E-Book, Deutsch, 120 Seiten
Manegold Morbus Dei
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-943876-00-0
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ketzereien vom Rande des Universums
E-Book, Deutsch, 120 Seiten
ISBN: 978-3-943876-00-0
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mit dieser Erkenntnis beladen schlagen sich die Protagonisten durch ihre kleinen Episoden, in denen sich das Leiden der Welt und unsere Ängste vor der Unendlichkeit spiegeln.Thomas Manegolds Geschichten haben etwas mit dem Alltagswahn gemeinsam: Sie haben Methode, sind verdammt nah dran und bewahren doch immer den Überblick. Alles scheint irgendwie verbunden, und sei es auch nur in seinem ganzen Elend, dem der Autor kein Mitleid entgegen bringen will. Schonungslos hält er drauf. Schließlich ist er ja nicht Gott. Aber wer ist das schon. Gott. und was weiß der wirklich. Er hat noch nicht mal die Bedienungsanleitung gelesen, sagt zumindest der Admin.Diese konzeptionelle Kurzgeschichtensammlung ist die mittlerweile vierte Veröffentlichung des periplanetaners und Kult- Autors Thomas Manegold. Er wirft immer gern ein kritisches und sarkastisch zwinkerndes Auge auf die alltägliche Abgründe und verbindet diese mit humorvoller Fiktion und anderen Metaebenen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Terrorising 3
sequence start: 2007.06.22.03.43 # sequence version: 3.2.4 # total running time: 53.19.01 # ego identity: Thomas M.
Michael E. ist Schriftsteller. Nun werden Sie sicherlich denken, dass dem Manegold schon am Anfang der Stoff ausgeht und er von sich selbst in der dritten Person schreibt, so wie alle Schriftsteller es tun, wenn ihnen nichts mehr einfällt. Ich weiß, die Liste ist lang, reicht von Coelho bis Grass, doch wäre es mir eine Ehre, inmitten der Großen einen Platz zu finden, und sei es auch nur in so einer Liste. Ich würde in der Gegenwart von Richard Stark, einem alter Ego von Steven King, noch vor Ehrfurcht erschaudern, mich aber auch morgen noch einige jener Dinge nicht trauen, die Paulo, der Schöpfer des millionenfach gelesenen Alchimisten, inmitten seiner Midlifecrisis seinen Lesern gerade zumutet.
Michael ist wirklich ein Schriftsteller, ich bin nur ein kleiner Schreiber, der vor Ideen sprüht und den Funken hinterherschaut, sie nicht einfangen kann und meistens nur kalten, schwarzen Rauch und Späne hinterlässt. Michael weiß noch gar nichts von seiner Rolle und seinen Fähigkeiten. Er befindet sich gerade an der Schwelle vom Studierenden zum Exstudenten, und dort steht er wie angewurzelt, seit Jahren. Was tut so ein vom Bildungssystem verwöhnter und dann alleingelassener Mensch, dessen Intelligenz weder Autoritäten noch Drogen zu bändigen vermochten? Praktikum post mortem können wir ausschließen, denn ich sagte ja bereits, dass Michael ein intelligenter Mensch ist. Zudem ist er nicht so devot wie die diplomierten Dauerpraktikantinnen, die dann aus ihrer ehrenamtlichen Knechtschaft rausfliegen, wenn der Ganzkörpereinsatz nachlässt, oder wenn sie mit Ende dreißig keiner mehr bespringen will. Zwischen seinen wachen Augen, die von schwarzem, lockigem Haar und einem Axis-Of-Evil-Kinnbart umrahmt sind, schlummert also ein unglaubliches Potential an Hoffnungslosigkeit und Weltschmerz. Ich habe übrigens eine Glatze und trage keinen Bart, außer von Zeit zu Zeit diesen Sechstagekratzbaum. Sie könnten also sogar sehen, dass ich dieser Michael gar nicht sein kann. Und es gibt noch mehr Unterschiede. Ich schreibe diese Zeilen beispielsweise gerade mit einem Mac. Er dagegen sitzt meistens vor seinem alten, klapprigen PC und grübelt. Das virtuelle Blatt bleibt dabei aber leer. Früher teilten sich die Menschen in Schreiber und Analphabeten, heute in Onliner und Offliner. Michael E. weiß, dass man im Grunde nicht einmal mehr schreiben können muss, um Schreiber zu sein. Seitdem das Welterschaffen ein Kinderspiel ist, haben die Welten auch das Niveau und die Halbwertszeit von Sandburgen, die Dreijährige am Strand errichten, während ihre Eltern sich Hautkrebs zuziehen.
