Matter | Das Cambridge Notizheft | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 136 Seiten

Matter Das Cambridge Notizheft


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7296-2078-0
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 136 Seiten

ISBN: 978-3-7296-2078-0
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit einem Vorwort von Joy Matter und einem Essay von Urs Frauchiger zu Manis Reflexionen-- über Gott ...--... und die Welt-- Denken-- Was Wissen schafft-- Die ChansonsAnhang mit Glossar Bei ihm schwang alles ineinander: seine wissenschaftliche Vista und seine auch Kindern zugängliche Anschaulichkeit, seine Mystik und sein Nonsens, sein juristisch fundierter Gerechtigkeitssinn und sein pragmatisch-politisches Handeln, sein Humor und seine philosophische Distanz. Die Ganzheit eines unvollendeten Werks und einer Gestalt ist es, die aus diesen Texten noch plastischer, noch farbiger aufscheint. Aus dem Essay von Urs Frauchiger Mani, unsere drei Kinder und ich verbrachten vom Herbst 1967 bis zum Herbst 1968 ein Jahr in England. (...) Mani war ?fellow visitor? am St. Catherine's College und arbeitete wochentags in der Universitätsbibliothekan seiner Habilitation. (...) Er vermisste Bern. Seine engsten Freunde fehlten ihm, die Diskussionen, bei denen er nicht bei Null beginnen musste, die Teilhabe am Berner Geschehen, und es plagte ihn die Frage, wie seine Zukunft aussehen sollte. Warum diese Habilitation schreiben, wenn er doch gar nicht wusste, ob ihm eine universitäre Laufbahn überhaupt zusagen würde? Das ?Kinnoull Note Book? (K-N), das mit dem 3. Mai 1968 beginnt, füllt eine Lücke in den ?Sudelheften?, die die Tagebücher 1958-1961, 1962, 1963-1965 und 1969-1971 enthalten. Es war ein ganz gewöhnliches, kleinformatiges, liniertes Ringheft, das es an jedem Kiosk oder in den Papeterien von W. H. Smith & Son zu kaufen gab. Da ?Kinnoull? eine Marke ist, haben wir es für die Publikation umbenannt. Der Musiker, Schriftsteller und Freund Urs Frauchiger hat dazu ein Essay geschrieben, das dem K-N seinen zeitgeschichtlichen Rahmen gibt. Aus dem Vorwort von Joy Matter

Mani M atter Eigentlich Hans Peter, geb. 4. August 1936. Jusstudium, Oberassistent an der Universität, dann Rechtskonsulent der Stadt Bern. Mit 17 erste berndeutsche Lieder, später Auftritte im Radio, Konzertemit den Berner Troubadours und Soloprogramme in Kleintheatern. Starb am 24. November 1972 bei einem Autounfall. Tonträger bei Zytglogge: Berner Troubadours Live ZYT 4016 / Ir Ysebahn ZYT 4021 / I han es Zündhölzli azündt ZYT 4024 / Dr Kolumbus ZYT 4035 / Kriminalgschicht ZYT 4057 Bücher bei Zytglogge: Us emene lääre Gygechaschte (1969) / Warum syt dir so truurig? (1973) / Sudelhefte/Rumpelbuch (1974/76) / Einisch nach emene grosse Gwitter (1992) / Das Cambridge Notizheft (2011)
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Cambridge, 3. Mai 1968

Wieder einmal der Versuch, Klarheit zu schaffen durch Aufschreiben auf Papier.

