Buch, Deutsch, Band 20, 395 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 492 g
Reihe: Labour Studies
Der Wandel der Arbeitsbeziehung im Privathaushalt in Spanien und Uruguay
Buch, Deutsch, Band 20, 395 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 492 g
Reihe: Labour Studies
ISBN: 978-3-593-50963-1
Verlag: Campus
Kann Hausarbeit zur Lohnarbeit werden? Virginia Kimey Pflücke untersucht diese Frage anhand eines historisch-soziologischen Vergleichs: Uruguay, das als Wegbereiter der Gleichstellung dieser Arbeitsbeziehung gilt, und Spanien, das europäische Land mit der größten Zahl an Hausangestellten. Die Studie zeigt die Entwicklung der bezahlten Hausarbeit von den Dienstmädchen des 19. Jahrhunderts, über erste Organisationen von Hausangestellten im angehenden 20. Jahrhundert, der Frauenfrage in den Gewerkschaften bis hin zur Dienstleistungsgesellschaft heute. So tritt die bewegte Geschichte von Arbeiterinnen hervor, in der sowohl politökonomische Strukturen als auch ideologische Kämpfe die Institutionalisierung der Hausarbeit bedingen.
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Inhalt
Vorwort von Stephan Lessenich 7
1 Einleitung 13
1.1 Was ist (bezahlte) Hausarbeit und was unterscheidet sie von anderer Arbeit? 19
1.2 Die Debatte um den Arbeitsbegriff und die Verortung bezahlter Hausarbeit 22
1.3 Bezahlte Hausarbeit - eine Begriffsklärung 28
1.4 Zur Struktur der Arbeit 32
2 Hausarbeit als Gegenstand der Sozialforschung 34
2.1 Unbezahlte Hausarbeit 37
2.2 Bezahlte Hausarbeit 47
2.3 Die gesellschaftliche Organisation der Hausarbeit 54
3 Forschungsrahmen und Methode der Arbeit 63
3.1 Intersektionalität und Historische Soziologie 63
3.2 Fallauswahl und Methode 71
3.3 Datenmaterial und -triangulation 79
4 Spanien: Frauen am Rande der Arbeitsbeziehungen 84
4.1 Bezahlte Hausarbeit in Spanien 85
4.2 Die ›Alte Welt‹, die ›Neue Welt‹ und die Bediensteten 92
4.3 Die soziale Frage und die ›Verleihung von Diensten‹ im Recht 100
4.4 Hausangestellte zwischen Ancien Régime und Modernisierung in Zeiten politischer Polarisierung 116
4.5 ›Der Dienst der Frau‹: Haushaltsarbeit im Franquismus 140
4.6 Von der ›Transition‹ bis zur Verordnung von 1985 157
4.7 Migration, Frauenarbeit und die Regulierung der bezahlten Hausarbeit 2011 187
5 Uruguay: Vom Herr-Knecht-Verhältnis zum Dienstleistungsproletariat 208
5.1 Bezahlte Hausarbeit in Uruguay 209
5.2 Die Entstehung Uruguays: Liberale und republikanische Gesellschaftsentwürfe in der Banda Oriental 217
5.3 Das Verhältnis von ›Herr‹ und ›Knecht‹ und das Erbe des Kolonialismus 227
5.4 Das ›neue Dienstleistungsproletariat‹ und die Hausangestellten zu Beginn des 20. Jahrhunderts 236
5.5 Hausarbeit und der ›Partikularismus‹ des Arbeitsrechts 251
5.6 Der Konservatismus der 1960er, die Militärdiktatur ab 1973 und die Organisationen der Hausangestellten 262
5.7 Konzessionen an die Demokratie und Neoliberalismus: HausarbeiterInnenrechte als Gleichstellungspolitik? 273
5.8 Das Gesetz 18.065, der Lohnrat und die Inklusion der Hausangestellten 285
6 Schlussfolgerungen 305
6.1 Die Regulierung und Organisierung der bezahlten Hausarbeit - ein Vergleich 309
6.2 Vom Herr-Knecht-Verhältnis zur Arbeit - zwei Wege 330
Abbildungen und Tabellen 344
Abbildungen 344
Tabellen 345
Abkürzungen 346
Literatur 348
Interviews 388
Dokumente und Berichte 390
Vorwort
Arbeit ohne Anfang und Ende: Vom analytischen Wert der bezahlten Hausarbeit
Stephan Lessenich
Nicht nur die öffentlichen Arbeitsmarktdebatten, auch der sozialwissenschaftliche Diskurs um die Formen der Vergesellschaftung von Arbeit und deren historischen Wandel sind voller Mythen. Zu einem der zentralen gehört die Vorstellung, Frauen hätten früher nicht gearbeitet, aber mit der marktliberalen Umgestaltung von Arbeitsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat sei dann - irgendwann an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert - der weibliche Teil des Erwerbspersonenpotenzials sozialpolitisch "entdeckt" und "angezapft" worden, so dass wir nunmehr mit einem historisch neuartigen Vergesellschaftungsmodus des adult worker model konfrontiert seien: Heute sei es gesellschaftlich normal geworden (bzw. politisch zur Normalität gemacht worden), dass die erwachsenen Mitglieder eines Haushalts, gleich welchen Geschlechts, als Arbeitsangebot auftreten.
