E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Robin Der Pudel, der mich liebte
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-21112-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-641-21112-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was tun, wenn man über 40 und arbeitslos ist, eben von seiner Freundin verlassen wurde und sich plötzlich um einen fremden Pudel kümmern muss? Das fragt sich Rolands Nachbar. Roland ist nämlich tot. Und obwohl sie kaum ein Wort miteinander gesprochen haben, scheint Roland ihn geschätzt zu haben: Er hat seinem Nachbarn nicht nur seinen Hund anvertraut, sondern auch die Urne mit seiner Asche, die er nun in die Normandie bringen und ins Meer leeren soll. Es ist der Beginn einer todkomischen Odyssee, um Pudel und Asche unbemerkt loszuwerden. Vor allem ist es aber der Anfang eines neuen Lebens für einen Mann, der auf vielen Umwegen endlich das findet, was er nie gesucht hat: die Liebe und das Glück.
Nicolas Robin, geboren 1976 in Les Landes im Südwesten Frankreichs, hat sehr früh entschieden, dass er Flugbegleiter werden wollte, um die Welt bereisen zu können. »Der Pudel, der mich liebte« ist sein erster Roman in deutscher Sprache.
Weitere Infos & Material
4
Roland ist tot, nicht jedoch Mireille. Gestern Abend hat mein Leben eine Wendung genommen, aber nicht in die richtige Richtung. Vom Tod eines Menschen zu erfahren, den man nicht kennt, ist eine Sache. Den Hund des Toten, den man nicht kennt, aufzunehmen eine ganz andere, vor allem wenn dieser Hund eine Geruchsmischung irgendwo zwischen Kotze und Scheiße verströmt. Ich werde Mireille nicht in meiner Wohnung behalten, so viel ist sicher. Ich nehme sie lieber auf einen Spaziergang zu Rolands Arbeitsplatz mit. Im Sortierzentrum finde ich schon jemanden für sie. Dort werde ich sie loswerden. Wenn Roland sie nicht zu sich ins Paradies holt. Dass Mireille bei mir bleibt, kommt nicht infrage.
Das Postsortierzentrum ist ziemlich zubetoniert. Keine Fenster, hier kommt niemand raus. Eine Art Gulag mit Neonröhren. Wahrscheinlich ist Roland an Tuberkulose gestorben, weil er hier so lange eingeschlossen war. Vor den zu Tode erschrockenen Kollegen hat er Blut auf den Zement gespuckt. Sie haben ihn nach Hause geschickt und krankgeschrieben. Wahrscheinlich hat Roland sich mitten am Vormittag vergiftet – er wollte sich lieber Zyankali in den Kaffee schütten als wieder im Sortierzentrum arbeiten. Er hat keinen Brief hinterlassen. Er war am Ende, wollte keinen Fuß mehr vor den anderen setzen, nicht mehr die Treppe hinunter und dann nach links gehen, Schritt für Schritt und immer geradeaus. Er hatte es satt. Festplatte außer Betrieb. Überhitzter Prozessor. Systemausfall. Roland hat sich ausgeschaltet.
Ich kratze mich am Bart und streiche mir übers Haar. Mireille klebt mit der Nase an meinen Waden. Ich stoße sie mit dem Fuß weg. Sie sieht mich aus ihren von krausem Fell umrahmten kleinen schwarzen Augen an. Sie urteilt über mich. Sie weiß, dass ich mich nicht von Gefühlen übermannen lasse. Sie meint, ich hätte ein Herz aus Stein und in den Adern Kühlflüssigkeit. Sie meint, das Los der Pudel sei mir völlig egal. Ein Knopf meines karierten Hemds ist aufgegangen, ich knöpfe ihn wieder zu. Das Hemd sitzt ein wenig eng, wirklich, ich glaube, ich habe zugenommen.
