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E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Marguier / Brodkorb / Resing Der Selbstbetrug

Wenn Migrationspolitik die Realität ignoriert

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

ISBN: 978-3-451-83152-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Auseinandersetzung um Migration und Integration, um Flüchtlings- und Asylpolitik ist angesichts des neuen Zuwanderungshochs wieder in vollem Gange. Gleichzeitig aber gibt es keine europäische Asylpolitik, sind die Außengrenzen der EU löchrig, geht die Bundesregierung von überzogenen  Zahlen für die qualifizierte Einwanderung aus, werden die Alarmrufe der Städte und Kommunen kleingeredet, wächst das Unbehagen von immer größeren Teilen der Bevölkerung. Die Autoren und Autorinnen dieses Bandes zeichnen die aktuellen Entwicklungen im Asylsystem, beim Thema Fachkräftezuwanderung oder bei der Versorgung von Flüchtlingen nach. Sie plädieren für eine realistische Perspektive, damit die humanitären Notwendigkeiten und die positiven Effekte von Zuwanderung ebenso wie die Belastungen und Gefährungen für die Gesellschaft benannt und diskutiert werden können.
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Das Dilemma der Asylpolitik.
Das Herz ist weit, doch die Mittel sind begrenzt
VON THOMAS MAYER
In einer Rede zum Festakt der Interkulturellen Woche am 27. September 2015 brachte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck das Dilemma der Asylpolitik auf den Punkt: „Unser Herz ist weit, doch unsere Mittel sind endlich.“ Er könnte diese Rede heute wieder halten, und sie hätte auch zu den Problemen vor einem Jahrhundert gepasst. Damals stieß das Dilemma eine Entwicklung an, die in den Abgrund führte. Wie wohl kaum ein anderer hat Hannah Arendt die Gründe dafür analysiert. Auch wenn heute viele Umstände anders sind, sollten wir aus ihrer Analyse lernen. Das Paradoxon der Menschenrechte
Laut Arendt haben Aufklärung und Säkularisierung der Schaffung von „universellen Menschenrechten“ den Weg bereitet. War davor Gott oder der Lauf der Geschichte als Quelle der Rechte betrachtet worden, so kamen sie nun in Menschenhand. Da man ihrer nicht mehr sicher sein konnte, mussten sie von den Menschen selbst bewahrt werden. Menschenrechte wurden zu Rechten von und für Menschen, die immer und überall gelten sollten. Doch die von konkreten Gesellschaftsordnungen abstrahierende Idee war nicht umsetzbar. Traditionelle Stammesgesellschaften oder Despotien waren mit der Idee der Menschrechte inkompatibel. Dazu brauchte es demokratisch legitimierte Rechtsstaatlichkeit, wie sie nur im modernen Nationalstaat existierte. Es entstand ein Paradoxon: Wo Menschenrechte dringend nötig waren – in den Stammesgesellschaften oder Despotien –, konnten sie nicht durchgesetzt werden, und wo sie durchgesetzt werden konnten – im Rechtsstaat –, waren sie nicht nötig. Die Idee war nach Arendt folglich nur haltbar, wenn man annahm, dass sich alle Gesellschaftsordnungen zum demokratisch legitimierten Rechtsstaat hin entwickeln würden. Solange der universelle Rechtsstaat nicht erreicht war, bestand aber die Gefahr, dass Menschen ihrer Menschenrechte beraubt wurden, wenn sie ihre Zugehörigkeit zu ihrem Nationalstaat verloren, der ihnen diese Rechte garantiert hatte. Chaos nach dem Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg stellte die europäische Ordnung der Nationalstaaten auf den Kopf. Die Inflation