Kimey Pflücke ist selbstverständlich nicht die erste Soziologin, die diesen Mythos jagt. Sie kann auf eine beeindruckende Theorieproduktion und auf eine Vielzahl empirischer Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften zurückgreifen, die diese gängige Erzählung grundlegend in Frage stellen, ja effektiv dementieren. Und dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre nun vorliegende Untersuchung ein unbedingt notwendiger, weiterer Baustein ist im großen, nicht nur disziplinär arbeitsteiligen Werk der Erschütterung wissenschaftlich mitproduzierter Fehlwahrnehmungen. Kimey Pflückes Studie zur bezahlten Hausarbeit vermag es, gängige Sichtweisen zu irritieren und herrschende Blickrichtungen zu durchkreuzen. Dass dies immer noch nötig ist, mag man selbst wiederum für irritierend halten. Umso wichtiger aber der Beitrag, den ihr Buch zur soziologischen Aufklärung, die immer auch eine Selbstaufklärung ist und sein muss, leistet.
Selbstverständlich haben Frauen immer schon gearbeitet. Und auch unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsweise war weibliche Arbeitskraft immer ein zentraler Produktionsfaktor. Nicht immer freilich in dem Sinne, dass sie als kommodifizierte Arbeit, sprich in Form von lohnabhängiger Beschäftigung im formellen Marktsektor kapitalistischer Ökonomien, in den Verwertungsprozess mit eingespeist worden wäre - obwohl auch dies historisch in viel umfassenderem Maße der Fall gewesen ist, als es das bürgerliche, selbst von einer kritischen Sozialwissenschaft häufig reproduzierte Bild von "der Frau" als marktexternprivat tätiger Hauswirtschafterin und Familienbürgerin glauben machen wollte. Jenseits der wohlsituierten, weißen Sozialmilieus gehörte die doppelte Vergesellschaftung von Frauen als Lohn- und Hausarbeiterinnen seit jeher zur sozialen Realität der industriekapitalistischen Gesellschaften.
Die moderne Geschichte der Vergesellschaftung weiblicher Arbeitskraft ist, neben jener Doppelgeschichte ihrer kapitalistischen Verwertung im betrieblichen Kontext und ihrer unentlohnten Verausgabung in der Privatheit der Familiensphäre, ganz wesentlich auch die Geschichte von Arbeit in den Grauzonen zwischen Markt und Haushalt - im informellen Sektor insbesondere jener Dienstleistungstätigkeiten, die direkt oder indirekt der Funktionsfähigkeit des (in der Regel als alleiniger Ort "produktiver" Arbeit erachteten) Produktionssektors dienen. Bezahlte Hausarbeit, die den Gegenstand von Kimey Pflückes Studie darstellt, ist eine nicht nur quantitativ relevante Form solcher "Grauzonenarbeit". Sie ist insbesondere auch eine qualitativ bedeutsame Gestalt gesellschaftlicher Arbeit, deren Analyse die Funktionsweise moderner kapitalistischer Ökonomien aufzuklären, ja diese mit zu erklären vermag.
