E-Book, Deutsch, 388 Seiten
Newman Der Cambridge-Killer
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98690-711-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller
E-Book, Deutsch, 388 Seiten
ISBN: 978-3-98690-711-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ruth Newman ist in Reading geboren und in London aufgewachsen. In Cambridge studierte sie Soziologie, Politikwissenschaften und Psychologie und arbeitet dort heute als Online-Redakteurin für die University Business School. In ihrer Freizeit schreibt sie liebend gerne packende Thriller. Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Thriller »Die Witwer - Wem kann sie noch trauen?« und »Der Cambridge-Killer«.
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Kapitel 2
»Sie ist völlig abwesend«, sagte Denison in sein Handy.
Detective Chief Inspector Weathers klang frustriert. »Was heißt das? Ist sie immer noch katatonisch?«
»Na ja, eigentlich nicht. In ihrem Fall handelt es sich um eine ernste psychomotorische Störung, aber der Laie würde so etwas vermutlich als Katatonie bezeichnen. Ich habe ihr Antidepressiva verschrieben, aber die brauchen in der Regel eine Weile, bis sie wirken. Es könnte sein, dass wir ihr in Kürze Elektroschocks verabreichen müssen, sonst besteht die Gefahr, dass sie an Unterernährung stirbt.«
Denison blickte durch das Fenster in Olivia Corscaddens Zimmer, wo das Mädchen unter weißen Tüchern in einem Krankenbett lag. An ihrem Arm hing eine Infusion, die sie mit genug Flüssigkeit versorgte, um zu vermeiden, dass sie dehydrierte, doch die Schwestern mussten sie wie ein Baby füttern. Sie pürierten das Essen und schoben es ihr löffelweise in den Mund. Die Hälfte des Essens landete in der Papierserviette auf ihrer Brust; die andere Hälfte schien sie automatisch und mit leerem Blick zu schlucken.
Sie war ein hübsches Ding, dachte Denison, sogar mit dem blauen Auge und der geplatzten Lippe. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was diese extreme Reaktion hervorgerufen hatte. Hatte sie den Mord gesehen? Hatte sie selbst den Mörder abgewehrt?
War die Identität des Schlächters von Cambridge in diesem abwesenden Kopf eingeschlossen?
»Also, wenn Dornröschen deine Zeit verschwendet, könnte ich dich in Cambridge brauchen«, sagte Weathers. »Hast du heute schon Zeitung gelesen?«
»Nein, ich war seit vier Uhr früh hier«, antwortete Denison. »Aber mein Wagen ist immer noch in der Werkstatt, also werde ich den Zug nehmen und mir vorher am Bahnhof ein bisschen Lektüre holen.«
»Ein oder zwei Blätter vertreten die Meinung, dass die Behörden jetzt akzeptiert haben, dass es sich um einen Serienmörder handelt, weil ich mit den Ermittlungen beauftragt wurde.«
»Aha«, sagte Denison. »Ich hoffe, du fühlst dich bestätigt?«
Ein Schnauben kam durch die Leitung. »Nein. Nur genervt, weil die Boulevardpresse recht hatte und meine Vorgesetzten nicht. Ruf mich an, wenn du da bist.«
Alle Boulevardblätter am Zeitungskiosk in King’s Cross trugen fette Schlagzeilen zu dem Mord.
»WER WAR ES?«, fragte die Sun in Riesenbuchstaben. »ZWEI MÖRDER«, behauptete der Mirror. »STUDENTIN SAH MORD – UND LIEGT IM KOMA«, titelte der Daily Star. Denison kaufte alle drei zusammen mit seiner Standardlektüre, dem Guardian, und nahm den Zug um 10.52 nach Cambridge.
