E-Book, Deutsch, Band 1, 432 Seiten
Reihe: Soulhorse
Rahlff Soulhorse 1: Mein Traumpferd und andere Katastrophen
21001. Auflage 2021
ISBN: 978-3-646-93483-0
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 432 Seiten
Reihe: Soulhorse
ISBN: 978-3-646-93483-0
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit Büchern hatte Ruth Rahlff schon früh zu tun: Sie sortierte die Wälzer ihres Vaters um, probierte sich als Verkaufstalent in der Buchhandlung ihres Onkels, ließ sich zur Verlagsbuchhändlerin ausbilden, arbeitete in einem sehr großen und einem sehr kleinen Verlag und ist nun freie Autorin und Lektorin. Dabei schlüpft sie auch gern in andere Identitäten. Sie schreibt Geschichten, Sach- und Spielbücher, Kinderromane, verfasst Texte für Apps und gibt Workshops für Kinder im Vor- und Grundschulalter.
Autoren/Hrsg.
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»Wo willst du denn hin?« Maries blasses Gesicht tauchte wie ein Gespenst hinter Lunas Widerrist auf.
Ich fuhr zurück und ließ vor Schreck die Putzbürste fallen. Luna schnaubte und schlug mit dem Schweif, wobei sie haarscharf meine Wange verfehlte.
»Oh, tut mir leid«, sagte Marie und ging in einem Bogen um Lunas Hinterhand herum. »Gehst du ausreiten?«
»Klar, bei dem tollen Wetter! Sag doch Sophia Bescheid und kommt auch mit. Lukas macht gerade schon Peanut fertig.«
Marie schüttelte den Kopf. »Wir wollen gleich noch für die Quadrille üben, willst du nicht mitmachen?«
Ich zögerte. Natürlich, die Quadrille war toll, und Lukas wäre sicher auch dabei, wenn ich ihn fragen würde. Nur wartete ich seit einer Ewigkeit auf die Gelegenheit für einen Ausritt.
Im nächsten Moment blitzte ein Bild vor mir auf. Die weiße Stute inmitten von Tannengrün.
Vor acht Wochen und drei Tagen war ich ihr begegnet. Und seitdem musste ich ständig an sie denken. Ich hatte überall herumgefragt, ob jemandem ein Pferd ausgebüxt war, aber nirgends gab es auch nur eine Spur von ihr. Wäre Lukas nicht dabei gewesen, hätte ich das alles wahrscheinlich für einen Traum gehalten, aber so hatte ich ja immerhin einen Zeugen. Heute wollte ich jedenfalls unbedingt zu der Stelle im Wald reiten. Vielleicht kam mir ja so noch eine Eingebung, wie ich sie wiederfinden könnte.
Marie stupste mich an. »Träumst du?«
Ich fuhr zusammen. »Sorry, ich war gerade total woanders. Sag mal, können wir das mit der Quadrille lieber demnächst machen? Bis zur Aufführung dauert es ja noch.«
Ich angelte den Sattelgurt unter Lunas Bauch hervor. Die richtigen Löcher für die Riemen fand ich blind, also blickte ich zu Marie hinüber.
»Schade, ich hatte mich schon so gefreut.« Sie seufzte. »Na schön, wir üben einfach ein paar Figuren und bringen sie euch dann bei. Wir wollen uns ja nicht vor Hanno blamieren. Apropos Hanno – weiß der, dass du dir Luna nimmst?«
»Nein, ich bin ihm seit gestern nicht mehr über den Weg gelaufen. Aber ich denke mal, das geht klar, es ist ja Sonntag.« Ich nahm das Zaumzeug von der Boxentür und legte Luna die Zügel über den Hals, dann streifte ich das Halfter ab.
»Okay, dann viel Spaß.«
»Bis denn.« Ich lächelte sie an und winkte Sophia, die gerade aus der Sattelkammer kam.
Die Zwillinge öffneten die Boxentüren von Caruso und Delilah. Absolut synchron, dabei waren sie noch nicht mal eineiig. Ob sie das heimlich geübt hatten? Ich schmunzelte in mich hinein, während ich Luna nach draußen führte.