Michaels soziales Umfeld ist kürzlich an seinen Frauengeschichten zerbrochen. Eine blonde Philosophin und eine blinde Pianistin. Er konnte sich nicht entscheiden, und deshalb haben ihn beide verlassen. Der Bekanntenkreis hat sich aufgeteilt auf Pianistin und Philosophin. Er ging leer aus. Seitdem meidet er den Studentenstammtisch bei Hannes im Club. Nicht, weil er dort seine Ex treffen könnte, sondern weil sie die Einzige ist, die noch mit ihm redet. Jetzt besäuft sich Michael meistens an den Tagen, an denen außer dem Wirt keiner da ist. Hannes ist auch so ein verkappter Schriftsteller, hatte sich irgendwann vor Jahren von seiner Frau scheiden lassen, nachdem ihm ein Rückführungsexperiment seine früheren Leben offenbart und beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte. Verrückte Geschichte.
Michaels Bruder ist damals mit der Pianistin durchgebrannt, weil er nicht wusste, wie er es seinem älteren Zwilling erklären sollte. Der war dann ein paar Tage in der Klapsmühle, weil sein Arzt nicht glaubte, dass die Narben an seinen Händen und Füßen von den Vorlieben einer Verflossenen stammten. In der Geschlossenen traf er einen durchgeknallten Typen, der ihm erzählte, dass eines Tages jeder vor den Spiegel treten muss und dann die Masken fallen werden. Dieser schräge Vogel glaubte fest daran, dass die Welt eine Computersimulation sei, die man selbst füttert mit „Mind“ und „Energy“ und aus der man aussteigen könne.
Woher ich das weiß? Nein, ich war nicht dort. Michael hat es mir erzählt, als wir uns das erste Mal bei Hannes am Tresen trafen. Das war vor zwei Tagen- oder waren es drei? Ich bestellte gerade mein allerallerallerletztes Bier, und er kippte mir sein halbvolles Glas vor die Brust, worauf ich ihn vom Hocker kickte und Hannes beschwichtigend von einer Begebenheit erzählte, bei der seiner Kellnerin damals das Gleiche passiert war. In seinem Club (er legte Wert darauf, dass man ihn nicht als Kneipe bezeichnete) gingen damals die krassesten Typen ein und aus. Da konnte es schon mal passieren, dass einer austickt und eine Knarre zieht. Hannes war deshalb ein Meister im Zulabern von Psychopathen. Als wir dann merkten, dass wir alle drei verhinderte Schreiber waren, die vom Lauf der Welt um ihr Zeilenhonorar betrogen wurden, gab es eine Runde aufs Haus.
Als sich jeder mit einer weiteren Runde revanchiert hatte, tauschten wir unsere Frauengeschichten aus. Hannes hatte auch gerade was Neues am Start, wie er sagte, wusste aber nicht, wie er es seiner Bedienung erklären sollte, mit der er nicht nur das Trinkgeld teilte. Als ich dann Michaels Ex das erste Mal sah, war es bereits früh am Morgen. Sie ging kühl an uns beiden vorbei, setzte sich auf den Tresen und schwang ihre benetzten, langen Beine schwungvoll über das Tablett noch warmer Absinthgläser. Als ich registrierte, dass sie nichts unter ihrem Rock trug, außer eben dieser hauchdünnen Strumpfhose, schlabberte sie bereits Hannes ab und griff ihm dabei beherzt zwischen die Beine.
