Mähr | Knochen Kochen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Mähr Knochen Kochen

Kriminalroman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-552-06305-1
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-552-06305-1
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Matthias Spielberger, Wirt der "Blauen Traube" in Dornbirn, wird von seinem Schulkollegen Erasmus von Seitenstetten kontaktiert: Der aus verarmtem Adel stammende Biologe hat entdeckt, dass einer seiner Ahnen an einer rätselhaften Seuche – dem "Englischen Schweiß" – verstorben war. Nun plant er im Geheimen dessen Exhumierung, um durch die Lösung dieses wissenschaftlichen Rätsels berühmt zu werden. Mithilfe der Stammtischrunde aus der "Blauen Traube" wird im Wienerwald das Ahnengrab geöffnet. Doch das Gerippe hat mittlerweile mehrere Interessenten auf den Plan gerufen, und die Sache beginnt gründlich aus dem Ruder zu laufen ... Ein morbider, böser und sehr unterhaltsamer Krimi aus Österreich.

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  2     Matthäus Spielberger gehörte nicht zu jenen Menschen, die in der Vergangenheit leben. Sein Leben hatte ihn nicht mehr gebeutelt als andere Menschen seiner Generation, das hätte er auf Befragen sogar selber zugegeben, er wollte sich nur nicht daran erinnern. Und man musste sich nicht erinnern, dazu bestand kein Anlass. Es sei denn, jemand erzwang die Erinnerung. Von außen. Indem er einen zum Beispiel anrief. Wie dieser Seitenstetten, der Trottel. Matthäus hätte nur fünf Minuten früher aus dem Haus gehen müssen. Der Anruf kam übers Festnetz. Das Telefon befand sich im Gastraum hinter der Theke. Matthäus Spielberger meldete sich, wie es seine Gewohnheit war, mit einem wartenden »Ja?«, nicht mit seinem Namen oder dem des Gasthauses, eine Eigenheit, die seine Frau Mathilde auf die Palme brachte. Sie hielt es für unprofessionell. »Genau!«, sagte er dann, worauf sie nichts mehr sagte, denn dies berührte einen heiklen Punkt. Matthäus Spielberger war nicht gern Wirt, was er ab und zu durch kleine Aufsässigkeiten merken ließ. Der Anrufer fragte nicht, ob er mit Matthäus verbunden sei, er sagte auch nicht, wer er selber war, sondern einfach nur: »Grüß dich, Lumpi!« Und Matthäus antwortete: »Servus, Seitenstetten!« Ein Reflex. Seitenstetten brauchte nicht zu fragen, von wem das »Ja?« kam, und Matthäus ging es mit seinem Gegenüber ebenso. Sie hatten sich an der Stimme erkannt. Zwar lag das letzte Maturatreffen schon zehn Jahre zurück, das machte aber nichts. Die Stimmen waren in die Hirne eingraviert und würden es bis ans Lebensende bleiben. Matthäus wunderte sich auch nicht, als »Lumpi« angesprochen zu werden; diesen Spitznamen hatte er zwar nie geschätzt, aber auch nicht darunter gelitten. Er stammte aus der mythischen Vorzeit der Unterstufe, die genauen Umstände der Entstehung waren niemandem mehr bekannt. Er hieß eben »Lumpi«, und Seitenstetten, der es nie zu einem Spitznamen gebracht hatte, war »Seitenstetten« geblieben; niemand war je auf die Idee gekommen, den umständlichen Namen abzukürzen. »Wie geht’s dir?«, fragte Seitenstetten. »Gut, danke. Und selbst?« »Ach, man lebt. – Ich hab nur ein Problem.« »Lass hören!