Nesbø | Doktor Proktors Zeitbadewanne | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 344 Seiten

Reihe: Doktor Proktor

Nesbø Doktor Proktors Zeitbadewanne


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-401-80082-0
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 2, 344 Seiten

Reihe: Doktor Proktor

ISBN: 978-3-401-80082-0
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wer mit dem genialen Professor Doktor Proktor in einer Straße wohnt, dem wird es nie langweilig. Diesmal lernen Lise und Bulle eine weitere verrückte Erfindung kennen: die Zeitbadewanne! Man muss nur Wasser einlassen, warten, bis die Zeitseife ordentlich schäumt, dann untertauchen und - wutsch! - befinden sich die beiden Kinder auf einer unglaublichen Reise durch Raum und Zeit.

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1. Kapitel

Eine Postkarte aus Paris

n der Turnhalle herrschte tiefe Stille. Kein Tönchen war zu hören von den zwölf braunen Sprossenwänden, dem alten, mit rissigem Leder bespannten Turnpferd oder den acht grauen, verschlissenen Seilen, die reglos von der Decke herabhingen. Oder von den sechzehn Jungen und Mädchen, den Mitgliedern der schuleigenen Blaskapelle, die jetzt gebannt auf Dirigent Madsen starrten.

»Fertig . . .«, rief Madsen, hob den Taktstock und schielte sie durch die dunklen Gläser seiner Pilotensonnenbrille an. Madsen fürchtete sich schon vor dem ersten Ton, sein Blick suchte hoffnungsvoll nach Bulle. Er wusste, dass die anderen Mitglieder der Schulkapelle seinen rothaarigen Trompeter neckten, weil er so was von winzig war. Anders als sie aber war der kleine Knirps immerhin musikalisch und konnte sie vielleicht retten. Da Madsen Bulle nicht entdeckte, richtete er seinen Blick auf Bulles einzige Freundin – Lise mit der Klarinette. Er wusste, sie war die Einzige in der Schulkapelle, die zu Hause übte. Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung.

»Fertig...«

Alle setzten die Instrumente an die Lippen. Es war so still, dass von draußen die Geräusche des warmen Oktobernachmittags zu hören waren: Vogelgezwitscher, ein Rasenmäher und das Lachen spielender Rotzgören. Doch hier in der Turnhalle war es finster. Und es sollte noch finsterer werden.

»Los!«, schrie Madsen und vollführte einen majestätischen Bogen mit seinem Taktstock.

Erst passierte gar nichts und zu hören waren nach wie vor nur Vögel, Rasenmäher und Rotzgören. Dann blökte zaghaft eine Trompete, piepste verhalten eine Klarinette und wummste ein tastender Schlag auf der Pauke. Dann schnarrte die Trommel so überraschend los, dass der Junge am Waldhorn erschrak und sein Instrument einen Pups von sich gab. Ganz weit hinten schnaubte etwas Dickes, das Lise an einen Blauwal erinnerte, der nach einer geschlagenen Woche unter Wasser erstmals wieder an die Oberfläche kommt. Wirkliche Töne waren in all dem Gepruste jedoch noch nicht zu vernehmen und Madsens Gesicht lief bereits rot an, was auf einen baldigen Wutausbruch hindeutete.

»Drei – vier!« Madsen schwang den Taktstock, als wäre der eine Peitsche und die Schulkapelle die Rudersklaven auf einer altrömischen Galeere. »Na los, verflucht noch mal! Spielt! Das soll doch nicht im Ernst die Marseillaise sein! Lasst was hören!«

Aber nichts war zu hören, das der Marseillaise, der französischen Nationalhymne, auch nur entfernt glich. Die Gesichter vor Madsen starrten verzweifelt in die Noten oder kniffen die Augen zusammen, als ob sie auf dem Klo sitzen und drücken würden.

Madsen gab es auf. Als die Tuba endlich einen tiefen, einsamen Rülpser zustande brachte, ließ er die Arme sinken.

