Mann / Fritz | Der Kaplan | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 292 Seiten

Mann / Fritz Der Kaplan

Ein Drehbuch für Roberto Rossellinis Filmklassiker »Paisà«

E-Book, Deutsch, 292 Seiten

ISBN: 978-3-8353-4557-7
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Klaus Manns vollständiges Drehbuch 'Der Kaplan' wird gerahmt von Originalbeiträgen zur Entstehungsgeschichte von Film und Drehbuch, zu den verwickelten deutsch-italienischen Beziehungen und zum Zusammenspiel von Krieg und Kino.

Weitgehend unbekannt ist, dass Klaus Mann an der Entstehung von Roberto Rossellinis neorealistischem Filmklassiker 'Paisà' (1946) sehr aktiv beteiligt war. Der Film schildert in sechs Episoden den Vormarsch der Alliierten und die Befreiung Italiens von Faschismus und deutscher Besatzung. Unter dem Titel 'The Chaplain' ('Der Kaplan') schrieb Mann ein vollständiges Drehbuch für die vorletzte Episode, angesiedelt in der Nähe des Futa Passes im nördlichen Apennin, wo der Autor als Angehöriger der 5th Army im Winter 1944 /45 stationiert war. Sein tieftragischer Text über die Begegnung eines im Grunde pazifistischen amerikanischen Militärkaplans mit einem 'buckligen' faschistischen Jugendlichen wurde nicht realisiert. Diktatur und Krieg prägten Leben und Werk des italienischen Regisseurs und des deutsch-amerikanischen Schriftstellers auf entscheidende, zugleich sehr unterschiedliche Weise. Klaus Manns letzter großer literarischer Text wird in diesem Band betrachtet durch ein Kaleidoskop unterschiedlicher künstlerischer und geisteswissenschaftlicher Disziplinen.
Mit Auszügen aus Klaus Manns Fragment gebliebenem Roman 'Der letzte Tag' (1949) und Originalbeiträgen u.a. von Lucia Chiarla, Didi Danquart, Susanne Fritz, Carlo Gentile, Alberto Gualandi, Fredric Kroll, Friedrich Lohmann, Chiara Sambuchi, Georg Seeßlen.
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Vorwort
Anfang August 1945, wenige Wochen vor seiner Entlassung aus der US Army, wohnt Klaus Mann in Rom einer Voraufführung von Roberto Rossellinis Roma città aperta vor geladenen Gästen bei und ist überaus angetan. An den folgenden Tagen kommt es zu intensiven Gesprächen und bald zu einer vertraglichen Übereinkunft, die für den deutsch-amerikanischen Schriftsteller eine leitende Position in Rossellinis Drehbuchteam vorsieht. Der unter dem Titel The Seven from the U. S. geplante Film soll die Befreiung Italiens von Faschismus und deutscher Besatzung durch die Alliierten von Süd nach Nord in sieben Episoden erzählen. Im fertigen Film, der als Paisà 1946 in die Kinos kommt, fehlt die vorletzte Episode (bzw. war während der Dreharbeiten ausgetauscht worden), zu der Klaus Mann das vollständige Drehbuch geschrieben hatte, sein Titel: The Chaplain, Der Kaplan.   Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Rossellini, seinem bereits erprobten Team und dem »Neuling« Klaus Mann, der als Exilant, glühender Antifaschist und einziger aktiver Kriegsteilnehmer Erfahrungen in die Arbeit einbrachte, die sich von denen seiner italienischen Kollegen in vielem unterschieden? Welche Gründe mögen im Einzelnen zum Bruch geführt haben? Fredric Kroll, der als junger Doktorand das Typoskript des Chaplain 1970 im Nachlass Klaus Manns in Zürich entdeckte, untersucht in seinem Beitrag die Geschichte einer vielversprechenden Begegnung zweier großer Künstler, deren Methoden und Sichtweisen sich als unvereinbar herausstellten, aber auch den unerbittlichen Konkurrenzkampf innerhalb des Drehbuchteams, in dessen Folge Klaus Manns Spuren aus dem Film getilgt wurden.   Bereits in seiner Literarizität erweist sich Der Kaplan als wenig »kompatibel« mit Rossellinis spontaner und improvisatorischer Arbeitsweise, mit der er seine sehr persönlich geprägten neorealistischen Spielfilme aus Versatzstücken der vorgefundenen Wirklichkeit schuf. Noch mehr aber unterschieden sich der Regisseur und der Schriftsteller in ihrem Blick auf die jüngste Geschichte. Der Katholik Rossellini inszenierte (verkürzt gesagt) das italienische Volk als Italiani brava gente und Opfer der deutschen Invasion und des furchtbaren Krieges auf italienischem Boden. Klaus Mann legte hingegen als Beobachter von außen den Finger in die Wunde und zeichnete ein komplexeres Bild, in dem ein Teil der italienischen Bevölkerung als Faschisten und Kollaborateure der Nazibesatzung am Elend des Zweiten Weltkriegs mitschuldig waren und die alliierten Befreier keinesfalls nur vorbildlich agierten. Sein Drehbuch um den amerikanischen Militärgeistlichen Martin, der in seiner Weihnachtspredigt vor der kämpfenden Truppe von der Feindesliebe spricht, und den faschistischen, die Hilfe der Amerikaner ablehnenden Jungen Ernesto fiel darum aus Rossellinis Gesamtkonzept und blieb ein Solitär, ein Außenseiter wie sein Autor selbst. Die gescheiterte Zusammenarbeit mit den Italienern, in die er sich mit großem Elan geworfen hatte, wurde so zu einem (weiteren) persönlichen Desaster, von dem er sich nur unzureichend erholen sollte.   Wie präsentiert man einen Text, der nicht dafür verfasst worden war, gedruckt zu werden, sondern vielmehr verfilmt? Der einerseits literarische Qualität besitzt und zweifellos für sich stehen könnte, zugleich aber auch erklärungsbedürftig bleibt, da er als eine Geschichte von mehreren Geschichten gedacht war, die aufeinander aufbauen und einander ergänzen sollten? Der dazu in einem historischen Kontext steht, der vielen von uns, die Italien lieben, doch eher unbekannt ist? Der am Futa-Pass zwischen Bologna und Florenz angesiedelt ist, in einer abgelegenen Gegend, wo neben der so atemberaubenden wie unwirtlichen Berglandschaft die größte deutsche Kriegsgräberstätte Italiens mit fast einunddreißigtausend Toten eine der wenigen »Touristenattraktionen« darstellt? So werfen Klaus Manns Text, die Hintergründe seiner Entstehung und sein Schicksal als nicht realisiertes Filmskript Fragen auf, die eine nähere Betrachtung verdienen. Wir haben Autorinnen und Autoren unterschiedlicher wissenschaftlicher und künstlerischer Disziplinen um Antworten beziehungsweise Diskussionsbeiträge gebeten.   