E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Robertson Stoizismus und die Kunst, glücklich zu sein
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96092-893-5
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alte Weisheiten für moderne Herausforderungen
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-96092-893-5
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Donald Robertson ist Psychotherapeut und Autor mit über zwanzigjähriger Erfahrung. In seinen Trainings und Workshops greift er auf die Prinzipien der antiken Philosophie der Stoa zurück und hilft so den Menschen, sich der eigenen Gedanken, Einstellungen und Erwartungen bewusst zu werden, ungünstige Denkmuster aufzudecken, diese hilfreich zu verändern und dadurch belastende Emotionen abzumildern. Seit 2006 bietet er auch Online-Kurse im Bereich persönliche Entwicklung an. N/A
Weitere Infos & Material
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Stoiker sein: Leben im Einklang mit der Natur
In diesem Kapitel erfahren Sie:
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wer die Stoiker waren und die Essenz ihrer Philosophie: ein »Leben im Einklang mit der Natur« als Ziel
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die Gesamtstruktur des Stoizismus und die drei theoretischen »Themen« des philosophischen Lehrplans: »Physik«, »Ethik« und »Logik«
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wie diese Themen die drei Disziplinen der stoischen Praxis prägen: »Verlangen«, »Handeln« und »Urteilsvermögen«
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Anregungen zum Nachdenken über die Natur des »Guten« und wie Sie einschätzen können, über welche Lebensbereiche Sie die Kontrolle haben
Die Lebensdauer eines Menschen ist nur ein Augenblick im Laufe der Zeit; die Substanz fließt stetig davon, der Sinn ist vernebelt; und der Körper neigt zum Verfall. Die Seele ist ein unruhiger Strudel, das Glück ist ungewiss und auf den Ruf kein Verlass; kurz, was den Körper angeht, ist ein rauschender Fluss, was die Seele betrifft, Träume und Dunst. Das Leben ist Krieg, ein Aufenthalt in einem fremden Land. Der Nachruhm ist nicht mehr als Vergessenheit.
Was kann den Menschen da sicher leiten? Nur eines: die Philosophie, die Liebe zur Weisheit. Und die Philosophie besteht darin, dass der Mensch den inneren Genius oder den göttlichen Funken, der ihm innewohnt, vor Gewalt und Verletzungen bewahrt, vor allem vor schädlichen Qualen oder Vergnügungen; dass er niemals etwas ohne Absicht, falsch oder heuchlerisch tut, ungeachtet des Tuns oder Nichttuns anderer; dass er alles, was ihm widerfährt, zufrieden annimmt, als stamme es aus derselben Quelle, aus der auch er selbst gekommen ist, und dass er vor allem mit Demut und ruhiger Heiterkeit den Tod erwartet und darin nichts anderes sieht als die Auflösung in die Elemente, aus denen jedes Lebewesen besteht.
Und wenn die Elemente selbst ihre fortwährende Umwandlung des einen in ein anderes, diese Auflösung und Veränderung, die ihnen allen gemeinsam ist, nicht als Leid empfinden, warum sollte ein Mensch es dann fürchten? Ist es denn nicht der Natur gemäß? Aber nichts, was der Natur gemäß ist, kann schlecht sein. (Mark Aurel, Selbstbetrachtungen, 2.17)
Selbsteinschätzung: Stoische Einstellungen und Grundprinzipien
Überprüfen Sie vor der Lektüre dieses Kapitels, wie weit Sie den folgenden Aussagen zustimmen, indem Sie die unten angegebene Skala (1–5) verwenden, und prüfen Sie Ihre Einstellung erneut, nachdem Sie dieses Kapitel gelesen und verarbeitet haben.
1. Stimme überhaupt nicht zu, 2. Stimme nicht zu, 3. Stimme weder zu noch nicht zu, 4. Stimme zu, 5. Stimme voll und ganz zu
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Das Ziel des Lebens besteht darin, »im Einklang mit der Natur zu leben«, indem wir Dinge, die außerhalb unserer Macht liegen, bereitwillig akzeptieren.
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Wir sollten außerdem in Harmonie mit unserer eigenen menschlichen Natur leben, indem wir versuchen, die Vernunft zu fördern und Fortschritte in Richtung vollkommener Weisheit und Tugend zu machen.
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Wir sollten in Harmonie mit dem Rest der Menschheit leben, indem wir uns alle als grundlegend verwandt miteinander ansehen, sofern wir Vernunft besitzen.
Was ist Stoizismus?
Was ist Stoizismus? Zur Erinnerung: Es handelt sich um eine bedeutende Schule der antiken Philosophie, die um 301 v. Chr. in Athen von einem phönizischen Kaufmann namens Zenon gegründet wurde, der aus der Stadt Kition auf Zypern stammte. Der Stoizismus wurde jedoch auch als eine von mehreren konkurrierenden Schulen angesehen, die vom Leben und Denken des Sokrates inspiriert waren, dem herausragenden Philosophen aus Athen, der ein Jahrhundert zuvor hingerichtet worden war.
Ursprünglich wurde sie »Zenonismus« genannt, aber dieser Name wurde fallen gelassen. Vermutlich war der Grund dafür, dass die Stoiker ihre Gründer nicht für vollkommen weise hielten und sie nicht wollten, dass ihre Philosophie zu einem Personenkult würde. Stattdessen wurde sie als »Stoizismus« bekannt, weil Zenon und seine Anhänger sich in der Stoa Poikilê (»bemalte Säulenhalle«) trafen, einer berühmten Kolonnade, die mit einer Mischung aus mythischen und historischen Kampfszenen geschmückt war und an der Nordseite der Agora, des antiken Athener Marktplatzes, lag. Manchmal wird der Stoizismus, oder die stoische Schule, daher einfach »die Stoa« genannt.
