O'Donnell | Nest | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

O'Donnell Nest

Roman
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-31511-5
Verlag: Blessing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-641-31511-5
Verlag: Blessing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zugleich stark, rau und zart – eine neue Stimme aus Irland

An einem strahlenden Frühlingstag in Dublin trifft die schwangere Ciara Fay eine Entscheidung. Sie schnappt sich Kleidung von der Wäscheleine, packt ihre zwei kleinen Töchter ins Auto und fährt davon. Schon lange fühlt sich ihr Zuhause nicht sicher an. Doch ohne Job und Einkommen, isoliert von Familie und Freunden, kann sie sich der Kontrolle ihres manipulativen Mannes Ryan kaum entziehen. Immer wieder zweifelt Ciara an ihrer Wahrnehmung der Dinge. Notdürftig findet sie Unterschlupf und sucht verzweifelt nach einem neuen Heim für sich und ihre Kinder. Wird es ihr dieses Mal gelingen auszubrechen? Denn Weggehen ist eine Sache, aber Wegbleiben eine andere.

Ein einziger mutiger Moment kann ein ganzes Leben verändern. Ein mitreißender Roman über eine Mutter, die sich ihr Selbstvertrauen zurückerobert, um für ein besseres Leben zu kämpfen.

»Was für ein außergewöhnliches Debüt! Eine Geschichte über Liebe, Mut und Überleben, die man nicht aus der Hand legen kann.« Mary Beth Keane

Roisín O'Donnells Kurzgeschichten wurden u.a. in The Stinging Fly, The Tangerine und der Irish Times veröffentlicht und für diverse Preise nominiert. Ihre Sammlung »Wild Quiet« wurde von der Irish Times zu den Lieblingsbüchern des Jahres 2016 gezählt. »Nest« ist ihr erster Roman. O'Donnell lebt mit ihren beiden Kindern in der Nähe von Dublin.

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Kapitel 1


Ciara steigt aus dem Auto. Der kalte Wind, der vom Meer herüberfegt, raubt ihr den Atem und peitscht ihr die Haare ins Gesicht. Nach einigem Manövrieren, bei dem sie die unwirschen Laute vom Beifahrersitz ignoriert hat, schafft sie es, ihren alten silbernen Micra in eine enge Parklücke gegenüber dem Strandzugang von Skerries Beach zu quetschen. Der Aprilhimmel ist hell und klar. Über den Dächern der Restaurantterrassen an der Promenade gleiten Möwen wie von unsichtbaren Drähten gezogen dahin, die gespannten Flügel scheinbar vollkommen bewegungslos.

Die Beifahrertür schlägt zu.

Ryan umrundet den Wagen. Sie hört, wie er den Kofferraum öffnet.

Ciara dreht sich um und streicht sich die Haare aus den Augen. Gegen das Gewicht des Windes gestemmt, reißt sie die Tür zur Rückbank auf, von wo ihr ein Schwall »Ich will selber, ich will selber, ich will selber« entgegenschlägt. Die vierjährige Sophie hat sich abgeschnallt. Sie duckt sich unter dem Arm ihrer Mutter hindurch und springt auf den Bürgersteig, die dunklen Zöpfe fliegen.

»Das Meer! Können wir eine Burg bauen, Daddy?«

Ciara bekommt Ryans Antwort nicht mit. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, mit der Gurtschnalle des schmuddeligen roten Kindersitzes der zweijährigen Ella zu kämpfen. Dieses Auto braucht dringend eine Innenreinigung. Eine Grundreinigung. Herrgott noch mal. Deshalb fahren sie immer mit ihrer alten Karre an den Strand und nicht mit Ryans makellosem Jeep. Endlich springt die Schnalle auf. »Voilà! Da haben wir’s, meine Kleine. Endlich frei.«

»Raus, Mammy.« Ella streckt einen ihrer pummeligen Arme nach ihr aus, in denen auf Ellbogenhöhe kleine Grübchen sitzen. Ihr anderer Arm ist wie immer um Hoppy, das blaue Kaninchen mit dem aufgenähten Herzen, geschlungen. Mit den vielen fadenscheinigen Stellen und der klumpig gewordenen Füllung sieht er irgendwie vergrämt und weise zugleich aus.

»Dann komm hoch.« Sie küsst Ella auf die Wange und vergräbt die Nase an ihrem Hals, wo sie den schwachen Geruch nach Banane und Haferbrei einatmet.