Auseinandersetzung mit den Leuten (Dutschke, Enzensberger), die nach Revolution rufen und den Marxismus applizieren wollen. Richtig ist daran das Anrennen gegen den Immobilismus, sogar wohl die Annahme, dass eine echte Zukunftsperspektive nicht auf traditionellen demokratischen Wegen eröffnet werden kann. Zukunftsperspektive aber ist nötig, darin hat Bloch zehnmal recht, und nicht nur für den Einzelnen, auch für die Gesellschaft. Und auch das Marx’sche Ziel: «alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist», bleibt gültig. Aber der Zentralismus, Ergreifung des Staatsapparates und Diktatur des Proletariats, Verstaatlichung der Produktionsmittel etc. als Mittel dazu – das ist wohl zulässig in unterentwickelten Ländern, wo noch nichts da ist und die Leute lieber einen volkseigenen Betrieb werden aufbauen helfen als einen für die Shell-Oil; aber in Industriestaaten kann sich darauf niemand mehr im Ernst berufen, es ist nur noch ein bequemes Alibi, eine Globalantwort auf den Einwand: Revolution – und was dann? Man verweist auf Marx und glaubt sich weiterer Details enthoben. Aber gerade auf die Details kommt es an, sonst hat man den Patienten von den Masern nur kuriert, um ihm die Diphterie anzuhängen. Den Leuten geht es eben vor allem um die Revolution, die Bewegung und nicht so sehr um das Wohin. Nur die allgemeine Richtung kann man ihnen abkaufen. Vielleicht geht es ihnen allerdings auch nur um einen Stoss in diese Richtung und ist das Gerede von der Revolution nicht ernst gemeint. Dann bin ich sofort dafür. Interessant übrigens der tschechische Versuch, den Kommunismus liberal-demokratisch zu machen. Da wäre ich gerne dabei. Wenn das gelänge, müsste der Westen allerdings zusammenpacken, wäre ihm sein einziges Gegenargument aus den Händen geschlagen!

Die Zukunft der Schweiz: Man revidiert die Verfassung! Will man nur ihren jetzigen Inhalt und [die] Bundesgerichtspraxis in eine bessere Form bringen? Ein ästhetisches Unternehmen also? Das verneinen alle, durch das bekannte Gottfried-Keller- Zitat eingeschüchtert, die Verfassung sei keine stilistische Examensarbeit. Aber warum nicht, das wäre jedenfalls eine konkrete Aufgabe und ein beschränkter Nutzen. Ich bin ganz für die Ästhetik. Aber wenn man glaubt, auch inhaltlich revidieren zu können, wird man die wildesten Enttäuschungen erleben. Man hat ja selbst keine Vorstellungen, wie die Sache aussehen soll, und jetzt versucht man, sie dem Volk als Würmer aus der Nase zu ziehen. Zuerst muss die Zukunftsaufgabe klar sein und dann kann man die Verfassung im gewünschten Sinne revidieren. Wie man’s jetzt macht, ist es ein Selbstbetrug, man glaubt etwas zu tun, indem man betriebsam ist. Und ich glaube, die Zukunft liegt nicht in neuen Staatsformen (was nicht heisst, dass die jetzigen nicht noch verbessert werden können), sondern einerseits vielleicht in überstaatlichen Organisationen und anderseits in neuen Staatsaufgaben und in neuen Formen der Wirtschaft.

Ich habe versucht, politische Postulate aufzustellen für die Schweiz der Zukunft:

«Rassen»gesetzgebung nach englischem Muster zugunsten der Fremdarbeiter, evtl. auch Religionen, m. a. W. integrales Diskriminationsverbot, legal untermauert.

Absolute Chancengleichheit im Bildungswesen.

Überprüfung der Sozialversicherung, oder allgemeiner: der Linderung von Not; National Health Service, oder Ergänzung der IV durch KUV; weshalb soll Invalidität prämiert werden, Krankheit aber nicht?

Demokratisierung der Wirtschaft: innerhalb der Verbände, der Betriebe; Mieterschutz.

Besteuerung nach Reklame-Aufwand: je mehr Reklame nötig, desto unproduktiver, wahrscheinlich.

Grundbesitz-Steuerprivileg abschaffen.

Den Verbänden ihren Platz im Staat in aller Öffentlichkeit zuweisen, aber auch staatliche Kontrolle.

Hilfe an Unterentwickelte.

Kunst. Dass man heute alles machen kann. Gordon Gillick: You can get away with murder. Seine Antwort: Eine bestimmte gesellschaftliche Funktion annehmen: Kinderzimmerdekoration fabrizieren. Ich fühle da eine gewisse Parallelität: Meine Chansons sind auch so etwas: ein beschränktes Genre, müssen beim Publikum ankommen etc. Vielleicht wäre Theaterstücke-Schreiben ähnlich aufzufassen: Die Leute wollen sich am Abend unterhalten und anregen lassen, der «Stückeschreiber» erfüllt ihnen dieses Bedürfnis, wie der Schreiner das Bedürfnis nach Tischen. Ein solider Beruf, Umkehrung des romantischen Künstlerideals.

