Polifka | Druidengold | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 369 Seiten

Polifka Druidengold


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95865-322-1
Verlag: 110th
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 369 Seiten

ISBN: 978-3-95865-322-1
Verlag: 110th
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach keltischer Vorstellung ist Blutrache eine heilige Pflicht. Doch der fünfzehnjährige Cyan (sprich: Sean), einziger Überlebender einer römischen 'Befriedungsaktion' durch den späteren Kaiser Tiberius und dessen Bruder Drusus in den Nordalpen, ist dafür denkbar ungeeignet. Ein Stotterer, Träumer und Feigling, der nur der Not gehorchend zum Druiden ausgebildet wird. Dennoch folgt Cyan der Spur des Drusus. Es gelingt ihm, in dessen Gefolge aufgenommen zu werden, und er begleitet den römischen Feldherrn auf seinem Feldzug gegen die Germanen. Allerdings verläuft der für alle Beteiligten ganz anders als geplant.

Wolfgang Polifka, Jahrgang 1947, wurde im oberfränkischen Kronach geboren und ist dort aufgewachsen. Heute lebt er mit seiner Familie in der Nähe von Marburg. Als Produktmanager und Managementtrainer in der pharmazeutischen Industrie hatte er Gelegenheit 'einiges' von der Welt zu sehen und dort unterschiedliche Sichtweisen kennenzulernen. Heute widmet er sich als Spätberufener ganz allein dem Schreiben: 'Kein anderer Beruf als der des Erzählers gibt mir die Freiheit, mich nach Belieben als Mann, Frau oder Tier zu fühlen und deren Perspektive zu wählen.' Nach drei Kriminalromanen und einem Dutzend Kurzgeschichten unterschiedlicher Genres ist 'Druidengold' sein erster historischer Roman.
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Der Schrei des Adlers hallte von den Felswänden wider. Ich hob den Kopf und verfolgte seinen Flug, beobachtete, wie er sich vom aufsteigenden Wind in die Höhe tragen ließ und ohne Flügelschlag seine Kreise zog.

Von dort oben die Berge betrachten, die Klippen, in denen keine Pflanze Halt fand, dazwischen grüne Bergmatten, die sich talwärts senkten, ein sprudelnder Wasserlauf, in dem, wie der Alte sagte, die Wasserfeen hausten und zwei winzige menschliche Figuren nahe der kleinen Hütte. Wenn ich das könnte, dann wäre ich frei.

Der Wind zauste mir die Haare, wie er im Gefieder des Adlers spielte. Ich streckte die Arme aus, spreizte die Finger, folgte dem Rund seines Fluges und ahmte seinen krächzenden Ruf nach. So klein und doch so deutlich, wie ich den Käfer zu meinen Füßen sah, mochte der Adler von dort oben ein Schaf, eine Gams oder eine Bergziege wahrnehmen. Meine Augen waren ebenso scharf wie die des Adlers. Ich erkannte sechs Beine, die sich abwechselnd hoben, nach Halt suchten und den Körper unter den grünlich schillernden Flügeldecken vorwärts bewegten. Der Käfer erreichte eine felsige Stelle. Kein Grashalm, kein Moos hinderte mehr seinen Lauf. Jetzt war er mir und meinen Blicken ausgeliefert. Ich konnte ich ihn ergreifen, ohne dass er Gelegenheit hatte, sich in einer Erdspalte oder unter einem Blatt zu verbergen. Wie der Adler, der sich auf ein Lamm oder Zicklein stürzte, wenn es den Schutz der Herde verließ, und sich auf ein Plateau wagte, das keinerlei Deckung bot.

»Cyan«, holte mich die krächzende Stimme auf die Erde zurück. Ich ließ die Arme fallen. Der Wind trug mich nicht mehr. Der Käfer war verschwunden. Ich ging in die Hocke, starrte auf die steinige Fläche, die er eben noch deutlich sichtbar überquert hatte, doch ich fand ihn nicht mehr. »Cyan«, krächzte es wieder. Diesmal ganz nah.

Das Krächzen hatte nichts von dem Mut, der Kraft und dem Überschwang in der Stimme des Adlers. Es klang nur alt. Ich hörte die keuchenden Atemzüge, das Klirren der Bronzespitze, die auf einen Stein traf, schlurfende, sich nähernde Schritte.

