Machfus | Karnak-Café | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Machfus Karnak-Café

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-293-30584-7
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

ISBN: 978-3-293-30584-7
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Alt und Jung, Arm und Reich, Männer und selbst einzelne Frauen treffen sich im Karnak-Café, angelockt vom guten Kaffee und der schillernden Kurunfula, einer ehemaligen Tänzerin und Besitzerin des Cafés. Sie erzählen aus ihrem Leben, teilen Freude und Leid und manch müßiggängerische Stunde. Als drei junge Stammgäste plötzlich verschwinden und später verstört zurückkehren, ist es vorbei mit der heiteren Kaffeehausatmosphäre. Aus der einstigen Oase der Kameradschaft wird ein Ort des Argwohns, an dem sich die alte Vertrautheit zwischen den Menschen nur schwer behaupten kann.

Entstanden kurz nach dem Sechstagekrieg 1967, ist Karnak-Café ein wichtiges Zeitdokument, das bis heute von beklemmender Aktualität bleibt.

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Kurunfula
Es war reiner Zufall, dass ich das Karnak-Café entdeckte. Eines Tages wollte ich in der Mahdi-Straße meine Uhr reparieren lassen. Der Uhrmacher sagte, dass er ein paar Stunden brauchen würde. Um mir die Zeit zu vertreiben, beschloss ich, mir in den Schaufenstern, die beide Seiten der Straße säumten, Uhren, Schmuck und andere Kostbarkeiten anzusehen. So kam es, dass mein Blick zufällig auf das Café fiel, obwohl es abseits der Hauptstraße lag. Es sah winzig aus, und um ehrlich zu sein, zögerte ich kurz vor dem Eingang. Trotzdem sollte es von jenem Tag an mein Lieblingscafé werden. Dass ich mein Zögern schnell überwand, lag daran, dass auf dem Stuhl an der Kasse, dem Platz des Geschäftsführers, eine Frau saß. Sie war schon etwas älter, trotzdem hatten sich die Spuren ihrer früheren Schönheit erhalten. Die feinen, klar geschnittenen Gesichtszüge zogen mich in einen Bann, und plötzlich brach eine ganze Flut von Erinnerungen über mich herein. Ich hörte eine Laute spielen, begleitet von Trommeln. Die Luft war von Weihrauchduft erfüllt. Ich sah, wie sich ein Körper im Tanz wiegte – der Stern des Imad ad-Din. Und nun saß sie dort, auf diesem Stuhl – die Tänzerin Kurunfula, der rosarote Traum der Vierzigerjahre. Wie von einem verborgenen Zauber angezogen, betrat ich mit klopfendem Herzen das Café. Ich tat es in der Erinnerung an ein Wesen, dem ich nie aufgefallen war. Wir hatten in keinerlei Beziehung gestanden, weder privat noch geschäftlich, ja nicht einmal Höflichkeitsfloskeln hatten wir ausgetauscht. Sie war ein Stern und ich ein ganz normaler Zeitgenosse. Meine bewundernden Blicke hatten auf ihrem geschmeidigen Körper nicht die geringste Spur hinterlassen. Mir hatte es nicht einmal zugestanden, ihr einen flüchtigen Gruß zuzuwerfen. Ich setzte mich hin und ließ den Blick schweifen. Der Raum, der eher an ein Wohnzimmer erinnerte, war höchst geschmackvoll eingerichtet – tapezierte Wände, neue Tische und Stühle, blitzblanke Gläser und Teller, bunte Lampen und viele Spiegel. Alles in allem strahlte das Café einen Reiz aus, dem man nicht widerstehen konnte. Wann immer sich die Gelegenheit bot, Kurunfula unauffällig anzusehen, tat ich es. Der Zauber üppiger Weiblichkeit war geschwunden, der Glanz jugendlicher Frische erloschen. Dafür umgab die Erscheinung eine Aura von geheimnisvoller Schönheit und anrührender Schwermut. Sie war immer noch schlank, und ihr Körper strahlte Energie und Vitalität aus. Die ganze Haltung