Die Grauzone zwischen Markt und Haushalt etabliert sich freilich nicht von selbst. Sie ist vielmehr Ort staatlicher Regulierung, mehr noch: Sie entsteht als solche Zwischenzone überhaupt erst durch staatliche Intervention. Im spanisch-uruguayischen Vergleich des öffentlichen Eingriffs in die soziale Welt bezahlter Arbeit im Privathaushalt, der den Kern der vorliegenden Untersuchung ausmacht, erschüttert Kimey Pflücke gleich mehrere weitere Mythen vermeintlichen Wissens über die politische Ökonomie der Arbeit. Sozialer Fortschritt ist eine Sache des Westens bzw. des globalen Nordens, der Süden hingegen ein ewiger arbeits- und sozialpolitischer Nachzügler - spät, aber irgendwann dann doch auf den Wegen der westlichen Moderne wandelnd? Von wegen: Uruguay hat in der jüngeren Vergangenheit die womöglich weltweit progressivste politische Gestaltung bezahlter Hausarbeit eingeführt, Spanien hingegen laboriert bis heute an der historischen Erblast einer nie vollständig überwundenen Tradition der Konstruktion von Dienstleistungsarbeit im privaten Haushalt nach dem Modell der feudalen Herr-Knecht-Beziehung.
Wer die nachfolgende Untersuchung liest, wird sich künftig notwendigerweise auch an der Verlogenheit der westlich-spätindustriellen Deutung der weiblichen "Vereinbarkeitsproblematik" von Beruf und Familie bzw. an der vermeintlichen Fortschrittlichkeit sozialpolitischer Lösungen derselben im entwickelten Wohlfahrtsstaat reiben. Denn die politisch hergestellte Vereinbarkeit für die einen ist faktisch unvereinbar mit der Gewährleistung entsprechender Koordinationschancen auch für andere: Das weibliche "Beschäftigungswunder" in den konservativen Wohlfahrtsstaaten Europas ist untrennbar mit der sogenannten Rückkehr der Dienstmädchenfrage verbunden - die beispielsweise in Spanien allerdings niemals verschwunden war.
In diesem Sinne zeigt Kimey Pflückes Arbeit, dass sich die Frage der Geschlechtergleichstellung auf dem Arbeitsmarkt als eine Frage "von unten" stellt, von den marginalisierten Zonen der Erwerbsgesellschaft her - und nicht "von oben" oder ihren Zentren, wie die mit viel Engagement betriebene Fassadendiskussion um Frauen in Führungspositionen, Vorständen und Aufsichtsräten zu suggerieren sucht. Am Rande der Arbeitsgesellschaft spielt die Musik der politisch regulierten Intersektion von gender, class und race - und erst in einer vergleichenden Perspektive, die die Wahrnehmungsgrenzen europäischer Wohlfahrtsstaatlichkeit überschreitet, werden die neuen Töne erwerbszentrierter Sozialpolitik hörbar.
Schließlich weist Kimey Pflückes Untersuchung auch einen gesellschaftstheoretischen Ertrag auf, denn die politische Vergesellschaftung der Hausarbeit lässt sich auch als Sinnbild moderner Formen der - im Wortsinne - Domestizierung des Sozialen lesen. Bezahlte Hausarbeit steht, in ihrer konstitutiven Nähe zu traditionalen Formen persönlicher Abhängigkeit und gewaltträchtiger Herrschaft, prototypisch für die moderne Selbstverständlichkeit (und das in der Moderne verbreitete Selbstverständnis) der Verletzbarkeit - und legitimen Ignoranz - der existenziellen Bedürfnisse und basalen Rechtsansprüche größerer Bevölkerungsgruppen durch die Mehrheitsgesellschaft. Sie steht exemplarisch auch für die informelle Koalition von Staat und Privathaushalten als Ko-Produzenten und Ko-Profiteuren von Ausbeutung ermöglichendem Ausschluss - und dies "mitten in Europa", im 21. Jahrhundert.
Die vorliegende Arbeit wirft ein Licht auf diejenigen Zonen im Schatten des formellen Arbeitsmarkts, die man für gewöhnlich nicht sieht und die auch die soziologische Arbeits- und Arbeitsmarktforschung allzu oft gar nicht sehen mag. Eine Zone politischer Intervention und gesellschaftlicher Selbstorganisation, in der Arbeit nicht nur sozialhistorisch keinen Anfang und kein Ende kennt, sondern wo auch lebensweltlich für die betroffenen Arbeiterinnen die Arbeit niemals wirklich endet. Dieser sozialen Realität analytisch gerecht zu werden, ist das große Verdienst von Kimey Pflückes Studie.
