E-Book, Deutsch, 540 Seiten
Pilz Der anatolische Panther
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7099-3753-2
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 540 Seiten
ISBN: 978-3-7099-3753-2
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Underdog in Schwierigkeiten und der Hassprediger von nebenan.
Schonungslos direkt, berührend und packend: Jagd auf einen Underdog
Kleiner Gangster, großes Herz: Seit der junge Türke Tarik seine Fußballkarriere aufgegeben hat, schlägt er sich in München mit kleinen Einbrüchen und Drogendeals durch. Er verbringt viel Zeit auf der Straße, mit seinen Freunden Doogie, Sugo-Joe und Yiannis, allesamt einigermaßen gescheiterte Existenzen. Als sie bei einem Einbruch erwischt werden, hat die Polizei Tarik am Haken - und schlägt einen Deal vor: Tarik soll sich ins Umfeld eines Hasspredigers einschleichen, der sich "Derwisch" nennt und im Verdacht steht, einen Terroranschlag zu planen. Das geht schief, und plötzlich ist neben der Polizei auch noch der Derwisch hinter ihm her - und Tarik muss nicht nur sich selbst retten, sondern auch seinen geliebten Großvater, der von den Islamisten bedroht wird ...
Ausnahmetalent André Pilz: eine Stimme aus dem Untergrund
Heftig, ehrlich und ohne Tabus: André Pilz begleitet den türkischen Kleinkriminellen Tarik, einen sympathischen Underdog, auf einer atemlosen Verfolgungsjagd - und erzählt gleichzeitig eine berührende Geschichte von Angst, Hoffnung und dem Kampf um die eigene Zukunft. Schonungslos direkt und zugleich unglaublich einfühlsam, in einer einzigartig knappen und harten Sprache erzählt er von seinen Figuren.Tarik hat ein gutes Herz, auch wenn er alles andere als ein mustergültiges Leben führt. Umso mehr fiebert man mit, als er sich auf den Deal mit der Polizei einlässt, den Derwisch ausspioniert und schließlich zwei Verfolger ihm auf den Fersen sind.
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"André Pilz lässt mich atemlos zurück. Kein anderer kann so authentisch, so direkt und dabei so emotional erzählen. Ein Buch wie ein Schlag ins Gesicht - und trotzdem will man mehr davon."
Leserstimme
Autoren/Hrsg.
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All the snakes crawl at night; that’s what they say. When the sun goes down, then the snakes will play. (The Snakes Crawl At Night, Charley Pride) Chachapoya nennt mich Nteba, wenn wir im Bett liegen. Oh ja, wir sind Wolkenmenschen. Nebelkrieger. Ich wohne im siebten Stock, Doogie im neunten, Yiannis im zehnten, und Sugo-Joe übertrumpft uns alle: Seine Bude ist im elften Stock. Dazu hat er als Einziger noch einen Balkon, eine Mama, die grandiose Kuchen und Weihnachtskekse backt, und eine hübsche, großgewachsene Blondine als Schwester, die hie und da bei ihm übernachtet und uns alle irr macht, wenn sie in Sommerklamotten mit ihren langen Beinen durch die Bude schwänzelt oder sich im Liegestuhl draußen im knappsten aller knappen Bikinis sonnt. Wir sind Wolkenmenschen. Im Nebeldunst der Abgase. Im Lärm der übersteuerten Fernsehgeräte und Spielkonsolen. Im Treppenhaus stinkt es nach Fast Food, nach verschüttetem Bier, Pisse und Red Bull. Unsere Feinde wollen uns ausrotten, aber wir sind zäh. Inkas, Konquistadoren, Bullen, Kanaken, Bonzen, Nazis, Islamisten, Immobilienhaie, Rocker – uns kriegt keiner so schnell klein. Euer Hass ist unser Stolz. Es ist schon weit nach Mitternacht, ich stehe am Fenster und schaue hinaus, trinke Wodka. Ich trage die dunkelblaue Pyjamahose, die Nteba mir zum Geburtstag geschenkt hat. Eigentlich ist es zu warm dafür, aber all meine Shorts sind in der Wäsche und nackt schlafe ich nicht mehr, seitdem die Bullen