« Sie hätten diese Unterhaltung wortgleich auch vierzig Jahre früher führen können. Wenn jemand in ihrer Klasse »ein Problem« hatte, fragte er Matthäus Spielberger. Der war nicht der Primus, nur knapp dahinter, aber er konnte am besten erklären. Natürlich kam man nicht mit jedem »Problem« zu Matthäus, nur mit solchen, für die »Lumpi« eine Lösung haben würde. Also schulisch-praktisch. Wenn man Hausaufgaben vergessen hatte. Die ließ einen Matthäus abschreiben. Immer. Als Matthäus Spielberger nun von einem »Problem« hörte, war er gespannt, was das sein konnte; wohl kaum die Mathematikhausaufgabe, die Seitenstetten oft vergessen hatte, Mathematik war nicht seine Stärke gewesen … Seitenstetten unterbrach den abschweifenden Gedankengang: »Du weißt vielleicht von meinem Onkel Albert-Matthias?« »Tut mir leid, der Name sagt mir nichts. Er will dich enterben?« »Wie kommst du da drauf?« »Du sagst doch, du hast ein Problem!« »Ja, ich hab ein Problem, es hängt mit Onkel Albert-Matthias zusammen, aber es ist nicht von der Art, die du da insinuierst. Ich darf sagen, der Onkel war mir immer zugetan, ich hab auch nie etwas unternommen, was der Familienehre nicht zuträglich gewesen wär, du verstehst schon! Also ich muss sagen, deine Andeutung ist kränkend – ich mein, dass er mich enterbt hätt. War eh nix mehr da, nebenbei …« »Erasmus, tu mir den Gefallen und reg dich ab! Ein Problem. Was soll das sein? Hausaufgaben machst du schon lang nicht mehr. Und deine übrigen Probleme hatten alle mit deiner Familie zu tun. Was soll ich annehmen bei der begrenzten Auswahl?« Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Matthäus war nicht beunruhigt. Seitenstetten fiel oft mitten im Gespräch in Schweigen, um über etwas nachzudenken, was gesagt wurde. Am Telefon machte er das offenbar genauso. Man musste nur Geduld haben. »Du hast recht, Lumpi, wie immer, möcht ich fast sagen!« Seitenstetten lachte. »Er hätt mich schon berücksichtigt, der Onkel, da kannst beruhigt sein, wir waren gut miteinander, aber es war halt nix mehr da, verstehst? Bis auf den Nachlass halt …« »Was für einen Nachlass?« Darauf ging Seitenstetten nicht ein. »Angfangen hat alles mit dem Ferdinand, wo er sich verspekuliert hat mit dem Kieswerk anno vierundachtzig. Von da an ist alles mehr oder weniger den Bach hinunter, à fonds perdu, wie man sagt …« Seitenstetten sprach weiter, aber Matthäus schaltete ab. Er kannte die Geschichte des Niedergangs der Familie von Seitenstetten, wenn auch nicht den Teil, den sein Schulfreund nun zum Besten gab. Schon immer hatte dieser jeden, der es hören wollte, und auch die zahlreichen anderen, die es nicht hören wollten, mit der Schilderung der finanziellen Kapriolen der verschiedenen Zweige derer von Seitenstetten unterhalten beziehungsweise behelligt. Er wiederholte sich dabei, sodass man im Laufe der Gymnasialjahre diese Geschichten gewissermaßen osmotisch aufnahm, auch wenn man sich bemühte, nicht zuzuhören. Von einem Kieswerk war dabei nie die Rede gewesen. Matthäus schloss daraus, dass sich die Niedergangssaga der Seitenstettens nach der Matura fortgesetzt hatte; offensichtlich hatten diese Adligen eine umständliche, arbeitsintensive Form des Herabwirtschaftens betrieben, die bis zur Endpleite Generationen brauchte. Worüber reden wir hier, dachte Matthäus. Es ist genau wie früher. Wie in einer Zeitkapsel. Er langweilt mich mit schwachsinnigen Entscheidungen seiner Vorfahren. Und ich höre zu. Wie immer. Und sage nichts. Man darf ihn nicht unterbrechen, sonst fängt er von vorn an. Als Seitenstetten verstummte, sagte Matthäus: »Tut mir leid für deine Familie, ich sehe aber nicht, was ich daran ändern könnte. Was ist mit diesem Nachlass?