Popov | Mission: London | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Popov Mission: London


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7017-4473-2
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4473-2
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bulgarien kommt, der ultimative Roman dazu ist schon da. Und: Er ist saukomisch. BULGARIEN? RÜCKSTÄNDIG, KORRUPT UND FAUL? Als neuer Botschafter in London ist Varadin Dimitrov ausersehen, das Image Bulgariens im Westen zu verbessern. Was er vorfindet, als er eines Morgens an der respektablen Botschaftsadresse in Kensington läutet, macht klar, dass tatsächlich viel Arbeit auf ihn wartet: ein Provinzbürgermeister beim Katerfrühstück, der Koch im Clinch mit seiner Frau, der Staubsauger - kaputt. Die zivilisierte Welt verdankt Bulgarien zwar das WC, aber das hilft dem neuen Botschafter bei seiner Mission ebenso wenig wie die Tatsache, dass sein Vorgänger das Haus nicht räumen will, weil er verzweifelt gegen seine Rückkehr in die Heimat kämpft. Außerdem: In der Kühltruhe im Keller lagern Enten, die von der Russen-Mafia gekidnappt wurden. Mission impossible? Varadin Dimitrov sucht Hilfe bei einer PR Agentur, die ihm Zugang zur High Society verspricht - Glanz, Glamour und jede Menge Prominente. Eine davon ist seine Putzfrau, die führt ein Doppelleben und ist darüber hinaus längst tot. Da stimmt doch was gröber nicht ... Alek Popov erzählt vom Osten im Westen und vom Westen im Osten. Er erzählt einen Roman voll Aberwitz, mit einer Fülle wunderbarer Figuren und in einem Ton, als wäre das alles gar nicht lustig.

Alek Popov, 1966 in Sofia geboren, studierte dort bulgarische Philologie und war u.a. als Kulturattaché der bulgarischen Botschaft in Großbritannien und Nordirland tätig. Er arbeitet als Schriftsteller und ist zudem Autor einer Reihe von Erzählungen, Drehbüchern und Hörspielen. Popovs Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem 'Helicon' für das beste Prosawerk 2002, 'Mission: London' (Residenz Verlag 2006). Sein zweiter Roman,'Die Hunde fliegen tief' (Residenz Verlag 2008), stand wochenlang an der Spitze der bulgarischen Bestsellerlisten und erhielt 2007 den renommierten Elias-Canetti-Preis. Alek Popov lebt in Sofia.
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5.


Die Augen der Beamten waren voller Trauer. Unruhig saßen sie am langen, nackten Tisch im Sitzungssaal unter der Landkarte Bulgariens, koloriert in kalten Rosa- und Gelbtönen. Böse Zungen behaupteten, dass die Karte hier nicht etwa hing, um bei den Bediensteten patriotische Spasmen hervorzurufen, sondern vielmehr, um sie daran zu erinnern, woher sie gekommen waren und wohin sie wieder zurückkehren würden, so sie nicht vorsichtig genug waren. In der Praxis war diese Aussicht das Einzige, was sie wirklich erschrecken konnte. Das Gespenst der Rückkehr! Es geisterte unerbittlich um sie herum, grinste aus jeder Ecke mit hässlichen Grimassen und vergiftete ihr Leben vom ersten bis zum letzten Tag ihres Mandats mit der Erinnerung an die wohlriechende heimische Schwarzerde. Die Rückkehr war ein Tabuthema, eingehüllt von beklommenem Schweigen. Jemanden zu fragen, wann er zurückkehren wollte (ein durchsichtiger Euphemismus), war ein Zeichen von Geschmacklosigkeit, von Grobheit, ja Feindseligkeit. Niemand sprach von Rückkehr, niemand wagte es, das Wort laut auszusprechen, aus Angst, die bösen Kräfte zu wecken, die irgendwo im Außenministerium schlummerten. Und obwohl alle, bis hin zum letzten Telefonisten, sich darüber im Klaren waren, dass es ein unabänderliches Schicksal war, unabänderlich wie der Winter, wie der Tod, hegten sie doch tief in ihrem Herzen die Hoffnung, dass es an ihnen vorübergehen würde, dass sie im allgemeinen Durcheinander irgendwie übersehen oder vergessen werden würden und dass die hässliche, traurige Nachricht sie nicht erreicht. Aber sie kam unwiderruflich, begleitet von der unheilvollen Formulierung »endgültige Rückkehr« – der Tat eines rachsüchtigen Bürokraten in einer weit entfernten Vergangenheit, die über Jahrzehnte unverändert blieb. Und es begann die Ebbe, der große Rückfluss; die verdammten Seelen machten sich auf den Weg auf die andere Seite, der Weg übersät von den Tränen ihrer Vorgänger, zurück durch das Terminal 2 in Heathrow, durch Gate 7 oder 9, zum finsteren Kahn der Balkan-Airlines, bis die Tür hinter ihrem Rücken endgültig zufiel.

