E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Reilly Der Große Zoo von China
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-86552-563-5
Verlag: Festa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-86552-563-5
Verlag: Festa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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Hongkong, China
17. März
Einen Monat später
Der schnittige Privatjet schoss durch den Himmel über dem Südchinesischen Meer. Er beförderte zwei Passagiere, die zuvor noch nie in einem Privatjet geflogen waren: CJ Cameron und ihren Bruder Hamish.
Die Maschine war eine Bombardier Global 8000, das teuerste Privatflugzeug der Welt und bevorzugtes Transportmittel saudischer Prinzen und russischer Milliardäre. Diese Bombardier jedoch gehörte keiner Einzelperson – sie gehörte der chinesischen Regierung.
Dr. Cassandra Jane »CJ« Cameron schaute aus dem Fenster, als die Maschine auf dem Hongkong International Airport landete, einer ultramodernen Anlage, erbaut auf einer riesigen künstlichen Insel.
»Gibt es irgendwas, das China nicht bauen kann?«, fragte CJ mit Blick auf den Flughafen.
»Ich hab gehört, dass sie komplette Apple Stores nachgebaut haben«, erwiderte Hamish. »Hast du davon gelesen? Es waren nicht nur ein paar nachgemachte iPhones, es waren komplette gottverdammte Stores. Sie hatten sogar Genius Bars. Alle Angestellten glaubten, sie würden tatsächlich für Apple arbeiten!«
CJ warf ihrem Bruder einen Seitenblick zu. »Klugscheißer.«
Vor der Ausstiegstreppe des Jets wartete eine schwarze Maybach-Limousine auf sie. Daneben stand eine hübsche junge Chinesin in einem perfekt gebügelten marineblauen Kostüm. Jedes Haar auf ihrem Kopf saß akkurat an der richtigen Stelle. In ihrem Ohr steckte ein Bluetooth-Headset, das so aussah, als hätte es dort seinen ständigen Wohnsitz. Sie sprach in makellosem Englisch.
»Dr. Cameron, Mr. Cameron – willkommen in China«, sagte sie. »Mein Name ist Na; ich werde Sie während Ihres Aufenthaltes begleiten. Sollten Sie etwas benötigen – irgendetwas –, dann scheuen Sie sich nicht, mich zu fragen. Wir werden Ihnen jeden Wunsch erfüllen.«
Na ließ sie im Maybach Platz nehmen, der daraufhin durch ein Seitentor das Flughafengelände verließ – ohne Zollabfertigung und irgendwelche Formalitäten. Die Limousine brachte sie zum Hotel Four Seasons, wo sie in Penthouse-Suiten untergebracht wurden, die im Voraus bezahlt waren. Am nächsten Morgen, sagte man ihnen, werde man sie um Punkt neun Uhr abholen.
Das alles war sehr ungewohnt für CJ Cameron.
Einst eine renommierte Herpetologin – Expertin für Reptilien –, arbeitete CJ gegenwärtig als Tierärztin im Zoo von San Francisco. Die 36-Jährige maß zierliche 1,68 Meter und hatte durchdringende bernsteinfarbene Augen und schulterlanges blondes Haar.
CJ war fit, durchtrainiert und auf eine sportliche Weise hübsch. Oft sprachen Männer sie an, nur um sich dann brüsk wieder abzuwenden, wenn sie die grässlichen Narben sahen, die sich über die ganze linke Seite ihres Gesichtes zogen.
Die Narben erstreckten sich von ihrem linken Auge bis hinab zum Mundwinkel und sahen aus wie eine schiefe Reihe x-förmiger Kreuze. Der Augenchirurg hatte ihr das Augenlicht retten können, und dem plastischen Chirurgen, einem der besten in Amerika, war es gelungen, ihren Unterkiefer wiederherzustellen, aber vor den tiefen Schnittwunden in ihrer linken Wange hatte auch er kapitulieren müssen.
CJ war es egal – sowohl die oberflächlichen Männerbekanntschaften als auch die Herpetologie, von der sie sich nach dem Vorfall abgewandt hatte. Sie war ohnehin noch nie sehr mädchenhaft gewesen. Sie schminkte sich nicht und hatte keine Probleme damit, sich die Hände schmutzig zu machen. Die meiste Zeit verbrachte sie im Freien: Wandern, Campen, Reiten. Als leidenschaftliche Pferdenärrin zog sie die Gesellschaft von Pferden häufig der von Menschen vor.
Früher war sie die Stardozentin am Institut für Herpetologie der University of Florida gewesen, das allgemein als das beste Institut für Reptilienkunde in den USA galt. Spezialisiert auf Alligatorforschung hatte sie überwiegend an den Feldforschungsstätten der Universität in den Everglades gearbeitet.
Doch das war vorbei.
Zusätzlich zu ihrem Doktortitel in Herpetologie hatte sie noch eine abgeschlossene Ausbildung als Veterinärin, und heute arbeitete sie so weit wie möglich von jedem Alligator entfernt und kümmerte sich um kranke und verletzte Tiere in der Klinik des Zoos von San Francisco.
Deshalb war sie sehr überrascht gewesen, als ihr früherer Chef vom National Geographic, Don Grover, sie anrief und fragte, ob sie Lust hätte, nach China zu fliegen und etwas über einen neuen großen Zoo zu schreiben.
»Nein danke«, hatte CJ erwidert.