Wie immer war hier alles top gepflegt. Kein Grashalm wagte sich zwischen den sorgfältig verlegten Pflastersteinen hervor. Während ich nachgurtete, ließ ich den Blick über die Anlage schweifen.
Die Einfahrt mit den vielen Bäumen mündete in einen rechteckigen Hofplatz. Zwischen den beiden lang gestreckten Stallgebäuden lag die riesige Reithalle, neben dem linken Stall waren vier exakt gleich große Reitplätze angelegt. Die Scheune, in der Futter und Arbeitsgeräte aufbewahrt wurden, befand sich neben dem rechten Stall.
Alles in allem war Birkenmoor die Traumvorstellung eines Reiterhofs. Halle, Scheune, Reiterstübchen – alles war total in Schuss. Und sogar die Weidezäune waren im Stil der übrigen Gebäude gestrichen, weiß und dunkelblau. Birkenmoor war wirklich wie aus einem Hochglanzprospekt.
Wahrscheinlich fragten deshalb auch regelmäßig Filmteams an und wollten hier drehen, was Hanno meistens ablehnte. Ich hätte es ja lustig gefunden, aber Hanno wollte »keinen Zirkus« auf dem Hof haben.
Luna spitzte die Ohren, als ein dunkelgrünes Auto vor der Halle hielt. So riesig, wie es war, hätte eine halbe Fußballmannschaft hineingepasst, doch es stiegen nur eine Frau und ein Mädchen aus. Das Mädchen war ungefähr so alt wie ich, es trug eine Reithose und hatte einen Helm dabei.
»Wo finden wir Hanno Berger?«, rief die Frau mir zu.
»Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen«, antwortete ich, doch im nächsten Augenblick hörte ich im Stall jemanden sprechen.
»Wo steckt denn Ylvi?«, dröhnte Hannos tiefe Stimme durch die Stallgasse.
»Sie ist eben erst raus.« Das war Sophia. »Mit Luna.«
Er brummelte etwas Unverständliches.
»Sie wollte ausreiten«, schob Marie hinterher.
Super, dann wusste er ja jetzt auch Bescheid. Nun fehlte nur noch Lukas, dann konnten wir los.
Ich wandte mich an die Frau und wies auf das Stalltor hinter mir. »Hanno ist drinnen, Sie können ihn gar nicht verfehlen.«
»Fein, danke.«
Ich zog mir die Jacke aus und warf sie über einen der Anbindebalken. Die Frühlingssonne war warm genug, da reichte mir das T-Shirt.
Die beiden machten einen Schritt auf die Tür zu, doch da stand Hanno schon auf der Schwelle.
»Ah, Ylvi, da bist du ja. Und Luna ist auch schon parat, wunderbar.«
Er nickte dem Mädchen zu. »Silvana, du kannst dich gleich ein bisschen mit ihr vertraut machen, geh ruhig näher heran.«
Die Augen des Mädchens leuchteten auf. Silvana strahlte mich kurz an, dann hielt sie Luna vorsichtig eine Hand hin.
Ich stöhnte innerlich. Noch eine Reitschülerin, dabei wurde Luna doch in letzter Zeit sowieso schon ständig im Unterricht eingesetzt.
»Ähm, ich wollte eigentlich gerade los.«
»Da hätten wir uns vorher absprechen müssen.« Hanno runzelte die Stirn. »Ich brauche Luna jetzt. Silvana bekommt Unterricht, das wird ein bisschen dauern.«
Was? Das durfte doch nicht wahr sein! Ich hatte mich schon so auf den Ausritt gefreut! Meine Wangen brannten und ich suchte nach den richtigen Worten.
»Wollen wir im Büro die Formalitäten erledigen?«, fragte Hanno die Frau. »Silvana geht einfach schon mal mit Luna in die Halle. Keine Sorge, wir haben die beiden dort die ganze Zeit über im Blick.«
Silvana guckte etwas verlegen, als ich ihr stumm die Zügel übergab, und murmelte ein kurzes »Danke«. Dann zogen die vier nach drinnen ab. Keiner von ihnen schaute zu mir zurück, noch nicht mal Luna.