Ich kannte diesen Griff... kannte diese Zunge, die jetzt als Piercingwerbefläche über des Wirtes Amalgamfüllungen wetzte, ich kannte diesen phänomenalen Körper aus einer Zeit, als er noch nicht die Ex meines Saufkumpans war, und in diesem Moment wusste ich, dass auch wir Männer uns immer nur wie die Hunde selbst die Eier abschlecken. Wir tun es die ganze Zeit, gaukeln uns dabei andere Menschen vor, doch lecken wir uns nur selbst die Wunden, die wir uns mit eigener Hand zufügten, als Spielbälle jenes alten Mannes, der verzweifelt an seinem Joystick herumfingert, um ins nächste Level zu kommen. Frauen denken sicherlich in ähnlichen Situationen anders. Ich könnte mir vorstellen, dass sie beginnen, an die Windbestäubung zu glauben oder an autosexuelle Vermehrung und Dildos, denen sie autosuggestiv Männer andichten...
Die Welt ist ein einziger Beschiss und Liebe eine Illusion, weil man nur sich selbst umarmt, dreckige Spiegel ablutscht, bis man sich die Lippen aufschneidet oder Herpes bekommt. Im jenem Moment hatten alle Anwesenden in Hannes´ bläulich beleuchteten „Club“ dieselben Krankheiten.
Ich griff Michael in den Nacken, zog seinen Kopf an den meinen und drückte meinen Sechstagekratzbaum in sein Gesicht. Er wehrte sich nicht. Es war die Erlösung in einer Groteske, in der niemand der Looser sein wollte. Er hatte kein Zungenpiercing, und das war auch gut so.
In genau diesem Moment, als auch unsere Hände unter dem Tresen verschwanden, kamst Du herein und schriest mit brechender Stimme in den sonst leeren Raum: „Ist das der Sinn des Lebens?“ Nein, natürlich nicht! Der Sinn des Lebens ist, dass man lernt, vorher abzuschließen... denn mit Dir kam auch diejenige in den Club, die vor der Philosophin den Kneiper abschlabbern durfte.
Nach Claras Schreikrampf auf dem Weg zu ihrem ehemaligen Arbeitsplatz und Hannes reumütig-spontaner Rückkehr zu seiner schnuckeligen Brünetten, die ihn unter Tränen mit Schweizer Akzent beschimpfte, war der Abend gelaufen. Zwei Pseudoschwule und eine verkappte Philosophin zogen sich auf dem vom Inhaber höchstselbst vollgekotzten Personalklo noch ein paar schlampig-zittrige Lines und ließen den Kneiper mit Clara allein. Das Zeug, das Michael angeblich in der Klapse geklaut und daheim mit dem Mörser zerbröselt hatte, fraß sich schnell durch die Schleimhäute ins Hirn.
Wir verloren uns in kreisenden Spiralen und spürten einen Hauch von dem, was man Ewigkeit nennt. Der neue Tag rannte lodernd an uns vorbei. Wir haben in den ersten Sonnenstrahlen badende Propheten mit unseren Handys fotografiert, bevor sie in Flammen aufgingen... sahen Kirchen brennen und danach Männer in Nadelstreifenanzügen Bekennerschreiben finden, die wir geschrieben hatten. Wir sahen Soldaten während des Mittagsgebets über Moscheen herfallen und Synagogen ganze Horden von Polizisten unter sich begraben. Wir sahen nachts die neuen Götter fallen und ihre großen Priester zarte Engel auf den Altären der Welt flachlegen, vor denen sie am nächsten Morgen Tugend und Moral predigten. Wir sahen zu, wie junge Frauen stöhnten und alte Männer zahlten. Wir konnten Marien wie die Lemminge in die Wüste wandern sehen, wo sie einen Erlöser nach dem anderen in den Sand setzten... Wir sabotierten den Lauf der Welt und tanzten auf des Messers Schneide uns die Füße blutig. Als ich aufwachte, war das Blut getrocknet und meine Klamotten vollkommen zerrissen.
„Daran sieht man, dass sich das Universum gerade ausdehnt“ sagte Michael kichernd, während er mit stecknadelkopfgroßen Pupillen in den Licht erbrechenden Himmel blickte. Die Bahn fuhr ein, und instinktiv umklammerte ich die Hüften, die zu unserer Blondine gehörten, die am Bahnsteig bedrohlich schwankte.
Ich weiß nicht, wie viele Clubs wir durchflogen hatten, fühlte mich aber wie ein abgestandenes, umgeschüttetes Bier, das auf den Lappen wartet und dabei unausweichlich auf die Tischkante zufließt. Ich war ehrlich besorgt aufzuwachen und festzustellen, dass ich...




