Machfus | Der Rausch | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Machfus Der Rausch

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-293-30574-8
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-293-30574-8
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Omar al-Hamzawi ist erfolgreicher Anwalt in Kairo, fünfundvierzig, verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Eines Tages wird ihm bewusst , dass er eingeschlossen ist in einem schalen Alltag voller Kompromisse, in dem die einst glühend verteidigten Ideale keinen Platz mehr haben. Da fasst Omar den Entschluss, sich von der Last des bürgerlichen Daseins zu befreien und seine Familie zu verlassen. Rücksichtslos und verzweifelt zugleich stürzt er sich in ein rauschhaftes Leben ohne Schranken, jenseits aller Konventionen und Tabus.

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Strahlend weiße Wolken schwebten am blauen Firmament, legten ihren Schatten auf das Grün der weiten Ebene. Kühe grasten bedächtig und friedvoll. Nichts deutete darauf hin, in welchem Land sich diese anmutige Szene abspielte. Im Vordergrund ein Kind auf einem Holzpferd, das Gesicht seitwärts gewendet. Es schaute hinauf zum Himmel, und in den Augen ruhte die Andeutung eines vagen, rätselhaften Lächelns. Wer mochte dieses Bild gemalt haben? Er saß als Einziger im Wartezimmer, also würde er nicht lange warten müssen. Den Termin hatte er bereits vor zehn Tagen abgesprochen. Auf dem Tisch, der in der Mitte des Raums stand, lagen Zeitungen und Zeitschriften. Über der Kante hing eine aufgeschlagene Seite, ein Foto war zu sehen. Es zeigte eine Frau, die der Kindesentführung beschuldigt wurde. Er kehrte lieber zurück zu der Landschaft. Das Kind, die Kühe, der Himmel. Auch wenn es kein kostbares Bild war – das Teuerste war sicherlich der Goldrahmen mit den hervorstehenden Kügelchen –, er mochte dieses spielende Kind und die sorglos grasenden Kühe. Plötzlich spürte er, dass es ihm wieder schlechter ging; die Lider wurden schwer, das Herz schlug immer träger. Das Kind blickte zum Himmel, der der Erde sehr nahe war. Immer lastete er über der Erde, von welcher Richtung aus man auch schaute. Ein einziges, endloses Gefängnis! Was hatte es mit dem Holzpferd auf sich? Und warum starrten die Kühe so sorglos drein? Von draußen drang das Geräusch energischer Schritte herein. Gleich darauf ging die Tür auf, und der Arzthelfer sagte: »Bitte …« Würde er sich nach all den vielen Jahren, einem Vierteljahrhundert, noch an ihn erinnern? Er betrat das Sprechzimmer: Da stand er, der angesehene Arzt – mittelgroß, schlank, mit dunkler Hautfarbe, sanft glänzenden Augen und kurzem, leicht ergrautem Haar. So viel anders als der Jugendliche vom Schulhof sah er eigentlich nicht aus; noch immer zog er den einen Mundwinkel spöttisch hinunter. Es erinnerte ihn an seine Witzigkeit, die mit glänzenden Erfolgen einhergegangen war. »Herzlich willkommen, Omar! Du hast dich verändert, aber zum Besseren.« »Ich hätte nicht gedacht, dass du mich erkennen würdest.« Sie schüttelten sich freudig die Hände. »Bist ja ein richtiger Riese geworden. Groß warst du schon immer, aber nun hast du noch zugelegt, also wirklich, ein Riese.« Er hielt den Kopf angehoben, während er mit ihm sprach. »Dass du dich noch an mich erinnerst!«, erwiderte Omar aufgeregt. »Ich vergesse keinen, wie sollte ich mich da nicht an dich erinnern?