mich mal mitten in der Nacht aus dem Bett geholt haben. Draußen hockt Doogie in seiner Karre und raucht, liest in seinem Navy-Seal-Survival-Buch und lernt, wie man mit Bären und Wölfen kämpft, einen Angreifer im Nahkampf tötet oder einen Selbstmordattentäter überrumpelt. Er hat geschworen, mich so lange zu verfolgen, bis ich Ja sage. Aber dieses Mal kriegt er mich nicht. Dieses Mal bleibe ich hart. Ich stelle den Wodka leise in das Waschbecken, nehme das Fernglas von der Kommode und versuche, irgendwas in Doogies Gesicht zu lesen. Dass er nicht ganz dicht ist, wissen wir alle, aber mich Tag und Nacht zu verfolgen, um ein Ja zu erpressen, ist etwas, das selbst für einen wie ihn ungewöhnlich ist. Da höre ich Nteba seufzen und drehe mich um. Sie hebt ihren Oberkörper, blickt zu mir, ein bisschen verwirrt, ein bisschen ungläubig. „Puh, ist das heiß“, sagt sie verschlafen. Ich lächle und wende mich wieder dem Fenster zu. Als ich denke, dass sie sich wieder hingelegt hat, steht sie plötzlich hinter mir. Sie umarmt mich, legt ihren Kopf an meine Schulter. „Ist dir nicht gut?“, fragt sie. Auf meinem Rücken spüre ich ihre nackten Brüste, ihren nackten Bauch. Nteba ist nur einen Zentimeter kleiner als ich, überdurchschnittlich groß für eine Frau. Mit einem Lächeln muss ich daran denken, dass sie genau hier am Fenster in einer innigen Umarmung einmal gemeint hat, ich sei ein guter Liebhaber. „Kann nicht schlafen“, sage ich. „Der Vollmond …“ „Vollmond war vor drei Tagen.“ „Es ist zu hell zum Schlafen.“ „Lass die Jalousien runter!“ „Ich kann das Licht spüren. Ich muss es gar nicht sehen.“ „Ist der Psychopath etwa immer noch da draußen?“ „Geh zurück ins Bett.“ Nteba greift nach dem Fernglas, schaut hinaus, nimmt das Auto ins Visier. Ihre Brustwarzen sind hart. „Das ist nicht zu fassen!“, sagt sie. „Bleibt der wieder die ganze Nacht?“ Sie schüttelt den Kopf und lacht. Ich nehme Nteba bei der Hand, führe sie vom Fenster weg, küsse sie auf die Stirn. Unsere letzte Nacht. So sehr wir auch das Gegenteil beschwören, wenn wir realistisch bleiben, sehen wir uns danach wohl niemals wieder. Beim Gedanken daran verspüre ich eine leichte Übelkeit, aber erst wenn sie am Ostbahnhof, unserem vereinbarten Abschiedsort, in die S-Bahn zum Flughafen steigt, wird mir wirklich bewusst werden, dass sie mich verlässt. Wir setzen uns auf die Matratze, Nteba zündet sich eine Zigarette an. Das macht sie sonst nur, wenn sie betrunken ist. Ich mochte nie, dass sie raucht, aber sie sieht so verdammt sexy aus, wenn sie es tut. Sie betrachtet kurz ihre Brüste, zieht ihre Mundwinkel nach unten, als würde sie sie begutachten, dann sieht sie mich an. „Du solltest in die Türkei“, sagt sie und nimmt einen tiefen Zug. „Für ein paar Monate. Würde dir guttun.“ „Was soll ich dort ohne dich, Nteba?“, frage ich. „Außerdem muss ich mich um Baba kümmern.“ „Nimm ihn mit! Du hast doch bestimmt noch ein paar Freunde oder Verwandte dort, nicht? Fliegt in die Türkei, macht ein bisschen Urlaub.“ Nteba zieht ihre Beine an, umfasst sie, legt ihren Kopf auf ihre Knie und sieht mich an. Ihr Mund verrät oft nicht, ob sie nun lächelt oder traurig ist. „Ich bin auf Bewährung“, sage ich. „Na und?“ „Ich glaube, ich darf das Land gar nicht verlassen.“ „Wir waren zusammen in Österreich.“ „Da hat uns ja keiner kontrolliert.“ „Hm“, sagt sie, „dann erkundige dich mal.“ „Warum soll ich in die Türkei?“, frage ich. „Dann könnte ich doch gleich zu dir nach Kuba.“ Nteba lehnt ihren Kopf gegen die Wand, schließt die Augen. „Dort, wo ich lebe, kannst du nicht leben.“ „Und woher willst du das wissen?“ „Weil ich dich kenne.