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E-Book, Deutsch, Band 2, 672 Seiten

Reihe: Geschichte der Philosophie

Precht Erkenne dich selbst

Geschichte der Philosophie 2

E-Book, Deutsch, Band 2, 672 Seiten

Reihe: Geschichte der Philosophie

ISBN: 978-3-641-18227-4
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



»Man kann Zeiten an ihrem Gang erkennen, wie Menschen, nicht an ihrem Lauf. Jede historische Zeit hat ihre Eigenart, ihren Rhythmus, ihr eigenes Lebensgefühl. Nicht die Fakten, sondern die politischen Ereignisse von Aufstieg und Niedergang oder die Schlagzeilen der einzelnen Tage bestimmen einen Gang.«Im zweiten Band seiner fünfteiligen Geschichte der Philosophie entführt Richard David Precht den Leser tief in die Gedankenwelt der Renaissance und der Aufklärung. Dabei geht es wieder um die großen Fragen, die sich die Menschen durch die Jahrhunderte hindurch gestellt haben. Spannend und anschaulich vermittelt Precht die zentralen Konzepte und Ideen der abendländischen Philosophie und beleuchtet sie vor den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Hintergründen ihrer Zeit – ein faszinierender »Ideen-Krimi«, der den Leser eintauchen lässt in die schier unerschöpfliche Fülle des Denkens!
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Einleitung Man kann Zeiten an ihrem Gang erkennen, wie Menschen, nicht an ihrem Lauf. Jede historische Zeit hat ihre Eigenart, ihren Rhythmus, ihr eigenes Lebensgefühl. Nicht die Fakten, die politischen Ereignisse von Aufstieg und Niedergang oder die Schlagzeilen der einzelnen Tage bestimmen einen Gang. Mit späterem Wissen lässt sich oft vieles deuten, das in der Zeit selbst undeutlich ist. Doch genau diese Undeutlichkeit bestimmt den Gang der Zeiten immer und in jeder Epoche, bis hin zu der unsrigen. Viel Undeutlichkeit und Ungleichzeitigkeit kennzeichnen auch den Gang der Philosophie. Manche Gedanken aus sehr alter Zeit erscheinen uns heute wegweisend und modern; andere, die erst aus jüngeren Tagen stammen, wirken alt und blass. Und wer weiß, ob sich das Urteil über sie einst bestätigt oder ändert? Philosophiehistoriker nehmen auf diesen Wechsel der Perspektiven und Bewertungen gemeinhin allerdings wenig Rücksicht. Sie neigen dazu, ihre Geschichte immer ähnlich zu erzählen – schon aus Angst vor dem Urteil der Experten. Wie leicht kann es geschehen, dass sie ihre Stammgebiete unzureichend behandelt oder vernachlässigt sehen! Eine andere Gewichtung, eine andere Auswahl und andere Nuancen sind mit Mut und Unerschrockenheit verbunden; ein Kapital, das man lieber sehr vorsichtig einsetzt. Wie im ersten Band dieses Projekts betreffen die neuen Akzente bei mir vor allem die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Fragen nach der Leiblichkeit und der Biologie. Philosophiegeschichten setzen den Lauf der Dinge und die Abfolge von Menschen hintereinander. Diese Chronologie ist ein Fluss, der sein Bett kaum ändert, aber sie ist mehr Routine als Notwendigkeit. Denn Geschichte zu schreiben ist keine Wissenschaft, die eisernen Regeln folgt. Allerdings ist sie auch keine Kunst oder ein Potpourri an Meinungen. Dabei ist schon das, was Philosophie überhaupt sein soll, wie Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in der Einleitung zu seinen Ideen zu einer Philosophie der Natur schreibt, eine philosophische Frage. Die Rolle des Philosophen und der Philosophie wechselt auch, und gerade im hier behandelten Zeitabschnitt vom 15. Jahrhundert bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Zwischen Cusanus und Georg Wilhelm Friedrich Hegel liegen nicht nur Zeiten, sondern Welten. Die eine ist eine Gelehrtenwelt von Eingeweihten in einer christlich-autoritären Weltordnung. Und jeder, der philosophiert, arbeitet sich auf seine Weise an dieser einen großen Ordnung ab. Die andere