… Überhaupt kommt mir aus der Ferne die ganze Berner Juristenfakultät immer steriler vor. Wenn ich denke, dass ich dort 6 Jahre studiert und wie wenig geistige Anregung ich dort empfangen habe! Kein Impuls zu selbständiger Arbeit, nichts als aufschreiben und fürs Examen lernen. Und was dann? Was die Alten, der Eugen Huber selig und der Walther Burckhardt selig, sungen, mit einigen kritischen Bemerkungen dazu, um das Gewissen zu beruhigen. Keine Zukunftsperspektive, rein gar nichts, das treue Bild des helvetischen Immobilismus. Und allenfalls noch ein wenig kulturkritisches Lamento über die bösen Verbände, den «Niedergang des Rechts und die Krise des Rechtsstaates», oder wenn’s hoch kam etwas spätromantischer Ästhetizismus. Und was für eine neue Generation wird nachgezogen? Leute wie der O., genau so stockkonservativ, nur jung dazu, was die Sache noch schlimmer macht. Und den J. lässt man aus lauter Borniertheit nach Lausanne gehen. – Ich komme mir vor wie ein Schaf, dass ich nicht schon lange dagegen rebelliert habe. Wenn ich zurückkomme, meiner Seel, ich schliesse mich der Vereinigung für progressive Hochschulen (VPH) an (das sind die, die bei den Reaktionären als Kommunisten gelten).

Omar Khayyam, trans. E. Fitzgerald

For in and out, above, about, below,

‘Tis nothing but a Magic Shadow-show,

Play’d in a Box whose Candle is the Sun,

Round which we Phantom Figures come and go.

‘Tis all a Chequer-board of Nights and Days

Where Destiny with Men for Pieces plays:

Hither and thither moves, and mates, and slays,

And one by one back in the Closet lays.

The Moving Finger writes; and, having writ,

Moves on: nor all your Piety nor Wit

Shall lure it back to cancel half a Line,

Nor all your Tears wash out a Word of it.

And that inverted Bowl we call The Sky,

Whereunder crawling coop’t we live and die,

Lift not thy hands to It for help – for It

Rolls impotently on as Thou or I.

Chansons zu schreiben über die Schwierigkeiten, sich in der Welt zurecht zu finden und die Aktualität auf sein Handeln in Bezug zu setzen. Evtl. auch Versuchung des Rückzugs in die Idylle. – Wenn man Zeitung liest, muss man jede Nachricht in der Generalstabskarte, die man im Kopf hat, eintragen. Schon da kann es ein Gestürm geben. Ferner: Die eine Nachricht empört gegen die eine Gruppe; man will reagieren; dann kommt eine andere, welche die gegenteilige Wirkung hat. Man ist verwirrt. Und dann erst was die Zeitung nicht berichtet, aus Parteilichkeit oder Unwissenheit. Man will sich zurückziehen. Aber wer profitiert, wenn nichts geschieht? Und will ich denen helfen?

[Carmen 70]

Nulli se dicit mulier nubere malle

quam mihi, non si se Jupiter ipse petat.

dicit: sed mulier cupido quod dicit amanti,

in vento et rapida scribere oportet aqua.*

* [Catull, Gedicht 70]

Meine Frau sagt, keinen wolle sie lieber heiraten

als mich, auch nicht wenn Jupiter selbst sie begehrt.

Sagt es: Doch was eine Frau ihrem leidenschaftlich Liebenden sagt,

muss man in den Wind und das reissende Wasser schreiben.

(wörtliche Übersetzung von Andreas Hänni)

[Carmen 5]

Vivamus, mea Lesbia, atque amemus,

rumoresque senum severiorum

omnes unius aestimemus assis!

soles occidere et redire possunt:

nobis cum semel occidit brevis lux,

nox est perpetua una dormienda.*

* [Catull, Gedicht 5]

Leben wir, meine Lesbia, und lieben wir!

Und lass uns das Gerede der allzu strengen Alten

insgesamt für nur einen Rappen wert halten!

Sonnen können untergehen und wiederkehren:

Wir hingegen müssen, wenn uns einmal das kurze Lebenslicht untergeht,

die eine fortwährende Nacht schlafen.

(wörtliche Übersetzung von Andreas Hänni)

[Carmen 8]

Miser Catulle, desinas ineptire,

et quod vides perisse, perditum ducas.

fulsere quondam candidi tibi soles,

cum ventitabas, quo puella...



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