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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 4, 528 Seiten

Reihe: Geschichte der Philosophie

Precht Mache die Welt

Eine Geschichte der Philosophie 4

E-Book, Deutsch, Band 4, 528 Seiten

Reihe: Geschichte der Philosophie

ISBN: 978-3-641-25437-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Im vierten Band seiner Philosophiegeschichte widmet sich Richard David Precht den großen Ideen der Moderne.Die Moderne provoziert die Philosophie! Der Raum als feste Größe der Physik verliert an Bedeutung, die Frage, was Materie ist, erscheint auf einmal erstaunlich unklar. Ebenso unklar ist die Frage, was Leben ist, und auch das Bewusstsein wird zunehmend zum Rätsel. Mit Sigmund Freuds Psychoanalyse übernimmt das Unbewusste die Herrschaft über den Menschen und fordert die altehrwürdige Vernunftphilosophie heraus.Und auch der Blick auf das große Ganze scheint versperrt zu sein: Die Soziologie, ein neuer Konkurrent, beansprucht das Terrain für sich. Relevant bleibt die Philosophie nur dann, wenn sie einen Mehrwert schafft, der über die Perspektive der Naturwissenschaften, der Psychologen und Soziologen hinausgeht. Sie muss näher an die Dinge heran, tiefer ins Leben blicken und sehr viel genauer beschreiben als sie es traditionell getan hat. Muss die Philosophie das Fernrohr nach innen richten, tief in sich hineinsehen, dorthin, wo die experimentelle Psychologie nie hingelangt? Auf diese Weise entstehen Edmund Husserls Phänomenologie und die neuen Ontologien Martin Heideggers, Alfred North Whiteheads und Nicolai Hartmanns. Soll sie bei der Logik der Sprache ansetzen? So tun es die analytischen Philosophen im Anschluss an Ludwig Wittgenstein und Bertrand Russell. Oder ist Philosophie ein Denken in Bildern, Metaphern und Zwischenräumen wie bei Ernst Bloch und Walter Benjamin?Parallel zur Selbstverständigung der Philosophen radikalisieren sich die Zeitläufte. Der Erste Weltkrieg erschüttert die abendländische Zivilisation und fordert zum radikalen Neudenken auf. Ein Gedankenfestival der Ideen mit einem jähen Ende: dem Zweiten Weltkrieg.Kenntnisreich und elegant zeichnet Richard David Precht die Wege des Denkens in der Moderne nach – mit ihren weitreichenden Folgen bis hinein in unsere Zeit.
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Einleitung
© Saul Steinberg, Untitled, 1952, detail
Private Collection. The Saul Steinberg Foundation, New York.
Originally published in The New Yorker, November 1, 1952. Die Exposition universelle des Jahres 1900 ist ein Weltereignis, eines der ersten überhaupt. 76 000 Aussteller und fast fünfzig Millionen Besucher aus aller Herren Länder kommen zur Weltausstellung nach Paris, und das Ausstellungsgelände hat sich gegenüber der ersten Weltausstellung von 1855 in der Hauptstadt mehr als verzehnfacht. Wunderschöne Bauten der Belle Époque sind entstanden, das Petit Palais und das Grand Palais. Ein rollender Fußweg, elektrisch angetrieben und dreieinhalb Kilometer lang, bringt die Besucher einmal ums Gelände. Die Welt schaut zurück in der »Bilanz eines Jahrhunderts« – so das Motto –, aber sie tut es mit den Mitteln der heraufdämmernden Moderne. Gleich drei neue Großbahnhöfe werden eingeweiht. Die Elektrifizierung der westlichen Zivilisation hat begonnen, sieben Betreibergesellschaften schicken nun elektrische Straßenbahnen durch die Straßen und über die großen Plätze. Das Tempo steigt, Statisches wird dynamisch, und das Spektakel nimmt seinen Lauf: Ein Riesenrad mit hundert Metern Durchmesser lockt zum Vergnügen, auch die zweiten Olympischen Sommerspiele finden in Paris statt. Und die Gebrüder Lumière begeistern die Welt mit ihrem ersten 75-Millimeter-Langfilm. Im Schatten der Sensationen huschen Philosophen durchs Bild. Sie treffen sich zum ersten internationalen Kongress der Philosophie. Wie lässt sich die neue Zeit in angemessene Gedanken fassen? Die meisten sind Franzosen, darunter Henri Bergson und Maurice Blondel, und viele sind zugleich Mathematiker wie Louis Couturat, Henri Poincaré, Giuseppe Peano und Bertrand Russell. Diese Phalanx ist kein Zufall, die Mathematik und die Naturwissenschaften durchleben