E-Book, Deutsch, Band 8, 248 Seiten
Reihe: Ein Tanz zur Musik der Zeit
Powell Ein Tanz zur Musik der Zeit / Die Kunst des Soldaten
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-941184-83-1
Verlag: Elfenbein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 8, 248 Seiten
Reihe: Ein Tanz zur Musik der Zeit
ISBN: 978-3-941184-83-1
Verlag: Elfenbein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anthony Powell (1905-2000) besuchte das Eton College, studierte in Oxford und heiratete eine Adlige. Er arbeitete als Lektor in einem Londoner Verlag, schrieb Drehbücher und Beiträge für britische Tageszeitungen, war Herausgeber des Magazins »Punch« und Autor zahlreicher Romane. Jene gesellschaftliche Oberschicht Großbritanniens, der er selbst angehörte, porträtierte er in seinem zwölfbändigen Romanzyklus »A Dance to the Music of Time«. Während seine Altersgenossen und Freunde Evelyn Waugh, Graham Greene und George Orwell sich auch im deutschsprachigen Raum bis heute großer Popularität erfreuen, ist Anthony Powell hierzulande noch nahezu unbekannt. Über den Übersetzer Heinz Feldmann vermerkte Anthony Powell in seinem Tagebuch: »I am lucky to have him as a translator.«
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Bedrückende Erschütterungen der einen oder anderen Art – die Luftangriffe auf England, der Rückzug aus Griechenland – hatten die neuesten Hintergrundgeräusche zu den Proben geliefert, die nie ein Ende zu nehmen schienen und den Wunsch weckten, der Vorhang solle endlich hochgehen zur angekündigten Vorstellung, welche Form sie auch immer annehmen möge. Doch das Datum der Premiere lag in anderen, lag nicht in unseren Händen; und bis dahin, daran konnte niemand zweifeln, würden weitere Proben, viel, viel mehr Proben, auf lange Zeit notwendig sein. Obwohl dies vielleicht entmutigende Gedanken waren, überkam mich ein überwältigendes Gefühl der Zufriedenheit, als der Zug die Londoner Außenbezirke erreichte. Die Frühlingssee war in der vorhergehenden Nacht rau gewesen, die Eisenbahnwagons wie üblich überfüllt, als wir uns in träger Fahrt durch die Dunkelheit gen Süden schlängelten, von Zeit zu Zeit in Gebiete einfahrend – in ihnen haltend – sie dann verlassend –, in denen Fliegeralarm herrschte. Vom Zugfenster aus gesehen vermittelten die verlassenen Straßen und ausgebrannten Gebäude der Vororte dem Auge das Bild einer verlassenen Stadt. Dennoch, ich fühlte mich voller Hoffnung.
Meine Londoner Kontakte mussten in die Reihe gebracht werden. Ein Brief von Chips Lovell, der erst am Tag zuvor angekommen war, machte eine Vereinbarung mit Moreland, an diesem Tag mit ihm zu Abend zu essen, kompliziert. Lovell hatte gehört, dass ich auf Urlaub kommen werde, und wünschte, mit mir über ›Familienangelegenheiten‹ zu sprechen. Das war im Prinzip ein ganz vernünftiges Motiv, in der Praxis allerdings, wenn man es im Zusammenhang mit den angeblichen ›Schwierigkeiten‹ mit Priscilla betrachtete, ein beunruhigendes Wort. Lovell war in der Marine. Er war während der Zeit ihrer großen Expansion zu Anfang des Krieges zum Offizier ernannt und bald danach an der Ostküste stationiert worden. Er musste allerdings inzwischen versetzt worden sein, denn er gab die Nummer einer Londoner Telefonvermittlung (mit Nebenapparat) an, wo ich ihn erreichen könne, erwähnte jedoch nicht, was sein neuer Job beinhalte.
