Mennigen Cotton Reloaded - 08
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8387-2392-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Killer-Apps
E-Book, Deutsch, Band 8, 130 Seiten
Reihe: Cotton Reloaded
ISBN: 978-3-8387-2392-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Digitale Romanserie. Folge 8 - Vier mysteriöse Fälle von Massenmord. Die Opfer: eine gutbürgerliche Familie, eine Hochzeitsgesellschaft, eine Schulklasse und die Einsatztruppe eines Polizeireviers. Die Täter: bis dahin völlig unbescholtene Menschen. Agent Cotton sucht einen gemeinsamen Nenner und findet eine vage Spur: Kurz vor jedem Verbrechen benutzten die Täter ihre Smartphones und aktivierten dort eine bestimmte App. Abends treffen sich Cotton und Philippa Decker zufällig in einem Restaurant. Auf seinem Handy zeigt Cotton seiner Kollegin eine App, die sich selbstständig dort installiert. Decker testet die App. Dann zückt sie ihre Dienstwaffe und richtet sie wie in Trance auf Cotton ... COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie und erscheint monatlich in abgeschlossenen Folgen als E-Book. Nächste Folge: 'Todesspiel' von Alfred Bekker.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
Cotton erreichte den Tatort gegen neun Uhr vormittags. Sechzehn Meilen Fahrt lagen hinter ihm. Die Strecke hatte ihn von Manhattan quer durch die Industrielandschaften New Jerseys ins beschauliche North Caldwell geführt. Diesen Vorort von New York kannte der G-Man bisher lediglich aus einer Fernsehserie als Wohnsitz von Tony Soprano.
Langsam, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, bog er am Ziel in eine malerische Allee und rollte im Schritttempo weiter. Häuser im kolonialen Stil prägten das Straßenbild. Im Morgenlicht präsentierten sich ihre Fassaden blendend weiß. Alles wirkte sehr gepflegt, sehr sauber. Cotton hatte schon Schießereien an hässlicheren Orten erlebt.
Er parkte seinen Dienstwagen hinter einer Ansammlung von FBI-Fahrzeugen und Streifenwagen, stieg aus und folgte einem gewundenen Kiesweg durch einen Vorgarten voller Blumenbeete. An einer von Weinreben umrankten Haustür zeigte er einem Polizeibeamten seinen FBI-Ausweis und betrat den Eingangsbereich. Der Boden bestand aus Marmor, von der Decke hing ein pompöser Kronleuchter. An den Wänden waren gerahmte Fotos, auf denen sich eine gut situierte weiße Mittelstandsfamilie präsentierte. Alle Bilder stammten aus einem professionellen Studio. Posen, Frisuren, Kleidung, Beleuchtung, nichts war dem Zufall überlassen worden.
Die Aufnahmen zeigten ein attraktives Ehepaar in den Vierzigern. Der Mann wirkte wie jemand, der sein Leben damit verbrachte, Unterschriften auf Versicherungsverträgen zu sammeln. Abgesehen von ein paar Fältchen rings um die Augen sah seine Frau auf unnatürliche Weise so aus, als wäre sie seit ihrem dreißigsten Geburtstag keinen Tag älter geworden. Ihre schätzungsweise achtjährige Tochter besaß strohblondes Haar und ein bezauberndes Lächeln. Im Gesicht ihres Teenager-Bruders erblühte eine ziemlich wilde Akne.
Cotton folgte dem gedämpften Geräusch von Stimmen und gelangte in eine Küche von der Größe seines halben Apartments. Fast ein Dutzend Polizisten in Uniform und in Zivil standen hinter einer Absperrung aus gelbem Plastikband, das quer durch den Raum gespannt war.
Unter ihnen bemerkte der G-Man seine Partnerin, Special Agent Philippa »Phil« Decker. Im Moment wirkte sie eher abwesend. Beide Arme hielt sie fest um sich geschlungen, als würde sie trotz ihres Mantels über dem dunklen Hosenanzug frieren. Ihr Gesicht war kreidebleich, was von dem beklemmenden Anblick herrühren mochte, der sich ihr bot. Zu ihren Füßen lagen Hülsen von 9-Millimeter-Geschossen in einer Blutlache am Boden verstreut.