revolutionäre Zeiten. Im Jahr 1895 hat Wilhelm Conrad Röntgen die Röntgenstrahlen beschrieben, das Ehepaar Marie und Pierre Curie entdeckt 1898 das Radium, zwei Jahre später, pünktlich zur Weltausstellung, formuliert Max Planck die Quantentheorie, und weitere fünf Jahre später wird Albert Einstein die Spezielle Relativitätstheorie aufstellen. Das rutherfordsche Atommodell (1909 bis 1911) und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (1915) werden folgen. All das hat philosophische Konsequenzen. Der Raum als feste Größe verliert an Bedeutung, die Frage, was Materie ist, erscheint auf einmal erstaunlich unklar. Ebenso undeutlich ist, was eigentlich Leben ist. In der Biologie bekämpfen sich die »Vitalisten« und die »Mechanisten«. Die einen nehmen eine »Lebenskraft« an, die anderen glauben dagegen, dass das Leben physikalisch-chemisch erklärbar ist, ohne dass es dafür einer speziellen Zutat bedarf. Und was für das Leben gilt, gilt auch für das Bewusstsein. Was soll das sein? In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die neu entstandene Psychologie in das heilige Zimmer der Philosophen eingedrungen und hatte den Geist versachlicht – als Gegenstand von Experimenten. Mit Sigmund Freuds Psychoanalyse wird es nun noch drastischer. Das Bewusstsein wird entmachtet; das Unbewusste übernimmt die Herrschaft über den Menschen und fordert die altehrwürdige Vernunftphilosophie brutal heraus. Psychoanalyse wird zur Modedisziplin der Zeit, und aus Erkenntnistheorie wird Selbsterkenntnistheorie. Bleibt, wenn Psychologie und Psychoanalyse das einzelne Individuum, die konkrete Person, gründlicher ausleuchten als die Philosophen, nur noch der Blick auf das große Ganze? Aber auch hier ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ein mächtiger Konkurrent entstanden. Mit Émile Durkheim, Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Max Weber begründet sich die Soziologie. Sie sprengt sich aus der Philosophie wie aus einem zu engen Kokon. Und sie findet ganz neue Worte und Modelle, um das Ornament der Gesellschaft zu beschreiben, ihr Muster, ihre sozialen Techniken, ihre Statik und ihre Dynamik. An alldem kann die Philosophie nicht mehr vorbeisehen. Relevant bleibt sie nur dann, wenn sie einen Mehrwert schafft, der über die Perspektive der Naturwissenschaften, der Psychologen und Soziologen hinausgeht. Sie muss näher an die Dinge heran und sie sehr viel genauer beschreiben, als sie es traditionell getan hat. Die Philosophie muss das Fernrohr nach innen richten, tief in sich hineinsehen, dorthin, wo die experimentelle Psychologie nie hingelangt. Und sie wird es versuchen: Der Aufstand der philosophischen Selbstbeobachtung gegen die psychologische Fremdbeobachtung wird zum Jahrhundertthema. Auf diese Weise entsteht mit Franz Brentano, Theodor Lipps und mehr noch durch Edmund Husserl die Phänomenologie. Parallel dazu deutet auch die schärfste Konkurrenz, die Lebensphilosophie, das wirkliche Leben aus. Henri Bergson, Wilhelm Dilthey, Simmel, José Ortega y Gasset, Benedetto Croce und Robin George Collingwood begnügen sich nicht mehr mit Psyche und Bewusstsein, sondern blicken beim menschlichen Leben stets auf das schicksalhafte Ganze. Der Mensch ist ein Natur-, aber mehr noch ein Geschichts- und Kulturwesen, das sich sein Leben selbst ausdeutet. Leben bedeutet zu interpretieren, wer man ist, was man ist und wer man sein will. Die Vernunft mag dabei helfen, die Naturwissenschaften mögen ihr Wissen beisteuern, aber am Ende kann Leben aus nichts anderem heraus begriffen werden als – aus dem gelebten Leben selbst! Der Stolz der Philosophen ist also noch da. Am Anfang des Jahrhunderts stehen Denker, die den Anspruch erheben, die neuen empirischen Fachwissenschaften besser zu verstehen als diese sich selbst. Bergson lässt kaum einen Zweifel daran aufkommen, dass die Philosophie die Wissenschaften, die neu aufkommende Hirnforschung und die boomende Evolutionsbiologie, metaphysisch »tiefer« legen kann. Wenn es ums Tieferlegen ging, so pflügt sich Sigmund Freud mit dem gleichen Anspruch durch die Ethnologie, die Anthropologie, die Religions- und die Kultursoziologie. Und Edmund Husserls Rede »Die Krisis