Roland sortierte die liebe lange Nacht Post. Er arbeitete, damit die Bürger rechtzeitig ihre Einschreibebriefe, ihre abonnierten Zeitungen und die Rechnungen erhalten, die einem die Haare zu Berge stehen lassen, sobald man den Umschlag aufgerissen hat. Roland arbeitete für sämtliche französischen Bürger, doch keiner dieser Bürger hat sich je für seinen Postsortierer interessiert. Die französischen Bürger veranstalteten stattdessen wilde Feten, Cocktailempfänge mit üppigen Buffets und Happy-Hour-Partys, auf denen der Sekt in Strömen floss. Sie fuhren Rolltreppen hinauf, sprangen Seilchen, packten den Stier bei den Hörnern und bauten bioklimatische Häuser mit lichtdichten oder verglasten Wänden. Und während dieser Zeit hauchte Roland sein Leben aus, auf dem Boden liegend und mit dem Kopf im Fressnapf seines Hundes.
Der Leiter des Sortierzentrums kommt auf mich zu. Er war bereit, mir fünf Minuten seiner Zeit zu gewähren. Er ist kahlköpfig, hält sich ein wenig gebeugt und trägt einen abgewetzten anthrazitgrauen Anzug. Sein Händedruck ist schlaff. Ein schlechtes Zeichen: Eine schlaffe Hand ist keine verlässliche Hand, sie ist eine Hand, die sich vor allem drückt. Übrigens ist die des Sortierzentrumleiters auch noch feucht. Und ich frage mich, ob ein Mensch, der schlaffe und feuchte Hände hat, bereit sein wird, einen Pudel in seine Obhut zu nehmen. Ich wische mir die Hand an der Hose ab. Der Leiter putzt seine Brillengläser. Er fragt sich, wer ich bin.
»Sind Sie ein Verwandter von Roland?«
»Äh … nein.«
Nach der Definition im Wörterbuch bin ich der Mensch, der in seiner Nähe wohnt oder sich dort aufhält. Also nichts, was verwandtschaftliche Bande nahelegt. Es ist ja nicht so, dass Roland mein Vater wäre, dass meine Mutter mit einem Postsortierer fremdgegangen und ich aus dessen Spermatozoon hervorgegangen wäre oder dass er mich mithilfe eines Privatdetektivs aufgespürt hätte, der in meinen Mülleimern gewühlt hätte, es ist nicht so, dass er drauf und dran gewesen wäre, mir bei einer Flasche Portwein und einem Schälchen gerösteter Erdnüsse die Wahrheit zu gestehen.
»Armer Roland! Ende des Jahres sollte er in Rente gehen, echt fies, oder?«
»Äh … ja.«
Roland war schon so nah am Ziel. Er hat sich ein ganzes Leben lang abgerackert und Post sortiert. Er sah Ansichtskarten aus Polynesien vorbeiflitzen. »Hallöööchen und liebe Grüße von Tahiti.« Er sah auf Pappe gedruckte Palmen, gebräunte kleine Brüste, Stringkordeln zwischen Pobacken und auf Teakholztischen servierte gegrillte Langusten. Und er träumte davon. Doch das Leben hat es anders beschlossen. Roland wird nie nach Tahiti fliegen. Nie schöne Reisen unternehmen. Nie ein Hawaiihemd tragen. Nie auf einem Dromedar reiten. Rente, das ist, wenn man lächelnd einen Strohhalm zwischen den Lippen hält, wenn man Rum und Kokosmilch trinkt, wenn man in den Bus steigt, um die Niagarafälle zu fotografieren. Rente, das ist, worauf man sein ganzes Leben gewartet hat, das ist, wenn man genug geschuftet, wenn man mit den Kollegen an der Kaffeemaschine gestanden und mit Recht gesagt hat: »Ein Hoch auf die Rente!« Doch Roland hatte sie anscheinend nicht verdient.
In meinem tiefsten Innern denke ich vor allem: Ich armer Kerl. Wir pfeifen auf die Toten, wir interessieren uns für die Lebenden. Beruflich läuft es für mich nicht gerade gut, mein Liebesleben ist auch nicht so prickelnd, und ich habe einen Pudel an der Hacke, der den Namen einer Schlagersängerin trägt. Das ist fies.
Mireille sitzt auf den Hinterbeinen. Sie schließt die Augen. Wie eine Omi, die ihre Suppe verdaut. Der Leiter des Sortierzentrums streichelt den Gegenstand meiner Sorgen. Ein gutes Zeichen.
