die Schuld an dem missglückten Zugriff, und die Freundschaft zwischen den beiden Kollegen droht an gegenseitigen Schuldzuweisungen zu zerbrechen. Als ein Junge im Strandsand bei Kappeln eine halb verweste Leiche findet, sucht jeder für sich den richtigen Weg, um den Mörder zu fassen. Ein verhängnisvoller Fehler! Wer gewinnt im Kampf gegen die Gier der Immobilienfirmen nach den "Filetstücken in Sahnelage" an der Ostseeküste?

Lykk Totensand jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. Tag Kriminalhauptkommissar Lüthje wusste, dass Möwen nur dann länger über Land flogen, wenn sie das Herannahen eines schweren Sturmes spürten. Er hatte aber noch nie gehört, dass auch nur eine von ihnen unter dem kathedralen Gewölbe des Hauptbahnhofs Kiel Schutz gesucht hätte. Er hatte diese eine Möwe entdeckt, als er zur Bahnsteiguhr sehen wollte. Wenn sie denn überhaupt Schutz gesucht hatte. Vielleicht suchte sie ja etwas ganz anderes. Elegant umflog sie die Bogenpfeiler, den Blick dabei nach unten in das Bahnhofsgewühl gerichtet, als suche sie einen Menschen. Möwen pflegten gern und oft zu kreischen. Diese zog schweigend ihre Runden. Lüthje hatte den Eindruck, dass er der Einzige war, der die Möwe im Bahnhof entdeckt hatte. Wer sah hier schon nach oben. Er lehnte sich seufzend in die Sitzpolster der Regionalbahn nach Flensburg. Noch fünfzehn Minuten bis zur Abfahrt. Er hätte Hilly lieber mit dem Dienstwagen zum Flughafen gebracht. Flensburg–Hamburg und zurück, in fünf Stunden hätte er wieder am Schreibtisch sitzen können, einschließlich der Wartezeit bis zu Hillys Abflug. Den Take-off ihrer Maschine verfolgte er immer von den Aussichtsterrassen in Terminal 1. Schließlich hatten sie sich nach vierzig Jahren wiedergefunden, da fiel beiden der Abschied jedesmal schwer, auch wenn es nur für ein paar Tage war. Aber gestern Nachmittag hatte in der Armaturentafel seines Dienstwagens dieses verdammte rote Warnlämpchen mit dem Symbol für den Motor aufgeleuchtet. In der Betriebsanleitung las er, dass die Elektronik mit dieser Leuchtdiode einen Fehler meldete und man umgehend eine Werkstatt aufsuchen sollte. Er hatte den Wagen in die Werkstatt gebracht, und der diensthabende Meister hatte ihm großkotzig gesagt, dass man das am nächsten Tag im Griff haben werde. Am Morgen hieß es, man sei noch nicht dazu gekommen. Als er wieder zum Telefon griff, um nach einem Ersatzwagen zu fragen, war ihm Hilly in den Arm gefallen, hatte ihn angestrahlt und gesagt: »Oh, Eric, das ist ein Zeichen! Wir sollen wieder wie damals mit dem Zug fahren. Wir suchen uns ein freies Abteil, nur für uns ganz allein. Dann kannst du schon mal ein bisschen üben, wie sich Urlaub anfühlt. Ich glaube, das hast du ein bisschen verlernt.« Und kniff ihn in die unrasierte Backe. Eine Stunde später hatten sie in einem der klappernden Waggons des Schleswig-Holstein-Express nach Hamburg gesessen. Für die nostalgischen und sonstigen Gefühle ging das in Ordnung. Aber auf der einsamen Rückfahrt nahm er lieber die Route über Kiel mit den klimatisierten Waggons. Den Nachteil des Umsteigens in Kiel nahm er dafür gern in Kauf. Er hatte eine ganze halbe Stunde auf dem Kieler Hauptbahnhof mit den Händen in den Hosentaschen und dem Rucksack auf der Schulter ein bisschen Urlaub geübt. Er hatte Hilly am Flughafen noch einmal versprechen müssen, langsam herunterzufahren. Dann sei er schon am ersten Urlaubstag ohne Verspannungen im Nackenbereich und diesen polizeilichen Blick. Er war durch das CAP, die Kneipen- und Fressmeile des