Buch, Deutsch, 144 Seiten, HALBLN, Format (B × H): 141 mm x 210 mm, Gewicht: 289 g
Ein spiritueller Begleiter durch die Advents- und Weihnachtszeit
Buch, Deutsch, 144 Seiten, HALBLN, Format (B × H): 141 mm x 210 mm, Gewicht: 289 g
ISBN: 978-3-89680-377-1
Verlag: Vier Tuerme GmbH
Es scheint eine uralte Sehnsucht zu sein, aufzubrechen, Bekanntes hinter sich zu lassen und neue Wege zu suchen. Von dieser Sehnsucht getrieben, machen sich viele Menschen auf den Weg. Dieser Weg wird durch die bewusste Wahrnehmung von Orten und Menschen zu einer inneren Reise, auf der Suche nach Gott und zu uns selbst.
Zielgruppe
- Das Geheimnis von Weihnachten für das eigene Leben erschlossen - Meditationen und Impulse zu Heiligen und biblischen Gestalten der Advents- und Weihnachtszeit - Bekannte Autorin aus Radio und Presse
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Gott richtet die Erniedrigten auf – Das Magnifikat
»Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über
Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrig... « – Hier stockte sie, die
erfahrene Trainerin, mit der ich im Rahmen eines Erwachsenenbildungslehrgangs
für Frauen eine Woche zur Vertiefung der eigenen Spiritualität
leitete. Wir arbeiteten zu Frauenbildern im Christentum, übten uns in
freudigem Frausein im Angesicht Gottes. An diesem Nachmittag wollten
wir das Magnifikat, den großen Lobpreis der Maria im Lukasevangelium
(Lk 1,47–55), im Spiegel einer Nachdichtung von Dorothee Sölle
betrachten. Meine Kollegin sollte den biblischen Originaltext (in der
Fassung der Einheitsübersetzung) vorlesen, aber schon beim »Herrn«
musste sie sich räuspern, bei der »Niedrigkeit« versagte ihre Stimme ganz.
»Ich kann das nicht mehr hören und nicht mehr lesen«, sagte sie, »ich bin
keine niedrige Magd, und ich akzeptiere keine Herrschaft.«
Die Klarheit, mit der sich diese Frau im Laufe ihres Lebens von einer
Haltung der Unterwürfigkeit distanziert hat, hat mich und die anderen in
diesem Kurs beeindruckt. Der Widerstand dagegen, kleingemacht zu werden,
war ihr so in Fleisch und Blut übergegangen, dass es ihr körperlich
unmöglich war, etwas vorzulesen, was für sie nach einer Einwilligung in
Unterdrückung und Unterwürfigkeit klang. Der aufrechte Gang, der der
Freiheit eines Christenmenschen entspricht, war ihr zur Lebenshaltung
geworden.
Bis heute bewundere ich dieses Bekenntnis zum aufrechten Gang. Ich
ahne, wie mühsam er in einem nun schon mehr als 60 Jahre dauernden
Frauenleben in einer immer noch patriarchalen Gesellschaft und Kirche
errungen ist. Und bis heute macht es mich nachdenklich, denn das große
Loblied Marias auf Gott kann doch nicht als Infragestellung einer solchen
Haltung gemeint sein. Zu deutlich werden in den weiteren Versen die
Mächtigen vom Thron gestürzt und die Reichen leer weggeschickt. Zu
deutlich steht der Gott, den Maria preist, auf der Seite der Armen und
Kleinen und erhöht die Kleingemachten.
Was oft mit »Niedrigkeit« übersetzt und dann im Sinne der
Unterwürfigkeit gedeutet und als weibliches Ideal hingestellt wurde,
würde präziser mit »Erniedrigung« wiedergegeben. Es geht hier nicht
um eine, die sich in den Staub vor der Majestät eines Herrn wirft und
sich dann freut, wenn er sich von oben herab ein wenig zu ihr hinunterbeugt
– überspitzt gesagt. Es geht vielmehr um eine Frau, die von der
Erniedrigung spricht, die ihr persönlich oder dem Volk, für das sie steht,
widerfahren ist.
Dabei kann man daran denken, dass Maria gerade unehelich schwanger
geworden und damit in eine prekäre Randlage zur anständigen Gesellschaft
geraten ist. Wer wird ihr schon glauben, dass diese Schwangerschaft
etwas mit Gott zu tun hat? Wir können hier aber auch an das »Volk,
das im Dunkeln lebt« (Jes 9,1), denken, an die, die sich im Wohlstand
nicht eingerichtet haben, nicht einrichten konnten und sehnsüchtig auf
den Messias warten, der Gerechtigkeit und Frieden bringen wird. Maria
erscheint als Repräsentantin der Armen Gottes, derer, die auf niemand
anderen mehr ihre Hoffnung setzen.
Wie bei den folgenden Versen geht es auch bei der Erniedrigung um
Auswirkungen sozialer Ungerechtigkeit. Und wie so oft in der Bibel
wird deutlich, dass Gott sich besonders denen zuwendet, die darunter
zu leiden haben. Sie sind es auch, die – offenbar anders als Reiche und
Mächtige – ein waches Gespür für diese Zuwendung Gottes haben. Maria
steht für die, die erkennen, dass Gottes Menschwerdung diese Zuwendung
endgültig besiegelt. In ihrer Freude mag mitschwingen, dass sie
der Erzählung bei Lukas folgend gerade erlebt hat, wie ihre Verwandten
die überraschend Schwangere nicht abweisen oder ausstoßen, sondern
im Gegenteil als Mutter des Messias begrüßen und aufnehmen. Eine
Erniedrigte wurde aufgehoben. Zugleich spricht aus den Worten des
Magnifikats der Jubel all derer, denen der menschgewordene Gott neue
Hoffnung schenkt und neue Lebenskraft.
Wer heute das Magnifikat als großen Lobpreis Gottes betet,
willigt nicht ein in würdelose Unterwürfigkeit und schon gar nicht in
Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit, auch nicht gegenüber Frauen.
Wer heute das Magnifikat betet, weiß sich berufen zum aufrechten
Gang und zum Einsatz dafür, dass dieser keinem Menschen mehr verwehrt
wird.