E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Nichols Grünes Glück
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7317-6256-0
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichte eines Gartens
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-7317-6256-0
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beverley Nichols (1898-1983) war ein britischer Schriftsteller und großer Gartenkenner. Er schrieb über 60 Bücher - Romane, Reisebeschreibungen, Kinder- und Kriminalgeschichten und neun Gartenbücher.
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Kapitel I
Wir ziehen um
Ich gebe auf«, sagte ich zu Gaskin, während ich mich in einen Sessel plumpsen ließ. »Wenn ich mir noch ein Haus ansehen muss, drehe ich durch. Sie müssen die Suche übernehmen.«
Mit gebührender Höflichkeit wies Gaskin mich darauf hin, dass er genug damit zu tun habe, ein Haus in Ordnung zu halten und sich um die mannigfaltigen Bedürfnisse seines Besitzers zu kümmern, ohne sich dazu noch auf die Suche nach einem zweiten begeben zu müssen.
»Es ist aber nicht zu ändern. Sie müssen. Ich werde auswärts essen, meine Kleider geben wir in die Reinigung am Ende der Straße, und Mrs Thing kann kommen und Ihnen beim Saubermachen helfen.«
Die ersten beiden Vorschläge riefen auf Gaskins Gesicht Bestürzung hervor, die sich bei der Erwähnung von Mrs Thing in Abscheu verwandelte. Mit eisiger Stimme teilte er mir mit, dass er sich, sollte Mrs Thing auch nur einen Fuß in seine Küche setzen, gegen seinen Willen gezwungen sähe, aus dem Fenster zu springen.
»Dann besorgen Sie eben jemand anderen. Es muss doch Dutzende geben. Hauptsache, Sie finden ein Haus für uns.«
Er zog die Augenbrauen hoch. Abgesehen davon war ihm keine Gefühlsregung anzumerken.
Ich griff nach der Abendzeitung. (Ach ja, die Niedertracht und Ruchlosigkeit von Arbeitgebern, die einer Auseinandersetzung aus dem Weg gehen wollen, von der sie wissen, dass sie sie nicht gewinnen können!) »Und jetzt« – als sei das Thema damit erledigt – »hätte ich gern einen Drink.«
»Einen großen?« Wie viel Bedeutung man doch in zwei Worte legen kann.
»Einen sehr großen.«
*
Ich sehnte mich nach Grün. Ich verzehrte mich nach dem nächtlichen Rauschen von Bäumen. Ich vermisste das Gefühl von Gras anstelle des ewigen Asphalts unter meinen Füßen, und wäre es nur ein kleines, staubiges Stückchen Rasen. Es wäre zumindest nachgiebig und lebendig und würde einen Teil seiner Lebendigkeit auf mich übertragen.
Ich hatte dieses Gefühl noch nie gehabt. Früher, als ich die Hälfte meiner Zeit auf dem Land verbringen konnte, hatte ich die Stadt als lebendig und bunt und anregend empfunden. Wenn man von Freitag bis Dienstag von Wiesen und Feldern und Hecken umgeben ist, besitzt man Kraftreserven, die einen selbst die längste und dunkelste Straße entlangtragen. Wenn man seine Lungen mit frischer, sauberer Luft gefüllt hat, angereichert mit den berauschenden Düften der Natur – dem Duft von Moos nach einem Regen oder von Bohnenfeldern am Abend, dem Rauch brennender Apfelholzscheite, dem unbeschreiblichen Hauch, der wie ein Zauber über einem frischgemähten Rasen liegt – wenn man all diese Wonnen tagelang genießen durfte, können die giftigen Ausdünstungen der Stadt einem nichts anhaben.
Doch wenn man Woche für Woche nur von Mauern und Steinen umgeben ist, so wie es mir jetzt ging, schwinden alle Widerstandskräfte langsam aber sicher dahin, bis man zu guter Letzt von einer Art Hysterie befallen wird. Die Stadt verwandelt sich in ein Gefängnis, die Häuser werden zu Gefängnismauern, die Schornsteine zu Zinnen, jeder Passant ist ein Gefängniswärter, und der Himmel verbirgt sich hinter einem Gitter aus Rauch.
An diesem Punkt war ich angelangt. Ich war innerlich so angespannt, dass ich glaubte, platzen zu müssen, wenn ich gezwungen wäre, noch länger in dem kleinen Haus in Westminster zu bleiben. Westminster! Wie angenehm es gewesen war, diesen Namen auf dem eigenen Briefpapier zu sehen. Manch einer würde sicher denken, man hätte etwas mit dem Unterhaus zu tun (obwohl das Elektrizitätswerk viel näher lag). Westminster klang nach Zylinderhüten, die im Schatten der Platanen des Smith Square durch die Frühlingsluft schwebten, kurz vor 1.30 Uhr die Lord North Street entlangdrifteten und auf einen kleinen Sheraton-Tisch segelten, während ihre Besitzer sich nach oben begaben, um mit Lady Sibyl Colefax zu lunchen. Ein hübscher Name, Westminster. Man dachte dabei an Winston Churchill, Erzbischöfe, nächtliche Glockenschläge, Schuljungen, die sich um Süßigkeiten balgten und die grauen, schnell dahineilenden Wasser der Themse. Man dachte an einen berühmten Herzog und eine ganze Reihe von Herzoginnen. Ein klangvoller Name für ein abscheuliches, feuchtes, dreckiges, nebliges Loch, wenn Sie mich fragen. Wenn Sie auf die Dächer der ach so reizvollen georgianischen Häuser stiegen – Dächer, bei denen man meinen könnte, Walt Disney habe sie zur speziellen Ergötzung von Zwergen, Hexen und Poltergeistern erschaffen –, würden Sie einige der finstersten Hinterhöfe Englands zu Gesicht bekommen. Und über diesen Hinterhöfen (und über den georgianischen Häusern) hängen die grauen, giftigen Dunstschwaden der Themse. Das heißt, eigentlich war ich zu der Überzeugung gelangt, dass jeder Londoner Nebel von meiner eigenen Haustür ausging – ein kleines gelbes Wölkchen, nicht größer als eine Männerhand, das sich genau über meinem Briefkastenschlitz bildete, die Straße hinunter waberte, sich auf den großen Platz wälzte, in die Platanen aufstieg und von dort ganz London vereinnahmte, den Verkehr zum Erliegen brachte, Millionen Kehlen kitzelte und Millionen Seelen mit Schwermut füllte.
