Noeker | Funktionelle und somatoforme Störungen im Kindes- und Jugendalter | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, Band Band 11, 329 Seiten

Reihe: Klinische Kinderpsychologie

Noeker Funktionelle und somatoforme Störungen im Kindes- und Jugendalter


1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-8409-1676-2
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

E-Book, Deutsch, Band Band 11, 329 Seiten

Reihe: Klinische Kinderpsychologie

ISBN: 978-3-8409-1676-2
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Fast ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen leidet an körperlichen Beschwerden, für die der Kinderarzt keine hinreichende medizinische Erklärung findet. Funktionelle Schmerzstörungen, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und Rückenschmerzen dominieren. Die somatoforme Störung umfasst eine vom Arzt nicht zu beruhigende Angst vor einer unentdeckten, ernsten Erkrankung, ein übersteigertes Schmerz- und Krankheitsverhalten, eine exzessive und kostenträchtige Inanspruchnahme medizintechnischer Diagnostik, häufige Schulfehltage und psychosoziale Folgebelastungen sowie ein hohes Risiko für komorbide psychische Störungen.

Dieses Buch liefert eine systematische Übersicht zu funktionellen und somatoformen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Am Beispiel des funktionellen Bauchschmerzes, des chronischen Erschöpfungssyndroms und der Fibromyalgie werden die Entstehung, die Aufrechterhaltung, der Verlauf sowie die verhaltensmedizinische Diagnostik und Therapie der Störungen behandelt.

