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E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Pfoser / Rásky / Schlösser Maskeraden

Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7017-4721-4
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4721-4
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine spannende Kulturgeschichte Österreichs in den sich verfinsternden Jahren 1933–1938.

Nach der Ausschaltung des österreichischen Parlaments im März 1933 ging es Schlag auf Schlag. In Engelbert Dollfuß' Traumgebilde des "autoritären, christlichen Ständestaates" wurde ein politisch inkonsequenter Schlingerkurs eingeschlagen, der folglich im "Anschluss" an das nationalsozialistische Deutschland mündete. Doch wie sah das Alltags- und Kulturleben zwischen 1933 und 1938 aus? Inmitten von Prozessionen der katholischen Kirche, Operettenseligkeit sowie Sport- und Technikbegeisterung glänzten die liberale Hochkultur und intellektuelle Mahner. Doch künstlerische Freiräume wurden immer mehr eingeschränkt, Rückzugsgebiete der Zivilgesellschaft eliminiert. Die Kulturgeschichte der Jahre 1933 bis 1938 stellt in einem breiten Panorama dar, wie das scheinbar Widersprüchliche zusammenpasste.

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Einleitung
Maskerade – so hieß der Film mit Paula Wessely in der Hauptrolle, der im Jahr 1934 der österreichischen Kinoindustrie einen internationalen Sensationserfolg verschaffte. Maskeraden – so nennen wir auch unsere Kulturgeschichte des Austrofaschismus, die sich mit den Verkleidungen und Drapierungen des repressiven österreichischen Polizeistaates zwischen 1933 und 1938 befasst. Den Maskeraden fiel in allen faschistischen Diktaturen eine tragende Rolle zu: Die Macht zeigte sich in theatralischen Auftritten, die Propaganda inszenierte kollektive Mythen und ›vaterländische‹ Erinnerungen. Auch der Austrofaschismus bediente sich mit mehr oder weniger Geschick der demonstrativen Pracht- und Machtentfaltung. Sie sollte die fehlende Unterstützung in der Bevölkerung wettmachen und die Exklusion von der politischen Teilhabe verschleiern. Zu den Stützen, auf die der Austrofaschismus dabei setzte, gehörten ›die Religion, die Geschichte‹ und vor allem ›die Kultur‹, die im Mittelpunkt dieses Buches steht. Ein Meisterstück der Theatralität war der Deutsche Katholikentag im September 1933, bei dem Engelbert Dollfuß, kostümiert in der Uniform des Tiroler Kaiserjägers, den ›christlich-autoritären Ständestaat‹ ankündigte und das Ende des Parlamentarismus ausrief. Die Kirche – traditionell ein Machtfaktor in der festlichen Ausgestaltung des Lebens – beteiligte sich willig an der Neuordnung, weil sie sich mehr Einfluss auf das Leben der Gläubigen und ein Ende der republikanischen Säkularisierung versprach. Gemeinsame Auftritte von Dollfuß und Kardinal Innitzer erweckten den Eindruck einer Verschmelzung von Regierung und Kirche. Wallfahrten wurden zu Staatsaktionen und beschworen das göttliche Einverständnis mit dem politischen Projekt. Auch ein erheblicher Teil des bürgerlichen Kulturlebens fügte sich in den politischen Rahmen des Dollfuß/Schuschnigg-Regimes ein. Der Wiener Film und der bürgerlich-städtische Theaterbetrieb waren gerade zu der Zeit, als Dollfuß nach und nach in die Rolle des autoritären Führers schlüpfte, von einer mächtigen Strömung der Habsburg-Nostalgie befallen. Das ließ sich instrumentalisieren. Hubert Marischka, der bekannte Regisseur von Operetten und Revuen, reklamierte gar im Programmheft des Militärspektakels O du mein Österreich für sich, dass seine Form des Theaters der Politik den Weg gewiesen habe. Das Absingen der Kaiserhymne und die Wiederbelebung der alten Uniformen sei zuerst auf der Bühne passiert: »Nicht ich gehe mit der Konjunktur, sondern das Werk, das ich auf die Bühne stelle, soll dem zum vaterländischen Geist erwachsenen österreichischen Bewußtsein die weitere Konjunktur erleichtern.« Im Unterschied dazu hielten sich die künstlerisch gelungenen Aufführungen bei den Salzburger Festspielen, in der Wiener Staatsoper oder im Konzertbetrieb von unmittelbarer Propaganda fern. Dennoch erfüllte auch diese hochkulturelle Distanz zur Aktualität einen politischen Zweck: Sie diente der Feier Österreichs als Hort einer ›höheren‹, ›besseren‹ deutschen Kultur, und damit als Kampfansage gegen das ›barbarische‹ ›Dritte Reich‹. Mit der Indienstnahme des Theatergenies Max Reinhardt oder der Stardirigenten Arturo Toscanini und Bruno Walter sollte dem westlichen Ausland und dem heimischen Bürgertum vermittelt werden, Österreich sei ein freier, liberaler Staat. Ab März 1933 – nach der Ausschaltung des Parlaments als Ort der Kompromisse zwischen antagonistischen Interessen – ging in der Politik alles Schlag auf Schlag. Diejenigen, die sich bis dahin im Nationalrat, in den Landtagen, Gemeinde- oder Betriebsräten verbal bekämpft, aber auch um Kompromisse gerungen und Gesetze beschlossen hatten, waren, zum Teil durchaus nicht ungewollt, in einen Strudel der Gewalt geraten. Innerhalb kürzester Zeit hatten Dollfuß und sein