“ Sie lächelt. „Du brauchst doch deinen Fußball und deine Jungs. Wir haben in unserem Stadtteil kein Internet, kannst du dir das vorstellen?“ „Mit dir kann ich mir alles vorstellen.“ „Außerdem ist dein Hintern zu weiß. Du würdest in dem Viertel auffallen wie ein bunter Hund.“ Ich habe Gewichte in Doogies Bude gestemmt, gegen Schatten geboxt, mich beim Fußballtraining gequält, wenn ich es mal dorthin geschafft habe, Extrarunden gedreht, Zusatzsprints gemacht, bin keinem Zweikampf aus dem Weg gegangen – alles, um die Angst vor der Nacht zu verdrängen, die nun gekommen ist. Die letzte, die kürzeste Nacht. Die Zeit tickt unbarmherzig die letzten Minuten runter. Da ist er nun, der Abschied. So sehr ich mich gegen ihn gewehrt habe. Jetzt ist er da und unausweichlich. „Was tut dein Kumpel da draußen?“ „Er will mich überzeugen“, antworte ich. „Von was? Dass er in eine geschlossene Anstalt gehört?“ „Von nem Job.“ „Nem Job?“, sagt sie. „Ist der Mann Headhunter?“ „Doogie ist bei so ner Firma, die Arbeitskräfte vermittelt. Für jeden neuen Auftrag stellt er nen Trupp zusammen. Hat er nicht genug Männer, guckt er in die Röhre.“ „Und du bist der einzige Mann in der Stadt, den er anheuern kann?“ „Nein“, sage ich, „aber der Dicke steht auf mich. Ich hab nicht nur nen weißen, ich hab auch nen sexy Hintern, das weißt du doch am besten.“ Nteba greift nach meiner rechten Hand, drückt sie. „Was ist das für eine Firma? Das ist doch nichts Illegales, oder?“ Ich nehme Ntebas Zigarette und betrachte die Glut in der Dunkelheit. Ihre Naivität, wenn es um die Jungs geht, hat manchmal etwas Rührendes. „Sag schon!“, lässt sie nicht locker. „Dieser Doogie handelt doch nicht mit Drogen oder überfällt Banken, oder?“ Ntebas Lippen sind bläulich, sie hat auch eine Gänsehaut, dabei ist ihr nicht kalt, sie schwitzt sogar ein wenig, überall wird vom wärmsten Juni aller Zeiten gesprochen. „Ist dir nicht gut?“ „Warum?“, fragt sie und zieht an der Zigarette. „Deine Lippen … Als ob du frieren würdest.“ „Frieren? Es ist viel zu heiß hier. Jetzt lenk nicht ab. Was ist mit der Firma?“ „Ach, Doogie ist okay“, sage ich. „Er war mal n fetter Naziskin mit Rudolf-Heß-Tattoo, aber die Nazischeiße hat er hinter sich.“ „Er sieht immer noch aus wie ein Naziskin. Und ich wette, das Rudolf-Heß-Tattoo hat er sich nicht weglasern lassen.“ „Er ist noch Skinhead, aber kein Nazi mehr. Wär er Nazi, würde ich doch nicht mit ihm abhängen.“ „Doogie ist verrückt“, meint Nteba. „Nazi hin oder her, der Glatzkopf hat sie nicht alle. Der ist mir nicht geheuer, Chachapoya.“ „Ja, er ist n bisschen durchgeknallt. Er kann auch hie und da n Arschloch sein, aber abgesehen davon …“ „… hat er ein gutes Herz?“ „Nein“, sage ich. „Aber es ist immer was los mit ihm! S’ist immer Party mit ihm. Der zieht uns mit, verstehst du? Doogie ist ne Naturgewalt. Mein Leben ohne ihn …“ Ich rede nicht weiter. Was labere ich da? Ein Leben ohne Nteba, das ist es, was ansteht. Ich habe mich so an sie gewöhnt. Dass ich spätnachts, wenn das Schlafpulver Baba in den Schlaf gezwungen hat, noch zu ihr gehe. Dass wir gemeinsam trinken, lachen, kochen, mitten in der Nacht durch die Stadt ziehen, die Isar entlangspazieren, Filme und Serien schauen, zehn Episoden am Stück, bis in den frühen Morgen hinein, dabei trinken und Pizza essen, in ihren Lieblingsbuchladen gehen, einen Secondhandshop, in dem sie leuchtende Augen kriegt, wenn sie mal wieder einen alten Schinken ausgräbt … In ihrem Buchregal habe ich sieben Ausgaben der Göttlichen Komödie gezählt, sechsmal Goethes Faust und fünfmal Die Blumen des Bösen. Bei mir stehen nur der Koran und ein Stapel verstaubter Ausgaben von 11 Freunde, Zeitspiel und dem Kicker irgendwo in einer Ecke. Ich...