Der Autor

Dr. Meinolf Noeker, geb. 1958. 1977-1984 Studium der Psychologie an der Universität Bonn. 1991 Promotion. 1986-1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Kinderheilkunde Bonn. 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Klinische Psychologie der Universität Bremen. Seit 1991 Akademischer Oberrat und Leiter des psychologischen Dienstes des Zentrums für Kinderheilkunde der Universität Bonn. 1999 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut (PP) und Psychologischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut (KJP). Dozent, Supervisor und Selbsterfahrungsleiter in der postgraduierten Ausbildung zum PP und KJP.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Vorwort;6
2;Inhaltsverzeichnis;8
3;Einführung;14
4;Kapitel 1 Beschreibung des Störungsbildes;22
4.1;1.1 Einführung;22
4.2;1.2 Biologische Krankheit, psychisches Kranksein, soziale Krankenrolle;23
4.3;1.3 Diskrepanz zwischen objektiver Diagnostik des Arztes und subjektivem Beschwerdeerleben des Patienten;25
4.4;1.4 Definition somatoformer Störung;26
4.5;1.5 Funktionelle Störungen;27
4.6;1.6 Auslösende Symptome einer somatoformen Störung: Entwicklung einer Typologie;29
4.7;1.7 Somatoforme Störung by proxy;31
5;Kapitel 2 Epidemiologie;34
5.1;2.1 Übersicht;34
5.2;2.2 Prävalenz funktioneller Beschwerden in der Bevölkerung;37
5.3;2.3 Prävalenz funktioneller Schmerzstörungen in der Bevölkerung;38
5.4;2.4 Prävalenz somatoformer Störungen in der Bevölkerung;40
5.5;2.5 Prävalenz somatoformer Störungen in einer multizentrischen klinischen Studie;42
5.6;2.6 Inanspruchnahme pädiatrischer und kinderpsychologischer Behandlung;45
5.7;2.7 Gesundheitsökonomische Auswirkungen;46
5.8;2.8 Implikationen der epidemiologischen Befunde für die Klassifikation und Störungstheorie funktioneller und somatoformer Störungen;47
6;Kapitel 3 Klassifikation und Differenzialdiagnose;49
6.1;3.1 Funktionelle und somatoforme Störungen im Fokus der Kinderpsychologie, Pädiatrie und Schmerztherapie;49
6.2;3.2 Klassifikation funktioneller Symptome im ICD-10;53
6.3;3.3 Klassifikation der somatoformen Störung im ICD-10;54
6.4;3.4 Klassifikation der somatoformen Störung im DSM-IV-TR;57
6.5;3.5 DSM-IV-TR und ICD-10 im Vergleich;59
6.6;3.6 Kritik an kategorialer Klassifikation;60
6.7;3.7 Dimensionale Klassifikation somatoformen Verhaltens;64
6.8;3.8 Schmerztherapeutische Klassifikation;66
6.9;3.9 Differenzialdiagnostische Abgrenzung von anderen psychischen Störungen;70
7;Kapitel 4 Erfassungsinstrumente;75
7.1;4.1 Übersicht;75
7.2;4.2 Erfassung der Schmerzstärke;76
7.3;4.3 Erfassung der Adaptation an eine funktionelle Schmerzstörung;80
8;Kapitel 5 Ein entwicklungspsychopathologisches Störungskonzept zur somatoformen Anpassungsstörung;93
8.1;5.1 Entwicklung eines Störungskonzepts in Übereinstimmung mit der Epidemiologie;93
8.2;5.2 Ein entwicklungspsychopathologisches Verständnis funktioneller und somatoformer Störungen;95
8.3;5.3 Äquifinalität und Multifinalität der Adaptation;96
8.4;5.4 Die somatoforme Anpassungsstörung;99
9;Kapitel 6 Funktioneller Bauchschmerz;106
9.1;6.1 Beschreibung des Störungsbildes;106
9.2;6.2 Epidemiologie;109
9.3;6.3 Pädiatrische Differenzialdiagnostik;111
9.4;6.4 Erscheinungsbild und Klassifikation funktionell- abdomineller Störungen;116
9.5;6.5 Funktionelle Dyspepsie;122
9.6;6.6 Reizdarmsyndrom;123
9.7;6.7 Abdominelle Migräne;124
9.8;6.8 Funktioneller Bauchschmerz;125
9.9;6.9 Stabilität und Wandel im Erscheinungsbild funktioneller gastrointestinaler Störungen;126
10;Kapitel 7 Vorläuferstörungen bei den Eltern und Langzeitprognose des Kindes;129
10.1;7.1 Übersicht;129
10.2;7.2 Vorläuferstörungen bei den Eltern;130
10.3;7.3 Mechanismen einer Transmission von Eltern auf das Kind;136
10.4;7.4 Entwicklungspfade;138
10.5;7.5 Entwicklungsausgänge;139
11;Kapitel 8 Ätiopathogenese des funktionellen Bauchschmerzes;146
11.1;8.1 Hierarchische Organisation der Schmerzverarbeitung;146
11.2;8.2 Abdominelle Schmerzsensitivierung;150
11.3;8.3 Affektive Schmerzbewertung;153
11.4;8.4 Kognitive Schmerzbewertung;158
11.5;8.5 Absteigende Schmerzmodulation;160
11.6;8.6 Interaktion von zentralem und enterischem Nervensystem bei der Schmerzverarbeitung;162
12;Kapitel 9 Katastrophisierende Verarbeitung von Schmerz und Gesundheitsangst bei der somatoformen Anpassungsstörung;170
12.1;9.1 Übersicht;170
12.2;9.2 Coping;172
12.3;9.3 Katastrophisierung als Ausdruck dysfunktionaler Schmerzverarbeitung;174
12.4;9.4 Katastrophisierung als klassisch konditioniertes Verhalten;176
12.5;9.5 Katastrophisierung als Aktivierung dysfunktionaler Schemata;178
12.6;9.6 Katastrophisierung im Kontext der transaktionalen Stresstheorie;180
12.7;9.7 Ein integratives Prozessmodell zur Katastrophisierung bei der somatoformen Anpassungsstörung;183
13;Kapitel 10 Somatoforme Anpassungsstörung im Kontext der Eltern- Kind- Interaktion;186
13.1;10.1 Übersicht;186
13.2;10.2 Schmerzausdruck des Kindes;187
13.3;10.3 Innerfamiliäre Interaktion um den Bauchschmerz;190
13.4;10.4 Operante Verstärkung somatoformen Schmerzverhaltens;193
13.5;10.5 Empathische Reaktionen der Eltern und die Rolle der Spiegelneurone;198
13.6;10.6 Integratives Bedingungsmodell;201
13.7;10.7 Implikationen für die therapeutische Praxis;202
14;Kapitel 11 Somatoforme Anpassungsstörung im Kontext der Interaktion zwischen Arzt und Familie;204
14.1;11.1 Übersicht;204
14.2;11.2 Prototypischer Ablauf einer dysfunktionalen Interaktion;205
14.3;11.3 Kognitive Schemata von Familien mit hoher Inanspruchnahme;206
14.4;11.4 Iatrogene Faktoren;208
14.5;11.5 Somatoforme Störung als wissenschaftstheoretisches Dilemma;210
15;Kapitel 12 Patientenaufklärung in der Kinderarztpraxis;212
15.1;12.1 Leitlinien für ein gestuftes Vorgehen;212
15.2;12.2 Formulierungsvorschlag für eine patientenorientierte Diagnosemitteilung;216
15.3;12.3 Vorteile der Patientenaufklärung;218
15.4;12.4 Aufklärung des Kindes;219
15.5;12.5 Schmerztherapeutischer Wirkungsmechanismus einer Angst reduzierenden Patientenaufklärung;221
15.6;12.6 Definition eines Zielverhaltes für zukünftige Schmerzepisoden;221
15.7;12.7 Screening-Fragebogen zum Risiko einer somatoformen Adaptationsstörung;222
16;Kapitel 13 Verhaltensmedizinische Diagnostik und Intervention;223
16.1;13.1 Auftrags- und Zielklärung;223
16.2;13.2 Anamnese und Exploration;226
16.3;13.3 Funktionale Bedingungsanalyse;228
16.4;13.4 Behandlungsplanung bei komorbiden psychischen Störungen;230
16.5;13.5 Psychotherapeutische Interventionen zur Gesundheitsangst;235
16.6;13.6 Überwindung von Schulabsentismus;239
16.7;13.7 Entspannungsverfahren zur Schmerzlinderung;243
17;Kapitel 14 Fibromyalgie;250
17.1;14.1 Beschreibung des Störungsbildes;250
17.2;14.2 Klassifikation;253
17.3;14.3 Ätiopathogenese: Ein entwicklungspsychopathologisches Verlaufsmodell;255
17.4;14.4 Diagnostik;265
17.5;14.5 Medizinische Therapie;266
17.6;14.6 Verhaltensmedizinische Therapie;268
17.7;14.7 Therapieevaluation;272
17.8;14.8 Resümee: Einheitliches entwicklungspsychopathologisches Störungs- und Behandlungsmodell;274
18;Kapitel 15 Chronisches Erschöpfungssyndrom;277
18.1;15.1 Phänomenologie von Erschöpfung und Müdigkeit;277
18.2;15.2 Epidemiologie;278
18.3;15.3 Definition und Klassifikation;280
18.4;15.4 Ätiologie;282
18.5;15.5 Psychologische Diagnostik;287
18.6;15.6 Verhaltensmedizinische Therapie;294
19;Literaturverzeichnis;300
20;Mehr eBooks bei www.ciando.com;0