Zuerst wählte ich die Nummer, die mir Greening von General Liddament gegeben hatte. Major Finns Stimme am Telefon klang ruhig und tief, fest und überzeugend. Ich begann, ihm meine Geschichte zu erzählen. Er unterbrach mich sofort, offenbar bereits darüber informiert, was kommen würde – ein weiterer Beweis für die Fähigkeit des Generals, Gedanken in die Tat umzusetzen. Ich erhielt die Instruktion, mich später im Verlauf des Tages bei einer Adresse in Westminster zu melden. Das erlaubte mir eine Atempause. Hundert verschiedene Dinge mussten erledigt werden, ehe ich aufs Land fahren konnte. Nach meinem Telefonat mit Major Finn rief ich Lovell an.
»Also, Nick, ich hätte nie gedacht, du würdest dich so bald melden«, sagte er, ehe ich noch Zeit hatte, einen Vorschlag zu machen. »Es haben sich neue Entwicklungen ergeben, und deshalb bin ich heute Abend schon zum Dinner verabredet – die erste Verabredung seit Monaten –, aber das macht es nur noch dringlicher, mit dir zu reden. Über Mittag bin ich mit Arbeit zugedeckt – kann höchstens zwanzig Minuten Pause machen –, aber wir könnten später etwas zusammen trinken. Wie wär’s, wenn wir uns in der Nähe des Restaurants träfen, wo du zu Abend essen wirst, denn ich kann hier frühestens um sieben wegkommen.«
»Das Café Royal – mit Hugh Moreland.«
»Ich komme, so früh ich kann.«
»Hugh sagte, er käme so gegen acht.«
Mir schien es notwendig zu betonen, dass Lovell, wenn er sich zu lange bei mir in dem Restaurant aufhalte, Moreland begegnen würde. Dieser Hinweis war eher in Morelands Interesse gegeben als in Lovells. Lovell hatte die frühere Nähe zwischen Priscilla und Moreland nie etwas ausgemacht. Vielleicht hatte Priscilla ihrem Mann gesagt, dass die ganze Affäre mit Moreland völlig fruchtlos gewesen sei, nie körperliche Formen angenommen habe. Vielleicht aber auch nicht. Wenn sie das getan hatte, mochte Lovell ihr geglaubt haben – oder auch nicht. Man konnte mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass ihn weder die eine noch die andere Möglichkeit besonders kümmerte. Ich selbst akzeptierte, dass die beiden nie zusammen im Bett waren, denn das hatte mir Moreland in einem seiner wenigen sehr emotionalen Ausbrüche erklärt. Weil Moreland in solchen Dingen empfindlich, vielleicht sogar verletzlich war, würde er es wohl vorziehen, Lovell nicht zu begegnen. Außerdem, wenn Priscilla sich jetzt in einer Weise betrug, die Lovells Besorgnis erregte, mochte auch dieser lieber nicht an einen früheren Galan seiner Frau erinnert werden, an einen Mann, mit dem er ohnehin nicht viel gemeinsam hatte – von Priscilla einmal abgesehen. Das erwies sich dann jedoch als eine falsche Vermutung meinerseits. Es gab bei Lovell nicht das geringste Anzeichen dafür, dass er Moreland auszuweichen wünschte. Im Gegenteil, er war enttäuscht, dass wir drei an diesem Abend nicht zusammen dinieren konnten.
