E-Book, Deutsch, 202 Seiten
Nielsen Nur ein kleines Rädchen im Getriebe
2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7693-9497-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der SS-Mann Martin Fellenz
E-Book, Deutsch, 202 Seiten
ISBN: 978-3-7693-9497-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der einstmalige Chorleiter, Komponist und Kommunalpolitiker der FDP, Martin Fellenz, ist als gewesener SS-Führer und Täter des Holocaust zu einer traurigen Berühmtheit gelangt. Ab 1962 stand er wegen der Mitwirkung beim fast 40.000-fachem Mord an der jüdischen Bevölkerung in Polen vor Gericht. Für seine Taten wurde er im Nachkriegsdeutschland jedoch lediglich zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, welche mit seiner Untersuchungshaft ab Sommer 1960 und einer vorzeitigen Entlassung bereits als abgegolten angesehen wurden. Fellenz verließ das Gericht in Kiel 1966 als freier Mann. In fünfzehn Kapiteln nähert sich der Autor Jens Nielsen dem paradoxen Erscheinungsbild des Musikers, dessen Verbrechen kaum mit seinem extravaganten Auftreten, seiner Wortwahl und seinem Kleidungsstil in Einklang zu bringen waren. Unter Beleuchtung der verschiedenen Aspekte aus Fellenz Leben und unter Hinzunahme zahlreicher Quellen aus unterschiedlichen Archiven versucht Nielsen die unterschiedlichen Facetten Fellenz nachzuzeichnen, der als gewesener SS-Mann und Ratsmitglied der Stadt Schleswig in der Nachkriegszeit auch im Ausland die Stadt mit repräsentierte. Seine begangenen Verbrechen bei der SS im Kontext mit seiner Tätigkeit als Künstler und Politiker der Nachkriegszeit hat bis heute viele Fragezeichen hinterlassen. Einem Großteil dieser Fragen soll in diesem Buch nachgegangen werden.
Jens Nielsen, 1969 in Schleswig geboren, gelernter Pädagoge, lebt als Museums- und Kulturpädagoge und mittlerweile hauptberuflich als Publizist in Kiel. Vorher jahrzehntelange Selbständigkeit mit seiner Agentour Zeitensprung im Bereich Museumspädagogik und Living history. Er war freier Mitarbeiter u.a. im Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Schloss Gottorf in Schleswig und im Landesmuseum für Volkskunde im Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel. Es erschienen von Nielsen zunächst in loser Reihenfolge zahlreiche kunsthistorische Kirchenführer im Auftrag der jeweiligen Kirchengemeinden im gesamten Bundesgebiet. Ab 2019 brachte er Werke im eigenen Auftrag zu historischen, zunächst auf die Stadtgeschichte Schleswigs bezogene Themen heraus. Seit 2021 folgen geschichtliche Themen aus allen Sparten und Regionen. Das vorliegende Buch über den ehemaligen Chorleiter, Komponisten, Politiker und SS-Mann Martin Fellenz ist eine kritische Studie über das Leben des wegen Beihilfe zum Mord in vier Aktionen verurteilten Verbrechers, der, gemessen an seinen Taten während des Holocaust, fast unbehelligt blieb.
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Einer von vielen anderen…
„…Es ist fast so, als erwarten die Angeklagten, Applaus für ihre Handlungen, wie beim Prozess Fellenz...“ 2 Am 20. Juni 1960 wurde die Stadt Schleswig durch die unvorhergesehene Verhaftung und den nachfolgenden Kriegsverbrecher-Prozess gegen den angesehenen FDP-Kommunalpolitiker Martin Fellenz aufgeschreckt. Innerhalb kürzester Zeit stand die Stadt und der zur traurigen Berühmtheit gelangte Ratsherr plötzlich im Fokus der Berichterstattung durch die Presse.3 Fellenz wurde angeklagt, als ehemaliger Stabsführer des SS-und Polizeiführers von Krakau, Täter des Holocaust gewesen zu sein. Dabei wurde ihm vorgeworfen, im Sommer 1942 an der Ermordung von an die 40.000 westgalizischen Juden im Distrikt Krakau des damaligen Generalgouvernements seinen Anteil gehabt zu haben. Fellenz sollte die Tötungsaktionen mit vorbereitet und auch deren Ablauf organisiert haben. Konkret wurden dem Schleswiger Ratsherrn Fellenz Verbrechen, begangen in den zum Gouvernement gehörenden