zerstörte die untere Mittelschicht, während der Kollaps der österreich-ungarischen Doppelmonarchie und des zaristischen Russlands zusammen mit den Grenzverschiebungen zwischen Ländern der Sieger und Besiegten nationale Minderheiten und staatenlose Menschen schuf. Diese Gruppen hatten den Schutz ihres Nationalstaats verloren und genossen allenfalls Minderheitenrechte oder waren ohne rechtlichen Schutz. Arendt sieht in der Aberkennung der nationalen Zugehörigkeit ein machtvolles Instrument totalitärer Politik. Damit konnten gewissenlose Politiker Minderheiten die Wertestandards der Mehrheit aufzwingen und bestimmte Minderheiten wie die Juden zum Abschaum der Menschheit erklären. Weder Minderheitenverträge noch der Völkerbund halfen. „Der Begriff ‚Menschenrechte‘ selbst wurde für alle Beteiligten – Opfer, Verfolger und Zuschauer gleichermaßen – zum Beweis für hoffnungslosen Idealismus oder schwachsinnige Heuchelei.“ (Hannah Arendt (1951), The Origins of Totalitarianism. Peguin Classics 2017, S. 352. Eigene Übersetzung aus dem Original.) Die Flucht von Minderheiten und Staatenlosen vor Unterdrückung brachte die letzte Bastion der Menschenrechte, das Recht auf Asyl, zum Einsturz. Obwohl sie die Verbindung zu ihrem Herkunftsland verloren hatten, zeigten die Zuwanderer oft wenig Interesse an der Integration in die Gesellschaft des Aufnahmelandes und wurden von der verarmten heimischen Mittelschicht als Belastung oder sogar Bedrohung empfunden. Die Rückführung in die Herkunftsländer war schwierig, weil diese die Rücknahme ihrer früheren Staatsangehörigen verweigerten. Die Folge davon war, dass die Flüchtlinge zum Teil illegal zurückgeschleust wurden. Um Rückführungen zu vermeiden, erklärte sich eine zunehmende Zahl als „staatenlos“, auch wenn damit weitgehende Rechtlosigkeit einherging. „Alle Diskussionen über Flüchtlingsprobleme drehten sich um diese eine Frage: Wie kann der Flüchtling wieder abschiebbar gemacht werden?“ (Arendt, S. 371) Wo alle Lösungen vergeblich erschienen, wurden Flüchtlinge in Lagern interniert. Aufstieg des Polizeistaats
Der staatenlose Mensch hatte meist kein Aufenthaltsrecht und keine Arbeitserlaubnis und war daher zum latenten Rechtsbruch verurteilt. Aber mit dem offenen Rechtsbruch, mit kriminellen Taten, erlangte er wieder einen Rechtsstatus, wenn auch als Krimineller. Die andere Möglichkeit, anerkannt zu werden, bestand darin, auf die eine oder andere Art berühmt zu werden, um durch die Erregung von Aufmerksamkeit rechtsstaatlichen Schutz zu erlangen. Aber das war nur für wenige möglich. Die Überforderung der Staaten mit den Flüchtlingsproblemen führte dazu, dass auch die westlichen Demokratien der Polizei immer größeren Spielraum gaben, eigenmächtig zu handeln. Da die Natur der Probleme grenzüberschreitend war, kam es zur Zusammenarbeit der Polizei der demokratischen mit den totalitären Staaten, einschließlich Nazideutschlands. „Wenn die Nazis eine Person in ein Konzentrationslager steckten und ihr die Flucht, beispielsweise nach Holland, gelang, steckten die Holländer sie in ein Internierungslager.“ (Arendt, S. 377) Nationale Verankerung des Asylrechts
