E-Book, Deutsch, Band 9, 224 Seiten
Reihe: marixwissen
Oppermann Die außergewöhnlichsten Todesfälle
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8438-0744-9
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von der Antike bis heute
E-Book, Deutsch, Band 9, 224 Seiten
Reihe: marixwissen
ISBN: 978-3-8438-0744-9
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein preußischer General, der beim Balletttanzen vor seinem Kaiser im rosa Tutu stirbt; ein Tragödiendichter, der von einer Schildkröte erschlagen wird; ein Gründervater der USA, der sich einen Walknochen in die Harnröhre schiebt; und eine zutiefst grausame Methode, Ehebrecher mit einem Rettich zu bestrafen – das sind einige der Phänomene, die uns im neuen Buch von Jochen Oppermann begegnen. Darin untersucht der Historiker die skurrilsten Sterbefälle der Weltgeschichte und beurteilt ihren Wahrheitsgehalt. Dabei stellt sich heraus, dass viele dieser Ereignisse und Erzählungen kulturhistorisch, manche gar weltpolitisch bedeutende Folgen hatten. Dass manche Episoden auch zum Schmunzeln einladen, versteht sich von selbst. Das Buch zeigt, dass es mit den absurden und kuriosen Todesfällen viel mehr auf sich hat, als es der erste Eindruck vermittelt. Entstehung und Rezeption dieser Geschichten treiben ein aufschlussreiches Wechselspiel. Damit grenzt sich der Band von Büchern ab, die den auf skurrile Art Verstorbenen »Dummheit« attestieren oder gar einen »Darwin-Award« zuerkennen möchten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Mors Certa, Causa Incerta; Blutrache, Gesetze und ein Theaterbesuch: Drakon und die Beliebtheit zum Tode; Warum nicht alles Gute von oben kommt: Der Tragödiendichter Aischylos, eine Schildkröte und ein Adler; Verhüllungen, Gegensätzlichkeiten und eine Wassersucht: Heraklit und die Kur mit dem Misthaufen; Göttlichkeit, vier Elemente und ein Akt der Freiheit: Der Sprung des Empedokles in den Vulkan; Wein, Weib und Tragödie: Anakreon, Sophokles und die tödliche Weintraube; Ein sterbender Asket und wieder Dionysos am Ende der Welt: Der frostige Tod des Promachos; Philemon, Chrysippos, ein betrunkener Esel und jede Menge Feigen: Warum Lachen nicht immer gesund ist I.; Stress, freche Barbaren und hoher Blutdruck: Kaiser Valentinians I. ungünstige Work-Life-Balance; Ein Dichter, ein Boot und ganz viel Stutensauger: Li Bai und die Umarmung des Mondes; Die Wikinger, eine Hinterlist und ein scharfer Hasenzahn: Sigurd und die Rache des Schädels; Drei Gelehrte, drei Religionen und jeweils ein Bücherregal: Al-Jahiz, Johannes XXI., Charles Alkan und die todbringende Bildung; Ein tüchtiger Engländer, vier Päpste und der Beelzebub: Hadrian IV. und die Fliege im Rachen; Einige hohe Adlige, ein Hoftag und ein Abort: Heinrich VI. und der Erfurter Latrinensturz; Ein fetter Markgraf, ein mäßig begabter Chirurg und ein Kreuzzug: Wer schön sein will, muss sterben? – Dedo III.; Ein Kaisersohn, eine junge Frau und eine Brustwarze: Ein früher Fall von #metoo! – Konrad II. von Schwaben; Ein König von Jerusalem, ein kleingewachsener Hofnarr und ein Fenster zum Hof: Warum Zwerge schlechte Bodyguards sind – Heinrich II. von Champagne; Feuchte Tücher, allerlei Giftmischerei und ein böser König: Der Wein-Brand Karls II. von Navarra; Eine Hofdame, ein Polterabend und ganz viel Karneval im Kopf: Der Ball der Brennenden 1393; Eine