Es war bald zehn vorbei. Der Platz des Vorsitzenden war immer noch leer. In kluger Distanz einige Stühle weiter saßen die Diplomaten mit geöffneten Notizbüchern und gezückten Kugelschreibern. Die technische Belegschaft hatte sich am unteren Ende des Tisches zusammengerottet – der Chauffeur, die Buchhalterin, der Funker, der Koch und der Hausmeister. Wenige Dinge verbanden diese Menschen so sehr wie die Feindseligkeit, die sich in Jahren des erzwungenen Zusammenlebens unter den Umständen von finanzieller und kultureller Resignation aufgestaut hatte. Trotz alledem konnte man sagen, dass sie es seit einiger Zeit vergleichsweise erträglich hatten und sogar sorglos lebten. Jeder hatte seine kleinen Freuden, und gemeinsam hatten sie eine große: Sie hatten keinen Vorgesetzten. Seit Monaten zögerte Sofia, jemanden für diesen wichtigen und reizvollen Posten zu ernennen. Die Interessen verschiedener Lobbys kollidierten miteinander und verhinderten eine schnelle Entscheidung. Es entwickelte sich eine Schlammschlacht, sodass der Weg zum windgeschützten Eiland begonnen hatte, einer aufgeweichten Dschungelpiste zu gleichen. In diesem weitgehenden Machtvakuum organisierte sich das Leben in der Botschaft wie von selbst auf der Grundlage der Vernunft und des Fortschritts, weit entfernt vom Chaos der administrativen Verordnungen. Die Reibereien zwischen den Bediensteten waren abgeklungen, es entstand ein diffuser Geist von Wohlwollen und Solidarität, der sich auf die Tätigkeit des Kollektivs günstig auswirkte. Nicht, dass die Denunziationen ganz aufgehört hätten, aber es gab niemanden, der darauf reagierte. Es gab niemanden, der Plus- oder Minuspunkte verteilte – Sofia war weit weg. Und nun hatte dieser ruhigen und natürlichen Koexistenz die letzte Stunde geschlagen. Der Vorgesetzte war angekommen. Er war unerwartet angekommen, ohne Vorwarnung – ein deutliches Zeichen seiner feindseligen Absichten. Das Leben der Beamten geriet durcheinander.

Die Sekretärin Tanja Vandova erschien plötzlich mit einem dicken Tischkalender unter der Achsel und sagte knapp:

– Er kommt.

Sie ließ sich auf den Stuhl rechts vom Platz des Vorsitzenden fallen, schlug ihren Kalender auf und begann zu warten wie die anderen. Im Zimmer machte sich Schweigen breit.

Während er die Stufen hinunterstieg, malte sich Varadin Dimitrov die verzagten Gesichter seiner Untergebenen aus, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Sollen sie warten, sollen sie zittern! Er hatte es immer schon gewusst, und er zweifelte auch jetzt nicht im Geringsten daran: Er hatte eine Bande von Nichtsnutzen gegen sich, die auf Kosten des Staates ein Parasitenleben führten. Im ersten Moment verblüfften ihn ihre Sorglosigkeit und ihre Selbstgefälligkeit, dann machten sie ihn wütend. Er begann zu überlegen, wie er ihnen so effektiv wie irgend möglich das Leben schwer machen konnte, um sie daran zu erinnern, dass der diplomatische Dienst nicht das große Los beim Lotto war. Es machte ihm Freude zu beobachten, wie sie ihr gewöhnliches Aussehen wieder annahmen, das dem von verschreckten kleinen Tieren glich. Und das sollte erst der Anfang sein.

– Guten Tag! grüßte Varadin trocken und nahm seinen Platz am oberen Ende des Tisches ein.

Die Kugelschreiber klickten wachsam, bereit, seine Belehrungen mitzuschreiben. Die Reflexe sterben zuletzt, dachte er zufrieden.

Dann zog er plötzlich ein finsteres Gesicht.

– Wo ist Herr Kišev?