sieht nach Aufklärung und Revolution die hohe Zeit des Bürgertums heraufdämmern und mit ihr die Schlote der Puddelöfen, das Elend des Proletariats und die Kirche in einer gesellschaftlichen Nische. Die bürgerliche Arbeitsteilung in der Produktion wird schließlich auch auf die Philosophen überspringen. Am Ende des 18. Jahrhunderts möchte Adam Smith sie in »verschiedene Zweige, deren jeder einer besonderen Abteilung oder Klasse von Philosophen zu tun gibt«, aufgeteilt sehen. Denn die »Arbeitsteilung« vergrößere »ebenso in der Philosophie wie in jedem anderen Beruf die Geschicklichkeit und Zeitersparnis«.1 Dass Zeit etwas ist, das man sparen sollte, wäre den Denkern der Renaissance niemals eingefallen. Uns Heutigen dagegen ist es die fixe Leitidee unseres Lebens geworden. Und dass Philosophen zu Spezialisten der geistigen Produktion werden sollten, hätte noch Hegel missfallen, auch wenn es gegenwärtig tatsächlich überall üblich ist. Der Generalist hat es heute schwer. Zu erdrückend erscheint die Last des seither angehäuften Spezialwissens. In einer Welt der Fachgebiete und Experten kann er nur kompensieren, was als Orientierungswissen verloren gegangen ist. Und eine Philosophiegeschichte zu schreiben ist dabei eine seiner letzten Domänen. Die großen Fragen, die sich im hier behandelten Zeitabschnitt stellen, sind oft alt, und wir kennen sie schon aus dem ersten Band: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Woher weiß ich, was ich weiß? Kann ich wollen, was ich will? Warum soll ich moralisch sein? Was ist eine gute und gerechte Gesellschaft? Aber die Fragen erhalten im Laufe der hier behandelten vierhundert Jahre einen anderen Zuschnitt. Sie stellen sich neu im Hinblick auf die sich allmählich entwickelnde bürgerliche Gesellschaft. Die Begriffe der »Arbeit« und der »individuellen Rechte« werden die Vorstellungswelt und den Handlungsrahmen der Menschen entscheidend verändern. Und sie werden jene Gesellschaft formen, die wir – wenn sie möglicherweise auch bald durch die Digitalisierung zu Ende geht – heute für »normal« halten. Einige Zeiten und Menschen bereiten auf diesem langen Ritt durch die Jahrhunderte spezielle Sorgen. Die erste Schwierigkeit betrifft Formalitäten. Das Buch ist in Renaissance, Barock, Aufklärung und Deutscher Idealismus unterteilt. Fragt man sich bei der Renaissance seit Langem, wo sie beginnt und wann sie endet, so ist »Barock« eigentlich gar keine philosophiegeschichtliche Epoche. Für manche ist sie nicht einmal eine historische Epoche, sondern allenfalls ein Kunststil. Aber gibt es überhaupt Epochen? Je näher man ihnen kommt, umso unübersichtlicher und willkürlicher werden sie. Die Einteilung des Buchs möchte sich an solchen Diskussionen nicht beteiligen. Beabsichtigt ist nur eine gute Übersicht. Insofern muss man sich auch nicht darüber streiten, ob Immanuel Kant nun zum »Deutschen Idealismus« zu zählen ist oder ob er ihn als Aufklärer lediglich entzündet hat. Der Begriff stammt ohnehin erst aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. In den letzten Abschnitt gehört Kant für mich vor allem deshalb, weil mit ihm eine sehr deutsche Denkströmung der Philosophie beginnt. Diese unterscheidet sich stark von der englischen und französischen und begründet eine eigene Tradition. Was für Zeiten gilt, gilt erst recht für Menschen. Schwierig ist zum Beispiel bis heute der Umgang mit Martin Luther. Obwohl kein Philosoph, gehört er geistesgeschichtlich und politisch in jede Philosophiegeschichte. Doch der historische Luther liegt tief verschüttet unter einem Sediment aus Interpretationen, die das bekannte Positive zeitlos, das viele Negative zeitbedingt sehen möchten. Jahrhundertelange Fanliteratur hat Luther bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Und Geschichten, die tausendmal ähnlich erzählt worden sind, lassen