Er bekam einen Fensterplatz und schlug den Guardian auf. Auf Seite drei stand ein ausführlicher Artikel darüber, was es zu bedeuten hatte, dass Stephen Weathers erneut zum Leiter der Ermittlungen berufen worden war. Der Guardian hatte offensichtlich eine Quelle in der Polizei, aus der – zu Recht, wie Denison zufällig wusste – verlautete, dass Weathers sich bei seinen Vorgesetzten unbeliebt gemacht hatte, als er sich weigerte, seine Aussage zurückzunehmen, dass nur ein Killer für die zurückliegenden Morde an zwei Studentinnen aus demselben College in Cambridge verantwortlich sei. Man hatte einen anderen Beamten mit den Ermittlungen im zweiten Mordfall betraut und Weathers in den Hintergrund gedrängt. Er hatte zusehen müssen, wie mögliche Spuren und Verdachtsmomente von einem Mann missachtet wurden, der entschlossen war, seinen Vorgesetzten in dem Glauben beizustehen, die beiden Morde hätten nichts miteinander zu tun.
Und jetzt war eine dritte Studentin tot; nun konnte niemand mehr Zweifel daran haben, dass ein Serientäter das Ariel College unsicher machte.
Denison faltete die Zeitung zusammen und schlug den Daily Star auf. Die Story des Regenbogenblatts konzentrierte sich ganz auf Olivia Corscadden, jene Studentin, die gegenwärtig in einem Krankenhausbett in Coldhill lag, in der psychiatrischen Abteilung, die Denison leitete. Fälschlicherweise stand in dem Bericht, sie läge im Koma, nachdem sie vermutlich von dem Mörder angegriffen worden war, und befinde sich in kritischem Zustand. Er zuckte leicht zusammen, als er seinen Namen las – »Dr. Matthew Denison war nicht zu sprechen«. Er vermutete, dass Janey, seine Sekretärin, bei telefonischen Nachfragen einfach wieder aufgelegt hatte.
Denison blätterte weiter, bis er zu einem Leitartikel über den Fall kam, der mit den Worten endete: »Dachte der Schlächter, er habe auch sie umgebracht? Wenn ja, wie wird er dann auf die Neuigkeit reagieren, dass sie überlebt hat und ihn ohne Zweifel identifizieren kann? Könnte Olivia Corscaddens Leben noch immer in Gefahr sein?«
Denison spürte, dass ihn jemand anstarrte. Er ließ die Zeitung sinken und ertappte einen hochnäsig aussehenden Mann mit glänzenden braunen Halbschuhen und einem Haarschnitt, der in Denisons Augen typisch für Absolventen einer Privatschule war (wallend, mit Mittelscheitel und lang genug, um den Kragen zu berühren), dabei, wie er ihn wütend von seinem Sitz einige Reihen entfernt anstarrte.
Der Blick des Mannes wanderte betont langsam zur Titelseite der Zeitung, bevor er zu Denison zurückkehrte. Die Anspielung war klar: So einen Dreck sollte man in einem Zug voller gebildeter Menschen aus Cambridge nicht lesen.
Weil er wusste, dass er einem gänzlich Unbekannten kaum erklären konnte, warum er anscheinend solch ein blutrünstiges Interesse an den Morden hegte, stopfte Denison die Boulevardblätter beschämt unter seine Aktentasche und vergrub sich hinter den Neuigkeiten aus aller Welt im Guardian.
Er rief Weathers an, sobald er in Cambridge am Bahnhof stand.
»Komm ins Ariel College«, sagte Weathers. »Ich stell draußen einen Uniformierten auf, der dich reinbringt.«
Die Aussicht, an den Schauplatz des Mordes zurückzukehren, reizte Denison nicht, da er den Geruch nach Blut und Eingeweiden noch gut in Erinnerung hatte. Dabei war es so ein schönes College, eine kunstvolle Ansammlung von Gebäuden im gotischen Stil, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichten. Doch seit den Morden dachte er bei ihrem Anblick eher an eine bedrohliche Falle, so wie ein Mensch mit Arachnophobie, wenn er ein Spinnennetz sah. Würde es je wieder wie ein College erscheinen oder würde es für immer ein düsterer Ort bleiben und die gleichen Assoziationen auslösen wie Rillington Place oder die Cromwell Street? Die Häuser der Mörder Christie und West waren nach den Gerichtsverhandlungen abgerissen worden. Das konnte man mit dem Ariel College wohl kaum machen.