München, im Juli 2018
1 Einleitung
Weibliche Lohnarbeit, Hausarbeit und (bezahlte) Sexarbeit werden noch immer viel zu oft unabhängig voneinander untersucht, doch wir sind nun eher dazu in
der Lage, zu erkennen, dass die von Frauen im Bereich der Lohnarbeit erfahrene Diskriminierung unmittelbar zurückgeht auf ihre Funktion
als unbezahlte Hausarbeiterinnen. (Federici 2015: 120)
Von Anbeginn an - und gleichursprünglich - ist der moderne Kapitalismus
genau besehen jedoch ein politisch-soziales Regime zugleich der Befreiung und (Wieder-)Einhegung menschlicher Arbeitskraft, der Mobilisierung und Regulierung der "freien" Arbeit beziehungsweise der Subjektivierung ihrer Trägerinnen und Träger gewesen. (Lessenich 2008: 130)
Die Bedeutung der Hausarbeit für die politische Ökonomie kann kaum überschätzt werden, betrifft sie doch die Reproduktion menschlicher Lebenszusammenhänge, die Produktion privater Wohlfahrt schlechthin. Die Trennung von privater und öffentlicher Sphäre, die mit der geschlechtlichen Arbeitsteilung verwoben ist, weist die Rolle der Produktion dieser Fürsorge der Frau zu. Silvia Federici bezeichnet in diesem Sinne "the home and housework as the foundations of the factory system, rather than its ›other‹" (Federici 2015: 6f.). So betrachtet verwundert die lange Zeit vernachlässigte Analyse der bezahlten Hausarbeit als Teil dieses Fundaments. Besonders seit den 1990er Jahren finden Dienstleistungen im Privathaushalt als - häufig informelle - gering entlohnte Tätigkeiten wieder verstärkt statt (Jany-Catrice 2009; Sarti 2006). Das Wachstum dieses Sektors zeitigt jedoch mitnichten eine neue Anerkennung der Arbeit der Frau im Haushalt. Noch in den 1970er Jahren hatten marxistische Feministinnen in der Lohn für Hausarbeit-Kampagne eine Vergütung der unbezahlten Hausarbeit gefordert, um die "versteckte Subsumption" der Arbeit der Frauen unter den Arbeitslohn der Männer zu beenden (Dalla Costa/James 1975; Werlhof 1978). Mit der sozialreformerischen Forderung verbanden sie revolutionäres Potenzial, da sie die Abhängigkeit der Frau vom Mann ebenso wie die Unsichtbarkeit der Hausarbeit als Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise kritisierten (Federici 1975). Vergeblich, wie es scheint - die heutige Rückkehr der Dienstmädchenfrage in großem Maßstab zeigt, dass es keine Überwindung der geschlechtlichen Arbeitsteilung durch die Anerkennung unbezahlter Familienarbeit gab und gibt. Waren es 1995 noch 33 Millionen, so arbeiten heute vorsichtigen Schätzungen zufolge 53 Millionen Menschen, in der Hauptsache Frauen, weltweit als Hausangestellte (ILO 2013). Frauen migrieren in Zeiten des Rückbaus wohlfahrtsstaatlicher Systeme quer über den Globus, um in anderen Familien für die Pflege des Haushalts und seiner BewohnerInnen zu sorgen (Lutz/Palenga-Möllenbeck 2012). Ihre Arbeit ist dabei meist informell, gering bezahlt, prekär, und grenzt teilweise an Menschenhandel (Pomares Cintas 2011; Schwenken 2011). Viele Graubereiche ergeben sich, in denen Haushaltsarbeit auf mehr als ökonomischen Zwängen beruht - so etwa, wenn Angestellten der Pass durch den Haushaltsvorstand entwendet wird (Ehrenstein 2010). Es genügt, dass Angestellte in dem Haushalt leben, in dem sie auch arbeiten, um viele der grundlegenden Arbeitsrechte von ArbeitnehmerInnen zu untergraben (Palenga-Möllenbeck 2013).
