E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Nikolay Danyel
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-944737-15-7
Verlag: dead soft verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit dem Schicksal lässt sich handeln
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-944737-15-7
Verlag: dead soft verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Danyel ist der, den man das Schicksal nennt. Er entscheidet über die Lebenszeit der Menschen, kalt und ohne Emotionen. Kilian ist ein Mensch, und er will nicht akzeptieren, dass seine jüngere Schwester früher stirbt als er. Also plant er, seine Lebenszeit mit ihrer zu tauschen und reist nach Rom, um mit Danyel zu handeln. Kilian ahnt nicht, in was er hineingeraten wird, als er Danyels Reich betritt, denn der übt sofort eine unheimliche Anziehungskraft auf ihn aus.
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Eins
Kilian strich über das Pergament, welches in einer Klarsichtfolie steckte. Es kam ihm vor, als würde die Zeit immer schneller vergehen. Gestern hatte er seinen vierundzwanzigsten gefeiert und wurde schmerzlich daran erinnert, dass dieser für Monja eine völlig andere Bedeutung hatte. Das Leben seiner Schwester wäre in diesem Alter fast vorbei. Monja ertappte ihn und schlug die Mappe zu.
„Denkst du schon wieder darüber nach?“ In ihren Worten klang ein strafender Ton mit.
„Es fällt mir eben schwer, zu akzeptieren, dass dir nicht mehr viel Zeit bleibt.“
„Mach es, wie ich. Denk einfach nicht dran“, erwiderte sie leichthin.
„Ich kann es aber nicht!“
Monja sah ihn an. Der liebevolle Blick und das herzliche Lächeln auf ihren Lippen riefen Traurigkeit in ihm hervor. Er wollte und konnte nicht akzeptieren, dass er dieses Gesicht in etwas mehr als fünf Jahren nicht mehr ansehen könnte. Sie war eine Schönheit; das dunkelblonde Haar fiel leicht gelockt bis auf die Schultern, die wachen grün-grauen Augen und der sanft geschwungene Mund, die schmale Taille und eine schlanke Gestalt. Seine Prinzessin.
„Es ist noch gar nicht so lange her, da hast du mir von deinen Träumen erzählt … sind sie es nicht wert, zu kämpfen? Damit sie in Erfüllung gehen können?“
Sie schüttelte den Kopf. „Manchmal frage ich mich, wer von uns beiden das ältere Kind ist. Man sollte meinen, dass du etwas mehr Verstand besitzt. Natürlich habe ich diesen Traum. Von einem Mann, mit dem ich alt werden kann, von Kindern und Enkeln … aber er wird nicht wahr werden. Hör auf so traurig zu sein, großer Bruder! Genieße die Zeit, die wir haben.“
Kilian schnaubte.
„Außerdem weißt du, was Mama davon hält! Wenn sie herausfindet, dass du noch immer die Entscheidung des Schicksals infrage stellst, wird sie ausflippen.“
„Ich weiß. Aber ich kann nicht anders. Es geht dabei ja auch um sie. Wenn ich könnte, ich würde sofort mit dir tauschen! Ich werde sie nie zur Großmutter machen – aber ich will, dass sie ein Enkelkind in den Armen wiegen kann. Dein Kind.“
Monja ließ die Schultern hängen. „Mag sein. Aber mit dieser Bürde könnte ich nicht leben. Selbst wenn du es schaffen würdest, wenn wir unsere Zeit tauschen könnten, blieben dir nur noch … zwei Monate und vier Tage übrig!“
„Dessen bin ich mir bewusst“, entgegnete er ernsthaft.
„Wage es nicht!“, drohte sie und ließ die Mappe in der Schublade der Anrichte verschwinden. „Ich liebe dich und deine selbstlose Art – aber ich kann nicht zulassen, dass du etwas unternimmst“, erklärte sie. Anschließend drehte sie sich weg und ging in die Küche.