Cottons Blick schweifte zu Sarah Hunter. Die Forensikerin des G-Teams kauerte jenseits der Absperrung am Boden und fahndete nach biologischen und sonstigen Hinterlassenschaften des Täters, wie zum Beispiel Fingerabdrücke oder Fasern. Über ihrer normalen Kleidung trug sie einen antistatischen Einwegschutzanzug, der verhinderte, dass sie den Tatort kontaminierte. Routiniert ließ sie den Lichtkegel einer Stablampe über den Boden gleiten, den sie sorgfältig studierte. Ab und an klaubte sie irgendwelche winzigen Teilchen mit einer Pinzette auf und verstaute jedes einzeln in kleine Plastikbeutel.
Ein paar Schritte daneben stand Joe Brandenburg, Cottons ehemaliger Partner während seiner Zeit beim NYPD. Mit ausdrucksloser Miene, beide Hände in den Hosentaschen vergraben, verfolgte er Hunter bei der Arbeit. In seiner grimmigen Art wirkte er wie ein Relikt aus einer Zeit, als die Polizei ihre Fälle mehr mit den Fäusten als mit kriminalistischen Methoden aufgeklärt hatte. Passend zu diesem Bild steckte er in einer dunklen Macho-Lederjacke. Die Ausbeulung in Höhe der linken Brust rührte vom Halfter her, in dem eine großkalibrige Halbautomatik steckte.
»Hi, Joe.« Cotton platzierte sich neben ihn.
»Wieso mischt ihr euch hier ein?«, knurrte Brandenburg. Feingefühl gehörte nicht gerade zu seinen Stärken. »Halten die Pinsel im Rathaus die New Yorker Polizei für unfähig, einen läppischen Mordfall zu klären?«
»Ich finde es auch schön, dich hier zu treffen«, meinte Cotton lakonisch. Er drehte sich um und stieß beinahe mit einem FBI-Fotografen zusammen. Der blasse Mann dokumentierte den Tatort aus verschiedenen Blickwinkeln. Seine Kamera besaß einen am Objektiv aufmontierten Ringblitz, der eine schattenlose Ausleuchtung ermöglichte. Dessen blendendes Licht flammte in kurzen Abständen auf und bannte eine groteske Szene auf den Speicherchip.
Auf dem Küchentisch standen vier Teller mit blutgetränkten Cornflakes. Davor saß das Ehepaar, dessen Fotos Cotton an der Wand im Flur gesehen hatte. Den Einschüssen nach zu urteilen, hatten sie einem durchgeknallten Killer als Zielscheibe gedient. Offenbar hatte er ein ganzes Magazin geleert. Dem männlichen Opfer stand der Mund wie zu einem Schrei offen. In den aufgerissenen Augen seiner Frau schien das Grauen festgehalten, das sie im Augenblick ihres Todes empfunden hatte. Zu ihren Füßen lagen ein umgekippter Stuhl und die Leiche ihrer Tochter. Ihr Sohn war am hinteren Ende der Küche an der Spüle tot zusammengesunken.
Cotton trat neben Decker. »Was ist hier los?«
»Das sehen Sie doch.« Sie wich seinem Blick aus und bemühte sich, die Bestürzung in ihrem Gesicht zu verbergen. »Bei den erwachsenen Opfern handelt es sich um die Hausbesitzer Mr und Mrs Lancester. Sie saßen gerade beim Frühstück, als es passierte.« Decker deutete mit dem Kinn auf die Leiche des Mädchens. »Das ist ihre Tochter Lucille. Sie wurde mit einem Kopfschuss getötet. Tatwaffe ist eine auf ihren Vater registrierte Browning.«
»Lancester hat erst seine Familie und dann sich selbst erschossen?«, fragte Cotton.
