E-Book, Deutsch, 179 Seiten
Mügge Schritt für Schritt
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3227-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 179 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3227-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Kriminalerzählung aus dem hohen Norden. Die Serie 'Meisterwerke der Literatur' beinhaltet die Klassiker der deutschen und weltweiten Literatur in einer Sammlung.
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Er stand von dem Sessel auf und sah scheu umher nach dem Seitentisch. Das Zimmer, in welchem der Tote lag, war verschlossen worden, der Schlüssel lag auf jenem Tisch. Er schritt darauf zu und suchte ihn, es schien ihm, als wäre der Schlüssel fort, und eine Angst überkam ihn siedendheiß. Aber er lag noch auf derselben Stelle. Mit einem raschen Griff hielt er ihn in der Hand und blieb stehen. Die Tür zum Totenzimmer war fest und stark, das Schloß eines, das nicht leicht geöffnet werden konnte, allein wenn einer sich darauf verstand, wenn er Werkzeuge besaß, Gewandtheit und Geschicklichkeit – – Es fiel ihm ein, wie fingerfertig Rachau war, daß er alles verstand, daß er zur Unterhaltung Zauberkunststückchen getrieben hatte wie der beste Taschenspieler. Sein Mißtrauen wuchs, je mehr er nachsann, eine fieberhafte Unruhe setzte sein Blut in Bewegung.
»Es ist mein Recht«, murmelte er, »danach zu sehen. Morgen tut es das Gericht. Es muß, was da ist, unter Gerichtssiegel gelegt werden. Aber bis morgen kann manches geschehen. Der Kasten kann leer sein. Was dann? Wo ist ein Beweis? Wer weiß, was darin war?«
Er stand zögernd und besann sich, dann horchte er an der Tür – es rührte sich nichts im Hause. Er nahm das Licht vom Tisch, kehrte um und setzte es wieder nieder.
Während er leise vor sich hin sprach, sah er nach der Uhr. Mitternacht war vorüber. »Es wird nichts sein«, fuhr er mit sich selbst redend fort, »wir werden morgen erfahren, wie es damit steht.«
»Morgen«, wiederholte er langsam und kopfschüttelnd. Wie viele schon haben vergebens auf morgen gewartet. Hatte er selbst gestern gedacht, was ihm heute geschehen würde?
Nach einer Minute faßte er wiederum nach dem Schlüssel und überlegte, die Hand darüber gedeckt, bis er hastig zufaßte. Dann ging er in sein Schlafzimmer, entledigte sich seiner Stiefel und kehrte zurück in einem grauen Hausrock und weichen Hausschuhen. Behutsam barg er das Licht in einer kleinen Taschenlaterne, derer er sich bediente, wenn er aus der Stadt abends spät nach Haus zurückkehrte, und als alle diese Vorbereitungen beendet waren, trat er mit leisen Schritten in den Flur hinaus, horchend und spähend, geräuschlos schleichend und innehaltend, wenn unter dem Gewicht seines Körpers die Treppenstufen zu knarren begannen.
Ein Dieb, der mit der Blendlaterne eine gefährlich nächtliche Hausdurchsuchung beginnt, konnte nicht vorsichtiger sein. Er hatte Saragossa stürmen helfen, aber sein Herz hatte schwerlich dabei so heftig geschlagen, als es jetzt der Fall war in seinem eigenen Hause. Scham und geheime Furcht überkamen ihn bei dem Gedanken, daß jemand erwachen, ihn hören, ihm begegnen könne. Aber wer sollte das sein? Die Dienstleute schliefen weit ab im Untergeschoß, und wenn selbst einer in der Nähe gewesen wäre, er würde voller Entsetzen sich verkrochen haben, denn sicherlich hätte er um keinen Preis sich mit Geistern und Gespenstern eingelassen. Die Töchter des Majors hatten ihre Schlafzimmer ebenfalls nicht hier oben, es blieben somit nur Gottberg und Rachau übrig, doch auch diese beiden waren nicht so nahe, und jetzt nach mehreren Stunden, mitten in der Nacht, ließ sich von ihnen annehmen, daß sie im festen Schlaf lägen. Endlich aber blieb immer noch manche Ausrede übrig, denn unnatürlich schien es eben nicht, daß der Hausherr nach solchem traurigen Ereignis noch einmal überall nach dem Rechten sah.
Mit allen diesen Gründen stärkte der alte Soldat seinen Mut, der durch sein Verlangen nach Gewißheit und die aufkeimende Begier nach Geld und Gut noch mehr gefestigt wurde. Er empfand kein Grauen vor dem Anblick, der ihn erwartete. Den Tod hatte er in so vielen und schrecklichen Gestalten gesehen, daß der Gedanke an die Nähe dieses Leichnams ihn wenig anfechten konnte. Mit verhaltenem Atem und nach allen Seiten blickend, hatte er jetzt den oberen Vorflur erreicht, und zu seiner Genugtuung ließ die Treppe keinen Laut mehr hören. Das tiefe Schweigen der Nacht wurde nur von dem leisen Klappern eines Fensters unterbrochen, mit dessen losen Scheiben der Wind spielte. Durch einen schmalen Spalt der verschlossenen Laterne drang das Licht und zuckte über die nackten Wände hin, der Richtung folgend, welche ihm der schattenhafte Wanderer gab, bis es an der Tür im Hintergrund haftenblieb, über welcher sich das Bogengewölbe kreuzte.