Der Historiker Carlo Gentile schildert die brutale, von Massakern an der italienischen Zivilbevölkerung begleitete deutsche Besetzung Italiens 1943–45 sowie den verlustreichen Vormarsch der Alliierten und setzt Klaus Manns persönliche Erfahrungen im nördlichen Apennin zu den wirklichkeitsnah geschilderten Ereignissen und Figuren des Drehbuchs in Zusammenhang. Seine aus dem Film eliminierte Episode, insbesondere die Figur des faschistischen Jugendlichen Ernesto, der von der alliierten Spionageabwehr erschossen wird, deutet Gentile als eine »erinnerungspolitische Leerstelle« im italienischen Gedächtnis. Wie lässt sich ein militärisches Eingreifen »im Namen des Guten« rechtfertigen, das mit Blutvergießen und dem Tod zahlloser Unschuldiger einhergeht? Wie wird nicht nur der Krieg, sondern auch der Frieden gewonnen? Klaus Manns Weg vom Pazifisten zu einem Befürworter des bewaffneten Kampfes gegen Hitlerdeutschland »mit schlechtem Gewissen« beleuchtet der evangelische Theologe und Ethiker Friedrich Lohmann. In seinem Aufsatz stellt er die Positionen wichtiger Theologen vor, die um eine christliche Stellungnahme zur Bekämpfung der Gewalt mit Mitteln der Gewalt bis hin zu einer Rechtfertigung der Flächenbombardements deutscher und japanischer Städte ringen; eine seinerzeit in den Vereinigten Staaten von Amerika mit einiger Heftigkeit geführte Debatte, die Klaus Mann mit großer Anteilnahme verfolgte und die ihn später zur Figur des protestantischen Militärkaplans Martin inspiriert haben könnte. Wie kommt ein Mensch an den Punkt, sich für das »Böse« zu entscheiden? Alberto Gualandi nähert sich Klaus Mann als Philosoph und entdeckt dessen »apokalyptischen Humanismus«, ein Menschenbild, das ihm erlaubt, selbst seinen schlimmsten menschlichen wie politischen Gegnern auf einer tieferen Ebene zu verzeihen. Gualandi unterzieht u. a. die berühmten Romane Mephisto und Treffpunkt im Unendlichen einer philosophischen Analyse und zeigt eindrücklich, wie der Autor gerade auch seinen moralisch fragwürdigen Figuren wie Hendrik Höfgen und Ernesto mit kritischer Empathie folgt. Mit Georg Seeßlen haben wir einen profilierten Cineasten um Lektüre des Kaplan gebeten, der in seinem Beitrag drei unterschiedlichen Darstellungsversuchen des alliierten Befreiungskampfes in Italien nachspürt. Neben Mann und Rossellini bringt er den amerikanischen Filmregisseur John Huston ins Spiel, dessen schonungsloser Dokumentarfilm The Battle of San Pietro unter Pazifismusverdacht fiel, ehe der Film mittels einer nachgedrehten Erklärung des Oberbefehlshabers der 5. Armee, General Mark W. Clark, eine Rechtfertigung des Kriegseinsatzes erhielt. Ist es überhaupt möglich, einen Anti-Kriegsfilm zu drehen, zeichnet sich eine solche Möglichkeit in einem fiktiven Dreieck Mann-Rossellini-Huston ab? Neben historischen und theoretischen Exkursen werfen wir einen Blick in die Praxis und sprechen mit zeitgenössischen Filmemacherinnen und Filmemachern über Klaus Manns Drehbuch aus »filmpraktischer« Sicht. Mit dem Dokumentar- und Spielfilmregisseur Didi Danquart unterhält sich die Herausgeberin über dessen 1993 während der Blockade Sarajewos entstandenen Dokumentarfilm Wundbrand, seine Erfahrungen als Filmregisseur in einem Kriegsgebiet und über Roberto Rossellinis Kriegstrilogie, deren letzter Teil, Deutschland im Jahre Null, womöglich nationalsozialistisches Gedankengut transportiert, anstatt es über dessen Darstellung zu entkräften. Mit Chiara Sambuchi und Lucia Chiarla kommen zwei Vertreterinnen der jüngeren Generation Filmschaffender zu Wort; beide sind in Italien geboren und aufgewachsen und leben heute in Berlin. In ihren Dokumentar- und Spielfilmen rücken sie vermeintliche Randthemen und Randfiguren ins Zentrum und erzählen damit viel über die Mitte der Gesellschaft und deren Verdrängungsmechanismen. Beide sehen in Italien einen großen »Nachholbedarf« in Anbetracht einer nur zögerlichen Aufarbeitung von Faschismus und Kolonialismus. Eine Aufgabe, die auch Kunst- und Filmschaffenden zukomme. Die Herausgeberin beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit Klaus Manns Schwäche für Vulkane, die dieser mit Roberto Rossellini teilte, und mit der Frage, wie sich vergleichbar unberechenbare, zerstörerische Kräfte in uns Menschen bändigen lassen. Klaus Mann stellte als Schriftsteller in Uniform seine Wortkunst in den Dienst der psychologischen Kriegsführung. Was aber richten Appelle des Friedens und der Vernunft aus inmitten von Gefechtslärm und Blutvergießen? Mit Klaus Mann stellt sie die Frage: What are we fighting for?   Ausgehend von einem nicht realisierten Drehbuch ist einiger Diskussionsstoff zusammengekommen, der die Brisanz dieses noch weitgehend unbekannten Werks Klaus Manns deutlich macht. Den Text in seiner vollen Länge vorzustellen und ins Zentrum zu rücken stellt auch eine posthume Wiedergutmachung dar. Dass Roberto Rossellinis berühmter Filmklassiker Paisà, für den das Drehbuch einst geschrieben worden war, dabei ein wenig ins Hintertreffen gerät und von unseren unabhängig voneinander arbeitenden Autorinnen und Autoren...