sprach von einem Selbstbewusstsein, das von Lebenserfahrung und Arbeit geprägt war. Die heitere Gelassenheit, die der Glanz ihrer Augen verriet, war ungemein sympathisch. Auf geradezu liebenswürdige Art behielt sie alles im Blick – den Barkeeper, Kellner und Putzmann ebenso wie die wenigen Gäste. Als beherberge der kleine Raum eine Familie, ruhten ihre Augen voller freundlicher Vertrautheit auf den Anwesenden. Es gab drei ältere Herren, die nach Pensionären aussahen, einen Mann mittleren Alters und ein paar Jugendliche, die sich um ein hübsches Mädchen scharten. Ich kam mir wie ein Eindringling vor, trotzdem fühlte ich mich wohl. Ja, das war ein guter Ort. Der Kaffee war köstlich, das Wasser klar und frisch, Tassen und Gläser strahlten vor Sauberkeit. Ganz zu schweigen von Kurunfulas Anmut, der Würde der alten Herren, der Frische der jungen Männer und der Schönheit des Mädchens. Mitten in der Stadt gelegen, bot das Café einem Spaziergänger wie mir einen wunderbaren Platz zum Ausruhen. Was aber diesen Ort zu etwas ganz Besonderem machte, war die innige Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart, von wehmütiger Erinnerung an schöne Zeiten und dem Stolz auf die rühmliche Jetztzeit. Und über allem schwebte der Zauber des unerwarteten Zufalls. Da war einfach nur meine Uhr stehen geblieben, und schon erlebte ich einen so mannigfaltigen Reiz. Oh ja, sagte ich mir, wann immer die Zeit es erlaubt, soll das Karnak-Café der Ort sein, an dem ich mich ausruhe und erhole. Was an jenem Tag dann geschah, war für mich eine unerwartete, freudige Überraschung. Offenbar wollte sich Kurunfula gegenüber dem neuen Gast besonders freundlich verhalten. Sie stand auf und kam, bekleidet mit einer dunkelblauen Hose und weißer Bluse, gemessenen Schrittes auf mich zu. Sie blieb vor mir stehen und sagte: »Ihr Besuch ehrt mich.« Wir gaben uns die Hand, und ich dankte ihr für ihre liebenswürdige Begrüßung. »Hat Ihnen der Kaffee geschmeckt?«, fragte sie. »Sehr sogar, er war ausgezeichnet.« Sie lächelte, und nachdem sie mich eine Weile angeschaut hatte, sagte sie: »Es kommt mir vor, als erinnerten Sie sich an mich?« »So ist es. Wer könnte Kurunfula je vergessen?« »Aber erinnern Sie sich auch daran, was ich für die Kunst getan habe?« »Gewiss, Sie haben als Erste den orientalischen Tanz modernisiert.« »Und? Haben Sie je darüber gelesen oder davon gehört, dass jemand das würdigt?« »Nun ja«, stammelte ich verwirrt, »bisweilen leidet die Gesellschaft unter Gedächtnisverlust, aber das dauert nicht ewig.« »Schön gesagt, nur leider bedeutet es nichts.« »Ich bin trotzdem davon überzeugt.« Um die peinliche Situation hinter mich zu bringen, fuhr ich fort: »Ich wünsche Ihnen, dass Sie glücklich sind und es immer bleiben. Das ist das Wichtigste.« Sie lachte. »Bis jetzt sieht es ganz danach aus.« Sie drehte sich um, und während sie zu ihrem Platz ging, sagte sie, noch immer lachend: »Allein Gott kennt das Verborgene.« Auf solch heitere Weise begann unsere Bekanntschaft, aus der schon bald Freundschaft werden sollte. Mich machte diese Beziehung glücklich, und sie tut es heute noch. Eigentlich müsste ich diese Freundschaft als neu bezeichnen, aber dagegen spricht, dass ihre Wurzeln bis tief in die Vergangenheit reichen, also bis dreißig Jahre oder noch mehr zurückgehen. Seit jenem Tag sahen wir uns regelmäßig. Wir unterhielten uns angeregt und fühlten uns immer enger verbunden. Einmal fragte ich sie, ob sie es nicht auch für ein Wunder halte, dass sie, die Tänzerin, nicht nur als große Verführerin galt, sondern auch große Achtung genoss. Sie sah mich stolz an. »Der orientalische Tanz hatte sich ja immer nur auf die rein körperliche Bewegung beschränkt, also auf die rhythmische Bewegung von Brust, Bauch und Po. Ich wollte mit meinem Tanz etwas darstellen.