»Alle Spesen werden bezahlt. Privatjet. Piekfeines Hotel.«
»Solche Sachen beeindrucken mich nicht, Don.«
»Die Chinesen haben ausdrücklich nach dir verlangt.«
Das verblüffte sie. »Echt?«
»Sie haben deine Sachen gelesen. Offensichtlich haben sie ihre Hausaufgaben gemacht. Sie haben den Artikel erwähnt, den du für Nature über das Jagdverhalten von Leistenkrokodilen geschrieben hast, und die National Geographic-Doku, die du zusammen mit Bill Lynch über Alligator-Lautäußerungen gemacht hast. Die Chinesen hatten Lynch gebeten, zu kommen und einen Artikel über diesen Zoo zu schreiben, aber dann kam er bei diesem Flugzeugabsturz ums Leben. Jetzt wollen sie dich.«
CJ war sehr traurig über Bills Tod gewesen. Von ihm hatte sie alles gelernt, was sie wusste, und er hatte sie nach dem Unfall angefleht, nicht die Uni zu verlassen.
»Und sie wissen, dass du Mandarin sprichst«, sagte Grover, »was ein Riesenplus ist.«
Das war die Idee ihres Vaters gewesen. Als sie und Hamish klein waren, hatte ihr Vater, ein bescheidener Versicherungsvertreter mit einer unersättlichen Neugier und einer Vorliebe dafür, seine beiden Kinder auf unerträglich lange Campingausflüge mitzunehmen, darauf bestanden, dass sie Chinesisch lernten. »China ist die Zukunft, Kinder«, hatte er gesagt, »deshalb solltet ihr die Sprache lernen.« Es hatte sich als ein guter Rat erwiesen. Ihr Vater war nicht reich oder berühmt, aber in der Hinsicht war er seiner Zeit voraus gewesen. Und was die Campingausflüge anging, so tat er immer die Klagen seiner Kinder mit der heiteren Bemerkung ab: »He, das dient der Charakterbildung.«
»Mit Fotos?«, fragte CJ.
»Es soll ein mehrseitiger Farbartikel werden, Mädchen. Komm schon, tu es für mich. Die chinesische Regierung zahlt mir einen Riesenhaufen Geld für die Sache – das deckt meine Rechnungen für die nächsten fünf Jahre ab, und dein Honorar reicht für zehn.«
»Ich will meinen eigenen Fotografen mitnehmen«, verlangte CJ.
»Wen?«
»Hamish.«
»Verdammt, CJ. Solange ich ihn nicht aus dem Knast rauskaufen muss, weil er die Tochter irgendeines hohen Ministers entjungfert hat …«
»Mit Hamish oder gar nicht.«
»Okay, okay. Nimm deinen blöden Bruder mit. Kann ich den Chinesen sagen, dass du dabei bist?«
»Also gut. Ich bin dabei.«
Und so bestiegen CJ und ihr Bruder eine Woche später den Privatjet nach China.
Um neun Uhr am nächsten Morgen traten CJ und Hamish aus der Hotellobby, vor der bereits Na und der Maybach in der Auffahrt warteten. Na war wieder mit ihrem perfekten marineblauen Kostüm und dem Bluetooth-Headset ausgerüstet.
CJ trug ihre Standard-Feldmontur: Wanderstiefel, eine hellbraune Cargohose, ein schwarzes T-Shirt mit dem Emblem der San Francisco Giants und eine abgewetzte braune Lederjacke. Um ihren Hals hing ein Lederband mit dem acht Zentimeter langen Zahn eines Leistenkrokodils – ein Geschenk von Bill Lynch. Das Haar hatte sie zu einem lässigen Pferdeschwanz zusammengebunden. Schließlich besuchten sie ja nur einen Zoo.
Sie und Hamish setzten sich auf den Rücksitz des Maybach, und der Wagen fuhr los. Ziel war ein Militärflughafen 30 Kilometer landeinwärts. CJ war immun gegen die Verlockungen kostspieliger Gastfreundschaft, aber Hamish nicht. Er saß auf dem Rücksitz der Limousine und mampfte nicht nur eine Tüte Kartoffelchips, sondern gleich zwei.
»Wie cool ist das denn, Streifenhörnchen?« Er grinste. »Eine kostenlose Minibar!«
»Nichts ist umsonst, Hamish.«
»Aber es gibt solche Sachen wie kostenlose Flüge, kostenlose Penthouse-Suiten in teuren Sechs-Sterne-Hotels und …« Ein verstohlener Blick zu Na, die vorne auf dem Beifahrersitz der Limousine saß. »… kostenlose Badartikel.«
CJ verdrehte die Augen. »Sag nicht, du hast das Hotelshampoo geklaut.«
»Und die Spülung.« Hamish trug seine abgenutzte Fotojournalisten-Weste mit den vielen Taschen über einem Bob-Dylan-T-Shirt. Er schlug die Klappe einer Seitentasche hoch, in der vier Fläschchen Shampoo und Spülung zum Vorschein kamen. »Das ist Molton Brown. Oberste Sahne.«
»Wozu brauchst du Shampoo? Du duschst dich fast nie.«
»Ich dusche mich.« Hamish schnupperte an seiner Achselhöhle.
»Du bist ein Idiot.«
»Nein, ich bin ein geiler Typ.« Hamish ließ sich wieder in den Sitz zurücksinken und mampfte weiter an seinen Kartoffelchips.
Die beiden hätten kaum unterschiedlicher sein können – weder an Körpergröße noch Charakter. Der Bär und das Streifenhörnchen, so hatte ihre Mutter sie immer genannt.
Es passte.
Der vier Jahre jüngere Hamish mit seinen 1,90 Metern war in jeder Hinsicht groß – als Fotograf und Videofilmer, der Touren durch Afghanistan und den Irak gemacht hatte, lebte er auf großem Fuß, ließ keine Party aus,...