Städten Krakau, Miechów, Michalowice, Przemysl, Rzeszów und Tarnów, in der Zeit von Juni 1942 bis September 1942 zur Last gelegt. Grundlage des Verfahrens gegen ihn war die Deportation der jüdischen Bevölkerung der angegebenen Orte in das Konzentrationslager Belzec in Belzec und die Erschießung von Juden, die nicht transportfähig oder marschfähig gewesen waren. Auch die Erschießung von flüchtenden oder während ihrer Deportation ins Ghetto Slomniki als „hartnäckig“ eingestuften Juden aus der Stadt Michalowice, an deren Tod Fellenz beteiligt gewesen sein soll, wurde zur Anklage gebracht.4 Martin Fellenz war in jungen Jahren in seiner Heimatstadt Duisburg als Kapellmeister, Chorleiter und Komponist beschäftigt gewesen. Er soll einer der jüngsten deutschen Kapellmeister seinerzeit gewesen sein. Obwohl in seiner politischen Meinungsbildung schon früh nationalsozialistisch ausgerichtet, hatte er in seinem Leben als Musiker, Schauspieler, Kapellmeister und Komponist zunächst eher den unmilitärischen Weg eines Künstlers eingeschlagen. Ab 1936 war Fellenz jedoch hauptberuflich für die „SchutzstaXel“(SS) tätig geworden. Liest man die Abfolge seiner Tätigkeiten während der NS-Zeit, hätte man für sich als Außenstehender durchaus die Vorstellung eines strebsamen und leistungsbereiten, dafür aber eher gefühlsarmen und gewissenlosen Menschen gewinnen können, der von der Macht, die ihm im Laufe seiner Tätigkeit in der SS verliehen wurde, verführt worden war. Nach dem Krieg, dem Ende der Wehrmacht und der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft ging Martin Fellenz nach Schleswig, wo seine Frau mit ihrer Familie lebte. 1955 ließ er sich hier für die FDP als Ratsherr in die Ratsversammlung wählen.5 Fellenz schien in seinem späteren Leben keinerlei Unrechtsbewusstsein für seine Rolle in der NS-Zeit gehabt zu haben, oder aber er legte es als Täter darauf an, gefunden zu werden. Zumindest unternahm er nach dem Krieg keinerlei Versuche, um seine Identität zu verbergen oder als gewesener Kriegsverbrecher unterzutauchen. Er nutzte keinen Decknamen, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, so wie es andere hochrangige und wie Fellenz ähnlich schwer belastete Nationalsozialisten nach dem Krieg getan hatten. Gerüchten zufolge gab es aber kurzzeitig sehr wohl die Überlegung innerhalb der Familie nach Südamerika auszuwandern, so wie es andere Nazigrößen getan hatten. Das Schwurgericht am Landgericht Kiel verurteilte Martin Fellenz 1966 nach sechs Jahren Untersuchungshaft nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, wegen Beihilfe zum Massenmord in fast 40.000 Fällen. Er wurde lediglich wegen Beihilfe zum Mord in vier Fällen verurteilt. Wobei hier keine Einzelfälle, sondern vier komplexe Tötungsaktionen gemeint waren, die den Tod von an die Tausend jüdischen Menschen bedeutet hatten. Das Urteil gegen Fellenz lautete abschließend auf sieben Jahre Zuchthaus, unter Anrechnung der vorangegangenen sechs Jahre Untersuchungshaft. 6 Dieses milde Urteil spiegelte den Zeitgeist der 1960er/1970er Jahre als Musterbeispiel für die in dieser Zeit stattgefundenen Prozesse gegen damalige Kriegsverbrecher bilderbuchhaft wider. Man wollte endlich einen Schlussstricht unter die Zeit des Nationalsozialismus ziehen und sich fortan lieber der Zukunft und dem Aufbau des Landes als der Vergangenheit widmen. Für die Opfer der Ermordungsaktionen und für ihre überlebenden Angehörigen musste das geringe Strafmaß jedoch als eine erneute Verhöhnung ihres durch Täter wie Martin Fellenz erduldeten unsäglichen Leiden aufgefasst werden. Wie der Urteilsbegründung damals zu entnehmen war, hatte es die Kammer damals für „wenig sinnvoll“ gehalten, den Verurteilten Fellenz seiner bürgerlichen Ehrenrechte zu berauben.7 Zugleich war man bei der Verkündung des Urteils der festen Überzeugung gewesen, dass eine Fortdauer der Haft nach so langer Zeit für Fellenz nicht verantwortet werden könne, weswegen die Gefängnisstrafe, mit der von dem ehemaligen SS-Mann bereits hinter sich gebrachten Untersuchungshaft und einer in Aussicht gestellten zur Bewährung ausgesetzten Reststrafe verrechnet, als abgegolten angesehen wurde. 