»Stopp, stopp!«, rief Madsen und wartete, dass die Tuba wieder zu Atem kam. »Wenn die Franzosen euch hören würden, würden sie euch zuerst köpfen und dann verbrennen! Erweist der Marseillaise gefälligst Respekt!«

Während Madsen weitermeckerte, lehnte Lise sich zu dem Stuhl neben ihr und flüsterte: »Ich hab Doktor Proktors Karte dabei. Irgendwas stimmt nicht mit der.«

Die Stimme, die ihr antwortete, kam hinter einer verbeulten Trompete hervor: »Wird eine ganz gewöhnliche Postkarte sein, wenn du mich fragst. ›Liebe Lise, lieber Bulle, herzliche Grüße aus Paris, euer Doktor Proktor‹. So in der Art, oder?«

»Nein, ganz...«

»Das ist dann wirklich eine ungewöhnlich gewöhnliche Postkarte, Lise. Merkwürdig ist nur, dass so ein absolut ungewöhnlicher Mensch wie Doktor Proktor eine so gewöhnliche Karte schreibt.«

Madsens dröhnende Stimme unterbrach sie: »Bulle! Bist du hier?«

»Jaaaaaawoll, Herr Hauptmann!«, tönte es hinter der zerbeulten Trompete hervor.

»Hoch mit dir, dass wir dich sehen können!«

»Wird gemacht, Herr Oberkommandeur der lieblich säuselnden Musik und aller Töne des Universums!«

Und ein kleiner, rothaariger Junge mit großen Sommersprossen und breitem Grinsen kam hinter dem Notenständer hervor und hüpfte auf den Stuhl. Übrigens war er nicht nur klein, sondern winzig klein. Und sein Haar war nicht nur rot, sondern ritzeratzerot. Und sein Grinsen war nicht nur breit, sondern es teilte seinen kleinen Kopf fast in zwei Hälften. Und seine Sommersprossen waren nicht nur groß, sondern . . . ach doch, stimmt, sie waren nur groß.

»Spiel uns die Marseillaise vor, Bulle!«, polterte Madsen, »und zwar so, wie es sich gehört!«

»Zu Befehl, Mutter aller Dirigenten und König aller Janitscharenkapellen nördlich der Sahara und östlich der...«

»Lass den Quatsch und spiel!«

Und Bulle spielte. Ein weicher, warmer Ton stieg zur Decke der Turnhalle empor und schwebte aus dem Fenster in den warmen Herbstnachmittag nach draußen, wo die Vögel verstummten, beschämt über ihren eigenen Gesang, als sie diesen Wohlklang hörten. So dachte jedenfalls Lise, während sie ihren Lieblingsnachbarn und besten Freund auf der Trompete seines Großvaters spielen hörte. Lise mochte ihre Klarinette, aber diese Trompete hatte irgendwie etwas Besonderes. Und besonders schwierig zu spielen war sie auch nicht. Bulle hatte ihr beigebracht, ein Stück auf der Trompete zu spielen, nämlich »Ja, wir lieben dieses Land«, die norwegische Nationalhymne. Natürlich spielte sie nicht so gut wie Bulle, aber sie träumte heimlich davon, »Ja, wir lieben dieses Land« eines Tages vor großem Publikum auf der Trompete zu spielen. Welche eine Vorstellung! Doch Vorstellungen sind Vorstellungen und Träume sind nur Träume.

»Gut, Bulle!«, rief Madsen. »Und jetzt noch mal alle mit Bulle zusammen! Eins-zwei-drei-vier!«

Und die Blaskapelle legte los. Rumpelnd, pumpelnd, polternd: Trommeln, Saxofone, Waldhorn, Glockenspiel und Zymbeln; es klang, als ob jemand eine ganze Küche auf den Kopf stellen würde und alles würde aus Schränken und Schubladen zu Boden scheppern. Dann gesellten sich auch noch die Pauke und die Tuba dazu. Die Turn-halle erbebte. Die Sprossenwände klapperten mit den Zähnen, die Kletterseile hingen schräg wie bei Sturm und das riesige Turnpferd hoppelte Zentimeter um Zentimeter auf den Ausgang zu, als wollte es die Flucht ergreifen.