Bündnis aus Christlichsozialen und Heimwehr Entscheidungen gefällt, die keinen Weg zurück erlaubten. Die mächtige Sozialdemokratie mit ihrer breiten Sub- und Alternativkultur fand gegen diese Spirale der Eskalation kein Gegenrezept. Ihre Politik des Zurückweichens endete schließlich im Februar 1934 in Exekutionen, Demütigung, Niederlage und Verbot. Die sozialen und politischen Errungenschaften der Republik waren in der Folge rasch beseitigt – und die österreichische Variante des Faschismus etabliert. Die Verkündung der neuen Verfassung am 1. Mai 1934 wurde als großes Theaterstück inszeniert. Die Verwendung der Begriffe für das 1934 geschaffene Herrschaftssystem war Teil eines semantischen Verwirrspiels. Je nach Adressaten wurden innerhalb des Regimes unterschiedliche Sprechweisen praktiziert. Bundeskanzler Dollfuß gab die Parole aus, dass in Österreich erstmals ein Staat nach den Vorgaben der päpstlichen Enzyklika Quadragesimo anno realisiert werde. Der Vizekanzler bezeichnete die neue Ordnung als »Austrofaschismus«, der mit österreichischen Besonderheiten dem italienischen Beispiel nachgebaut werde. Hinter der Maske eines verfassungsmäßigen, postrepublikanischen, vermeintlich gottgewollten ›Bundesstaates Österreich‹ mit seiner Preisung von Kultur, Vergangenheit und Religion verbargen sich Rechtlosigkeit und politische Verfolgung: Angeblich herrschte Pressefreiheit, tatsächlich wurden oppositionelle Organe und Stimmen ausgeschaltet; im Namen der katholischen Soziallehre wurde brutaler Sozialabbau betrieben. Die glanzvolle Fassade der universellen Hochkultur und Weltoffenheit versteckte häufig Mittelmaß und Provinzialität; trotz formaler staatsbürgerlicher Gleichheit wurde alles Nichtkatholische ausgegrenzt. Auch wenn es – im großen Unterschied zu NS-Deutschland – keine staatlich angeordnete systematische Verfolgung von Jüdinnen und Juden gab, machte sich doch ein schleichender, allerorts präsenter, stillschweigend akzeptierter Antisemitismus breit. Wirklich konsolidieren konnte sich die Diktatur jedoch nicht einmal kurzzeitig, sie stolperte von einer Misere in die nächste. Es gab keine Entspannung oder Beruhigung, sondern nur Krise in Permanenz. Die Schwäche des Regimes zeigte sich paradigmatisch im kulturellen Feld. Auch wenn der Austrofaschismus in vielen Bereichen eine weitgehende Hegemonie erlangen konnte, sollte es ihm nie gelingen, der gesamten Gesellschaft eine einheitliche Kulturpolitik aufzuoktroyieren und sie dadurch an sich zu binden. Übrig blieben Grauzonen, die sich – etwa in den durchaus beliebten Kabarettbühnen – als gefährdete Freiräume nutzen ließen. Unmittelbar nach dem März 1938 sollte sich jedoch herausstellen, wie stark das Kulturleben bereits nationalsozialistisch unterwandert war, als große Teile des kulturellen Establishments nicht nur aus ökonomischen Opportunitätsgründen ihre Loyalität zum ›Dritten Reich‹ bekundeten. Maskeraden skizziert unter Berücksichtigung vorliegender Forschungsarbeiten eine Momentaufnahme des Kultur- und Kunstbetriebs, der Alltagskultur, der Institutionen und der führenden Exponent:innen. Ausgehend von jeweils einem tagesaktuellen Ereignis beschreiben die einzelnen Beiträge divergierende Facetten des Literatur- und Theaterlebens der Zeit, die Musik- und Unterhaltungskultur, den Versuch, einen von NS-Deutschland unabhängigen österreichischen Film zu schaffen, den Medienwandel, die Propaganda in der staatlich kontrollierten RAVAG, modernistische Tendenzen in der Architektur, die Sport- und Fußballbegeisterung, den Ausbau einer Verkehrsinfrastruktur oder das Wiederaufleben eines elitären Gesellschaftslebens. Der Staat gefiel sich in der Rolle des Förderers des Fremdenverkehrs, was sich etwa in zwei groß gefeierten Projekten, der Eröffnung der Großglockner-Hochalpenstraße und der Wiener Höhenstraße, manifestierte. Die 57 Artikel lassen erahnen, wie das scheinbar Widersprüchliche der unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten zusammenpasste oder zumindest: wie es nebeneinander bestehen konnte. Sie sind Mosaiksteine, die kein komplettes Gesamtbild ergeben können, weil Puzzleteilchen fehlen müssen. In den Monaten vor dem März 1938 bröckelte schließlich das System an allen Ecken und Enden: Was einige als Perspektive für eine Demokratisierung des Systems sahen, als Aufbruchsstimmung wahrnahmen, als Möglichkeit, den Nationalsozialismus im letzten Moment doch noch abzuwehren, erlebten andere als das nahende Fiasko, aus dem es kein Entrinnen gab. Sie bezahlten nun dafür, dass sie sich schon lange vorher in aller Stille mit dem System als dem ›geringeren Übel‹ arrangiert hatten. Diese Floskel wurde bereits 1933 vielfach von Intellektuellen als Fundament der Erwartung verwendet, dass mit einer autoritären Führung die Katastrophe einer drohenden Machtübernahme des Nationalsozialismus effizienter verhindert werden könnte: Auch dies ein Grund für das Schweigen, das Arrangement vieler Intellektueller, den Rückzug ins Private, ins Gesellschaftsleben, in die hehre Kunst, die zu keiner offenen Stellungnahme verpflichtete....