Heute ist das Recht auf Asyl im nationalen und europäischen Recht verankert. Laut Deutschem Grundgesetz haben politisch Verfolgte ein Recht auf Asyl. Die Genfer Flüchtlingskonvention geht weiter. Dort soll Schutz genießen, wer aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugungen verfolgt wird. Und in Deutschland bekommt „subsidiären“ Schutz, wer stichhaltige Gründe dafür anführen kann, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und er den Schutz seines Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen kann. Doch ist die Immigration aus dem Nahen Osten und Afrika für viele heute beinahe so besorgniserregend wie die Migration vor einem Jahrhundert. Wieder regt sich vor allem in der unteren Mittelschicht Widerstand, der Raum für nationalistische Politik schafft. Man hofft, sich durch die Betonung der Nationalität Rechtsansprüche bewahren zu können, die bei Entnationalisierung aufgrund der Überforderung staatlicher Sozialsysteme verloren gehen könnten. Auch die Regierungen erscheinen so hilflos wie damals. Sie geben vor, die universellen Menschenrechte hochzuhalten – auch um die lautstarken Anwälte dieser Rechte zu befriedigen –, und bezahlen autoritäre Nachbarstaaten für die möglichst unauffällige, aber wirksame Zurückhaltung von Flüchtlingen. Die Warnung Arendts, dass die Furcht vor der Bedrohung des sozialen und politischen Lebens durch unkontrollierte Immigration schließlich „Barbaren“ aus dem Inneren unserer Zivilisation schaffen werde, die Millionen Menschen die „Lebensbedingungen von Wilden“ aufzwingen, erscheint auch heute noch aktuell. Wer nicht will, dass aus einem weiten ein sehr enges Herz wird, muss daher die Begrenztheit der Mittel bei der Asylpolitik respektieren. Versuch der Neuordnung
Die jüngst erzielte Einigung des EU-Ministerrats auf eine neue Ordnung für Asylverfahren und Steuerung der Migration ist daher ein Schritt in die richtige Richtung. Abgesehen von einer Vereinheitlichung nationaler Verfahren, soll sie dazu dienen, Menschen, die sich auf die im Asylrecht definierten Fluchtgründe beziehen können, von anderen, die ihre wirtschaftliche Lage verbessern wollen, zu trennen. Diese Trennung ist nötig, wurden in Deutschland doch im Jahr 2023 knapp die Hälfte aller Asylanträge abgelehnt, obwohl die Definition der Fluchtgründe recht weit ist. Bisher wurden aber nur wenige abgelehnte Asylbewerber in ihre Herkunftsländer oder Drittländer zurückgeführt. Der Ministerrat hofft, dass bei einer Prüfung der Asylberechtigung an den Außengrenzen weniger unberechtigte Einreisen erfolgen und illegale Aufenthalte durchgesetzt werden können als gegenwärtig. Allerdings soll die Prüfung in der Regel nur für Antragsteller nach einem illegalen Grenzübertritt und für Antragsteller aus als sicher geltenden Herkunftsländern an der Grenze erfolgen. Außerdem ist zu befürchten, dass die Neuordnung nur in verwässerter Form oder überhaupt nicht kommen wird. Eine Minderheit von EU-Ländern, unter anderem Polen und Ungarn, widersetzt sich der Verteilung anerkannter Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsländer und lehnt Kompensationszahlungen für die Verweigerung der Aufnahme ab. Eine andere Minderheit, darunter vor allem Deutschland, möchte weitere Ausnahmen für die Prüfung von Asylanträgen an der Grenze, zum Beispiel für Familien mit Kindern. Im Europäischen Parlament, dessen Zustimmung erforderlich ist, opponieren Abgeordnete aus den Fraktionen der Grünen und der Sozialdemokraten gegen die Verschärfung des Asylverfahrens. Der Kreis schließt sich
Nach den schlimmen Erfahrungen der früheren Jahre wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Asylrechte weit gefasst und im nationalen Recht verankert. Damit wurden die Menschenrechte zwar von einer abstrakten Idee zu...