Als sie die Marseillaise endlich durchhatten, war es wieder ganz still. Sowohl in der Turnhalle als auch draußen. Kein Vogelgesang, kein Kinderlachen. Nur der Widerhall des letzten verzweifelten Schlages der Zwillinge Truls und Trym auf die Trommelfelle von Trommeln und Ohren.

»Danke«, stöhnte Madsen. »Ich glaube, das reicht für heute. Die nächste Probe ist am Montag.«

»Doch, mit der Karte stimmt was nicht«, sagte Lise, als sie und Bulle nach Hause in die Kanonenstraße gingen. Es wurde abends schon herbstlich früh dunkel, das gefiel ihnen. Besonders Bulle, der helle Sommernächte eine etwas weniger als mittelgute Erfindung fand. In seinen Augen waren dunkle, warme Herbstabende mit viel Versteckspiel und Äpfeln aus Nachbars Garten eine geniale Erfindung, ja, geradezu in Doktor-Proktor-Qualität. Und für Bulle war der Professor der beste Erfinder der Welt. Zwar meinte der Rest der Welt, Doktor Proktor habe noch nie etwas Brauchbares erfunden, aber was wussten schon die anderen? Wer zum Beispiel hatte das wirksamste Pupspulver der Welt erfunden? Noch wichtiger war natürlich, dass Doktor Proktor den besten Karamellpudding der Welt zubereitete, dass er der beste Freund und Nachbar der Welt war und Bulle und Lise beigebracht hatte, sich nicht weiter darum zu kümmern, dass alle anderen in ihnen dreien nichts sahen als ein jämmerliches Trio, bestehend aus einem Winzling mit roten Koteletten, einem etwas furchtsamen Mädchen mit Zöpfchen und einem überdurchschnittlich verrückten Professor mit verrußter Motorradfahrerbrille.

»Wir wissen nämlich etwas, das die nicht wissen«, sagte Proktor immer. »Wenn Freunde einander versprechen, immer zusammenzuhalten, dann sind eins plus eins plus eins sehr viel mehr als drei.«

Und recht hatte er! Allerdings war der Professor für einen Freund ziemlich schreibfaul. Eine magere Postkarte, mehr hatten sie in den drei Monaten nicht bekommen, seit der Professor sich auf sein Motorrad gesetzt, den Lederhelm festgeschnallt und sich verabschiedet hatte, um nach Paris zu düsen, wild entschlossen, die große Liebe seines Lebens wiederzufinden: Juliette Margarine. Vor vielen, vielen Jahren, als er noch in Frankreich studierte, war sie unter mysteriösen Umständen verschwunden. Lise und Bulle hatten das Foto von Juliette gesehen, das im Labor des Professors hing, ein Foto aus der Zeit, als die beiden noch jung waren. Aber sie wirkten auf dem Foto so glücklich, dass Lise feuchte Augen bekommen hatte. Ja, eigentlich war es sogar Lise, die den Professor überredet hatte, zurückzufahren und sie zu suchen.

»Nein wirklich, mit der stimmt was nicht«, wiederholte Lise und hielt ihm die Karte hin. »Sieh selbst.«

Bulle betrachtete die Postkarte des Professors.

»Hm«, murmelte er. Er blieb unter der nächsten Straßenlaterne stehen und studierte sie eingehend; die Hms, die er dazu von sich gab, klangen alle nachdenklich und...


Jo Nesbø, 1960 geboren, arbeitete viele Jahre lang erfolgreich als Broker, aber am bekanntesten ist er als Sänger der damals populärsten norwegischen Band «Di Derre» und als Schriftsteller für Kriminalromane. Bereits sein Debütroman wurde zum «besten skandinavischen Krimi des Jahres» gekürt. Inzwischen ist Jo Nesbø der erfolgreichste Autor Norwegens und in über 20 Ländern mit seinen Büchern vertreten. «Doktor Proktor» ist seine erste Kinderbuchfigur.



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