Kilian ließ sich auf einen Stuhl fallen, stemmte die Ellbogen auf den Esstisch und das Kinn auf die Hände. Er kannte die Einstellung seiner Mutter, die so ziemlich jeden verurteilte, der sich auf einen Handel mit dem Schicksal einließ. Sie fand, man musste eben akzeptieren, was einem gegeben war. Ohne Jammern oder Klagen und vor allem, ohne es ändern zu wollen.
Kilian würde alles dafür geben, mit Monja tauschen zu können. Schon vor Wochen hatte er eine Anfrage geschickt, weil er verhandeln wollte. Bislang war keine Antwort gekommen. Er wusste, die Chancen standen nicht sehr gut. Das Schicksal – oder besser Danyel – war dafür bekannt, nur wenigen Menschen die Möglichkeit zu geben, mit ihm über eine Änderung der Lebenszeit zu sprechen. Es wurde gemunkelt, er wäre arrogant und launisch, doch davon ließ Kilian sich nicht beirren. Er hoffte nur, die Genehmigung käme, ehe es zu spät war, um zu tauschen.
„Magst du auch einen Tee?“, rief Monja ihm zu.
„Ja. Danke.“
Kilian hörte sie in der Küche werkeln. Er wünschte ihr so sehr, dass sie einen Partner fand … die letzte und einzige feste Beziehung, von der er wusste, war vor einem halben Jahr in die Brüche gegangen. Monja behauptete immer, es habe nichts mit ihrer Lebenserwartung zu tun gehabt, aber das kaufte Kilian ihr nicht ab. Es war die Standardfrage – spätestens beim dritten Date: Wie alt wirst du? Je nachdem, wie die Antwort ausfiel, endete die Beziehung an diesem Punkt bereits. Kilian vermutete, dass Christian schließlich herausgefunden hatte, was wirklich auf Monjas Pergament stand …
Es klimperte an der Tür. Das untrügliche Zeichen, dass ihre Mutter nach Hause kam. Seit zwei Jahren nannte er es nicht mehr seines, doch kam er fast jeden Tag nach der Arbeit vorbei.
Als Gabriele ins Esszimmer trat, sah sie müde aus.
„Hey“, grüßte Kilian sie, „du wirkst, als hättest du eine Doppelschicht gemacht.“
Sie winkte ab. „Heute war die Hölle los! Als wenn am Montag nichts mehr in den Regalen wäre! Die Leute haben gekauft wie die Irren, so schnell konnten wir gar nicht auffüllen.“
„Hallo Mama. Für dich auch einen Tee?“, schallte es aus der Küche zu ihnen herüber.
„Das wäre lieb, Engelchen. Danke.“
„Irgendwie ist es doch immer das Gleiche, wenn ein langes Wochenende bevorsteht“, sagte Kilian, während er aufstand.
Sanft aber bestimmt dirigierte er seine Mutter zu einem Stuhl. Bereitwillig setzte sie sich und Kilian knetete ihre verspannten Schultern. Sie summte genüsslich.
„Du bist ein Schatz.“
Kilian lächelte. Ihre Mutter hatte es nicht leicht. Der Job im Supermarkt war anstrengend, aber sie brauchte ihn. Monja steckte noch in der Ausbildung und Kilians Gehalt reichte gerade für seinen eigenen Lebensunterhalt. Dass seine Mama eine 45-Stunden-Woche hatte, war nur darauf zurückzuführen, dass sein Vater keine Versicherung abgeschlossen hatte. Die Prämie war ihm zu teuer gewesen. Georg Hein war immer der Ansicht gewesen, die Leute von der Versicherung wären Halunken und Gauner. Und da jeder wüsste, wann das eigene Leben endet, könnten sie die Versicherung sparen. Denn die zahlte nur, wenn man vor dem vom Schicksal bestimmten Tag starb. Was den enorm hohen Beitrag erklärte – Unfälle, Mord und Totschlag, Krankheiten infolge von Drogen oder Alkoholmissbrauch … was auch immer von Menschenhand verursacht war, sicherte die Police ab. Von Normalverdienern war die Police kaum zu bezahlen. Kilian schüttelte kaum merklich mit dem Kopf, wenn er daran dachte. Sein Vater war nicht davon ausgegangen, dass auch ihn dieses Los treffen könnte. Leider war dem so gewesen – bei einem Banküberfall hatte ihn ein Querschläger erwischt. Er war, wie man so schön sagte, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und hatte das mit dem Leben bezahlt. Dabei wollte er nur das Geld für die Miete einzahlen.