Schluss damit. J’en avais assez.
*
Eine Nacht vergeht, ein Tag. Ich sitze im selben Sessel und sehe Gaskin ungläubig, nein, fassungslos an. Denn soeben hat er folgende Worte geäußert:
»Ich glaube, ich habe ein Haus gefunden, das Ihren Vorstellungen entspricht, Sir.«
»Sie glauben – «
Es verschlug mir die Sprache. Was Gaskin da sagte, war völlig unmöglich. Wild entschlossen, keinen Anlass für das Erscheinen von Mrs Thing zu liefern, hatte er das Haus erst gegen elf Uhr verlassen. Wenn man eine halbe Stunde für den Weg nach Heathstead rechnete, den Stadtteil meiner Wahl, eine halbe Stunde für den Rückweg, eine halbe Stunde beim Makler und eine halbe Stunde fürs Mittagessen, hatte er für seine Suche genau drei Stunden Zeit gehabt. Und ich war seit drei Monaten damit zugange.
Es war mehr als unmöglich. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren.
»Ich wüsste nicht, wie Sie das geschafft haben könnten«, bemerkte ich.
Als Antwort überreichte er mir einen Vordruck des Maklers mit Angaben zum Haus Nummer 5 Highways Close, Heathstead.
»Haben Sie das Haus gesehen?«
»Gewiss, Sir. Es ist ein sehr hübsches kleines Haus.«
»Modern?«
»Ja, aber sehr hübsch.«
Ich schniefte. Ich studierte den Vordruck. »Es ist nur zu pachten, nicht zu kaufen. Ich wollte aber kaufen.«
»Da der Pachtvertrag über 999 Jahre läuft, dachte ich, das sei vielleicht ausreichend.«
»Hier steht nichts über eine Garage.«
»Sie ist nicht sehr groß, aber sehr nett.«
»Auf welcher Höhe liegt das Haus?«
»Einhundertsechsundzwanzig Meter über dem Meeresspiegel.«
Offenbar war es unmöglich, gegen Gaskin anzukommen. Ich unternahm einen letzten Versuch.
»Natürlich hat es keinen Garten.
»Einen kleinen.«
Ich gab auf. »Also gut. Ich kann es mir ja immerhin einmal ansehen.« Und ein wenig ungnädig fügte ich hinzu: »Vielen Dank.«
*
Der Vorort Heathstead liegt hoch über London, höher, so erzählen einem die Einwohner, als die Spitze der St. Paul’s Kathedrale, die sich zu schwindelnden 111 Metern emporschwingt. Jedenfalls ist die Luft so süß und rein, dass man kaum glauben kann, dass man sich in der Nähe einer Großstadt befindet. Wenn London in Nebel gehüllt ist, liegt Heathstead oft in strahlendem Sonnenschein. Natürlich dringt der Nebel manchmal auch zu uns vor, aber bis er die Spitze des Hügels erreicht hat, hat er einen großen Teil seiner Widerwärtigkeit verloren und sich in freundliche Dunstfetzen aufgelöst, die die Bäume zart umschleiern und dekorativ über das Dach der alten Kirche hinwegziehen.
Es erübrigt sich zu sagen, dass ich an jenem ersten Nachmittag in keiner sehr freundlichen Stimmung war. Ich litt immer noch unter einem extremen Gefühl der Minderwertigkeit, weil Gaskin in drei Stunden geschafft hatte, was mir in drei Monaten nicht gelungen war. Und obwohl ich in einem Zustand war, der an Panik grenzte (der Mietvertrag für das Haus in Westminster lief in sechs Wochen ab), konnte ich die heimliche Hoffnung nicht unterdrücken, dass dieses Haus genauso furchtbar sein würde wie alle anderen. »Bestimmt ist es feucht«, entschied ich. »Das muss der Haken sein. Zumindest kann man immer sagen, dass ein Haus feucht ist. Und bis das Gegenteil bewiesen ist, ist der erste Glanz von Gaskins Triumph längst verblasst.«
Wir brauchten im dicksten Berufsverkehr nur eine knappe halbe Stunde von Westminster nach Heathstead. Oder, falls Ihnen das lieber ist, zwanzig Minuten von Hyde Park Corner beziehungsweise zehn Minuten von der Baker Street. Darüber konnte ich mich also nicht beklagen. Auch nicht über das eigenartig »ländliche« Gefühl, das einen befiel, sobald man den Hügel hinauffuhr. Und auch nicht über die ungestörte Stille der Straße, in die wir, oben angekommen, plötzlich abbogen.
»Da ist es«, sagte Gaskin und deutete auf das untere Ende der Straße.
»Wo?«, fragte ich, denn ich sah nur eine Menge Grün.
»In der kleinen Senke hinter den Bäumen.«
»In der kleinen Senke hinter den Bäumen.« Der Satz hatte einen sehr angenehmen Klang. Vielleicht besaß er nicht gerade die beschwörende...