Ranchev / Evert | Der Weg nach Sacramento | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 222 Seiten

Reihe: editionBalkan

Ranchev / Evert Der Weg nach Sacramento

Roman
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-943941-35-7
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, Band 2, 222 Seiten

Reihe: editionBalkan

ISBN: 978-3-943941-35-7
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



'Der Weg nach Sacramento' ist nach Einschätzung des Autors sein bislang gelungenstes Werk. Der Roman malt ein ungeschminktes Bild von Bulgarien kurz nach der Wende, eine Zeit der Massenarmut, der Massenverstörung. Eine Geschichte von jungen Menschen in der Hauptstadt Sofia, die, jeder Hoffnung und Zukunft beraubt, Drogen konsumieren und verkaufen. Und auch eine Geschichte der Vergangenheitsbewältigung und des Erwachsenwerdens, obwohl für den jungen Protagonisten am Ende nur die Emigration eine Lösung seiner Probleme verspricht. Der zwanzigjährige Pavel lebt nach Beendigung seines Militärdienstes bei seiner Großmutter in einem Plattenbauviertel Sofias, da er zu seiner Mutter, einer gestörten promiskuitiven Frau, nicht zurückkehren möchte. Pavel indes hat ein ganz spezielles Problem: Er ist noch Jungfrau, ein Zustand, den er so bald wie möglich beenden möchte. Er verliebt sich in die drogensüchtige Marianna und schließt sich, um sie zu gewinnen, ihrer Clique an, eine Gruppe von jungen Drogensüchtigen. Parallel zur Gegenwartshandlung wird die Geschichte des Vaters erzählt und dessen Leben im amerikanischen Exil seit seiner Flucht im Jahr 1970. Gegen Ende des Romans bringt sich Marianna um, als einer ihrer Geliebten von der Mafia ermordet wird. Pavel selbst wird von der Drogenmafia verfolgt. Da erfährt er, dass sein Vater in Amerika gestorben ist und ihm Geld hinterlassen hat, wodurch er die Möglichkeit bekommt, Bulgarien und dem organisierten Verbrechen zu entkommen - Richtung Sacramento.

Geboren 1950 in Sofia. Er war in seiner Jugend einer der führenden Amateurboxer Bulgariens. 1981 wurde er Trainer und führte eine ganze Reihe von Boxern bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen auf Medaillenränge. Später arbeitete er als Direktor einer Zeitung und als freier Journalist. In erster Linie ist er jedoch schon seit langem Schriftsteller, der mit seinen klugen und literarisch hochwertigen Romanen und Erzählungen die von Korruption und Verbrechen durchsetzte bulgarische Gesellschaft schildert.
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An dieser Stelle war der Fluss ganz schmal. Mit Anlauf könnte er hinüberspringen. Er sah sich vom flachen Ufer aus die Wohnblocks ringsherum an. Sie ragten ohne Spiegelungen aus dem unbeweglichen, trüben, fast schwarzen Wasser hervor. Die Plattenbaukartons sahen unbewohnt aus, verlassen, kein Mensch war zu sehen. Wartete man still auf die nächste Verteuerung beim Brot? Das nächste große Unglück, das in viel zu kleinen Portionen kam? Nahm man es hin und wartete voller Hoffnung darauf, dass am Ende etwas Bedeutendes geschehen würde? Dann würden die Menschen die Fenster weit aufreißen, sich auf den Balkonen zeigen und schreien, schreien, schreien. Aber das Schlechte kam erneut in kleinen Portionen, jeden Tag. Mehrmals täglich. So oft, dass sie es schon nicht mehr bemerkten. Und alle schrumpften mehr und mehr. Wurden geradezu unsichtbar an einem frühen Abend wie diesem.

Auf der Seite tauchten zwei Straßenköter auf. Sie schnupperten mit erhobenen Köpfen, ohne einen Laut von sich zu geben. Er ließ sie nicht aus den Augen, während er auf die Anhöhe aus aufgehäufter Schlacke stieg. Er blieb auf dem höchsten Punkt stehen, die Hände in den Hosentaschen seiner ausgeleierten Hose. Die Hunde drehten sich abrupt um und rannten in Richtung des sumpfigen Ufers. Bald verschwanden sie hinter den herumliegenden Blechdosen. Auf manchen waren stilisierte rechteckige Käsestücke mit dunklen Löchern zu erkennen. Er hätte Lust gehabt, noch lange dazustehen und sich umzusehen. Er wartete darauf, dass es dunkel genug wurde. Nur die Dunkelheit verbarg das widerwärtige Bild. Plötzlich rief jemand nach ihm. Er sah den blauen Lada vor dem gegenüberliegenden Haus. Erneut hörte er seinen Namen.