Ich war sein Auge. Meine Arme, meine Hände, waren seine Arme und seine Hände. Meine Füße ersetzen oft seine Füße. Die Augen des Alten waren vom Alter getrübt, dennoch sah er Dinge, die ich nicht sah. Wesen, die in den Quellen hausten, Bäume und Felshöhlen des Gebirges bewohnten und Namen trugen, die ich nur schwer aussprechen konnte. Noch konnten die knochigen Arme des Alten den bronzebewehrten Stock mit solcher Macht schwingen, dass er einem vorwitzigen Wolf mit einem Schlag den Schädel zertrümmerte. Das hatte ich selbst gesehen. Aber abends, jetzt da sich der Sommer dem Ende zuneigte und die Nebel aus dem Tal herauf krochen, rieb er sich die schmerzenden Ellenbogen. Seine Hände zitterten pausenlos und die Finger waren zu leicht gekrümmten Krallen versteift. Doch ging es darum, ein gebrochenes Gebein zu ertasten, fanden seine bebenden Finger die im Fleisch verborgene Stelle mit unwandelbarer Sicherheit. Einen festen Knoten schlingen, um einen Sack zu verschließen, das konnten sie nicht. Dazu benötigte er meine Hände.

Sein schlurfender Schritt trug ihn zu jenen Plätzen, an den Bäume und Kräuter wuchsen, deren geheimnisvolle Kräfte, Linderung von Schmerz und die Heilung von Wunden versprachen. Ich sah diese Pflanzen auch, erkannte jedoch nicht ihren Wert, und taugte nur dazu, sie nach Hause zu tragen. Am späten Nachmittag, wenn der Alte die Blätter und Stängel zum Trocknen ausbreitete, ließ er mich die Namen dieser Gewächse wiederholen. Ich sollte aufsagen, welche Kräfte in ihnen steckten, und wie sie angewandt wurden. Meist schlief ich darüber ein. Dann deckte mich im Halbschlaf das Murmeln des Alten zu. Seine Worte webten eine Decke aus verschlungen Erzählungen, die sich über mich legte, ohne dass ich es gewahr wurde. Seltene Pflanzen kämpften in diesen Geschichten mit Krankheiten, die uns Menschen befielen. Doch es waren andere Schlachten als die, von denen die Männer in unserem Dorf berichteten. Der Krieg der Pflanzen mit dem Bösen in unserem Körper war leise. Einer, ohne den Lärm der Waffen.

Am nächsten Morgen hatte ich das Meiste vergessen. Über Nacht hatte sich in den Trockenkörben nicht nur Farbe und Form der Pflanzen verändert, auch ihre Namen hatten in meinem Kopf eine neue Gestalt angenommen. Wenn ich dann dem Alten meine Namen nannte, weil diejenigen, die er mir beigebracht hatte, im Dunkel der Nacht verflogen waren, schüttelte er ratlos den Kopf. Wie sollte ich ihm begreiflich machen, dass Worte und Namen sich in Luft auflösten wie Rauch und nur der Duft der Pflanzen eine Spur in meiner Erinnerung hinterließ? Manchmal lächelte der Alte über das, was ich hervorbrachte und hin und wieder entlockten ihm die von mir gewählten Bezeichnungen sogar ein beifälliges Kopfnicken. Ich war immer erleichtert, wenn er mich entließ, denn bei dem Versuch, mich an die richtige Bezeichnung der Pflanzen zu erinnern, verknotete sich meine Zunge stärker als sonst.

Nach der Morgenlektion schickte mich der Alte zu dem Bach, um die hölzernen Eimer mit Wasser zu füllen. Oft geriet ich auf Abwege. Ein gelb gefleckter Salamander, der Flug einer Libelle, eine Blüte die sich der Sonne entgegen reckte, ließen mich die Zeit vergessen und erst der Ruf nach Wasser erinnerte mich an meinen Auftrag. Dann verließ ich das, was ich meine Welt nannte. Ich kehrte zurück zu den Holzeimern, den getrockneten Pflanzen, die in kleine Säcke verpackt, in einem Mörser aus Stein zu Pulver zerstoßen, oder mit Fett vermischt in Tiegel abgefüllt werden mussten.

Die Schritte des Alten machten neben mir Halt. Ich blieb in der Hocke und hielt den Kopf gesenkt. Seine schmutzigen Füße steckten in Ledersandalen. Das Leder war rissig. Bald würde er neue brauchen. Seine Zehennägel waren gelblich verfärbt und abgebrochen. Die Bronzespitze am dicken Ende seines Stabes hatte sich in den weichen Stein gebohrt. Genau dort, wo ich eben noch den Käfer gesehen hatte.