« Was für eine warme Begrüßung, und das von diesem erfolgreichen Arzt, den Gott und die Welt kannten. Da konnte er selbst ein noch so erfolgreicher Anwalt sein, seinen Namen merkten sich nur die, die unmittelbar in einen Prozess verwickelt waren. Der Freund aus alten Zeiten schaute ihn prüfend an und lachte. »Du bist wirklich ein Schwergewicht geworden. Siehst aus wie ein Firmenchef von früher, fehlt bloß noch die Zigarre.« Über Omars längliches, volles Gesicht huschte ein Lächeln, und aus lauter Verlegenheit rückte er die Brille zurecht und zog die buschigen Augenbrauen in die Höhe. »Ich freu mich, dich zu sehen, Doktor.« »Ich mich auch, obwohl es dafür ja meistens einen unangenehmen Grund gibt.« Er ging zum Schreibtisch, auf dem jede Menge Bücher, Papiere und teure Schreibutensilien lag, und bedeutete Omar mit einem Wink, Platz zu nehmen. »Verschieben wir die Erinnerungen auf später, wenn wir uns Klarheit über dein Befinden verschafft haben.« Er schlug die Patientenkartei auf und nahm einen Stift. »Name: Omar al-Hamzawi, Beruf: Rechtsanwalt, Alter …?« Er lachte laut los. »Hab keine Angst, wir werden alle älter.« »Fünfundvierzig Jahre.« »Als wir zur Schule gingen, da war ein Monat Altersunterschied ungeheuer groß, jetzt macht das keinem mehr das Herz schwer. Gibts in deiner Familie irgendwelche speziellen Krankheiten?« »Nein, es sei denn, du hältst Bluthochdruck mit sechzig Jahren für eine Krankheit.« Der Doktor verschränkte die Arme und sah ihn ernst an. »Nun leg mal los.« Omar strich sich übers schwarze, volle Haar, in dem nur mit Mühe ein paar graue Härchen zu entdecken waren. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich im herkömmlichen Sinn krank bin.« Der Blick des Arztes wurde eindringlicher. »Ich meine, ich hab keine Symptome, die auf eine Krankheit hinweisen.« »So, so.« »Ich fühle einfach nur eine seltsame Lustlosigkeit.« »Ist das alles?« »Glaub schon.« »Vielleicht rührt das daher, dass du überlastet bist?« »Möglich, aber das allein kanns nicht sein.« »Sicher, sonst wärst du nicht hier.« »Um ehrlich zu sein, hat diese Mattheit dazu geführt, dass ich überhaupt keine Lust mehr habe zu arbeiten …« »Sprich weiter.« »Es ist auch keine richtige Müdigkeit, ich habe durchaus das Gefühl, dass ich arbeiten könnte. Aber ich hab einfach keine Lust dazu, nicht die kleinste Spur. Ich habe alles meinem Assistenten überlassen, und meine alten Fälle schiebe ich seit einem Monat vor mir her.« »Hast du mal dran gedacht, Urlaub zu machen?« Omar ging auf die Frage nicht ein, er schien sie nicht gehört zu haben. »Oftmals bin ich aller Dinge überdrüssig, alles, das ganze Leben, die Leute, ja sogar die Familie, nichts macht mir mehr Freude. Allmählich kommt mir dieser Zustand zu ernst vor, um darüber länger zu schweigen.« »Dann ist das Problem nicht …« »Doch, es ist sehr gravierend. Ich will nicht mehr denken, nicht mehr fühlen, mich nicht mehr bewegen. Alles zerfällt, stirbt ab. Und nun hoffe ich, dass es vielleicht einen physischen Grund dafür gibt.« Der Freund aus alten Zeiten lächelte. »Es wäre schön, wenn wir alle ernsten Probleme mit einer Tablette nach dem Essen oder einem Löffel Medizin vor dem Schlafengehen lösen könnten.