»Was für eine Erholung es ist, mal wieder jemanden wie Hugh Moreland zu treffen«, sagte er. »Schade nur, dass ich mich euch nicht anschließen kann. Ich versichere dir, das würde mir mehr Spaß machen als das, was mich heute erwartet. Aber davon, wenn wir uns nachher treffen.«
Lovell war eine seltsame Mischung aus Realismus und Romantizismus; genauer gesagt, er hatte, wie ziemlich viele Menschen, romantische Ansichten davon, ein Realist zu sein. Wenn ihm zum Beispiel je der Verdacht gekommen war, dass Priscilla ihn nur als Reaktion auf eine gescheiterte Beziehung geheiratet habe, hatte er, gemäß seiner Philosophie, den möglichen Schmerz darüber gewiss durch den Gedanken verdrängt, dass am Ende er es doch war, der die Frau bekommen habe, die er wollte. Er mochte natürlich vielleicht auch argumentiert haben, dass die Formen solcher Reaktionen unvorhersehbar sind, dass einige Menschen nach einer gescheiterten Liebesbeziehung das ganze Gewicht ihrer früheren starken Emotionen körperlich und total auf eine andere Person verlegen. Lovell war ein Romantiker besonders in dem Sinne, dass er die Dinge nach ihrem Augenschein beurteilte – eine der Fähigkeiten, die ihn zu einem guten Journalisten machten. Ihm kam nie der Gedanke, jemand könne irgendetwas außer dem völlig Offensichtlichen denken oder tun. Diese Haltung fand ihre praktische Form in seiner Weigerung, an die Realität irgendeiner Sache zu glauben, die nicht von einer Art war, die man in der Presse ventilieren konnte. Andererseits war er, obwohl unfähig, das Leben unter einem Blickwinkel zu sehen, unter dem es nicht als offensichtlich erschien, wenn nötig durchaus bereit, diesen zu ändern – vorausgesetzt, die Offensichtlichkeit blieb unbeeinträchtigt und eine Offensichtlichkeit nahm einfach nur den Platz einer anderen ein. Diese relative Flexibilität war teilweise seiner eigenen Spezies des Realismus geschuldet – wenn sein Realismus sozusagen ›funktionierte‹ –, wurde ihm teilweise aber auch durch eine andere seiner festen moralischen Überzeugungen aufgezwungen, nämlich durch die, dass jeder Wandel, der im Leben stattfinde – sei er persönlicher, politischer oder gesellschaftlicher Art –, sowohl bedeutsam als auch für immer sei.
Im Rahmen dieser Ansicht von der Welt konnten Lovells Mittel und Wege durchaus subtil sein. Zusammen mit den zusätzlichen Vorteilen eines guten Aussehens und einer Menge Energie hatten ihm diese Methoden vor Ausbruch des Krieges ziemliche Erfolge in der von ihm gewählten Karriere gebracht. Es ist wahr, dadurch, dass er Priscilla geheiratet hatte, wurde nichts aus seinem zuvor geäußerten Plan, »eine reiche Frau zu finden«; aber andererseits hatte dieses Projekt in Wirklichkeit bei ihm nie auch nur die geringste praktische Form angenommen. Dass er es nur in Worte gefasst hatte, zeigte noch eine weitere Facette der romantischen Seite von Lovells Natur – nämlich seine romantische Haltung zum Geld. Zudem hatte er bereits in jenen weit zurückliegenden Tagen, als er und ich noch zusammen an Filmskripten arbeiteten (von denen keines je auf der Leinwand erschien), ein lebhaftes Interesse an Priscilla gezeigt, so dass es keine Überraschung gewesen war, als die beiden heirateten. Anfangs hatte er seine Jobs verloren, und sie waren knapp bei Kasse gewesen. Priscilla, die eine Neigung dazu hatte, gefährlich zu leben, schienen diese mageren Zeiten nicht viel ausgemacht zu haben. Lovell selbst hatte, im Hinblick auf seine Knappheit an Geld, der Welt ein ebenso gelassenes äußeres Bild geboten, sich im Inneren jedoch wegen seiner Mittellosigkeit zweifellos schuldig gefühlt. Er betrachtete den Mangel an Geld bei sich selbst, ja, auch bei jedem anderen Menschen, als ein Zeichen des Versagens. Von Zeit zu Zeit, jedoch ohne dass ein besonderer Nachdruck dahinterstand, pflegte sein Romantizismus auch eine moralische oder intellektuelle Wendung zu nehmen. Dann gab er sich zum Beispiel gerne Anfällen der Verurteilung materieller Dinge und aller, die nach diesen strebten, hin. Solche Stimmungen wurden manchmal von der Lektüre gekürzter Ausgaben philosophischer Werke begleitet: »Die Weisheit des Ostens in einem Band«; »Marx ohne Tränen«; »Die Schatztruhe großer Gedanken«. Wie jeder andere seiner Art schrieb auch...




