E-Book, Deutsch, 373 Seiten
Mitchell IMPERATOR - Zweiter Roman der GERMANICUS-Trilogie
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7487-5870-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 373 Seiten
ISBN: 978-3-7487-5870-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
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Kolumbus kam nie nach Amerika... Die Neue Welt wurde von den Römern entdeckt, Nachfahren jener antiken Macht, die vor beinahe zweitausend Jahren einen jüdischen Propheten namens Jesus begnadigte und bis heute die Welt beherrscht. Doch nun stellt sich den Erben Roms in der westlichen Hemisphäre ein ebenbürtiger Feind entgegen: Die Azteken, grausame, blutrünstige Krieger, die nicht vor Menschenopfern zurückschrecken, beginnen ihr Reich über den Kontinent auszudehnen. Rom droht Gefahr. Zu allem entschlossen dampft Imperator Germanicus mit seinen gepanzerten Galeeren über den Atlantik, und an den Gestaden von Mexiko begegnen sich zwei uralte Kulturen mit modernen Waffen zum Kampf... Mit diesem Roman setzt Kirk Mitchell seine Germanicus-Trilogie fort, die mit Procurator begann.
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I.
Jedes Mal, wenn die Aztekenpriester Menschen für ihre Götter abschlachteten, schloss sich der römische Botschafter am Hofe Maxtlas III. in seine Gemächer ein. Und Britannicus Musa achtete darauf, dass er nicht vor dem Fenster des oberen Stockwerks verharrte, von dem aus man einen Ausblick über die seichten Wasser des Tetzcoco-Sees auf den Großen Tempel hatte, der die Insel-Hauptstadt beherrschte. Kurz nach seiner Ankunft in Tenochtitlán vor zwei Monaten war er nicht so wachsam gewesen. Was er erblickt hatte, ließ ihn vor dem dämmerigen Bergtal zurückschrecken. Sein Wirklichkeitsempfinden – das zuvor so eisern, so römisch gewesen war – war weit schwächer, als er es vor sich selbst eingestand. Britannicus hielt eine Erholung für unmöglich, solange er sich inmitten eines Volkes aufhielt, das gleichermaßen in Blumen wie in Blut schwelgte. Vor jenem Tag hatte er es nicht für möglich gehalten, dass Blut wie ein kaledonischer Springbrunnen die steinernen Stufen hinabzuplätschern vermochte und erst auf den untersten Stufen zum Stillstand kam. Aber seine Pflichtauffassungen – sowie die Tröstungen des Weines – veranlassten ihn zum Bleiben. Sein Auftrag war ihm durch den Kaiser Germanicus in Rom erteilt worden: Der Oberst sollte Verhandlungen mit Maxtla aufnehmen, um die Spannungen zwischen aztekischen und römischen Truppen zu verringern, die einander über die schlammigen Gewässer des Terminus-Flusses anstarrten. Dem zweihundertdreiundvierzigsten Erben des Caesar Augustus verlangte es mit einer Verzweiflung nach Frieden in den Novo Provinces, die die jüngeren Offiziere seiner Legionen verwirrte. Bisher jedoch war nur wenig geklärt worden, und obwohl sich das über achtzig Jahre zählende Oberhaupt von den Gesprächen ferngehalten hatte, waren Maxtlas Edle doch von ausgesuchter Höflichkeit, ja, nahezu brüderlich in ihren Bemühungen gewesen, dem römischen Botschafter zu Gefallen zu sein. Jedenfalls in allen unwichtigen Belangen. Barfuß tappte Britannicus durch das luftige Zimmer zu dem nach Nordosten zeigenden Fenster – fort vom Großen Tempel und seinem Springbrunnen von Opferstein. Durch den Dunst starrte er auf die Tepeyaca-Festung. Jene erhabene zylindrische Zuflucht umfing einen von drei Dämmen, die die Hauptstadt mit dem Festland verband; eine ähnliche Feste, der Acachinanco, hielt im Süden von Tenochtitlán seine Wacht. Man