Diese besonders prekäre Lage der Hausangestellten ist historisch nicht neu. Schon mit Beginn der kapitalistischen Produktionsweise institutionalisierte sich eine "Trennung zwischen dem Arbeiter, der seinen eigenen Haushalt führte, und dem Knecht, der Magd oder der Dienerin, die im Hause des Herrn versorgt wurden" (Osterhammel 2009: 106). Während die Rechte ›des Arbeiters‹ wenngleich selbstverständlich umkämpft, so doch bereits seit langem und intensiv Gegenstand internationaler Konventionen und nationalen Arbeitsrechts sind, sieht es für die NachfolgerInnen der ›Knechte‹ und ›Mägde‹ anders aus: Erst seit 2011 werden verstärkt international Schritte zur Beendigung der schlechten Arbeitsbedingungen in Privathaushalten koordiniert. Die ILO startete eine Kampagne für Decent Work in Domestic Work; ihre Konvention 189 wurde bis heute von 25 Ländern ratifiziert (Stand: Frühjahr 2018), von denen mehr als die Hälfte in Lateinamerika liegen.
Das erste Land, das die Konvention ratifizierte und, mehr noch, als Vorlage dafür diente, war Uruguay. Sein Gesetz von 2006 geht in der Garantie von Arbeitsrechten viel weiter, als die ILO bis heute zu fordern wagt (vgl. Kapitel 5.8). 2013 fand in Uruguay auch der Gründungskongress der internationalen Hausangestelltengewerkschaft statt, da die Regierungskoalition gemeinsam mit den Sozialpartnern die Regulierung der Arbeitsbeziehung ›Hausarbeit‹ wie jede andere Arbeit auch beschloss und dies zu einem Schlüsselmoment in der Bekämpfung von Informalität und Armut erklärte (BPS 2016; IDWN 2013). Im Vergleich dazu ist es erstaunlich, wie schwer sich viele Länder des ›Globalen Nordens‹ mit der Umsetzung und Ratifizierung der Konvention tun: Deutschland unterzeichnete die Konvention 189 bereits im Jahr 2013, doch für sogenannte live-in domestic workers - also Hausangestellte, die am Arbeitsplatz wohnen - baute man eine Klausel ein, die diese Gruppe von den Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation ausnimmt (vgl. Keller 2015). Als live-in Angestellte arbeitet man beispielsweise häufig in der häuslichen Pflege und ist Schätzungen zufolge hierzulande mit 80- bis 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit informell beschäftigt. Betrachtet man die Liste der Konventionsunterzeichner, so fällt auf, dass sich darunter wenige Länder der Europäischen Union befinden. Trotz ausdrücklicher Empfehlung von Seiten der Europäischen Kommission wird die Neuregelung hier noch wenig unterstützt (ILO 2016). Selbst Frankreich, früher treibende Kraft in Fragen des Arbeitsrechts und der ILO-Konventionen, tut sich schwer, die Lage der Hausangestellten im eigenen Land zu verbessern (Morel 2015.
Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang Spanien, da es das Land mit der höchsten absoluten und relativen Zahl an Hausangestellten unter den OECD-Staaten ist (LABORSTA 2008). Auch wenn die Datenlage aufgrund von Informalität, geringer Anerkennung und unzugänglichen Arbeitsorten mehr als problematisch ist (Schwenken und Heimeshoff 2011), können doch einige Aussagen über den Hausarbeitssektor getroffen werden: Sicher ist, dass spätestens seit den 1990er Jahren die Zahl der Angestellten wieder steigt - dies gilt nicht nur global (Duffy 2007), sondern in ganz besonderem Maße auch für Spanien: So stieg die Zahl der Hausangestellten von 221.500 (1996) über 500.000 (2009) auf 661.000 im Jahre 2014 (León 2010: 410f.). Der größte Zuwachs ist dabei durch migrantische HausarbeiterInnen zu verzeichnen: Im Jahr 2012 waren 60 Prozent der genannten Beschäftigten keine spanischen StaatsbürgerInnen, während es noch im Jahr 2000 nur 15 Prozent waren. 11,4 Prozent der Hausangestellten in Spanien lebten Schätzungen zufolge 2011 in dem Haushalt, in dem sie arbeiteten (Patino Alonso u.a. 2011). Der Anteil an SpanierInnen unter diesen empleadas/os sin retiro (dt. Hausangestellte ohne Rückzug) dürfte geringer ausfallen (Arango u.a. 2013). Das Land stellt damit zwar international keine Ausnahme dar, aber doch einen Extremfall innerhalb Europas - mit der größten Zahl an Hausangestellten, hoher Informalität und einer gesetzlichen Regulierung, die unter dem Mindestmaß internationaler Konventionen liegt.