andere Wertungen leicht als Provokation erscheinen, auch wenn das gar nicht beabsichtigt ist – das Luther-Jahr 2017 hat dies eindrücklich bestätigt. Schon der »Mittelweg« zwischen Verehrung und historischer Kritik führt definitiv nicht durch die Mitte. Ein neutrales Urteil sollte sich mit dem Luther der Gläubigen gar nicht erst befassen, um den historischen angemessen zu bewerten. Manchmal sind es nicht Menschen, sondern Topografien, die sich sperren. Das Buch enthält einige »Achttausender«, mühselig zu besteigende Berge der Philosophie, die zu den schwierigsten auf der Weltkarte gehören. Gleich zu Anfang des Parcours geht es mit Cusanus als erstem hohem Gipfel los, später folgen Baruch de Spinoza und Gottfried Wilhelm Leibniz. Die Darstellung der leibnizschen Philosophie ist grenzenlos undankbar. Es gibt kein leibnizsches System, sondern sehr viele verstreute Gedanken. Und die Edition der hundertbändigen Werkausgabe, die in den Zwanzigerjahren begann, hat bis heute nicht mal ihre Mitte erreicht. Dazu kommen Begriffe in einem gedanklichen Ordnungsrahmen, der Unverständnis auslösen muss. Sie in zeitgemäße Worte zu fassen gelingt nur mit viel sprachlicher Freiheit. So etwa verwende ich bei der Erklärung der Monadentheorie den Begriff »Bewusstsein« – ein Wort, das erst 1711 von Christian Wolff geprägt wurde, fünf Jahre vor Leibniz’ Tod. Nachdenken verursacht auch die Gewichtung von Thomas Hobbes. Seine philosophiehistorische Bedeutung ist fraglos. Mit ihm beginnen die rationale Staatstheorie und die folgenreiche Idee eines Gesellschaftsvertrags. Vergleicht man ihn jedoch mit seinem Zeitgenossen James Harrington – der in fast allen Philosophiegeschichten fehlt, selbst in den meisten englischen –, so erscheint er weit weniger wegweisend und modern als der arg vernachlässigte Vater der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung. Bei der bewusst sehr ausführlichen Darstellung John Lockes möchte ich den »Vater der Aufklärung« mit all seinen Widersprüchlichkeiten zeigen. Die Idee der Freiheit und Gleichheit aller Menschen drängt Ende des 17. Jahrhunderts nicht einfach deswegen hervor, weil sie eine gute Idee ist. Vieles, was schon seit der Antike darüber gedacht worden ist, wird erst dadurch politisch relevant, dass mächtige wirtschaftliche Interessen dahinterstehen. Und auch die Doppelmoral liberal-kapitalistischer Gesellschaften ist untrennbar mit Locke verbunden. Die Rechte, die dem englischen Besitzbürger zukommen, müssen für ihn nicht für Schwarze und Indianer gelten. Selbst wenn viele Menschen in Europa dies heute anders sehen als Locke – zu den Spezialtugenden unserer Gesellschaft gehört es noch immer, sich mehr um den eigenen Wohlstand zu sorgen als um den Hunger in der Welt. Überlegungen ist auch die Frage wert, wie man die britische gegenüber der französischen Aufklärung gewichtet. Wie ausführlich stellt man was dar? Die französische zählt weit mehr Vögel mit schillerndem Gefieder, vorneweg Voltaire, La Mettrie, Diderot und Rousseau – wogegen Berkeley, Hume und Smith auf den flüchtigen Blick leicht amselgrau wirken. Dennoch dürfte die angelsächsische Aufklärung die bürgerliche Gesellschaft...


Precht, Richard David
Richard David Precht, geboren 1964, ist Philosoph, Publizist und Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit seinem sensationellen Erfolg mit »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?« waren alle seine Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen große Bestseller und wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Seit 2012 moderiert er die Philosophiesendung »Precht« im ZDF und diskutiert zusammen mit Markus Lanz im Nr.1-Podcast »LANZ & PRECHT« im wöchentlichen Rhythmus gesellschaftliche, politische und philosophische Entwicklungen.


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