E-Book, Deutsch, Band 98, 100 Seiten
Reihe: Der neue Dr. Laurin
Maybach Annas Geheimnis
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98757-942-4
Verlag: Kelter Media
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der neue Dr. Laurin 98 - Arztroman
E-Book, Deutsch, Band 98, 100 Seiten
Reihe: Der neue Dr. Laurin
ISBN: 978-3-98757-942-4
Verlag: Kelter Media
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Diese Serie von der Erfolgsschriftstellerin Viola Maybach knüpft an die bereits erschienenen Dr. Laurin-Romane von Patricia Vandenberg an. Die Familiengeschichte des Klinikchefs Dr. Leon Laurin tritt in eine neue Phase, die in die heutige moderne Lebenswelt passt. Da die vier Kinder der Familie Laurin langsam heranwachsen, möchte Dr. Laurins Frau, Dr. Antonia Laurin, endlich wieder als Kinderärztin arbeiten. Somit wird Antonia in der Privatklinik ihres Mannes eine Praxis als Kinderärztin aufmachen. Damit ist der Boden bereitet für eine große, faszinierende Arztserie, die das Spektrum um den charismatischen Dr. Laurin entscheidend erweitert. »Sie sind so ein guter Mensch, Frau Mörike«, sagte Anita Brede und tastete nach Beatrix Mörikes Hand. Anita Brede war fünfundneunzig Jahre alt und fast blind. Beatrix, die für einen ambulanten Pflegedienst arbeitete, betreute die alte Dame seit mehr als sechs Jahren zusammen mit zwei Kolleginnen. In ein Heim wollte Frau Brede nicht, und bislang kam sie zurecht, auch dank liebenswürdiger und hilfsbereiter Nachbarn. Sie war noch erstaunlich beweglich und kannte in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung jeden Winkel und jedes Möbelstück. »Ich bin kein guter Mensch, Frau Brede.« »Das weiß ich besser.« Beatrix bearbeitete die feinen weißen Haare der alten Dame vorsichtig mit einer weichen Bürste, bis sie mit der Frisur zufrieden war. »Jetzt sehen Sie wieder sehr gut aus. Nun stelle ich Ihnen noch Ihren Tee hin, und dann muss ich leider gehen.« »Sie sind die Einzige, die sich ein bisschen mehr Zeit nimmt«, fuhr Anita Brede fort. »Und die mir zuhört, wenn ich etwas erzähle. Ihre Kolleginnen sind auch nett, wirklich, darüber kann ich mich nicht beschweren, aber sie hören mir nicht richtig zu, sie sind immer gehetzt, immer in Eile. Da verliert man irgendwann die Lust am Erzählen.« »Ich höre Ihnen gern zu, Frau Brede. Meine Kolleginnen sind jünger, die haben noch kleinere Kinder, wissen Sie, die sind ganz anders belastet als ich. Meine Tochter ist ja schon erwachsen, um die muss ich mich nicht mehr kümmern. Aber weil ich Ihnen zuhöre, bin ich bestimmt kein besserer Mensch.«
Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie 'Der kleine Fürst' in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Der zur Waise gewordene angehende Fürst Christian von Sternberg ist ein liebenswerter Junge, dessen mustergültige Entwicklung zu einer großen Persönlichkeit niemanden kalt lässt. Viola Maybach blickt auf eine stattliche Anzahl erfolgreicher Serien zurück, exemplarisch seien genannt 'Das Tagebuch der Christina von Rothenfels', 'Rosenweg Nr. 5', 'Das Ärztehaus' und eine feuilletonistische Biografie. 'Der kleine Fürst' ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
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»Sie sind so ein guter Mensch, Frau Mörike«, sagte Anita Brede und tastete nach Beatrix Mörikes Hand. Anita Brede war fünfundneunzig Jahre alt und fast blind. Beatrix, die für einen ambulanten Pflegedienst arbeitete, betreute die alte Dame seit mehr als sechs Jahren zusammen mit zwei Kolleginnen. In ein Heim wollte Frau Brede nicht, und bislang kam sie zurecht, auch dank liebenswürdiger und hilfsbereiter Nachbarn. Sie war noch erstaunlich beweglich und kannte in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung jeden Winkel und jedes Möbelstück. »Ich bin kein guter Mensch, Frau Brede.« »Das weiß ich besser.« Beatrix bearbeitete die feinen weißen Haare der alten Dame vorsichtig mit einer weichen Bürste, bis sie mit der Frisur zufrieden war. »Jetzt sehen Sie wieder sehr gut aus. Nun stelle ich Ihnen noch Ihren Tee hin, und dann muss ich leider gehen.