»Cyan, warum antwortest du nicht?«, fragte er. Jetzt war seine Stimme weich. Wenn es so etwas wie ein weiches Krächzen gab.

»W, w, weil ich ein Adler bin. U, u, und einen Adler kann man nicht ru, ru, rufen«.

Sein Stock berührte mich. Es war kein Schlag, eher ein Streicheln. Fast wie die Berührung der Hand meiner Mutter.

Es bereitete dem Alten Mühe, den Rücken zu beugen. Der Stock mit der Bronzespitze war sein verlängerter Arm, wenn ich nicht zur Stelle war, oder, wie jetzt, auf dem Boden hockte. Am oberen Ende befand sich eine kleine Sichel. Mit der konnte er Pflanzen abschneiden, ohne sich zu bücken. Sie aufzuheben war meine Aufgabe. Ich sah nach oben. Seine trüben Augen waren auf mich geheftet, die Lippen zwischen dem grauweißen Bart zusammengepresst. Er sah nicht zornig aus, eher traurig. »Ach Cyan, was soll nur aus dir werden?«, sagte er.

Genau das, hatte auch mein Vater gesagt. Seine Stimme, obwohl viel kräftiger als die des Alten, klang dann ähnlich. Traurig, enttäuscht, dunkel und leise, ohne Kraft. Mutter schwieg. Doch ich wusste, sie stritt oft mit Vater über mich.

Wenn Vater mit meinem Bruder sprach, dann klang seine Stimme ganz anders. Freudig, hell, fordernd, so wie die des Adlers, der auf die Jagd ging und seinem Jungen Beute versprach.

Mein Bruder Khel, obwohl einen Sommer jünger als ich, hatte ohne zu zögern nach dem Schädel des erschlagenen Feindes gegriffen, den Vater mitgebracht hatte. Nichts hatte ihn daran gehindert, das blutverschmierte Haar zu packen und auf Geheiß meines Vaters das Innere des Kopfes mit seinem Dolch auszuhöhlen. Dabei waren die glasigen Augen des Mannes unverwandt auf ihn gerichtet. Khel hatte den Mund des Schädels geöffnet, damit dessen Geist ungehindert in die Anderswelt entweichen konnte. So ehrten wir einen getöteten Feind und ähnlich verfuhren wir mit unseren Toten. Die Schädel der Feinde wurden sichtbar aufbewahrt, unsere Toten tief im Erdreich begraben und mit einer Pyramide aus Steinen bedeckt.

Ich war davongelaufen. Verfolgt von den glasigen Augen. Mein Inneres kehrte sich nach außen. In der Nacht weckten mich die Augen des Schädels und der brennend, saure Geschmack im Mund. Zwei Tage lang hielt ich mich versteckt, ertrug Hunger und Durst, damit mir der Anblick der Köpfe, die auf langen Stangen zur Schau gestellt wurden, erspart blieb. Sie hatten mich nicht gefunden, obwohl das ganze Dorf nach mir suchte.

Die Jäger und Fährtensucher kamen mir so nahe, dass ich sie mit ausgestreckten Händen hätte berühren können. Einer der Hunde, der zur Jagd abgerichtet war, hob, als er mein Versteck in den Büschen erreichte, witternd den Kopf. Er blickte mir direkt ins Gesicht. Er musste mich sehen, meine Angst riechen, und ich erwartete, er würde Laut geben. Doch er wandte die braunen Augen ab, senkte die Schnauze auf den Boden und folgte einer anderen Spur. Damals hatte ich es zum ersten Mal gespürt.

Der Alte lachte röchelnd.

»Aber Adler hocken nicht auf dem Boden und sie verstecken sich nicht«. »A, a, aber sie können unsere Welt verlassen«, sagte ich, denn das hatte ich oft beobachtet. Immer höher schraubten sie sich in die Lüfte. Ihre riesigen Schwingen, der nach vorn gereckte Kopf und die langen Schwanzfedern wurden kleiner und kleiner und verschmolzen zu einem winzigen Punkt. Und dann kam der magische Augenblick. Der Adler verschwand vollständig, wurde selbst für das schärfste Auge unsichtbar. Er war in eine andere Welt übergetreten.

»So, so«, sagte der Alte. Es...



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