Auch in Uruguay betrifft die Arbeitsbeziehung im Privathaushalt eine große Personengruppe: Über 100.000 der knapp vier Millionen EinwohnerInnen verdienen ihr Brot als Hausangestellte und unterhalten damit häufig die Familie im In- und Ausland. Die Zahl der ArbeitgeberInnen ist nicht minder erstaunlich: In Uruguay zählt mehr als jeder zehnte Haushalt auf die Auslagerung eines Teils der häuslichen Arbeit (Batthyány 2012). In Spanien kommt man, je nach Studie, auf eine Zahl zwischen 7 und 13 Prozent aller Haushalte, die zwischen 1985 und heute mit der regelmäßigen Arbeit eines oder einer Hausangestellten rechnen (Colectivo IOÉ 1990: 31; Secretaría de Estado de la Seguridad Social 2016b). In beiden Ländern ist die Ausübung der Tätigkeit fast ausschließlich in weiblicher Hand; so sind 94 Prozent der Hausangestellten in Spanien Frauen, ebenso wie 97 Prozent der Hausangestellten in Uruguay, was das lateinamerikanische Land dazu bewog, die neuen gesetzlichen Regulierungen bewusst im generischen Femininum zu formulieren (CTIOTE 2011).
In beiden Ländern ist Haushaltsarbeit also ein zentrales Standbein weiblicher Erwerbsarbeit. Doch sie unterscheiden sich bereits auf den ersten Blick hinsichtlich der gesetzlichen Regulierung enorm. Auch bezüglich der Organisation des Sektors im Sinne industrieller Beziehungen - im Folgenden als Organisation der Arbeitsbeziehungen gefasst - unterscheiden sich die beiden Länder deutlich (vgl. Kapitel 4.7 und 5.8): In Spanien hat sich bis heute keine ArbeitgeberInnenorganisation in diesem Sektor finden können, die willens wäre, an Tarifverhandlungen zu partizipieren und mehr als nur die Unterschrift zu gesetzlichen Regulierungen beizusteuern. So basiert die Regulierung der Hausarbeit auch heute vorwiegend auf Vorschlägen der Gewerkschaften und der Regierung. In der neueren Geschichte dieser Arbeitsbeziehung wurden 1985 und 2011 neue Verordnungen von der sozialdemokratisch geführten Regierung unter dem PSOE verabschiedet. Doch trotz der Federführung des PSOE und der Gewerkschaften lassen sich die Interessen der gewerkschaftlich vertretenen Hausangestellten kaum in diesen zwei Regularien wiederfinden: Beide exkludieren Haushaltsarbeit aus grundlegenden Arbeitsrechten wie Kündigungsschutz, Kontrolle durch die Arbeitsinspektion und einer gleichgestellten Sozialversicherung. Ganz das Gegenteil stellt Uruguay auch in diesem Bereich dar: Bereits in den 1960er Jahren gründete sich hier eine Gewerkschaft von Hausangestellten; seit dem 19. August 2008 gibt es Tarifverhandlungen mit einer ganz neuen ArbeitgeberInnenorganisation: Der Hausfrauenbund der Liga de Amas de Casa, Consumidores y de Usuarios (kurz: LACCU) konnte sich damit identifizieren, die Haushaltsvorstände in ihrer Rolle als ArbeitgeberInnen für diesen Sektor zu repräsentieren. Der 19. August ist seither der Nationale Feiertag der Hausarbeiterin. Im Jahr 2016 befanden sich die Tarifverhandlungen in ihrer vierten Verhandlungsrunde, und in den vergangenen Jahren konnte trotz eines immer deutlicheren Interessenkonflikts tatsächlich eine sukzessive Annäherung des Lohnes an den nationalen Durchschnitt erreicht werden, ebenso eine in vielen Punkten verbesserte Umsetzung der Rechte dieser ArbeitnehmerInnenschaft (Goldsmith 2013).