Zwei weitere Wagen – ein schlammbespritzter grüner Jeep und ein anderer Lada – hielten hinter dem blauen. Aus den Autos ergoss sich eine Schar junger Leute. Neue Bewohner der Wüste ringsherum. Sie sahen ausgesprochen lebensfroh aus. Sie ließen zwei Flaschen Wodka der Marke »Atlantik« die Runde machen. Aus dem blauen Lada stieg noch ein Mädchen. Eine schlanke Gestalt mit hoch aufragenden, spitz zulaufenden Brüsten. Sie schaukelte mit tänzelnden Schritten zu den anderen. Er erkannte in ihr Mariana, und es lief ein Schauer über seinen Körper, wie oft in letzter Zeit, wenn er an sie dachte.

Wenn sie einander trafen, tauschten sie für gewöhnlich Banalitäten aus. Einzig und allein ihr Lächeln hatte Bedeutung. Der Blick, die übertriebenen Gesten. Ihre Handgelenke waren unnatürlich zart. Verrückt, dass er für dieses Mädchen so starke Gefühle verspürte. Einmal hatte er den Mut, sie aufzuhalten und nach ihrem Namen zu fragen. Es wunderte ihn, dass sie ihm antwortete. Er sah sie an und schwieg. Mariana, wiederholte sie, und brach in Gelächter aus. So verliefen fast all ihre zufälligen Treffen. Manchmal gelang es ihm, sich ein paar Sätze abzuquälen. Aber er zog es vor, schweigend neben ihr herzugehen.

Beim letzten Treffen war er vorbereitet, gab sich angriffslustig, schlug vor auszugehen. Er habe es satt, sie zwischen den Blocks abzupassen. Er erklärte ihr, wie gern er mit ihr allein sein wollte. Aufgeregt wedelte er mit den Armen und achtete darauf, nicht wieder zu verstummen. Er begriff dann irgendwann, dass Mariana die Einladung freundlich ablehnte. Er sprach aus Trägheit weiter. Er lächelte noch immer, als sie auseinandergingen. Er hatte gesagt, was er sich zurechtgelegt hatte. Aber seither schien sie ihm aus dem Weg zu gehen. Nie traf er sie irgendwo. Einige Male am Tag ging er an ihrem Block vorbei und schaute zu den Fenstern im fünften Stock hinauf. Manchmal hatte er Lust, an ihrer Tür zu läuten, was war schon dabei? Er würde sie ja nicht fressen. Aber die Eingangstür war immer verschlossen. Die alten Frauen, die davor herumschlenderten, sahen ihn misstrauisch an. Sie öffneten die Tür nur so weit, dass sie sich hineinzwängen konnten und zogen sie sofort wieder hinter sich zu. Oft stellte er sich vor, wie sie ihn von oben beobachtete. Und sich über seine Bemühungen lustig machte.

Auf der anderen Seite des Flusses hatte Mariana jetzt einen bärtigen Typen umarmt. Sie hing geradezu an seinem Hals. Sie ließ ihn mit dem einen Arm los, griff sich die Wodkaflasche, nahm einen Schluck, den Kopf in den Nacken geworfen. Wieder blickte sie zu ihm hinüber und rief mit voller Stimme:

»He, Pavel, wie lange soll ich noch auf dich warten? Seit einem halben Jahr willst du mir die Sterne vom Himmel holen. Was ist jetzt? Komm schnell, wir fahren gleich los. Du verstehst schon. Ehe du dich versiehst, ist dein Fallschirm aufgegangen.«

Er ging ohne zu zögern zu der kleinen Holzbrücke und war erstaunt, dass der Pavel, den sie rief und dem sie Zeichen machte, er selbst war. Aber es gelang ihm, sich zu beherrschen. Er versuchte, seinen Gang lässig aussehen zu lassen. Die Gruppe gegenüber geriet in Bewegung. Man verteilte sich wieder auf die Autos. Kein anderer beachtete ihn außer Mariana. Sie hatte die Flasche zwischen ihre Brüste gepresst und winkte ihm mit ihrer freien Hand zu.

»Beeil dich!«, forderte sie ihn auf, »sonst werd ich dir keinen Tropfen geben. Nur dass du’s weißt.«

Sie hielt ihm die Flasche direkt an den Mund. Damit er einen großen Schluck nahm.