Sophie ist mit Ryan in die Dünen vorausgegangen. Die beiden ungleichen Gestalten geben zusammen ein ulkiges Bild ab. Ihre fluoreszierend orangefarbene Radlerhose, das Schmetterlingstop und die glitzernden Haarspangen neben seinem schwarzen T-Shirt, der gebügelten Jeans und den ordentlich gekämmten dunkelgrauen Haaren. Obwohl ihr Vater ihre Hand hält, gelingt es Sophie, neben ihm herzutanzen.

Scharfe blonde Sandschilfstängel kratzen an Ciaras Knöcheln, während sie sich mit Ella auf der Hüfte durch die Dünen schlängelt. »Siehst du das Meer, Ella-Schatz?«

Der Strand windet sich halbmondförmig um die Bucht, durchzogen von Bändern aus zerbrochenen Muscheln, Treibholz und Seetang. Der Wetterbericht hat für heute zwanzig Grad vorhergesagt. Ein Höchstwert für April, der offensichtlich nicht die rauen Böen mit einkalkuliert hat, die von der Irischen See her übers Land fegen. Am Sonntagnachmittag ist der Strand übersät mit Trauben von Menschen, die sich unter Mänteln zusammenkauern oder hinter Strandmuscheln verstecken, wild entschlossen, das Beste aus dem Tag herauszuholen.

Am Ende des hölzernen Bohlenwegs sinken ihre Turnschuhe in den Sand. Als sie Ryan eingeholt hat, setzt sie Ella ab und stellt sich neben ihn, um aufs Meer hinauszuschauen.

»Es ist Flut«, kommentiert sie, nur um etwas zu sagen.

Ryan wendet sich ihr zu. »Ich gehe mit den Mädchen schwimmen.«

Er mustert sie aus grauen Augen, stellt sie auf die Probe. Heute Morgen, als er verkündete, dass sie an den Strand fahren würden, war er noch gut drauf, doch schon jetzt hat sich etwas verändert.

Was hat sie dieses Mal getan? Ihr Herz beginnt zu rasen.

»Schwimmen? Du meinst planschen? Klar, das macht ihnen sicher Spaß.«

»Ich sagte . Richtiges Schwimmen. Sie sind groß genug.«

»Aber sie können doch gar nicht schwimmen.« Sie versucht zu lachen. »Es ist kalt, Ryan. Sie werden frieren.«

Er verschränkt die Arme vor der Brust. Seine Lippen sind zu einer dünnen, entschlossenen Linie zusammengepresst. Sie hört ihre Mutter sagen, .

»Okay. Schwimmen. Warum nicht? Ich ziehe ihnen die Neoprenanzüge an. Mädels! Kommt ihr mal zu mir?«

Die Neoprenanzüge sind vom letzten Sommer. Ellas Anzug ist so eng, dass sie ihre Arme nicht beugen kann. Ryan sieht zu, wie sie Sophies Rückenreißverschluss hochzieht und ihre Tochter hochhebt.

»Hör auf, Mammy! Du tust mir weh!«

»Wir haben es schon, Mäuschen, perfekt.«

Sophie watschelt davon wie ein schlecht gelaunter Pinguin.

Ryan zieht sein T-Shirt aus und runzelt die Stirn. »Hast du ihnen keine neuen Neoprenanzüge gekauft? Ich dachte, ich hätte dir das Geld dafür gegeben?«

Sie murmelt etwas davon, dass die Anzüge nicht mehr vorrätig seien, und beeilt sich, die Schnürsenkel ihrer Turnschuhe zu lösen und ihre schwarzen Leggings über die Knie zu streifen. Als sie seinen Blick auf sich spürt, bindet sie sich die Haare zurück und schließt den Reißverschluss ihres blassrosa Fleece.

Ella kommt zu ihr gewackelt und nimmt ihre Hand. »Komm, Mammy!«

Sie lassen ihre Strandtaschen und zusammengerollten Handtücher auf dem trockenen Sand oberhalb der ansteigenden Flut zurück, die hungrig herankriecht. Ihre Töchter ziehen sie über den härteren, wellengekräuselten Sand, dorthin, wo sich der Himmel im nassen Strand spiegelt.

Beim ersten Lecken der schäumenden Wellen an ihren Zehen kreischen die Mädchen auf und rennen davon.

Ciara flucht leise vor sich hin. Es ist noch kälter, als sie erwartet hat. Die Wellen klatschen gegen ihre nackten Waden. Der Wind, scharf wie Menthol. Was, wenn es hier Quallen gibt? Scharen Gelber Haarquallen, die in der Bucht von Dublin treiben. Sie stellt sich vor, wie sich die Tentakel im tieferen Wasser unbemerkt um die Körper ihrer Kinder schlingen. Gott bewahre, dass eines von ihnen verletzt wird. Wenn irgendetwas diesen Tag kaputt macht, wird es ihre Schuld sein.