Auf diese Tür ging der Major jetzt ohne Zögern los. Vorsichtig brachte er den Schlüssel in das Schloß, und da dasselbe, seit Wilkens dies Zimmer bewohnte, frisch geölt worden war, schloß es mit Leichtigkeit und ohne das geringste Geräusch zu machen. Ebenso leicht und leise öffnete sich die Tür, und das Licht fuhr in den düstern hohen Raum, ohne ihn erhellen zu können.
Brand blieb auf der Schwelle stehen, doch seine Hand zitterte nicht, als er die Klappe der Laterne öffnete und sie gegen das Bett richtete. Ein weites weißes Laken bedeckte dieses, unter der Hülle lag der tote Körper, dessen Formen da und dort deutlich wurden. Nachdem der Major einige Augenblicke lang darauf hingeblickt hatte, zog er die Tür leise hinter sich zu und näherte sich der Lagerstätte. Die Kleider des Unglücklichen lagen auf verschiedenen Stühlen, auf dem Tisch lag seine Uhr, der Ring, den er getragen, ein Geldtäschchen und was man an kleinen Gegenständen sonst bei ihm gefunden. Seine Koffer standen an der Wand, vergebens aber blickte der Erbe nach der Kassette umher, sie war nicht zu entdecken. Allein sie fand sich bald, denn sie stand unter dem Bett, und als er sie hervorgezogen, hingen des Majors Blicke mit solchem Verlangen an dem geheimnisvollen Kasten, als wollten sie den metallbeschlagenen Deckel zersprengen. Der Kasten war verschlossen. Er prüfte ihn nach allen Seiten, er hob ihn auf, er wog ihn in der Hand. Der Kasten fühlte sich leicht an. Hatte der Dieb schon sein Werk vollbracht? Der Major zitterte vor Furcht bei diesem Gedanken. Der Schlüssel! Wo war der Schlüssel? Hastig, in gieriger Angst suchte er danach auf dem Tische, in den umherliegenden Kleidern, unter den Geräten, nirgends war er zu finden. Seine Augen blieben an dem Lager des Toten hängen. Es fiel ihm ein, daß auch die anderen Schlüssel fehlten, und daß Wilkens alle zusammen an einem Stahlringe aufgereiht an seiner Weste getragen hatte.
Der Major faßte das Laken und schlug es zurück. Wilkens mußte diese Weste noch anhaben. Er hatte sich nicht getäuscht. Er hörte ein leises Klirren und hielt auch schon die Schlüssel in seiner Hand, die er schaudernd zurückzog; sie war mit den eisigen Fingern des Toten in Berührung geraten.
Das Streiflicht der Laterne flog über das starre, blaßgraue Gesicht, das mit offenen Augen zu ihm aufsah. »Du, der mir alles nehmen wollte«, sagte Brand halblaut zu dem Toten, »du wirst mich nicht mehr peinigen. Welche Qual für dich, daß nun du mir alles geben und lassen mußt.«
In dem Gewölbe klangen seine Worte hohl zurück. Er sah sich um, denn er glaubte ein Rauschen hinter sich zu hören, eine kalte Luft zu fühlen, die ihn anwehte. Ihm fiel die Gespenstersage von der spukenden Tante ein. Aber in der nächsten Minute hatte er die Anwandlung überwunden. »Und wenn sie hier erschiene«, sagte er, sich umschauend, »sie würde mir recht geben müssen. Ich würde ihr vorwerfen können, daß ihr schändliches Testament dies getan hat.«
Indem er sich niederbückte, steckte er den kleinen Schlüssel in das Schloß der Kassette, die mit einem Federdruck aufsprang. Voll der gespanntesten Erwartung schlug er den Deckel vollends zurück, hielt die Laterne darüber, schaute hinein, griff mit der Hand dem Lichtschein nach und fuhr überrascht in die Höhe. Erstaunen, Ärger und Enttäuschung malten sich in seinem Gesicht.
»Ist das möglich?« rief er unwillkürlich laut. »Ist das alles?«
»Alles!« antwortete eine Stimme.
Entsetzt prallte der Major zurück, eiskalter Schrecken drang ihm bis ins Mark. Er streckte die Hand mit der Laterne vor sich aus, in deren Schimmer er eine weiße schmale Gestalt an der Tür stehen sah.
»Wer da?« schrie der alte Soldat, seiner Natur folgend.
»Nichts ist darin«, antwortete die Gestalt, sich leise nähernd, »als diese Strickleiter und dieser Stock, der als Kurbel dienen kann, sowie diese kleine doppelläufige Pistole.«
»Rachau«, murmelte der Major mit einem tiefen Atemzug.
Rachau, in einem weißgrauen Morgenmantel, winkte ihm beruhigend zu. »Lassen Sie uns leise sprechen«, sagte er. »Ich konnte nicht schlafen und wurde durch ein Geräusch, das ich zu hören glaubte, hierher geführt. Leicht könnte es anderen ebenso gehen wie mir. Ich kann Ihnen über den Inhalt des Kastens einigen Aufschluß geben«, fuhr er fort, »denn wahrscheinlich sind Sie in der Absicht gekommen, diesen Behälter, in welchem Sie Sachen von besonderem Wert vermuteten, in Ihre Obhut zu nehmen?«
Diese Frage hatte einen so spöttischen Klang, daß Brand, dessen Bestürzung und Scham ohnehin groß genug waren, nur mit einem unverständlichen Gemurmel antwortete.
»Ihr Irrtum war ein sehr verzeihlicher«, sagte Rachau, »denn es gibt wenige, die nicht von diesem Kasten getäuscht worden sind. Die Sorgfalt, mit welcher unser verewigter Freund ihn behandelte, ihn nie von sich ließ, keine Reise ohne ihn antrat, mußte jedermann glauben...