der europäischen Wissenschaften« reklamiert noch 1936, die Philosophie stehe über allen anderen Wissenschaften und fundiere diese überhaupt erst. Der hohe Anspruch ist umso bemerkenswerter, als er schon lange nicht mehr selbstverständlich ist. Doch das philosophische Selbstbewusstsein zu Anfang des 20. Jahrhunderts erstarkt. Hatten es die idealistischen Philosophen in der Nachfolge Hegels im 19. Jahrhundert immer schwerer gehabt, sich zu rechtfertigen – der Siegeszug der Naturwissenschaften machte auch die Welt des Geistes zu einem Terrain des exakten Messens –, findet das neue Jahrhundert in seiner ersten Hälfte zur Metaphysik zurück. Was auch immer exakt gemessen wird, es beschreibt nur Dinge. Aber taugt es wirklich zur Erklärung des Unbedingten? Und woher nehmen die Naturwissenschaften ihre Begriffe? Schwankt nicht auch unter ihnen der Boden? Wenn seit Ende des 19. Jahrhunderts die Physik eine »Grundlagenkrise« beklagt und niemand mehr definieren kann, was Raum und Materie sind, sollen Philosophen sich dann wirklich auf sie stützen? Die Krise der Physik lässt die Philosophie Abschied vom Raum nehmen. Er ist keine Gegebenheit mehr. Die Zeit ist jetzt der eigentliche und einzige Urgrund des Daseins. Und sie ist der Physik nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar über eine Bewusstseinsleistung – das Messen – zugänglich. Aber diese gemessene Zeit ist eben nur die gemessene Zeit und nicht die Zeit. Vor aller Messung liegt das Zeiterleben. Es ist subjektiv, aber gleichwohl intersubjektiv gültig. Denn am Erleben von Zeit kommt kein gesundes menschliches Bewusstsein vorbei. Ist das Erleben von Zeit die eigentlichste aller Erfahrungen? Die Zeit als eine Art »schwebende Entität« scheint das Subjektive objektiver zu machen als alle Objektivitätsansprüche der Naturwissenschaften. So jedenfalls sehen es Bergson und Husserl; Martin Heidegger und Alfred North Whitehead werden ihnen folgen. Das neue Zauberwort der modernen Philosophie heißt Prozess. Sowohl der kritische Rationalismus als auch der skeptische Realismus fußen auf diesem Konzept: Sie sind Philosophien in einer Zeit, die das Aufkommen des Films feiert gegenüber der Statik der Fotografie. Philosophische Konzeptionen müssen von nun an zeigen, dass sie dynamisch sind, ob bei Bergson, bei Georges Santayana, Whitehead oder Nicolai Hartmann. Viele suchen nun neue Synthesen zwischen Idealismus und Materialismus – und zwar in Form dynamischer Ontologien. Wenn Leben ein »Prozess« ist, dann ist eine Substanzontologie ebenso falsch wie ein transzendentaler Idealismus. Auf Unveränderliches lässt sich nichts mehr gründen. Was William James Ende des 19. Jahrhunderts vorgemacht hat, findet nun Nachfolger: eine Philosophie, die sich bei der Biologie absichert und aus ihr Konsequenzen zieht; so bei Bergson und bei Whitehead. Manche Philosophen gehen sogar direkt auf Tuchfühlung mit einflussreichen philosophierenden Biologen: Bergson mit Hans Driesch und Ernst Cassirer mit Jakob Johann von Uexküll. Und einer, Santayana, sieht den einzig verlässlichen Quell der Erkenntnis im animal faith, in unserem tierischen Vertrauen auf die Realität der Realität. Wenn die Vernunft allein keinen verlässlichen Zugang zur Wirklichkeit liefert, wird Wahrheit subjektiver, als sie es in der Geschichte der Philosophie je war. Das hat große Konsequenzen. Der Neukantianismus – die dominierende Philosophie in Deutschland – gerät stark in die Defensive. Seine letzten wichtigen Vertreter, Cassirer und Richard Hönigswald,...


Precht, Richard David
Richard David Precht, geboren 1964, ist Philosoph, Publizist und Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit seinem sensationellen Erfolg mit »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?« waren alle seine Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen große Bestseller und wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Seit 2012 moderiert er die Philosophiesendung »Precht« im ZDF und diskutiert zusammen mit Markus Lanz im Nr.1-Podcast »LANZ & PRECHT« im wöchentlichen Rhythmus gesellschaftliche, politische und philosophische Entwicklungen.


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