Die Diplomaten sahen einander ratlos an und zuckten mit den Achseln. Er schüttelte tadelnd den Kopf.

– Ich werde Ihnen etwas Unangenehmes mitteilen, begann Varadin, so, als hätte er auch etwas anderes verkünden können. Lange Reden waren nicht nach seinem Geschmack. Er schreckte vor Ansprachen zurück, weil sie die chaotische Natur seines Denkens offenbarten. Seine Gedanken sprangen hin und her wie Heuschrecken, die aus einem Einmachglas entkommen waren. Und er hatte Schwierigkeiten, sie wieder einzufangen. Deshalb zog er es vor, den Mund so selten wie möglich aufzumachen.

– Sofia ist der Meinung, dass hier Anarchie herrscht, sagte er. Sorgfältig sammelte er die Krabbeltiere in seinem Kopf ein: Die Botschaft trägt nicht aktiv zum Aufbau von Bulgariens neuem Image bei. Es fehlen Kontakte auf höchster Ebene.

Schweigen. Blicke voll Hingabe.

– Wie Sie wissen, wird am Montag das Europäische Gipfeltreffen eröffnet, fuhr er fort. Es werden der Regierungschef selbst sowie Mitglieder der Regierung daran teilnehmen. Man erwartet, dass die EU eine neue Strategie für unseren Beitritt ankündigen wird. Ich gehe davon aus, dass Sie auf dem Laufenden sind.

Die Diplomaten nickten energisch. In dieser Sache waren zwischen Botschaft und Ministerium Dutzende von Faxen gewechselt worden. Die Details des Programms wurden präzisiert, Reden und Memoranden bezüglich der Absichten der Regierung in der einen oder anderen Sphäre fieberhaft übersetzt. Sowohl das Programm als auch die Reden wurden immer wieder abgeändert, sodass sie erneut präzisiert und übersetzt werden mussten. Es war die Hölle, es herrschte Hysterie, die in kleinen Wolken aus der Küche der Macht hereinschwebte.

– Ich warne Sie schon jetzt, hob er den Finger. Ich werde keinerlei Dummheiten dulden!

Ja, die Dummheiten – alle lebten sie mit diesem Alptraum, der verlässlich Wirklichkeit wurde. Die Beamten waren vom System so eingeschüchtert und unterdrückt, dass sie es nicht wagten, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Ihre Anspannung machte sich in einer Apathie bemerkbar, die im entscheidenden Moment an katatonischen Stupor grenzte. Dann wurden die Alpträume wahr.

– Was ist mit dem Konzert von Frau Seljanova? fragte der Botschafter, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass das Thema erschöpfend behandelt war.

– Wir arbeiten daran, meldete sich der Botschaftsrat Danailov mit der munteren Intonation eines Elektrikers, der ein hoffnungslos zerrissenes Kabel flicken sollte. Wir tun alles, was in unserer Macht steht!

– Warum wurde es dann schon zwei Mal verschoben? fragte Varadin streng, die Augen prüfend zusammengekniffen.

Panik machte sich in den Gesichtern der Diplomaten breit. Die technische Belegschaft beobachtete die Inquisition schadenfroh. Tanja Vandova sagte beschwichtigend:

– Wir konnten bisher noch keinen Vertreter des Königshauses organisieren.

– Laden Sie sie denn überhaupt ein?

– Selbstverständlich, entgegnete Tanja Vandova ruhig. Ihr Mandat lief im Sommer aus, sie hatte nicht viel zu verlieren.

– Wer kümmert sich darum? erkundigte sich der Botschafter kühl.

– Kišev, krächzten alle im Chor.

– Weiß er überhaupt, dass wir hier sind? fragte er.

– Ich weiß es nicht, zuckte Tanja Vandova...


Alek Popov, 1966 in Sofia geboren, studierte dort bulgarische Philologie und war u.a. als Kulturattaché der bulgarischen Botschaft in Großbritannien und Nordirland tätig. Er arbeitet als Schriftsteller und ist zudem Autor einer Reihe von Erzählungen, Drehbüchern und Hörspielen. Popovs Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem "Helicon" für das beste Prosawerk 2002, "Mission: London" (Residenz Verlag 2006). Sein zweiter Roman,"Die Hunde fliegen tief" (Residenz Verlag 2008), stand wochenlang an der Spitze der bulgarischen Bestsellerlisten und erhielt 2007 den renommierten Elias-Canetti-Preis. Alek Popov lebt in Sofia.



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