Hauptbahnhofs, geschlendert, die als Einbahnstraße ins Kinocenter gedacht war. Im Sushi-Shop, an einem Tisch nahe dem Ausgang, hatte ein Mann genau in dem Moment aufgeblickt, als Lüthje hinsah. Ihre Augen hatten sich für eine Sekunde getroffen, dann hatte der Mann angestrengt auf sein leeres Sushi-Brett gesehen. Das Gefühl sagte Lüthje, dass es ein alter Kunde war. Irgendein sehr unangenehmer Kunde. Die Gesichtshaut hatte die dunkle Färbung einer geräucherten Schweineschwarte, Pickel, aus denen Haare zu sprießen schienen. Aber vielleicht waren es ja nur Lichter und Schatten, die in der Glitzerwelt einer Gastro-Passage ein eigenwilliges Äußeres auf ein nicht gerade attraktives, aber stinknormales Einheitsgesicht projiziert hatten. Auf dem Nachbargleis war ein Intercity aus Hamburg eingefahren und spuckte Menschenmassen aus, die sich mit den auf dem Bahnsteig Wartenden wie Ameisenvölker vermischten, und trotzdem fand jeder einzelne von ihnen auf wundersame Weise wieder zu seinem Volk zurück. Man drängelte an den Aussteigenden vorbei in die gerade erst geleerten Waggons oder suchte den nächsten Bahnhofsausgang, der zum Parkhaus oder zum Bus führte. Man eilte, rannte, stolperte, mit leerem Blick, kramte hektisch in Jacken oder Handtaschen, hielt sich lachend oder weinend in den Armen. Lüthje, der Lupenkieker, war fasziniert von dieser geballten Ladung wirklich gewordener Unwahrscheinlichkeiten. Sogenannte totale Zufälle sind eigentlich nichts weiter als reale Unwahrscheinlichkeiten, dachte Lüthje. Menschen, die sich noch nie vorher gesehen hatten und auch nie wieder sehen würden, sahen sich für einen kurzen Moment in die Augen, flüchtig, irritiert, freundlich. Jede der Begegnungen, die er registrierte, konnte schicksalhaft sein, einem Verbrechen zugrunde liegen oder es auslösen. Man müsste in die Köpfe sehen können, das würde die Arbeit sehr erleichtern. Das hatte er sich schon als kleiner Junge gewünscht. Komisch eigentlich, dass es jetzt sein Beruf war, die Gedanken herauszukramen, die zu Verbrechen geführt hatten. Wer weiß, woran diese beiden ernsten Männer dachten, die sich gerade mit einem festen Händeschütteln verabschiedeten. Oder der Mann, der wild mit den Armen gestikulierte, und die Frau, die vor ihm zurückwich. Oder das Pärchen, das sich leidenschaftlich und hemmungslos in der Waggontür zum Abschied küsste. Na ja, bei denen glaubte er es zu wissen. Aber auch da konnte man nicht sicher sein, vielleicht war Berechnung im Spiel. Sein seit Jahrzehnten geschulter polizeilicher Blick, den konnte er nie aus der Verantwortung entlassen, obwohl er wusste, dass man in diesem Durcheinander nichts Verdächtiges, polizeilich Relevantes entdecken würde. Hilly hatte recht, einen Urlaub, away from it all, brauchte er dringend. Auch sein Arzt hatte ihn gewarnt. Diese ständige manische Suche, dieses unermüdliche Verknüpfen verschiedener Beobachtungen, um etwas Verdächtiges zu finden, war nur ein Symptom für psychovegetative Dekompensation. Auf Deutsch: Er war ausgebrannt und urlaubsreif. Er wollte sich ein paar Wochen nur auf Hillys schönes Antlitz konzentrieren. Garantiert ohne polizeilichen Blick. Hilly hatte übermütig eine Kreuzfahrt mit den Hurtigruten entlang der norwegischen Küste vorgeschlagen. Er hatte von einem dänischen Ferienhaus an der Ostseeküste geschwärmt, mit Kamin. In beiden Fällen wäre wohl kein Duborger Bock, aber ein dunkles Carlsberg sicherlich greifbar. Noch zehn Minuten bis zur Abfahrt. Es gab in diesen modernen, klimatisierten, laufruhigen Regionalbahnen auf der Strecke