8 Vielleicht hätte man dem späteren SS-Sturmbannführer Martin Fellenz tatsächlich zugutehalten können, dass er sich damals womöglich nicht aus einer bewussten Entscheidung heraus zu Beginn seiner Karriere für die Mittäterschaft in der Mordmaschinerie der Nationalsozialisten entschieden hatte. Vielfach schuldig gemacht hatte er sich trotzdem. Fellenz hatte seinen Dienst bei der SS und die Beihilfe bei der Ermordung Tausender Menschen jüdischen Glaubens oXenbar genauso sachlich und kühl hinter sich gebracht, wie er auch all die anderen Befehle blind befolgt hatte, die ihm von seinen Vorgesetzten aufgetragen worden waren.9 Nach seiner Entlassung 1966 wirkte Martin Fellenz noch über mehr als 30 Jahre als Musiker, Klavierlehrer, Chorleiter und Komponist in der Stadt Schleswig und in den angrenzenden Regionen. Besonders an der Organisation und Durchführung zahlreicher Kirchenkonzerte war er als Musiker und Chorleiter beteiligt. Doch erst als gegen Ende seines Lebens unterschiedliche Kirchengemeinderäte und andere mahnende Stimmen aus der Region, auf Grund seiner durchgesickerten nationalsozialistischen Vergangenheit, Widerspruch gegen sein weiteres Mitwirken bei solchen Veranstaltungen einlegten, führten die nachfolgenden Diskussionen zu einer Verhaltensänderung bei den Konzertveranstaltern. Man hätte Martin Fellenz zuvor als Musiker und Chorleiter für arrogant und überheblich halten können, so wie er vereinzelt von seinen Mitmenschen tatsächlich auch wahrgenommen wurde10, als Störfaktor im Ablauf des kirchlichen Gemeindelebens hatte man ihn zuvor nicht gesehen – im Gegenteil. Seine Kompetenz als Musiker, Pianist und Chorleiter war für Konzerte im kirchlichen Kontext gern und verhältnismäßig oft genutzt worden. Einen wegen vielfachen Mordes verurteilten Kriegsverbrecher in den eigenen Reihen zu dulden, war jedoch ein denkbar schlechtes Aushängeschild für die Außendarstellung der evangelischen Kirche im Sprengel Schleswig. Martin Fellenz blieb, trotz der kritischen Hinterfragung seiner Rolle in der NS-Zeit, in Schleswig bis zu seinem Tod im Jahr 2007 in einem Pflegeheim in Haddeby ein geachteter und angesehener Bürger. Und auch in die bestehende gute Nachbarschaft in seiner späteren Heimatgemeinde Lürschau war er, trotzdem seine Vergangenheit wohl zum Teil auch hier bekannt war, mit seiner Frau gut integriert gewesen. Doch kaum jemand wusste Genaues. Fellenz Taten während der NS-Zeit im ehemaligen Generalgouvernement sind in der Stadt und Region Schleswig außergerichtlich moralisch nur sehr unzufriedenstellend aufgearbeitet worden. Seine Verbrechen gerieten, vor allem bei den nachfolgenden Generationen, zunehmend in Vergessenheit, oder waren nie bekannt. Eine umfassende Aufarbeitung der Taten des ehemaligen SS-Mannes Martin Fellenz soll mit diesem Buch nachgeliefert werden. Dabei ist beabsichtigt worden, nicht nur den Nationalsozialisten Fellenz, sondern auch den Menschen dahinter, der zu solchen Taten fähig war, nach Möglichkeit deutlicher herauszuarbeiten. Jens Nielsen, im Herbst 2024 2 Schindler, Oskar, Brief: „Lieber Freund Sternberg und meine lieben Freunde…“, Frankfurt am Main, 8. April 1964, Arndtstraße 46 b b. Nölle, AR – A – 128 – 024, in: massua- ? ????,https://www.infocenters.co.il/massuah/multimedia/Docs/pdf/disk20081111/48250.pdf, abgerufen am 111. August 2024 3 Siehe zum Beispiel: „Schleswiger Ratsherr unter Verdacht der Judenvernichtung“, Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 21. Juni 1960; „Schleswiger Ratsherr der Judenvernichtung verdächtigt“, Südschleswigische Heimatzeitung, 21. Juni 1960; „Schleswiger Ratsherr wurde verhaftet“, Flensburger Presse 23. Juni 1960; „Ehemaliger...