Frau namens Troffea, der heilige Veit und der Urahn des Flashmobs: Die Tanzwut 1518; Eine katholische Majestät, ein Präsident und schwindende Manneskraft: Ferdinand II., Félix Faure und der stimulierende Käfer; Warum Lachen nicht immer gesund ist II.: Martin I. von Aragon, Pietro Aretino und ein schlüpfriger Witz; Drei Franzosen, zwei Bälle und eine zerbrochene Lanze: Arnaud de Montaigne, Karl VIII., Heinrich II. und der tödliche Sport; Ein Däne in Prag, Astronomie und zu viele Getränke: Tycho Brahes zeremonielle Unterdrückung der Bedürfnisse; Empirismus, ein Bestechungsskandal und die Erfindung des Gefrierschrankes: Francis Bacons Hühnchen mit Schnupfen; Einige Pferde, etwas Haut und ein Rettich: Kreativ-grausame Hinrichtungsmethoden; Lachen, Drama und Hypochondrie: Molières nicht eingebildete Krankheit; Karriere, schöne Musik und fässerweise Whisky: Jean-Baptiste Lully, Jack Daniel und die Sache mit dem großen Zeh; Ein dichtender Kirchenmann, eine Herrenrunde und viel zu viel Tabak: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr – Jean-Baptiste de Santeul; Schwedischer Nachtisch, Alpenkäse und ungesunde Neunaugen: Adolf Friedrich, Heinrich I.
Blutrache, Gesetze und ein Theaterbesuch: Drakon und die Beliebtheit zum Tode
Nur wenige Menschen in der Geschichte haben es geschafft, dass ihr Name sprichwörtlich wurde. Und von diesen Wenigen kamen noch weniger zu der Ehre, dass sich ihr Name zu einem gebräuchlichen Adjektiv entwickelte. Meist bezeichnet man mit solchen nach bestimmten Herrschern benannte Epochen, die in der historischen Diskussion von gewissem Interesse sind, wie beispielsweise »viktorianisch« oder »wilhelminisch« usw. In die Alltagssprache auch der historisch Uninteressiertesten schafften es wiederum nur die wenigsten. Dieses Kunststück gelang dem griechischen Politiker und Gesetzesreformer Drakon (ca. 650 – ca. 600 v. Chr.). Bis heute bezeichnet man Strafen, die besonders unnachsichtig oder zu hart sind, als »drakonisch«. Drakon selbst war jedoch nicht so »schlimm«, wie man anhand seines Rufes vermuten könnte. Bei vielen seiner Mitbürger war er nämlich äußerst beliebt, ja so beliebt, dass es ihn das Leben kostete. Wann Drakon geboren wurde, ist ungewiss. Da er 624 v. Chr. das erste Mal historisch greifbar in Erscheinung trat (Figueira, S. 298 f.), kann man von einem Geburtsjahr um 650 v. Chr. ausgehen. Im Erwachsenenalter finden wir ihn in der zweiten Hälfte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts in Athen. Dies war eine Zeit, die das antike Griechenland langsam aus dem »Dunklen Zeitalter« herausführte, der Zeit also, die zwischen dem Untergang der ersten Hochkulturen der Minoer und Mykener um 1200 v. Chr. und der beginnenden klassischen Zeit ab 500 v. Chr. liegt (Vollkommer, S. 20 f.). Drakon lebte in der von Historikern als »archaischer Zeit« bezeichneten Epoche der griechischen Geschichte, in der auch die ersten griechischen Literaturwerke wie Homers Ilias und Hesiods Dichtungen entstanden. Es war die Periode, in der sich die staatlichen Strukturen erst herausbildeten, die wir heute aus der klassischen griechischen Antike kennen (ebd.). Und Drakon hatte daran maßgeblichen Anteil. Kurz bevor unser Protagonist aus der Dunkelheit der Geschichte auf die Weltbühne trat, begegnet uns eine andere Person, die nicht minder nebulös, jedoch weniger im