Eine Gruppe Reporter hatte vor dem College Stellung bezogen. Als sein Taxi vor dem Tor hielt, sah Denison einen jungen Studenten aus dem Tor kommen, der sofort von den Reportern umlagert wurde. Der Student kämpfte sich bis zu seinem Fahrrad vor, das auf dem Straßenpflaster vor dem Tor angekettet war, schloss es auf und sprang auf den Sattel. Die Reporter ignorierten sein Schweigen und bombardierten ihn weiter mit Fragen.
»Machen Sie gefälligst den Weg frei!«, rief der Student, und das Vorderrad wackelte heftig, als er versuchte, das Gleichgewicht zu halten, ohne vorwärtszukommen. Er fuhr einem Fotografen über den Fuß und trat die Flucht an.
»Jetzt sind Sie dran«, sagte der Taxifahrer zu Denison und gab ihm sein Wechselgeld. Als Antwort schnitt Denison eine Grimasse und stieg aus dem Taxi.
Die Reporter erkannten ihn sofort.
»Wie geht es Olivia, Dr. Denison?«, erkundigte sich einer.
»Hat sie schon ausgesagt?«, fragte ein zweiter. »Kennt sie den Schlächter?«
»Kein Kommentar«, sagte Denison und suchte mit dem Blick nach dem Polizisten, der ihn durch diese Meute geleiten sollte. Ein junger Beamter, der in seiner Uniform schwitzte, begegnete Denisons Blick und erkannte schließlich, wer er war.
»So, Leute«, sagte er, streckte den Arm aus und umfasste Denisons Ellbogen. »Lasst den Doktor mal durch.«
Eine Reporterin verdrehte die Augen, und Denison, dem das nicht entgangen war, konnte ein Lächeln in ihre Richtung nicht unterdrücken, als er sich wegführen ließ.
Sie sah ihre Chance und fragte: »Was machen Sie heute hier, Dr. Denison?«
»Ich versuche nur zu helfen«, erwiderte er, und dann waren er und der Polizist durch das Tor und in der Stille des Hofes. Es war friedlich hier, nur das sanfte Plätschern des Springbrunnens in der Mitte des leuchtend grünen Rasens war zu hören, und auf einer Laterne saß ein tschilpendes Spatzenpärchen.
»Hier lang, Doktor«, sagte der Polizist. »Der Detective ist im Carriwell Court." Denison folgte ihm denselben Weg entlang, den er auch in der Mordnacht genommen hatte. Er und Weathers hatten in der Stammkneipe des Detective gezecht, als der Anruf gekommen war. Daran, wie sich das Gesicht seines Freundes gerötet hatte, hatte er erkannt, dass der Anrufer ihm erzählte, es habe einen weiteren Mord gegeben. Hätten Weather’s Vorgesetzte seiner Theorie von einem Serienkiller geglaubt, dann wären vielleicht genug Polizeibeamte im College gewesen, um den Mörder von dieser dritten Tat abzuschrecken.
Jetzt war es zu spät.
»Sie und der Detective kennen sich schon lange, oder, Sir?«, fragte der Polizist.
»Mhmm«, machte Denison. »Wir waren auf der gleichen Uni.«
»Wie war er denn so als Student, Sir?«, erkundigte sich der junge Constable, und ein Lächeln spielte um seine Lippen. »Ein Streber? Vor jeder Prüfung früh ins Bett und so?«
Denison wunderte sich über den Eindruck, den Weathers anscheinend bei seinen Untergebenen hervorrief. Soweit Denison sich erinnerte, war er derjenige gewesen, der Weathers gebeten hatte, die Musik leiser zu stellen,...