konnte sie berechtigterweise zu den größten Bauwerken der Welt zählen, und die Dammtunnel, die durch sie führten, waren groß genug, um einer Sandgaleere den Durchgang zu gewähren. Auf der Spitze der Tepeyaca konnte er ein Gebäude erkennen, das mit seinen hochragenden Dachrinnen der serizanischen Architektur nachempfunden sein mochte. Dieser Umstand sowie Informationen, die ihm sein zuverlässigster Agent zugeraunt hatte, überzeugten Britannicus davon, dass sich die Azteken Verbindungen mit jenem großen, mit Seide handelnden Reich erfreuten, das Rom nur durch Berichte belutschischer Händler kannte – die Serizaner gestatteten keinem anderen Volk, in ihre westlichen Außengebiete einzudringen. Den Römern erschien dieses Reich so legendär wie Troja zu sein – und es gab keinen Vergil, der seine Geheimnisse für feierliche Patrizieressen hätte übersetzen können. Die Festung verschwamm vor seinen Augen, und Britannicus’ Gedanken schweiften zurück zu jenem Tag vor einer Woche, als Fürst Tizoc, Maxtlas fähigster General und wahrscheinlichster Nachfolger, ihn auf einen Rundgang durch die Tepeyaca geführt hatte. Schießscharten gab es keine, doch erklärte sich dies, als zwei bronzene Türen gegen starken Druck aufgezogen wurden: Die Tepeyaca diente zum größten Teil als Getreidespeicher, und nur das weiträumige Dach wurde für militärische Zwecke verwendet. Während er die Rampe empor stapfte, die sich um die Außenmauer zu den Brüstungen auf dem Dach wand und über die Arroganz seines aztekischen Gastgebers vor sich hin grinste, versuchte Britannicus, das Volumen des Kornspeichers abzuschätzen. Wie stets stellte er fest, dass die römischen Zahlen für schnelle Berechnungen viel zu unbeholfen waren. Tizoc musste seine Gedanken gelesen haben, denn sobald sie das Festungsdach erreicht hatten, wies der General auf einen schlangenförmigen Schornstein, der vor Tenochtitláns Panorama emporragte und weißen Rauch in die stinkende Luft spie: »Ohne die göttliche Gabe des Spirulina würden wir verhungern – hier wird es verarbeitet, Fürst Musa.« Auf diese Weise war Britannicus zum zweiten Mal darüber unterrichtet worden, dass diese Algenart, die aus der Lagune von Tetzcoco geerntet wurde, die hauptsächliche Eiweißquelle der Azteken darstellte. Im Interesse der Diplomatie hatte er seinen Unglauben hinuntergeschluckt. Auf gar keinen Fall konnte ein Wasserareal, das nur wenig größer als der neue Hafen zu Ostia war, in wesentlichem Umfang zur Ernährung der zehn Millionen Menschen beitragen, die hier in diesem vulkangesäumten Tal zusammengedrängt lebten. Aber Britannicus hatte dem unbeweglichen Barbarengesicht höflich zugenickt: »Ich verstehe...« Hinter ihm scharrten Sandalen über den Boden. Britannicus zuckte zusammen und fing sich wieder, bevor er dem Lächeln eines jener Sklavenmädchen begegnete, die Tizoc den römischen Gesandten für ihre Bequemlichkeit – und ihr Vergnügen – zur Verfügung gestellt hatte. Von den zwölf war sie die hübscheste mit vollen Brüsten und einer wunderbaren Taille. Britannicus vermutete, dass sein Adjutant Lucius Balbus – der sich im Augenblick im unteren Stockwerk aufhielt, um seinen Körper einölen zu lassen – sie bereits im Bett gehabt hatte. Sein Agent hielt das Mädchen für eine der zuverlässigsten Spione des erhabenen Oberhaupts. Wenn Britannicus sie also ansah, stellte er sich vor, dass Maxtlas Ohren an ihrem Kopf angenäht waren. Auf diese Weise gab er sich das Gefühl, den Gottherrscher, den er niemals sehen durfte, direkt anzusprechen. »Zu wessen Ruhm bringen eure Priester an diesem Nachmittag die Gefangenen um?