« »Sie sind die Einzige, die sich ein bisschen mehr Zeit nimmt«, fuhr Anita Brede fort. »Und die mir zuhört, wenn ich etwas erzähle. Ihre Kolleginnen sind auch nett, wirklich, darüber kann ich mich nicht beschweren, aber sie hören mir nicht richtig zu, sie sind immer gehetzt, immer in Eile. Da verliert man irgendwann die Lust am Erzählen.« »Ich höre Ihnen gern zu, Frau Brede. Meine Kolleginnen sind jünger, die haben noch kleinere Kinder, wissen Sie, die sind ganz anders belastet als ich. Meine Tochter ist ja schon erwachsen, um die muss ich mich nicht mehr kümmern. Aber weil ich Ihnen zuhöre, bin ich bestimmt kein besserer Mensch.« Wieder tastete Frau Brede nach Beatrix‘ Hand. »Sie brauchen einen Mann an Ihrer Seite, jemanden, der Ihnen beisteht, wenn Sie Kummer haben.« »Aber ich habe gar keinen Kummer.« Sachte drückte Beatrix die Hand der alten Dame. Wie klein sie war, wie zart! »Wirklich nicht.« »Das weiß ich auch besser. Sie sind oft traurig, denken Sie, ich merke das nicht?« Diese Worte ließen Beatrix innehalten. »Ich bin nur keine, die ständig redet und lacht«, sagte sie abwehrend. »Ich mag Menschen nicht, die ständig reden und lachen. Das meine ich auch nicht. Ich merke, dass Sie traurig sind, und ich denke, es wäre gut, wenn Sie nicht ganz allein wären, denn Ihre Tochter lebt ja, seit sie nicht mehr bei Ihnen wohnt, ihr eigenes Leben, nicht wahr?« Beatrix schloss kurz die Augen. Sie erinnerte sich, dass sie der alten Dame gegenüber Annas Auszug einmal erwähnt hatte. Es war eine beiläufige Bemerkung gewesen, aber Anita Brede hatte sie nicht vergessen. Sie musste in Zukunft noch vorsichtiger sein mit persönlichen Informationen, dabei gab sie doch schon kaum etwas von sich preis! Aber selbst das Wenige, das ihr gelegentlich entschlüpfte, war offenbar schon zu viel. »Ich komme sehr gut allein zurecht, Frau Brede«, sagte sie, wobei sie sich bemühte, gelassen und zuversichtlich zu klingen. »Wissen Sie, endlich muss ich mich abends nur noch um mich kümmern, um niemanden sonst. Ich liebe meine Tochter, aber sie kann manchmal anstrengend sein.« Stopp, dachte sie, das war schon wieder zu viel Information. Aber zum Glück hakte Frau Brede nicht nach, sondern sagte nur: »Dann ist es ja gut. Ich mache mir nämlich manchmal Sorgen um Sie, Kind.« Kind, dachte Beatrix. Das sagte außer Frau Brede niemand mehr zu ihr. Sie war jetzt achtundvierzig, aber natürlich war sie damit in den Augen eine Fünfundneunzigjährigen noch sehr jung. In den Augen ihrer Tochter und von deren Freundinnen und Freunden jedoch … Sie riss sich von diesen Gedanken los und sagte: »Bis morgen, Frau Brede. Sie müssen sich wirklich keine Sorgen um mich machen. Ich habe Stimmungsschwankungen, das stimmt, aber die hat doch fast jeder Mensch, nicht wahr?« »Das ist wohl wahr«, gab Anita Brede zu. Beatrix drückte noch einmal schnell ihre Hand, dann verließ sie die Wohnung. Sie wusste, dass ihre Kolleginnen Ina und Olga sehr viel mehr von sich erzählten, als sie das tat, und natürlich hatten die meisten alten Leute es gern, wenn man sie an seinem Leben teilhaben ließ. Aber sie konnte das nun einmal nicht und vor allem: Sie wollte es nicht. Sie war trotzdem beliebt, weil sie zwar keine große Rednerin, dafür aber eine sehr gute Zuhörerin war. Etliche der ihr anvertrauten alten Menschen, wie ja auch Frau Brede, erzählten gern von früher, von dem, was sie erlebt hatten, was in ihrem Leben wichtig gewesen war. Und Beatrix hörte genau zu, merkte sich vieles, stellte Fragen und lernte auf diese Weise die alten Damen und Herren oft besser kennen als ihre Kolleginnen, die zwar gern plauderten, aber eher abschalteten, wenn sie Geschichten ›von damals‹ hörten. Beatrix fuhr im Dienstwagen, der so klein war, dass er auch in winzige Parklücken passte, zur nächsten Adresse, wo sie, wie sie wusste, schon sehnsüchtig erwartet wurde: von Gerd Michalzik, einem verwitweten Mann von sechsundsiebzig Jahren, der einen Schlaganfall erlitten hatte und seitdem auf Hilfe angewiesen war. Sie hatte Herrn Michalzik gern, denn er ließ sich nicht unterkriegen. Sie bewunderte ihn dafür. Er jammerte nie, sondern arbeitete mit großer Disziplin daran, sich zumindest einen Teil seiner früheren Unabhängigkeit zurückzuerobern. Die Chancen, dass er das schaffte, standen nicht schlecht. Aber noch konnte er kaum laufen, und sein linker Arm hing, wie er es ausdrückte, ›nutzlos herunter‹. Sie klingelte einmal kurz, dann betrat sie die Wohnung. Wie erwartet, wurde sie mit einem strahlenden Lächeln und einer Erfolgsmeldung empfangen: »Ich konnte heute den Arm zwei Zentimeter heben, Frau Mörike, was sagen Sie nun?