« »Sehr gut, Lumpi, du bringst es auf den Punkt, du bist immer noch auf der Höhe, ich merk den scharfen Verstand, chapeau! Wie früher! Ja, das Problem ist tatsächlich dieser Nachlass vom Onkel Albert-Matthias. Aber das möcht ich nicht am Telefon besprechen.« »Na schön. Ich kann aber jetzt nicht nach Wien fahren, kannst du nicht per Mail …« »Das ist mir zu unsicher. Wir sollten schon persönlich reden.« »Na, dann musst du halt nach Dornbirn kommen.« »Ich bin schon da.« »Ach? Wo bist du denn?« »Ich steh vor deinem Gasthaus.« Matthäus sagte nichts. Er wunderte sich nicht einmal. Dieses Verhalten war kein Scherz von Seitenstetten, sondern für den ganz normal. Auf dem Weg zur Tür dachte er darüber nach, wie sie ansatzlos in Gewohnheiten verfielen, die sie vor vierzig Jahren abgelegt hatten. Wie trockene Alkoholiker beim Rückfall. Ein Glas genügt. Matthäus war überzeugt, dass sich Erasmus von Seitenstetten im Umgang mit normalen Personen nicht so verrückt verhielt. Dazu mussten zwei aus ihrer Klasse zusammenkommen. »Warum läutetest du nicht gleich?«, fragte er beim Öffnen der Haustür. »Ich hab doch nicht gewusst, ob du zu Hause bist.« Seitenstetten trat ein. Kein Gruß, keine Umarmung, nicht einmal ein Händedruck. Wozu auch. Sie sahen sich ja jeden Tag. Auch wenn zwischen den Tagen, an denen sie einander begegneten, manchmal ein paar Jahre lagen. Seitenstetten sah so aus, wie ihn Matthäus in Erinnerung hatte. Und zwar genau so. Hochgewachsen, gotischer Langschädel, dünnes Haar mit der Farbe von Straßenstaub, ein Gesicht ohne merkbare Eigenheiten, etwas weichlich. Klar, die Dekadenz durch die Verwandtenheiraterei in diesen Kreisen. Wir sind komisch, dachte er. Aber nur untereinander. Sonst weiß es ja keiner. Gott sei Dank. Der große Gastraum war leer, sie nahmen am Stammtisch Platz. »Du fährst von Wien hierher, ohne zu wissen, ob ich überhaupt da bin?«, begann Matthäus. »Was, wenn ich verreist bin? Oder tot?« »Ist mir unwahrscheinlich vorkommen, ehrlich gsagt. Du warst doch nie der Typus des Reisenden, sei mir nicht bös! Und sterben tun wir noch lang nicht …« »Woher hast du die Adresse?« »Vom letzten Rundschreiben vom Hiebeler.« Paul Hiebeler war der Klassensprecher in der Maturaklasse gewesen. Wie die sieben anderen Jahre davor und die vierzig Jahre danach. Ihn würde, wie den Papst, erst der Tod von der Bürde des Amtes befreien. »Außerdem war mir das Risiko zu groß.« »Welches Risiko?« »Dass d’ mir absagst! Am Telefon, mein ich. Da tut man sich leichter beim Absagen. Wenn’st mir gegenübersitzt, ist das schwerer.« »Um Gottes willen! So schlimm? Du hast einen umgebracht? Und ich soll dir helfen beim Vertuschen?« Seitenstetten lachte laut auf. »Nein, mein Lieber, ich darf dich beruhigen. Umbracht hab ich keinen … Er ist schon tot.« »Also doch was Kriminelles …« »Das ist noch nicht heraußen …« »Und wobei soll ich dir helfen?« »Na, beim Ausgraben.« Matthäus...


Mähr, Christian
Christian Mähr wurde 1952 in Nofels bei Feldkirch (Vorarlberg) geboren und lebt heute in Dornbirn. Er ist Autor, Bienenzüchter und Doktor der Chemie und langjähriger freier Mitarbeiter des ORF für die Redaktion Wissenschaft und Umwelt. Werke (u. a.): Magister Dorn (1987), Fatous Staub (1991), Simon fliegt (1998), Die letzte Insel (2001), Vergessene Erfindungen. Warum fährt die Natronlok nicht mehr? (2002), Von Alkohol bis Zucker (2010) und bei Deuticke die Romane Semmlers Deal (2008), Alles Fleisch ist Gras (2010), Das unsagbar Gute (2011) und Knochen Kochen (2015).



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