Und was nun? Jetzt war meine ganze Planung im Eimer. Es war nicht zu fassen!
Hinter mir klapperten Hufe auf dem Pflaster. Lukas führte Peanut aus dem anderen Stall.
»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber Peanut hat sich in Pferdeäpfeln gewälzt. Ich habe ewig gebraucht, um die Mistflecken zu entfernen«, keuchte er und stülpte im Gehen seine Reitkappe auf die dunkelbraunen Locken. »Wollen wir?«
Jetzt erst bemerkte er, dass mir etwas Entscheidendes fehlte. »Bist du mit Luna noch nicht fertig?«
»Nee, das hat sich gerade erledigt. Wir müssen den Ausritt verschieben, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag oder so. Mal sehen, wann Hanno mir Luna dafür das nächste Mal überlässt.« Ich schluckte. Mist, hätte ich ihn doch bloß vorher wegen Luna gefragt!
»Was?« Lukas fiel die Kinnlade herunter, im nächsten Moment entdeckte er Luna und Silvana in der Halle.
»Tja, da kann man nichts machen. Wenn Luna meine Reitbeteiligung wäre, dann würde so was nicht passieren.«
»Und wenn dir jemand sein Pferd leiht? Wir können doch Sophia oder Marie fragen. Oder du nimmst ein anderes Schulpferd.«
Ich schüttelte den Kopf. »Die Zwillinge üben gleich Quadrille. Und ich habe keine Lust, Hanno jetzt nach einem Pferd zu fragen.«
Bevor er noch etwas sagen konnte, marschierte ich zu den Fahrradständern. Es war aussichtslos. Ohne eigenes Pferd zog man einfach immer den Kürzeren.
»Warte, Ylvi!« Lukas lief mir hinterher. Peanuts Hufe klapperten auf dem Pflaster. »Wollen wir dann nicht etwas mit Peanut machen?«
»Was denn?«
»Keine Ahnung, uns fällt schon etwas ein.«
»Und die Quadrille?«
»Ach, die ist nächste Woche immer noch da.«
»Du willst wirklich nicht reiten?«, fragte ich ungläubig.
»Nö, das wird ihm schon nicht schaden.« Lukas zeigte auf den Grünstreifen am Parkplatz. »Lassen wir ihn ein bisschen grasen.«
»Okay. Aber nicht dort.« Ich änderte die Richtung. »Dafür weiß ich eine bessere Stelle.«
Wir umrundeten die Scheune und folgten einem Trampelpfad entlang der Koppeln.
»Hier war ich schon ewig nicht mehr«, sagte Lukas erstaunt.
»Wie auch, du bist ja immer nur in der Halle«, zog ich ihn auf.
»Hey, jetzt übertreib mal nicht!«
Hinter der letzten Koppel lag ein kleines Stückchen Wiese, wo in den geschützten Ecken die ersten zarten Grashalme wuchsen. Hierher verirrte sich fast nie jemand. Peanut verlängerte seine Schritte und rupfte voller Begeisterung ein ganzes Büschel Gras ab. Nach dem vielen Heu im Winter schmeckte das jetzt bestimmt besonders gut!
Während Lukas neben ihm stehen blieb, setzte ich mich auf einen großen Stein in die Sonne.
»Wo geht es da denn hin?« Lukas deutete auf einen schmalen Durchgang zwischen den Büschen.
»Auf den Feldweg«, erklärte ich, »von da aus ist es nur ein Katzensprung bis zum Wald.«
Ich umfasste meine Knie und lehnte mich ein wenig zurück. Ein Marienkäfer landete auf meinem Unterarm und blieb ein Weilchen dort sitzen. Ob er die Sonne auch so mochte?
Er flog erst auf, als Lukas mit Peanut herüberkam und sich neben mich hockte. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme auf meinem Gesicht. Jetzt ging es mir schon besser. Nächstes Mal würde ich mich einfach früher darum kümmern, dass Luna frei war.
Später stieg ich aufs Rad und fuhr...