Mann, Klaus
Klaus Mann, 1906-1949, war ältester Sohn Thomas Manns, Schriftsteller, Dramatiker, Exilant, als US-Soldat beteiligt an der Befreiung Italiens von Faschismus und deutscher Besatzung. Tod durch Suizid im Mai 1949 in Cannes.

Fritz, Susanne
Susanne Fritz, geb. 1964, lebt in Freiburg und Berlin. Sie schreibt Erzählungen, Romane, dramatische und essayistische Texte. Ihre persönliche Spurensuche »Wie kommt der Krieg ins Kind« (Wallstein 2018) wurde viel besprochen und für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Sie erhielt diverse Preise und Stipendien, u.a. 2020 das Albrecht-Lempp-Stipendium in Krakau, 2021 war sie Stipendiatin des Atelier Mondial in Paris.

Klaus Mann, 1906-1949, war ältester Sohn Thomas Manns, Schriftsteller, Dramatiker, Exilant, als US-Soldat beteiligt an der Befreiung Italiens von Faschismus und deutscher Besatzung. Tod durch Suizid im Mai 1949 in Cannes.

Susanne Fritz, geb. 1964, Autorin und Regisseurin, lebt in Freiburg. Sie schreibt Erzählungen, Romane, dramatische und journalistische Texte. Ihre persönliche Spurensuche "Wie kommt der Krieg ins Kind" (2018) wurde viel besprochen und für den Deutschen Buchpreis nominiert. Sie erhielt diverse Preise, war u.a. Stipendiatin des Schriftstellerhauses Stuttgart und im Herrenhaus Edenkoben; Stadtschreiberin in Schwaz/Tirol. In ihrem Bühnenprogramm "WortMusik" tritt sie mit Musikern aus Neuer Musik und Jazz auf.


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