Ryan kommt mit langen Schritten auf sie zu und nimmt Sophies Hand. »Komm, wir gehen tiefer rein. Schwimmen.«

Sophie kreischt jedes Mal, wenn sie von einer Welle getroffen wird. Ella zerrt am Fleece ihrer Mutter, um hochgehoben zu werden. Sie setzt ihre Tochter wieder auf ihre Hüfte. Der Neoprenanzug macht keinen großen Unterschied. Ella klappert mit den Zähnen.

»Kalt, Mammy.«

»Alles gut, mein Schatz. Ist das nicht ein Riesenspaß? Wollen wir versuchen, über die Wellen zu springen?«

Sie sieht zu Ryan. Wie lange müssen sie das noch ertragen?

Bei der Klippe am Martello-Turm bereiten sich die Menschen auf den Sprung vor. Freiwasserschwimmer, die sich an die Felsen lehnen, in Mäntel und Handtücher gehüllt. Wenn einer von ihnen einen Blick in ihre Richtung werfen würde, was würde er sehen? Eine glückliche Familie? Draußen am Horizont erweckt Skerries Island den Anschein eines schlafenden Riesen mit freundlichem Bierbauch, der sich aus dem Wasser wölbt. Sie möchte es Ella zeigen, um gemeinsam mit ihr darüber zu lachen. Aber im Moment gibt es keinen Raum für Geschichten.

»Ich friere! Es ist viel zu kalt!« Sophie kommt zu ihr gerannt und schlingt ihre dünnen Arme um Ciaras Taille. »Können wir jetzt rausgehen, Mammy? Ich will jetzt !«

Ryan schöpft Wasser in seine hohlen Hände und kippt es über seine Schultern. Er mustert sie mit verächtlichem Blick. »Sie müssen sich nur daran gewöhnen.«

»Sie sind eiskalt, Ryan.« Ihr flehender Tonfall lässt sie zusammenzucken. »Es ist zu kalt. Ich glaube, ich nehme sie besser mit raus.«

»Okay.«

»Es tut mir leid, aber ich will nicht, dass sie …«

»Ich sagte okay.«

Er dreht ihnen den Rücken zu. Seine muskulösen Arme durchschneiden das Wasser, während er von ihnen wegschwimmt.

Vielleicht peilt er den Horizont an. Vielleicht landet er in Grönland.

Die Mädchen rennen zurück zum trockenen Teil des Strandes, während Ella unablässig »Kalt, kalt, kalt!« schreit.

Sie zieht den beiden die Neoprenanzüge aus und wickelt sie in die Badetücher, die sie heute Morgen in die Strandtasche gepackt hat. Sophie heult, als sie sie trocken rubbelt. Plötzlich ist Ciara selbst wieder vier Jahre alt und sitzt während eines ihrer Sommerurlaube zu Hause in Derry am Strand von Castlerock, wo ihre Mutter mit einem kratzigen Handtuch über ihre von Gänsehaut überzogene sandige Haut reibt.

»Wie wäre es mit was zu essen?« Ryans Stimme lässt sie erschrocken zusammenfahren.

Sie hatte nicht bemerkt, dass er zu ihnen zurückgekehrt ist. Er hatte schon immer die Angewohnheit, sich anzuschleichen. Seine Frage richtet sich an Sophie, die schüchtern den Kopf an der Brust ihrer Mutter vergräbt.

Da ist sie wieder, diese Stimme in ihrem Kopf. Ein schönes Haus in Irland. Zwei kleine Mädchen, deren Zöpfe sich in der salzigen Gischt kräuseln, die in Minnie-Mouse-Badeanzügen mit Rüschen am Po am Strand herumtollen. Ryan, ein loyaler, hart arbeitender Ehemann. Der Typ Mann, dem andere Frauen heimliche Blicke zuwerfen, wenn er seine Kinder auf der Schaukel anschubst oder das Mittagessen bestellt oder – wie...


Karamustafa, Melike
Melike Karamustafa übersetzt seit vielen Jahren zeitgenössische Literatur aus dem Englischen und ist darüber hinaus als freischaffende Lektorin tätig. Sie lebt und arbeitet in München.

O'Donnell, Roisin
Roisín O'Donnells Kurzgeschichten wurden u.a. in The Stinging Fly, The Tangerine und der Irish Times veröffentlicht und für diverse Preise nominiert. Ihre Sammlung »Wild Quiet« wurde von der Irish Times zu den Lieblingsbüchern des Jahres 2016 gezählt. »Nest« ist ihr erster Roman. O'Donnell lebt mit ihren beiden Kindern in der Nähe von Dublin.



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