Alfred Pfoser
geboren 1952 in Wels. Studium der Germanistik, Geschichte und Publizistik in Salzburg. 1998–2007 Leiter der Büchereien Wien, 2007–2016 Leiter der Druckschriftensammlung und stv. Direktor der Wienbibliothek. Zahlreiche Publikationen zur österreichischen Kultur und Literaturgeschichte. Zuletzt erschienen: "Die erste Stunde Null" (2018, mit Andreas Weigl) sowie "Otto Wagner – Meine angebetete Louise" (2019, hrsg. mit Andreas Nierhaus) und "Die Zerstörung der Demokratie und der Februar 1934" (2023, hrsg. mit Bernhard Hachleitner, Katharina Prager und Werner Michael Schwarz).

Béla Rásky
geboren 1957, Studium der Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Von 2010–2020 Geschäftsführer des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocauststudien. Mitarbeit an zeithistorischen Projekten, Ausstellungen und Publikationen, zahlreiche Übersetzungen aus dem Ungarischen.

Hermann Schlösser
geboren 1953, ist Literaturwissenschaftler, Hochschullehrer und Journalist. Er studierte Germanistik und Anglistik. Von 1989 bis 1997 arbeitete er als freier Journalist, u. a. für das Literaturmagazin "Lesezirkel", das vierteljährlich von der "Wiener Zeitung" herausgegeben wurde. Zuletzt war er für die Feuilletonbeilage "extra" der "Wiener Zeitung" tätig. Zahlreiche Publikationen zur Literatur des 20. Jahrhunderts.



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