(S. 105-106)

6.1 Beschreibung des Störungsbildes

6.1.1 Historische Entwicklung des Störungskonzeptes


Pionierarbeit zur Erforschung des funktionellen Bauchschmerzes leisteten Apley und Naish (1958) in einer sorgfältigen und immer noch viel zitierten Studie an über tausend Schulkindern. Apley und Naish führten eine Definition ein, die über viele Jahrzehnte allgemeine Gültigkeit erzielte. Nach ihrer damaligen Definition lag ein rekurrierender, abdomineller Schmerz („recurrent abdominal pain", abgekürzt: RAP) vor, wenn ein Kind über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten an mindestens drei Episoden abdominellen Schmerzes leidet, die ernsthaft genug sind, seine Alltagsaktivitäten einzuschränken.

Diese Definition hat über viele Jahrzehnte die Ein- und Ausschlusskriterien zu klinischen Studien beim chronisch-abdominellen Bauchschmerz bestimmt. In der Zeit von Apley und Naish in den späten 50er Jahren war die extensive terminologische Verwendung dieses übergreifenden Störungsbegriffs nachvollziehbar, weil sowohl viele organisch begründete wie funktionelle gastrointestinale Störungen noch nicht präzise differenziert werden konnten. Die Ergebnisse von vielen Studien, die sich in den Folgejahren an der Störungsdefinition von Apley und Naish (1958) orientiert haben, beziehen sich demnach auf die Gesamtgruppe aller Kinder und Jugendlichen mit funktionellen Bauchschmerzen. Heute besteht Konsens, dass der rekurrierende, abdominelle Schmerz keine Diagnose, sondern ein Symptomspektrum bezeichnet.