Die vorliegende Arbeit rekonstruiert die Arbeitsbeziehung im Privathaushalt. Sie beginnt dabei in Uruguay mit dem Ende des Herr-Knecht-Verhältnisses im 19. Jahrhundert, und endet mit der Entstehung einer ArbeiterInnenschaft im Privathaushalt heute. In Spanien setze ich ebenfalls im 19. Jahrhundert an; hier jedoch steht am Ende die Institutionalisierung der Haushaltsarbeit am Rande der Arbeitsbeziehungen. Anhand dieser Rekonstruktion beantworte ich nicht nur die Frage, wie Haushaltstätigkeiten zu ›Arbeit‹ im Sinne von Erwerbsarbeit werden. Auch der heute immer drängenderen Suche nach Formen der Integration neuer Dienstleistungen in das Arbeitsrecht und in weitere Arbeitsmarktinstitutionen können wir anhand bezahlter Hausarbeit als Kernbereich des Care-Sektors beikommen. Schließlich wird die Frage nach der Gleichstellung der Geschlechter von ihrer Beschränkung auf "gläserne Decken" und Chancengleichheit in der Chef-Etage wieder auf die weitaus größere - wenn auch weniger mächtige - Gruppe der Frauen am unteren Ende des Dienstleistungssektors ausgeweitet. Nicht zuletzt soll an dieser Stelle eine Veränderung dessen, was wir nach dem Ende des Ernährerlohns - also in Zeiten des Postfordismus - überhaupt als Arbeit verstehen, empirisch greifbar gemacht werden.
Uruguay und Spanien eignen sich für eine Gegenüberstellung auch aufgrund ihrer historisch gekreuzten Pfade in der ersten bürgerlichliberalen Verfassung - der Verfassung von Cádiz im Jahr 1812. Die institutionellen Pfade der hier untersuchten Arbeitsbeziehung driften ab diesem Zeitpunkt, mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der südamerikanischen Kolonien, diametral auseinander. Die Herangehensweise der Analyse ist somit ein historisch-soziologisch kontrastierender Vergleich (vgl. Kapitel 3.2). So wird ein Bild davon gewonnen, wie sehr sich Arbeitsbeziehungen wandeln können, und welche Aspekte sich trotz aller Unterschiede in der arbeitsrechtlichen Regulierung und Organisation der Arbeitsbeziehungen gleichen. Durch die historisch-soziologische Analyse gelingt es, die längerfristigen Prozesse herauszuarbeiten, und dabei die Kontinuitäten und Brüche in der Institutionalisierung der hier behandelten Arbeitsbeziehung der Haushaltsarbeit, im Recht und in den industriellen Beziehungen beider Länder zu rekonstruieren.
Die Arbeitsverhältnisse im privaten Haushalt sind bis heute ein wenig untersuchter Teil moderner Gesellschaften. Sie unterliegen meist nicht den gleichen Regulierungen wie andere Arbeitsverhältnisse, sondern ihnen haftet nachwievor der ›Makel‹ an, keine ›richtige‹ Arbeit zu sein (Bakan/ Stasiulis 2010b: 10; vgl. Fußnote 273). Historisch unterscheidet sich die Stellung der Hausangestellten von anderen Arbeitern mit Beginn der kapitalistischen Vergesellschaftung durch die Trennung von Haushalt und Arbeit und die Hoheit der Patrias Potestas, der väterlichen Gewalt über die Haushaltsmitglieder. Sie wurden zunächst keine Bürger, und an ihnen entschied sich, wer als Bürger galt:
"Ein Bürger ist, wessen Frau und Töchter den Erwerb in fremden Diensten nicht nötig haben, und ein gehoben bürgerliches Gesellschaftsmitglied, wer sich umgekehrt materiell in der Lage findet, Dienstboten im eigenen Haushalt zu beschäftigen." (Osterhammel 2009: 1085)
Die vorliegende Arbeit untersucht aus diesem Grund die Arbeitsbeziehung im Privathaushalt seit dem 19. Jahrhundert und nimmt dabei eine intersektionale Perspektive ein. Letztere sensibilisiert für Ungleichheiten, die sich nicht ›nur‹ an der Zuschreibung dieser Arbeit zum weiblichen Arbeitsvermögen zeigen: Jürgen Osterhammels Zitat impliziert bereits die Zentralität von Stand und Klasse für die gesellschaftliche Diskriminierung der Bediensteten. Auch gehören Migration und race zu den konstituierenden Momenten dieses "Prozess[es] der Zuschreibung" (McCall 2006; Ostner/ Beck-Gernsheim 1992). Neben den empirischen Zielen kann die Analyse dieser Arbeitsbeziehung im kontrastierenden Vergleich auch einen theoretischen Beitrag leisten, denn die erneute Zuspitzung der "Dienstmädchenfrage" legt das Versäumnis sozialwissenschaftlicher Theoriebildung seit ihren Klassikern offen, die sich in der Regel mit produktiver Arbeit beschäftigten: Karl Marx' Definition von Arbeit als ›Stoffwechsel mit der Natur‹ beschreibt diese als anthropologische Konstante, also nicht nur in ihrer heutigen Form der Lohnarbeit. Doch beinhaltet diese Definition auch die Reproduktion - oder bezieht sich sein Arbeitsbegriff "allein instrumentell auf die äußere Natur" (Voß 2010: 47)? Was ist Hausarbeit, und wie ist bezahlte Hausarbeit darin konzeptuell zu integrieren? Welcher Arbeitsbegriff ist notwendig, um eine Analyse der Arbeitsbeziehung im Privathaushalt anstellen zu können? Diese Fragen sollen im Folgenden einleitend beantwortet werden und zugleich als Einführung in das Thema und die Struktur dieser Arbeit dienen.