« »Wie bist du darauf gekommen?« »Wann immer ich konnte, habe ich mir mir das europäische Ballett in der Pergola angesehen.« Sie lächelte ein wenig kokett. »Was die Achtung betrifft, die mir entgegengebracht wurde, so lag das daran, dass ich keine flüchtigen Beziehungen einging. Für mich kam und kommt eine Beziehung ohne Liebe nicht infrage, und eine Liebe zu leben, hieß und heißt für mich, verheiratet zu sein.« »Tatsächlich?«, fragte ich beeindruckt. Sie lachte. »Tut man nicht alles, um in der Öffentlichkeit als geachtet dazustehen?« Ich nickte. Sie murmelte etwas vor sich hin, das ich nicht verstehen konnte, dann sagte sie: »Wenn man jemanden ehrlichen Herzens liebt, ist an einer Beziehung nichts Verwerfliches.« »Deshalb stand in der Presse auch nie etwas Schlechtes über dich.« »Nicht einmal in den Revolverblättern.« Ich schmunzelte. »Dafür sind aber etliche deinetwegen aus dem Gleis geraten.« Sie seufzte. »Das Nachtleben ist voller Tragödien.« »Ich kann mich noch gut an den Beamten aus dem Finanzministerium erinnern …« »Psst! Meinst du Arif Sulaiman?«, flüsterte sie. »Er steht nicht weit weg von dir, er ist der Barkeeper.« Ich schaute verstohlen zu ihm hinüber. Dieser dicke, aufgedunsene Mann mit weißem Haar sollte der Beamte von damals sein? Offenbar war mir deutlich anzusehen, wie überrascht ich war, denn Kurunfula sagte: »Er ist keineswegs, wie du vielleicht meinst, eines meiner Opfer. Er ist ein Opfer seiner eigenen Schwäche geworden.« Was dann folgte, war eine höchst alltägliche Geschichte. Er war verrückt nach ihr gewesen, auch wenn sie ihn nicht einmal ansatzweise dazu ermutigt hatte. Seine geringen Einkünfte reichten nicht aus, um den Nachtclub regelmäßig zu besuchen. So kam es, dass er Gelder aus der Staatskasse stahl. In dem Club gab er sich den An schein, reich geerbt zu haben. Kurunfula hatte nie auch nur einen Millim von ihm genommen und ihn immer genauso höflich wie die anderen Gäste behandelt. Sosehr er sich auch bemühte, er erreichte nichts. Eines Tages wurde er dann auf frischer Tat ertappt. Man machte ihm den Prozess, und er kam ins Gefängnis. »Es war eine Tragödie, aber ich war nicht schuld daran. Als er nach Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, tauchte er wieder im Nachtclub auf und erklärte mir, dass er vor dem Nichts stehe und nicht mehr weiterwisse. Er tat mir leid, und ich machte mir Sorgen um ihn. Also verwendete ich mich für ihn bei dem Besitzer des Nachtclubs, der ihn dann tatsächlich als Kellner einstellte. Als ich die Arbeit dort aufgab und das Café eröffnete, übernahm ich ihn als Barkeeper. Er macht seine Arbeit sehr gut.« Ich strich mir nachdenklich über den Schnurrbart. »Und? Hat er von seiner alten Leidenschaft abgelassen?« »Als er damals im Nachtclub Kellner war, hat er mir noch...


Machfus, Nagib
Nagib Machfus, geboren 1911 in Kairo, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur. Nagib Machfus starb 2006 im Alter von 94 Jahren in Kairo.

Kilias, Doris
Doris Kilias, geboren 1942 inmitten der Masurischen Seenplatte, also im heutigen Polen, arbeitete als Redakteurin beim arabischen Programm des Rundfunks Berlin (DDR). Nach der Promotion war sie als freie Übersetzerin tätig. Sie starb 2008 in Berlin.



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