Für die Gesamtgruppe funktioneller gastrointestinaler Störungen gilt als gemeinsames Definitionsmerkmal eine variable Kombination von chronisch-episodischen gastrointestinalen Symptomen bei gleichzeitiger Abwesenheit einer identifizierbaren strukturellen oder biochemischen Abnormalität (Drossman et al., 1990). Die individuelle Symptomkonstellation führt dann zur spezifischen Diagnose innerhalb des Spektrums der verschiedenen funktionellen gastrointestinalen Störungen. Die wichtigsten Störungskategorien, die mit funktionellen Bauchschmerzen einhergehen, umfassen die funktionelle Dyspepsie („Reizmagen"), das Reizdarmsyndrom, die funktionelle abdominelle Schmerzen im engeren Sinne sowie die abdominelle Migräne.

6.1.2 Traditioneller Dualismus von Somatogenese versus Psychogenese
Funktioneller Bauchschmerz ist heute für 2% bis 4% aller Besuche beim Kinderarzt verantwortlich und damit einer der häufigsten Vorstellungsanlässe (vgl. Alfvén, 2001). Nur bei circa 5% der Patienten jedoch, die sich klinisch vorstellen, kann eine organische Ursache identifiziert werden. In der Regel ergibt die klinische Untersuchung und Labordiagnostik unauffällige infektiöse, entzündliche und biochemische Befunde. Diese Abwesenheit positiver organischer Befunde führt zum Verdacht auf einen funktionell bedingten Bauchschmerz. Traditionell hat ein negativer somatischer Befund oft zur direkten Annahme einer Psychogenität des Bauchschmerzes geführt.

Zur Erklärung der Schmerzsymptomatik haben psychosomatische Konzepte auch bei Kinderärzten breite Anerkennung und Berücksichtigung bei der Diagnosemitteilung gefunden. Traditionell war die dualistische Grundannahme vorherrschend, dass nach dem Ausschluss einer organischen Ätiologie nur eine psychogene Verursachung als Erklärung übrig bleibt. Für diese Schlussfolgerung reichte traditionell der negative Befund der pädiatrischen Ausschlussdiagnostik.

Ein komplementärer, positiver psychopathologischer Befund für die Diagnose eines „psychogenen Bauchschmerzes" wurde in der Regel nicht gefordert, es reichte vielmehr, wenn die somatischen Befunde negativ ausfielen. Fehlende Anzeichen einer psychischen Auffälligkeit beim Kind wurden nicht als Ausschluss einer Psychogenität gewertet. Auch wenn keine psychologischen Gründe für einen Bauchschmerz nachweisbar waren, wurde die Diagnose eines psychogenen Bauchschmerzes häufig aufrechterhalten. Zur Begründung der Annahme einer Psychogenität trotz fehlender klinischer Evidenz wurden vor allem zwei Argumentationsfiguren herangezogen:

• Die psychische Verursachung sei – zumindest bei einer orientierenden Untersuchung – klinisch nicht nachweisbar, weil die Gründe unbewusst und damit der Exploration von Kind und Eltern nicht unmittelbar zugänglich seien. Daher sei eine Psychogenität weiterhin anzunehmen, aber leider klinisch nicht belegbar. Diese Argumentation ist unwissenschaftlich, weil sie nicht empirisch falsifiziert werden kann.


Dr. Meinolf Noeker, geb. 1958. 1977-1984 Studium der Psychologie an der Universität Bonn. 1991 Promotion. 1986-1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Kinderheilkunde Bonn. 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Klinische Psychologie der Universität Bremen. Seit 1991 Akademischer Oberrat und Leiter des psychologischen Dienstes des Zentrums für Kinderheilkunde der Universität Bonn. 1999 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut (PP) und Psychologischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut (KJP). Dozent, Supervisor und Selbsterfahrungsleiter in der postgraduierten Ausbildung zum PP und KJP.



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