Wie ihr Held Sokrates, aber im Gegensatz zu den anderen formalen Philosophieschulen Athens, trafen sich die Stoiker auf dem öffentlichen Marktplatz, in dieser Säulenhalle, wo ihnen jeder bei ihren Debatten zuhören konnte. Hier schritt Zenon energisch auf und ab, während er dozierte, was angeblich dafür sorgte, dass die Säulenhalle frei von herumlungernden Menschen blieb. Der Ausdruck »stoische Philosophie« wurde daher so verstanden, dass es sich bei ihr um eine »Philosophie der Straße« handelt, eine Philosophie für gewöhnliche Menschen, die nicht in den sprichwörtlichen »Elfenbeintürmen« der akademischen Welt eingesperrt ist. Bis vor Kurzem wurden die Stoiker in den meisten Universitätsstudiengängen deshalb eher vernachlässigt.
Vor dem zwanzigsten Jahrhundert haben diejenigen, die mit Philosophie in Berührung gekommen sind, wahrscheinlich die Stoiker gelesen. Im zwanzigsten Jahrhundert verloren die Philosophen jedoch nicht nur das Interesse am Stoizismus, sondern ganz allgemein an Lebensphilosophien. Es war möglich, wie meine eigene Erfahrung zeigt, ein Jahrzehnt lang Philosophiekurse zu besuchen, ohne die Stoiker gelesen zu haben und ohne Zeit damit verbracht zu haben, über Lebensphilosophien nachzudenken, geschweige denn, sich eine anzueignen. (Irvine, 2009)
Nichtsdestotrotz hat der Stoizismus seit den 1970er-Jahren an Popularität gewonnen, teilweise aufgrund des Erfolgs der kognitiven Verhaltenstherapie.
Wie wir gesehen haben, war der Stoizismus in der antiken Welt von Anfang an und für beinahe fünf darauffolgende Jahrhunderte eine der einflussreichsten und höchst angesehenen Schulen der Philosophie. Es heißt, dass die Athener Zenon sehr bewunderten, ihm die Schlüssel zu ihrer Stadt gaben und eine Bronzestatue von ihm errichteten – ein krasser Gegensatz zu dem Schicksal, das seinem Vorgänger Sokrates widerfuhr. Angeblich stimmten sie auch für ein offizielles Dekret, das seine vorbildliche »Tugend und Selbstdisziplin« mit einer goldenen Krone und einem auf öffentliche Kosten errichteten Grabmal ehrte. Mit dieser öffentlichen Erklärung wurden die vielen Jahre gerühmt, die er der Philosophie in Athen gewidmet hatte, und sie beschrieb ihn als einen in jeder Hinsicht guten Menschen, der »die Jugend, die zu ihm kommt, um unterrichtet zu werden, zu Tugend und Selbstdisziplin anhält, sie darin anleitet, was das Beste ist, und allen in seinem eigenen Verhalten ein Vorbild zur Nachahmung in vollkommener Übereinstimmung mit seiner Lehre bietet«. (Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 7.10)
Das Beispiel, das Zenon mit seinem Verhalten vorgab, war für die Stoiker wichtig, weil sie die Nachahmung der Weisen und Guten als den besten Weg ansahen, Philosophie zu lernen. Er verfolgte zunächst die einfache und enthaltsame Lebensweise, welche die kynischen Philosophen eingeführt hatten, die somit einen wichtigen Einfluss auf den Stoizismus ausübte. Infolgedessen wurde sein Ruf in Bezug auf Selbstbeherrschung (enkrateia) anscheinend recht sprichwörtlich; manchmal wurden Menschen dafür gelobt, die Selbstdisziplin eines Zenon zu besitzen. Kyniker waren dafür bekannt, körperliche Härten zu ertragen, und Zenon selbst wurde durchgehend als ein von den Elementen abgehärteter Philosoph beschrieben. Zum Beispiel schrieb ein ungenannter antiker Dichter über ihn:
Die winterliche Kälte und der unaufhörliche Regen
Sind machtlos gegen ihn: zu schwach ist der Pfeil
Der glühenden Sommersonne oder des quälenden Schmerzes
Um den eisernen Körper zu verbiegen. Er steht abseits
Unverdorben von allgemeinem Gelage und Ausgelassenheit:
Geduldig widmet er sich unermüdlich Tag und Nacht
Seinen Studien der Philosophie.
(Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 7.27)
Auch wenn Zenon in mancherlei Hinsicht anfänglich dem Kynismus anhing, so wich er in manchen Belangen doch von ihm ab. Beispielsweise sah er es als notwendig an, dessen harte philosophische Lebensweise, dessen »Ethik«, durch das Studium der »Physik« und der »Logik« zu ergänzen. Wie wir später sehen werden, betrachteten auch die Kyniker alle äußeren Dinge als letztlich gleichgültig, während die Stoiker eine differenziertere Position einnahmen und sich erlaubten, bestimmte konventionelle Dinge zwar zu schätzen, wahrten aber gleichzeitig eine gewisse Distanz zu ihnen. Aber vor allem beschäftigten sich die Stoiker mit der Anwendung der Philosophie...