« »Ich bin beeindruckt«, erklärte Beatrix. »Zeigen Sie mal!« Er führte ihr das Kunststück vor, und wie immer berichtete er ihr daraufhin von seinem Tag, während sie ihm seine Medikamente verabreichte und ihm bei der Abendtoilette half, bevor sie ihm das Essen wärmte. Als sie sich von ihm verabschiedete, ging es ihr besser als nach dem Besuch bei Frau Brede, die einen wunden Punkt berührt hatte mit der Bemerkung über Beatrix‘ Traurigkeit. Sie stellte den Dienstwagen auf dem Parkplatz ab und eilte zu Fuß zu ihrer letzten Arbeit an diesem Tag: Es war eine Putzstelle. Sie hatte fünf solche Stellen, beim Pflegedienst wussten sie nichts davon. Sie fand, dass es ihre Privatsache war, wie viel und wo sie arbeitete. Ein Jahr noch, dann konnte sie mit dem Putzen aufhören, dann waren alle Schulden bezahlt. Sie sehnte den Zeitpunkt herbei. Natürlich arbeitete sie zu viel, sie wusste das, aber so lange die Schulden nicht bezahlt waren, würde sie keine Ruhe finden. Sie betrat die schicke Wohnung, in der sie in der Regel allein war. Das junge, erfolgreiche Paar, das sie bewohnte, arbeitete um diese Zeit meistens noch. Sie sah auf die Uhr, dann warf sie einen Blick in die Küche und in eins der Bäder, woraufhin ihr ein langer Seufzer entfuhr. Sie hatte ein paar Stunden harter Arbeit vor sich. Aber Anna hatte versprochen, anzurufen, das würde eine angenehme Unterbrechung der Schufterei sein. Sie zog ihre Arbeitskleidung an und fing damit an, das Chaos in der Küche zu beseitigen. * Anna führte eine kleine Pantomime auf und übertrieb dabei mächtig. Dazu hielt sie sich eine leere Bierflasche wie ein Mikrofon vor den Mund und sang lauthals einen gerade aktuellen Hit. Ihre Freundinnen und Freunde bogen sich vor Lachen. »Gut drauf wie immer«, stellte Luis Hombert beifällig fest. Die anderen aus der Clique – Bella Türling, Mimi Leisegang und Noah Brunner – stimmten ihm zu. Wenn Anna Mörike so richtig aufdrehte, blieb kein Auge trocken, und Anna drehte oft richtig auf. Keine Party, auf der sie nicht für Stimmung sorgte, kein Abend in der Kneipe, an dem sie nicht irgendwann fand, es fehle an Leben in der Bude, kein Ausflug, bei dem sie sich nicht etwas ausdachte, womit sie die anderen überraschte. Neulich hatte sie bei einem Stadtbummel plötzlich einen umgedrehten Hut und ein Schild mit der Bitte um eine kleine Spende in der Hand gehabt und lauthals angefangen zu singen. Die Leute waren stehen geblieben und hatten ihr tatsächlich Münzen in den Hut geworfen, während ihre Freundinnen und Freunde ein wenig abseits stehend ihren Augen und Ohren nicht hatten trauen wollen. Bei Anna wusste man nie, was ihr als nächstes einfallen würde. Langweilig jedenfalls war es in ihrer Gegenwart nie. An diesem Abend feierten sie in einer Kneipe Bellas dreiundzwanzigsten Geburtstag. Sie waren Studenten, hatten sich an der Uni kennengelernt, obwohl sie an verschiedenen Fachbereichen waren. Anna studierte Musik, Bella wollte Architektin werden, Mimi Lehrerin, Luis studierte Mathematik und Noah hatte gerade erst gewechselt: von Jura zu Betriebswirtschaft. Aber auch das neue Fach behagte ihm nicht hundertprozentig. Annas Darbietung erregte in der Kneipe natürlich Aufmerksamkeit, und schon bald waren sie nicht mehr zu fünft, sondern es gesellten sich noch andere zu ihnen. Anna war zufrieden, sie hatte erreicht, was sie wollte. Die Stimmung war bombig, und das würde so bleiben, bis die Kneipe schloss. Sie ließ sich auf ihren Platz zurücksinken und winkte dem Mann an der Theke. Kurz darauf bekam sie ein frisch gezapftes Bier, das sie rasch zur Hälfte hinunterstürzte. Singen machte sie immer durstig. Als sie ihr Glas abstellte, begegnete sie einem forschenden Blick aus blauen Augen, die einem blonden Typen gehörten, den sie nicht kannte. Er lehnte an einer der Säulen, von denen es in der Kneipe einige gab, und trank ebenfalls Bier. Sehr lässig stand er da, allein, soweit sie das überblicken konnte. Er lächelte nicht, als sich ihre Blicke begegneten, und er machte auch keine Anstalten, näherzukommen, wie so viele andere, die jetzt, da sie begriffen hatten, dass hier ein...