« Sie gingen in den Untersuchungsraum. Zuerst musste Omar eine Urinprobe abgeben, dann zog er sich aus, legte sich auf die Liege und befolgte brav alle Anweisungen. Nachdem er die Zunge herausgestreckt hatte, zog der Arzt die schweren Augenlider nach oben und schaute ihm eingehend in die Augen. Er maß den Blutdruck, klopfte mit seinen schlanken, eleganten Fingern Brust und Rücken ab und drückte mit beiden Händen auf dem Bauch herum. Als er das Stethoskop nahm, befahl er ihm zu husten, mal aus der Kehle, dann wieder tief aus dem Brustkorb heraus. Omar schaute verstohlen auf das Gesicht seines Freundes, aber es war ihm nichts anzusehen. Die Untersuchung war beendet, und Omar zog sich an. Sie gingen zum Schreibtisch zurück. Der Arzt beschäftigte sich mit dem Ergebnis der Urinprobe, und als er dann aufschaute, rieb er sich die Hände und lächelte breit. »Mein lieber Herr Anwalt, da ist nichts, überhaupt nichts.« Omars lange Nase zuckte, sein Gesicht färbte sich rot. »Nichts?« »Gar nichts.« »Dann fürchte ich, dass die Sache noch viel schlimmer ist«, bemerkte Omar leise. Sein Gegenüber lachte. »Aber nicht so schlimm, dass die Rechnung doppelt hoch wird.« Nun musste auch Omar lachen, erwartungsvoll sah er den Freund an. »Also gut, organisch fehlt dir nichts, aber …« »Heißt das etwa, dass ich jetzt in die Psychiatrie muss?«, fragte Omar verstört. »Ach was, weder das, noch brauchst du irgendwelche Medikamente.« »Wirklich?« »Dein Problem ist das, was man heutzutage in den Zeitungen als Zivilisationskrankheit bezeichnet. Soll heißen, dass du im Augenblick zwar gesund bist, aber …«, er zögerte ein wenig, »zu erwarten ist, dass du für manche Krankheiten prädestiniert bist. Du kommst genau zur richtigen Zeit. Seit wann verspürst du diese Lustlosigkeit?« »Seit zwei Monaten, vielleicht noch ein bisschen länger. Aber die letzten vier Wochen waren wirklich sehr quälend.« »Lass mich dir dein Leben beschreiben, wie ich es auf Grund meiner Untersuchung sehe. Du hast Erfolg, bist wohlhabend, läufst so gut wie gar nicht zu Fuß, isst üppig und kannst dir die besten Weine leisten. Du arbeitest bis zur Erschöpfung, und dein Kopf ist ständig mit den Problemen deiner Klienten und deinem Vermögen beschäftigt. Du bist geradezu besessen von der Furcht, wie es in Zukunft um deine Arbeit und deine finanzielle Situation stehen wird.« Omar lachte verlegen. »Im großen Ganzen stimmt das Bild, bloß dass mich im Augenblick überhaupt nichts mehr interessiert.« »Wie gesagt, dir fehlt nichts, aber der Feind lauert bereits …« »Ha, wie Israel, was?« »Wenn man nicht aufpasst, bricht plötzlich die echte Gefahr über einen herein.« »Nun wirds ernst.« »Mäßige dich beim Essen, trink weniger Alkohol, gewöhn dir an, regelmäßig Sport zu treiben, zum Beispiel Laufen. Wenn du dich daran hältst, brauchst du nichts zu befürchten.« Omar wartete nachdenklich ab, aber als sein Freund offenbar nichts mehr hinzuzufügen hatte, fragte er verdutzt: »Schreibst du mir nichts auf? Keine...


Kilias, Doris
Doris Kilias, geboren 1942 inmitten der Masurischen Seenplatte, also im heutigen Polen, arbeitete als Redakteurin beim arabischen Programm des Rundfunks Berlin (DDR). Nach der Promotion war sie als freie Übersetzerin tätig. Sie starb 2008 in Berlin.

Machfus, Nagib
Nagib Machfus, geboren 1911 in Kairo, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur. Nagib Machfus starb 2006 im Alter von 94 Jahren in Kairo.



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