Folglich musste ihre Mutter arbeiten gehen. Doch sie klagte nicht. Das tat sie nie. Um die Beerdigung zahlen zu können, hatte sie ihren gesamten Schmuck verkauft. Zwei Jahre war das nun her. Kurz bevor das mit seinem Vater passiert war, war Kilian zu Hause ausgezogen. Unweigerlich dachte er daran, dass sie für die nächste Beerdigung bereits sparen müsste … und er hoffte, es wäre seine.
Monja unterbrach seine Gedanken, als sie mit dem Tee ins Esszimmer kam.
„Oh je, du siehst aus, als hättest du eine anstrengende Schicht gehabt. Soll ich heute das Kochen übernehmen?“
„Nein. Das schaffe ich schon noch“, schlug Gabriele das Angebot aus.
Sie tätschelte Kilian die Hände, worauf er von ihren Schultern abließ und sich neben sie setzte.
Während sie ihren Tee tranken, erzählte jeder etwas von seinem Tag. Bei Kilian war es ruhig gewesen, viele der Kollegen im Büro hatten sich schon auf das lange Wochenende eingestimmt. Ein stressfreier Tag. Die Hektik käme am Montagmorgen wieder, Kilian wusste das. Dann wäre das elektronische Postfach voll mit Mails von Kunden. Bestellungen, Reklamationen, Anfragen …
Monja hatte langweilige Stunden hinter sich, denn auf der Polizeischule, die sie besuchte, nahmen sie den ganzen Tag die Verbrechensstatistiken der vergangenen Jahre durch. Der Professor habe so monoton gesprochen, dass sie beinahe eingeschlafen wäre.
Als sich Kilian eine halbe Stunde später verabschiedete, warf Monja ihm noch einen mahnenden Blick zu. Er wusste genau, was sie meinte – er nickte ihr zu, obwohl er von seinem Standpunkt nicht abrücken würde.
Seine kleine Wohnung lag fünfzehn Minuten Fußmarsch entfernt. Auf dem Weg dorthin hielt er ständig seine Hand in der Tasche. Darin verbarg er das Pfefferspray, das im Ernstfall sofort einsatzbereit wäre. Es gab einfach zu viele Menschen, die kurz vor dem eigenen Tod nicht vor Verbrechen zurückschreckten. Schließlich gelangte er unbehelligt vor dem Mietshaus an und sein erster Blick galt dem Briefkasten. Wie jeden Tag, seit er die Anfrage weggeschickt hatte. Rasch sah er die Umschläge durch und tatsächlich, da war er.
Der Brief, die Antwort.
Die Rune, die als Wasserzeichen durchschimmerte, verriet unmissverständlich den Absender. Nervös sputete Kilian die Stufen nach oben. In dritten Stock angekommen schloss er seine Wohnungstür auf und öffnete zitternd den Brief. Darin befand sich eine Karte, die ebenfalls von der Rune geziert wurde.
Ihre Anfrage ist bei uns eingegangen. Hiermit überstellen wir Ihnen die Genehmigung.
Ihr Termin: 08.05.2014, 15 Uhr
Diese Karte ist mitzuführen und vorzuzeigen. Gültig nur für Kilian Hein.
Mehr stand nicht darauf. Er las es drei Mal, ehe er es wirklich glaubte.
Die Frage nach dem Treffpunkt stellte sich gar nicht erst. Kilian musste dort hin, wo der Brief herkam. Nach Rom, ins Haus des...