Kiel–Flensburg für den ganzen Zug nur eine Toilettenkabine. Es war besser, jetzt pinkeln zu gehen, denn nach der Abfahrt entschlossen sich alle wie auf ein geheimes Signal, gleichzeitig die Toilette zu besuchen. Er überlegte, seinen Rucksack mit auf die Toilette zu nehmen. Lüthje entschuldigte sich bei seinem Sitznachbarn, zog den Bauch ein und ging durch die Sitzreihen nach vorn. Im Augenwinkel sah er, wie ein Mann am Zug entlanglief, und stieß fast mit ihm zusammen, als der durch die offen stehende Waggontür sprang und direkt neben Lüthje vor der Toilettentür stehen blieb. Besser gesagt, er fror in der Bewegung ein. Mit gesenktem Kopf, so als ob er sein Gesicht verbergen wollte. Drehte sich dann elegant auf einem Fuß um, sprang aus der Zugtür und verschwand. So sicher und geschickt, als ob er den ganzen Tag nichts anderes täte. Jeder Handgriff, jede Bewegung hatte gesessen. Als Lüthje sich wieder auf seinen Platz gezwängt hatte, sah er suchend aus dem Fenster. Der Mann war verschwunden. Es musste sehr dringend gewesen sein, sonst hätte er gewartet, bis Lüthje fertig war. Plötzlich tauchte er wieder auf dem Bahnsteig auf und verschwand in der jetzt freien Toilettenkabine. Nach höchstens fünf Sekunden riss er die Toilettentür wieder auf und war auf dem Bahnsteig verschwunden. Hinter dem Schaukasten mit den Fahrplänen tauchte ein anderer junger Mann auf, wie auf Stichwort eines Souffleurs, in heller Sommerjacke, wie ein Schatten, verschwand er vom Bahnsteig in der Toilettenkabine, kurz danach riss er die Tür wieder auf und lief tänzelnd in Richtung Bahnhofsvorhalle. Ein gedopter Sportler und ein bekiffter Balletttänzer. Es war wie immer alles eine Frage der Perspektive. Lüthje stand wieder auf, quetschte sich an seinem genervten Sitznachbarn vorbei, lief zwischen den Sitzreihen durch und sah durch die Fenster zum benachbarten Bahnsteig. Dort lief die gleiche Vorstellung, Traumtänzer zwischen den Zugtoiletten. Wer nicht das Detail im Auge hatte, sah nicht das kriminelle Muster im Chaos. Es war eine perfekte Tarnung. Lüthje ging wieder zur Toilette. Sie war besetzt. Ausgerechnet jetzt. Er klopfte. »Ja doch, Moment«, hörte er eine ärgerliche Frauenstimme rufen. Nichts passierte. Er klopfte nachdrücklich. Kurz danach öffnete sich die Tür, und eine junge Frau sah ihn ärgerlich an, während sie einen kleinen Jungen mit beiden Händen herausschob, der versuchte, sich einen Hosenknopf zu schließen. Lüthje zuckte entschuldigend mit den Schultern und bemühte sich, ein verlegenes Gesicht zu machen. Er schob mit sanfter Gewalt Frau und Kind beiseite, die sich nun beide um den Hosenknopf bemühten. Lüthje schloss die Toilettentür hinter sich und zog das Handy aus dem Rucksack. Stöver vom Sachgebiet Drogen war in Pension, den Nachfolger kannte er nicht, jedenfalls nicht persönlich, geschweige denn die Telefonnummer. Seit Lüthjes selbst betriebener Versetzung nach Flensburg hatte sich in Kiel personell einiges verändert. Er musste einen Kollegen aus Kiel an die Strippe bekommen, nicht die Leitstelle der Bundespolizei. Da waren zu viele Umwege eingebaut, es musste ja schnell...


Dietmar Lykk, Jahrgang 1949, wurde in Kiel geboren und studierte Rechtswissenschaften, Soziologie und Philosophie in Kiel und Hamburg. Forschungstätigkeit und Veröffentlichungen zur Sprachsoziologie mit mehreren Auslandsaufenthalten in London. Er lebt und arbeitet bei Flensburg. Im Emons Verlag erschienen seine Kriminalromane "Totenschlüssel" und "Totenuhr".



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.