Menschheitsgedächtnis haften blieb als Drakon. Es war der Olympiasieger im Doppellauf des Jahres 640 v. Chr., der einen großen Beitrag zu Drakons Jahrtausende überdauernder Popularität leisten sollte, obwohl dies nicht in seiner Absicht lag. Dieser attische Adlige namens Kylon wollte knapp zehn Jahre nach seinem Triumph seine Popularität ausnutzen und die alleinige Macht in Athen an sich reißen (Meier, S. 44). »Nachdem er eine Schar von Altersgenossen für sich gewonnen hatte, versuchte er sich der Akropolis zu bemächtigen. Aber der Versuch mißlang, und er setzte sich schutzflehend unter das Standbild der Göttin« (Herodot, Historien, V, 69). Doch den göttlichen Schutz missachteten seine Gegner unter der Führung des Megakles, sodass viele seiner Anhänger in der heiligen Halle gesteinigt wurden. Ein Sakrileg zweifelsohne, das keine Ruhe in Athen einkehren ließ und als »Kylonischer Frevel« in die frühe Geschichte des klassischen Athens einging (Bengtson, S. 95). Die Folge war eine Zunahme der Fälle von Blutrache, einer nach heutigem Empfinden zutiefst archaischen Vorgehensweise zur Wiedergutmachung. Diese gestattete die Sühne einer schweren Straftat wie einem Tötungsdelikt durch die Verwandten der Opfer oder andere nahestehende Personen, die auch aus der Phratrie (»Bruderschaft«) stammen konnten, also einer Verbindung mit anderen Familien. Grundsätzlich musste man nicht auf der Tötung des Täters bestehen, man konnte auch die Entrichtung einer Buße akzeptieren oder eine sonstige Einigung zur Aussöhnung (vgl. Meyer, S. 528 ff.). Jedoch barg die grundsätzliche Möglichkeit, die Rache selbst in die Hand zu nehmen, die Gefahr einer Kettenreaktion, die unter Umständen viele Todesopfer forderte. Um nicht völlig in chaotische Verhältnisse abzudriften, versuchten kühlere Köpfe, die Rachegelüste in der konkreten Situation in vernünftigere Bahnen zu lenken und Regeln festzuschreiben, die für jeden ersichtlich und nachvollziehbar waren. Damit beauftragt waren die führenden Politiker Athens, zu denen Drakon gehörte. Um das Jahr 620 v. Chr. hatte er wohl das Amt eines Archonten inne (Vollkommer, S. 30). Der Archon (»der Erste«) war ein hoher Staatsbeamter, der sich um einen bestimmten Bereich der Administration kümmerte. So gab es einen Archon für religiöse Belange, für militärische und eben auch für juristische. Der Archon eponymos war zur Zeit Drakons der oberste Funktionsträger und vielleicht hatte jener dieses Amt inne, denn er war der oberste Gerichtsherr und kümmerte sich unter anderem um das Familienrecht (Meier, S. 208). Damit jeder die Gesetze kannte, es also Rechtssicherheit gab, wurden diese auf der Agora, dem Marktplatz Athens, wo das öffentliche Leben stattfand, jedermann zugänglich gemacht. Die Gesetze wurden auf nummerierte Axones geschrieben. Dabei handelte es sich wohl um vierseitige Holzbalken, die an den Enden quer aufgehängt worden waren, sodass man sie drehen konnte. Später meißelte man sie in Steinsäulen. Ein Fragment, das 200 Jahre nach Drakon entstanden ist, blieb erhalten. Auf diesen Überresten werden auch die Person Drakon und die Existenz der aufgezeichneten Gesetze das erste Mal überhaupt historisch fassbar (Figueira, S. 292). Zu Beginn der Inschrift wird die Entstehungszeit wiedergegeben, indem die zu diesem Zeitpunkt regierenden hohen Amtsträger genannt werden. In diesem Fall