»Du kommst mit uns!«, ordnete sie lachend an. »Tu nicht so unschuldig! Du lebst nicht auf dem Mars. Das Leben ist ein Karussel. Wir müssen uns mit ihm drehen.«

Der Wodka ließ ihn husten. Seit er aus dem Wehrdienst entlassen worden war, hatte er keinen Alkohol angerührt. Er sah sie hilflos an, sie ermunterte ihn, noch einen Schluck zu nehmen.

»Los, nur noch ein klitzekleiner Schluck. Du willst doch ein freier Mensch sein. Ein Schlückchen noch, und wir steigen ins Auto. Sie warten nur noch auf uns. Die Party hat längst begonnen.«

Er nahm noch einen Schluck und holte mit offenem Mund Luft. Innerlich stand er in Flammen. Sein Kopf füllte sich mit Nebel. Er folgte Mariana auf die andere Seite des Ladas. Er beugte sich hinunter, um einzusteigen, aber auf dem Rücksitz saßen schon vier. Mariana drängte sich hinein, ohne sie zu beachten. Jemand ächzte vor Schmerz auf, dann ein anderer. Am Ende setzte sie sich auf jemandes Knie, beugte sich zu ihm hinüber und reichte ihm die Hand.

»Mach schon, nur Mut, wir machen uns dünn. Es sind höchstens zwanzig Minuten. Und Ciko ist der König des Lenkrads. Er kennt einen Schleichweg. Er kennt alle Schleichwege.«

Mariana deutete mit einer übertriebenen Geste auf den schmalen Jungen am Steuer. Er war kahlrasiert. Man konnte deutlich drei Vertiefungen sehen, die der Länge nach über seinen dünnen Nacken liefen. Sie fuchtelte mit der Flasche vor ihrem Gesicht herum, überzeugte sich davon, dass noch genug drin war, und reichte sie Ciko.

»Nicht jetzt, danke!«, lehnte er ab. »Ich habe den Jungs versprochen, nicht zu trinken, wenn ich fahre. Später werde ich es nachholen. Und wie!«

Bald ermunterte sie ihn wieder, einen kleinen, einen wirklich nur klitzekleinen Schluck zu nehmen. Ihre Stimme war verführerisch. Verlockend. Aber Ciko schüttelte nur lächelnd den Kopf. Mariana trank, Pavel trank, die anderen tranken. Sie reichten die Flasche herum, lachten, zwinkerten sich zu. Mariana drehte die Flasche um, als der Wodka alle war.

»Leer!«, trällerte sie.

Im Auto begann ein allgemeines Gekichere. Sie schüttelten sich geradezu vor Lachen. Pavel hing in der Luft zwischen den Beinen von irgendeinem hinter ihm. Er bemühte sich, ihn nicht zu berühren. Die Muskeln seiner Oberschenkel waren steif vor Anstrengung. Er bereute, dass er so unüberlegt in den Wagen gestiegen war. Er wusste nicht einmal, wer der Gastgeber war. Mariana war bestimmt eingeladen. Sicher hatte man ausgerechnet, wie viele Mädchen auf einen Jungen kamen. Bei Partys herrscht immer Frauenmangel. Er wollte nicht die Rolle eines aufdringlichen Typen spielen. Im Jeep erkannte er einige bekannte Gesichter. Sie spielten oft Billard im Café. Er sagte »Hallo« zu ihnen. Mehr nicht. Aber der Alkohol und das allgemeine Geplauder machten ihn bald lockerer. Er lachte mit den anderen. Er hatte den Gesprächen im Auto entnommen, dass die meisten sich nicht kannten.

Es tauchte eine neue Flasche »Atlantik« auf, man hörte begeisterte Ausrufe. Sie prüften, ob auch wirklich Wodka drin war. Jemand öffnete den Verschluss und reichte die Flasche Mariana. Sie umschlang Pavel, bot ihm an, gleichzeitig zu trinken. Ihre vorgestreckten Lippen berührten sich. Wodka tropfte auf seine Hose.

»Wenn wir erst da sind«,...


Geboren 1950 in Sofia.
Er war in seiner Jugend einer der führenden Amateurboxer Bulgariens. 1981 wurde er Trainer und führte eine ganze Reihe von Boxern bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen auf Medaillenränge. Später arbeitete er als Direktor einer Zeitung und als freier Journalist. In erster Linie ist er jedoch schon seit langem Schriftsteller, der mit seinen klugen und literarisch hochwertigen Romanen und Erzählungen die von Korruption und Verbrechen durchsetzte bulgarische
Gesellschaft schildert.



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