1.1 Was ist (bezahlte) Hausarbeit und was unterscheidet sie von anderer Arbeit?
Hausarbeit. Seit den 1970er Jahren bezeichnet der Begriff jene Tätigkeit, die hauptsächlich Frauen hauptsächlich unbezahlt und hauptsächlich im Haushalt verrichten. Im Laufe der feministischen Kämpfe und Forschung wurde daraus ein allgemeiner Begriff, den ich hier einer kurzen ›Begriffsentwirrung‹ unterziehe. Die feministische Arbeitssoziologie bringt Hausarbeit seit den 1980er Jahren strukturell mit dem "weiblichen Arbeitsvermögen" insgesamt in Verbindung. Infolgedessen wird "Frauenarbeit" in ihrer "Formbestimmung" auf Hausarbeit zurückgeführt (Ostner/Beck-Gernsheim 1992). Diese definiert sich über den Ort, an dem und für den sie verrichtet wird, und weniger über einzelne Tätigkeiten:
"Hausarbeit, umfassend verstanden als Arbeit zuhause, ist vor allem alltägliche Sorge für die unmittelbaren leiblichen und seelischen Bedürfnisse der eigenen Person, der Kinder oder des nahen Erwachsenen. Sie umfaßt ganz banale Routinehausarbeiten, ist jedoch auch als bloße Putzarbeit vermischtes Tun, ›Beziehungsarbeit‹, eine Mitteilung an vertraute Personen. Oft fallen unterschiedliche Arbeiten unterschiedlicher Logik, Zeitstruktur oder Beziehung zuhause gleichzeitig an. […] So kennzeichnen wir Hausarbeit dadurch, daß vielfältige Aufgaben unterschiedlicher Struktur und Logik in einem unmittelbaren Sozialkontext bewältigt werden, in den die Arbeitenden fest eingebunden sind […]." (ebd.: 109f.)
Hausarbeit steht in der feministischen Arbeitssoziologie Erwerbsarbeit gegenüber, die tendenziell spezialisierter ist, mit mehr Autonomie von der Familie einhergeht und zu einer Vergesellschaftung des Einzelnen außerhalb des privaten Heimes beiträgt. Die Arbeit der Frau wird in dieser Formbestimmung als die in der Marktlogik entwertete, da häufig unter den Lohn des Mannes subsumierte unbezahlte Hausarbeit verstanden (vgl. Kapitel 2.1). Die Zuordnung der Reproduktion als notwendiges Überbleibsel der einst umfassenderen Subsistenzwirtschaft zur Sphäre des Privaten und die Zuordnung der Frau zu dieser Sphäre bildet Nancy Fraser zufolge die Grundlage für weitere Ausbeutung und Unterdrückung:
"[…C]apitalist societies have separated the work of social reproduction from that of economic production. Associating the first with women and the second with men, they have remunerated ›reproductive‹ activities in the coin of ›love‹ and ›virtue‹, while compensating ›productive work‹ in that of money. In this way, capitalist societies created an institutional basis for new, modern forms of women's subordination." (Fraser 2016)