das Jahr 409/408 v. Chr. Dann folgt die Angabe, dass es sich um das Gesetz des Drakon das Delikt der Tötung betreffend handelt. Hierbei wird geregelt, wie man bei einer Tötung »ohne Vorbedacht« vorgehen soll (Busolt, S. 793). Ein mehrstufiges Verfahren sieht vor, dass zunächst eine öffentliche Anklage in Verbindung mit der Aufforderung erfolgt, der vermeintliche Täter habe die Heiligtümer und die Agora zu meiden. In Erinnerung an den »kylonischen Frevel« sollte offensichtlich vermieden werden, dass es wieder zu einem solchen Sakrileg kommen konnte. Die Empörung darüber und die daraus resultierenden Unruhen in Athen waren wohl noch präsent. Allem Anschein nach konnte Drakon die Lage mit seinen Gesetzen aber beruhigen, sodass man diese noch 200 Jahre später wortwörtlich in Stein meißelte. Der Prozess fand vor 51 Richtern statt, die zu Drakons Lebzeiten ephetai hießen und auch über die angenommene Willensrichtung des Täters entschieden. Das Urteil fällten schließlich die basileis, »Könige« genannte hohe Beamte (Busolt, S. 1092). Dies konnte im Schuldfall bedeuten, dass der wegen unvorsätzlicher Tötung Verurteilte ins Exil gehen musste, wo er Schutz vor der Rache der Angehörigen des Opfers genoss. Ihm konnte auch verziehen werden, was ein per Eid bekräftigter Vertrag bestätigen musste (Meyer, S. 530). Drakons Gesetze führen das erste Mal die Unterscheidung zwischen einer vorsätzlichen und einer unvorsätzlichen Tötung ein (Bengtson, S. 85). Da die Stele nur die unvorsätzliche Tötung thematisiert bzw. nur dieser Teil überdauerte, wissen wir nicht, wie mit einer vorsätzlichen Tötung (dem »Mord« im eigentlichen, heutigen Sinn) verfahren werden sollte. Hier können wir nur per Analogie aus dem schließen, was uns durch spätere Überlieferung bekannt ist. So berichtet der antike Historiker Plutarch (ca. 45 – 125 n. Chr.) Folgendes vom athenischen Staatsmann Solon (ca. 640 – ca. 560 v. Chr.), der eine Generation nach Drakon lebte: »Zuerst hob er also die Gesetze des Drako insgesammt auf, mit Ausnahme derjenigen über Mord. Er that dies wegen ihrer Strenge und der Größe der angesetzten Bußen. Denn beinahe für sämmtliche Verbrecher war nur eine einzige Strafe festgesetzt, – der Tod. Ein Mensch, der bloß wegen Müßiggangs schuldig gefunden wurde, mußte eben sterben; wer ein Gartengemüse oder Obst gestohlen hatte, verfiel ganz der nämlichen Strafe, wie ein Tempelräuber und Mörder« (Plutarch, Solon, 17, 1–4). Somit waren allem Anschein nach die Bestimmungen der Blutrache für vorsätzliche Tötung, »ein Leben für ein anderes«, noch in Kraft. Es scheint auch, als sei hier der Ursprung der erwähnten sprichwörtlichen »drakonischen Strafe« zu finden, denn der Geschichtsschreiber fährt mit folgender Anekdote fort: Auf die Frage, warum er für die meisten Vergehen den Tod als Strafe ansetzte, antwortete Drakon, die kleinen Vergehen hätten diesen verdient, jedoch wisse er für die schlimmeren keine größere Bestrafung (Figueira, S. 290). Doch auch ein anderer Ursprung könnte angenommen werden. Wenn man sich die Fragmente der Stele anschaut, welche am ehesten als historisch »wahr« zu bezeichnen sind, kann man Drakons Gesetz wie folgt interpretieren: Dem Mörder eines Diebes oder eines Ehebrechers, was als unvorsätzliche Tötung charakterisiert wird, gilt das Exil als Strafe oder eben die Versöhnung mit der Opferfamilie....