Mansour, Ahmad
Ahmad Mansour, geb. 1976, ist arabischer Israeli und Diplompsychologe. Seit 2004 arbeitet er in Deutschland für Projekte gegen den Extremismus, unter anderem bei „Heroes“ und in der Beratungsstelle HAYAT. Er ist Programme Director bei der European Foundation for Democracy in Brüssel und beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der muslimischen Gemeinschaft. Von 2012 bis 2014 war Mansour Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz. Seit 2015 ist Mansour wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für demokratische Kultur Berlin. 2014 wurde er mit dem Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz ausgezeichnet.

Stelter, Daniel
Dr. Daniel Stelter ist Makroökonom und Strategieberater. Als Autor zahlreicher Expertenbeiträge und aktueller Sachbücher liefert er einen unverstellten Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands.

Krischke, Ben
Ben Krischke, geb. 1986, ist Journalist, Kolumnist und Autor. Er hat Journalistik an der Hochschule Macromedia studiert und beim Magazin Focus in München und Berlin sowie an der Burda-Journalistenschule in Offenburg volontiert. Texte von ihm sind in verschiedenen Magazinen und Zeitungen gedruckt sowie online erschienen. Darunter Münchner Merkur, Focus und Meedia. Seit Oktober 2021 ist er Redakteur bei Cicero mit den Schwerpunkten Gesellschaft, Politik und Medien. Der gebürtige Memminger lebt in München.

Marguier, Alexander
Alexander Marguier ist Chefredakteur des politischen Monatsmagazins Cicero. Der studierte Volkswirt war zuvor mehrere Jahre lang Ressortleiter bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Politikredakteur bei der Welt am Sonntag. Er kam 1969 in Horb am Neckar zur Welt.

Resing, Volker
Volker Resing, geb. 1970, ist Journalist und Buchautor. Von 2014 bis Januar 2022 war er Chefredakteur der „Herder Korrespondenz“. Zuvor war Resing Redakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Seit 2002 war er als Hauptstadt-Korrespondenz in Berlin für verschiedene Tageszeitungen sowie katholische Kirchenzeitungen tätig. Seit 2022 verantwortet er das Innenpolitik-Ressort „Berliner Republik“ bei der Monatszeitschrift „Cicero“.

Evisen, Ilgin Seren
Ilgin Seren Evisen hat Turkologie und Soziologie studiert und schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland.

Alexander Marguier ist Chefredakteur des politischen Monatsmagazins Cicero. Der studierte Volkswirt war zuvor mehrere Jahre lang Ressortleiter bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Politikredakteur bei der Welt am Sonntag. Er kam 1969 in Horb am Neckar zur Welt.

Volker Resing, geb. 1970, ist Journalist und Buchautor. Von 2014 bis Januar 2022 war er Chefredakteur der „Herder Korrespondenz“. Zuvor war Resing Redakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Seit 2002 war er als Hauptstadt-Korrespondenz in Berlin für verschiedene Tageszeitungen sowie katholische Kirchenzeitungen tätig. Seit 2022 verantwortet er das Innenpolitik-Ressort „Berliner Republik“ bei der Monatszeitschrift „Cicero“.
Ilgin Seren Evisen hat Turkologie und Soziologie studiert und schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland.

Ben Krischke, geb. 1986, ist Journalist, Kolumnist und Autor. Er hat Journalistik an der Hochschule Macromedia studiert und beim Magazin Focus in München und Berlin sowie an der Burda-Journalistenschule in Offenburg volontiert. Texte von ihm sind in verschiedenen Magazinen und Zeitungen gedruckt sowie online erschienen. Darunter Münchner Merkur, Focus und Meedia. Seit Oktober 2021 ist er Redakteur bei Cicero mit den Schwerpunkten Gesellschaft, Politik und Medien. Der gebürtige Memminger lebt in München.

Ahmad Mansour, geb. 1976, ist arabischer Israeli und Diplompsychologe. Seit 2004 arbeitet er in Deutschland für Projekte gegen den Extremismus, unter anderem bei „Heroes“ und in der Beratungsstelle HAYAT. Er ist Programme Director bei der European Foundation for Democracy in Brüssel und beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der muslimischen Gemeinschaft. Von 2012 bis 2014 war Mansour Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz. Seit 2015 ist Mansour wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für demokratische Kultur Berlin. 2014 wurde er mit dem Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz ausgezeichnet.
Dr. Daniel Stelter ist Makroökonom und Strategieberater. Als Autor zahlreicher Expertenbeiträge und aktueller Sachbücher liefert er einen unverstellten Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands.


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