Decker schüttelte den Kopf. »Wie es aussieht, hat der Sohn Randy erst seine Familie und dann sich selbst getötet.«
»Der Sohn?« Cottons Augen verharrten bei dem Jungen. Tatsächlich umklammerte der eine Waffe, die halb unter seinem Körper vergraben war. »Wie alt ist er? Vierzehn?«
»Dreizehn.«
»Und woher hat er die Pistole?«
»Vermutlich aus dem Waffenschrank seines Vaters. Im Schloss steckt noch der Schlüssel.«
»Warum sollte der Junge so etwas tun? Wissen Sie schon etwas über das Motiv?«
»Nein. Es könnte alles Mögliche sein, angefangen von Rache, bis hin zu einem verdrängten ödipalen Komplex. Familiäre Auseinandersetzungen bergen oft rational nicht nachvollziehbare Gründe.«
»Vielleicht wurde der Tatort manipuliert, um dem Sohn den Mord in die Schuhe zu schieben?«
»Daran haben wir auch schon gedacht, aber bisher spricht nichts für diese Theorie. Angenommen, ein unbekannter Täter hätte den Jungen zusammen mit den anderen am Frühstückstisch erschossen – aus welchem Grund sollte er seine Leiche ein paar Schritte weiter weg platzieren? Außerdem ist da der Einschusswinkel der Kugel. Der Verlauf von unten nach oben verweist darauf, dass die Mündung unters Kinn des Jungen gepresst wurde. Jemanden aus der Entfernung so zu treffen ist unmöglich.«
»So ein Blutbad habe ich noch nie gesehen.« Cotton ließ den Blick über die Opfer schweifen. »Kennt man inzwischen die genaue Tatzeit?«
»Gegen sieben Uhr heute früh alarmierten Nachbarn die Polizei, nachdem sie Schüsse und Schreie aus diesem Haus gehört hatten. Die Beamten mussten die Tür aufbrechen, da alle Eingänge und Fenster von innen verriegelt waren. Was ein weiteres Indiz dafür sein dürfte, dass kein Täter von außen eingedrungen ist. Außerdem ist das Gebäude mit einer Alarmanlage, Videoüberwachung und Bewegungsmeldern gesichert. Wir haben sämtliche Systeme überprüft. In den vergangenen Stunden wurde keins aktiviert. Zwar ist die Sichtung des Überwachungsvideos noch nicht abgeschlossen, bisher wurde aber nichts Verdächtiges darauf gefunden.«
»Was war Mr Lancester von Beruf?«
»Er arbeitete in Manhattan als Vertreter bei einer großen Versicherungsgesellschaft. Seine Frau war Hausfrau. Die Kinder gingen beide noch zur Schule.«
»Hatte der Junge irgendwelche schulischen Probleme?«
»Nichts dergleichen. Er ist nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. In der Nachbarschaft galt er als freundlich und hilfsbereit.«
»Mir ist nicht ganz klar, wieso wir in diesem Fall ermitteln. Streng genommen ist das doch Sache der New Yorker Mordkommission.«
»Die Frage müssen Sie schon unserem Chef stellen. Mr High hat uns auf den Fall angesetzt. Sobald wir hier fertig sind, sollen wir ins HQ kommen und ihm Bericht erstatten.«
Sarah Hunter packte die gesicherten Beweise mitsamt ihrem Equipment in zwei Laborkoffer und kam zu Decker und Cotton.
»So«, verkündete sie. »Ich bin mit der Spurensicherung fertig. Ich bin im Labor und werte das Beweismaterial aus.«
»Danke, Sarah«, erwiderte Decker.
In den nächsten Stunden nahmen sich die Agents jeden Raum des Hauses vor, insbesondere das Zimmer des Jungen. Die der Tür gegenüberliegende Wand nahm von der Decke bis zum Boden ein Regal ein. Auf den Brettern waren Bücher und Plastikmodelle von Luxusautos. Rechts standen ein ungemachtes Bett und eine Nachtkommode. An der Wand darüber dienten Poster von drallen Motorradbräuten als Blickfang. Vor dem Fenster stand ein Schreibtisch aus hellem Fichtenholz mit einem Monitor und einem Drucker darauf und einem drehbaren Bürostuhl davor. Der dazugehörige Computer war unter dem Tisch untergebracht.
Cotton drehte sich in der Mitte des Raumes langsam um die eigene Achse und schaute sich aufmerksam um.
»Beunruhigt Sie diese Normalität auch so?«, wollte Decker wissen.
Der Gefragte zuckte nur mit den Schultern. »Offen gesagt, es gibt Dinge, die mich mehr beunruhigen würden. Bilder von sezierten Kleintieren zum Beispiel.«
Seine Partnerin durchsuchte die Schubladen. Unter anderem brachte sie...