«, fragte er in seinem unbeholfenen Nahuatl. Sie wich seinem Blick aus, während sie seine saubere Tunika und seinen Mantel auf einer Liegestatt ausbreitete. »Für die Göttin Chalchiuhtlicue, Herr.« »Welchen Platz nimmt sie unter euren anderen Göttern ein?« »Sie ist die Gemahlin des Tlaloc.« »Du meinst den Burschen, dem ihr die Kinder opfert?« »Ja, Herr«, sagte sie gelassen. »Ba’al-Ammon-Verehrer«, sagte Britannicus auf Latein; er meinte die punische Feuergottheit, der die Karthager ihre Kinder geopfert hatten. Von einem wenig umsichtigen Sklaven hatte er bereits erfahren, dass Chalchiuhtlicue die Schutzherrin der Unternehmungen auf dem Wasser war. Der Römer hatte nicht lange für die Erkenntnis gebraucht, dass Maxtlas nächste Aktionen gelegentlich anhand des Gottes festgestellt werden konnten, den seine schmierigen Priester durch Menschenopfer zu ehren beschlossen hatten. Britannicus’ Gesicht nahm einen sehnsüchtigen Ausdruck an: Ihr dünner Kittel wurde vom Sonnenlicht durchdrungen, das durch das Fenster in den Raum fiel. Innerhalb ihres leuchtenden Gewandes zeichnete sich die Silhouette ihres nackten Körpers ab. Geistesabwesend fuhr er sich mit der Hand durch sein schütter werdendes rotes Haar, dann wandte er ihr den Rücken zu und sah wieder zur Tepeyaca-Feste hinaus, während er seine wirren Gedanken einer Müdigkeit zuschrieb, die seine gesamten Stimmungen im Laufe der letzten paar Monate durchdrungen hatte. Für einen Mann von dreißig Jahren war er viel zu müde. Vor seiner Abkommandierung nach Tenochtitlán hatten Balbus und er fünf Jahre in Hibernia mit der übelsten aller Legionen, der Dritten, überstanden. Während des letzten Monats ihrer Dienstzeit waren sie von Aufständischen gefangengenommen worden und mit verbundenen Augen von einem Moorloch zum nächsten Fiebersumpf getrieben worden, ohne zu wissen, wann die Klingen durch ihre Kehlen gleiten mochten. Schließlich wurden sie gerettet, ließen sich zur Zehnten Legion in den Novo Provinces versetzen (was so weit von Hibernia entfernt lag, wie man in der römischen Welt zu kommen vermochte) – und verloren während der allgemeinen Verwirrung des Pamphileischen Putsches beinahe ihr Leben. Ein Oberst der Prätorianer war der Ansicht, dass die frisch eingetroffenen Offiziere etwas mit der Ermordung des Kaisers Fabius zu tun haben mochten. Nur die von seinem Nachfolger Germanicus Julius Agricola ausgerufene Generalamnestie hatte Britannicus und Balbus das berüchtigte Rote Bad erspart – die Öffnung einer Ader in einer warmen Wanne unter den harten Augen der Prätorianer. »Fürst Musa.« Aus dem Flur drang eine Kinderstimme in seine Gedanken. »Tritt näher.« Unwillkürlich lächelte der Römer dem kleinen Jungen entgegen, dessen Aufgabe darin bestand, den Eingang zum Gebäude zu bewachen. »Was gibt es?« »Ein Pochtacatl aus Chalcatzingo bittet, dir seine Waren zu Füßen legen zu dürfen.« Der Knabe hielt etwas hinter seinem Rücken. »Zeig mir, was du da hast.« Grinsend hielt der Junge Britannicus einen kleinen steinernen Jaguar entgegen. »Ein Gott – er hat noch viele andere.« »Sag diesem Händler, dass ich keinen Bedarf an Göttern habe«, sagte Britannicus freundlich. »Bring es ihm zurück.« »Aber er verspricht einen anständigen Preis, Herr.« Britannicus strich dem Jungen über das weiche braune Haar. »Wenn die Götter im Spiel sind, gibt es keine Anständigkeit, mein junger Freund.« Er spürte, wie die Augen der Sklavin ihn prüfend musterten. Britannicus schützte ein Gähnen vor, dann winkte er sie herbei, auf dass sie ihn...