»Sie haben da einen hübschen Hund.«
»Äh … das ist nicht mein Hund, es ist Rolands Hund.«
»Armer Roland! Angeblich hat er auf dem Boden gelegen, als man ihn fand, echt fies, oder?«
»Ja … das ist fies.«
Jetzt ist der Augenblick, in dem ich mich dem Leiter des Sortierzentrums zu Füßen werfen und ihn unter Tränen anflehen kann, mich von diesem Hund zu befreien.
Er holt ein Stück Papier aus der Jackentasche. Rolands Stempelkarte. Hier muss man abends und morgens stempeln, jeden Tag. Alle halten sich daran. Ohne Abweichung, ohne Ausnahme. Man hält sich an die Vorschrift. Roland hat sich vor einer Woche zum letzten Mal ausgestempelt. Danach nichts, Leere. Der Leiter des Sortierzentrums begann, sich Sorgen zu machen, deshalb rief er ihn an. Und da Roland nicht ans Telefon ging, rief er die Polizei an. Und dann kam die Feuerwehr. Und dann die Nachbarin von unten in ihrer lila Strickjacke und den Espadrilles. Und dann Roland, auf dem Boden und den Kopf im Napf des Hundes. So wird man ihn zum letzten Mal gesehen haben.
»Armer Roland! Echt fies!«
Eine Woche, das deckt sich mit dem Schweigen Mireille Mathieus hinter meiner Wand. Meine Berechnungen waren also richtig. Roland ist seit sieben Tagen tot. Vor den Augen seines Pudels erkaltete er am Boden und wartete darauf, gefunden zu werden. Und wenn der Leiter des Sortierzentrums keinen Personalmangel festgestellt hätte, würde ihm Mireille jetzt den linken Oberschenkel wegfressen und sich den rechten fürs Monatsende aufheben, man weiß ja nie.
»Aber Sie, wer sind Sie denn nun?«
»Sein Nachbar.«
Der Leiter des Sortierzentrums verschränkt die Hände vor dem Bauch wie ein Anstaltspfarrer, der sich anschickt, mir geistlichen Beistand zu leisten. »Echt fies«, wiederholt er. Aus seinen tief liegenden kleinen Augen schaut er mich durch die Brille an. Er urteilt über mich. Er weiß, dass ich ein schlechter Bürger bin, der nichts hört und nichts sieht, der sich für niemanden interessiert, und schon gar nicht für seine Nachbarn. Er ermisst, wie unmenschlich ich bin. Er hält mich für einen Idioten. Wenn in unseren Städten, in unseren Häusern, unter unserem Dach jemand tot umfällt, dann kann man nur hoffen, dass irgendein auf Produktivität bedachter Vorgesetzter Alarm wegen Nichterscheinens am Arbeitsplatz schlägt, damit die verwesende Leiche des Verblichenen gefunden wird. Ich kratze mich am Bart und streiche mir übers Haar.
»Mann, Mann, Mann! Armer Roland!«
Der Leiter des Sortierzentrums sieht auf seine Armbanduhr. Er muss zurück in den Entladebereich, das Zentrum der Postverteilanlage. Er hat einen Beruf. Er ist nicht zum Spaß hier. Ich habe nur noch wenige Augenblicke, in denen ich ihm Informationen entlocken kann.
»Und ansonsten … Kennen Sie seine Familie?«
»Nein.«
»Hat er Ihnen nie von einem Bruder oder einer Schwester erzählt?«
»Nein.«
»Äh … aber er muss doch eine Familie haben?«
»Seine Eltern sind schon lange tot. Armer Roland!«
»Und davon abgesehen … Hatte er vielleicht einen Kollegen, mit dem er zusammen in die Kantine ging?«
»Nein, Roland war kein geselliger Typ, er aß sein Schinkenbrot immer allein.«
Roland ist seit einer Woche tot, umgeben von allgemeiner Gleichgültigkeit. Er hatte keine Familie mehr, nicht einmal eine alkoholabhängige Cousine, die sich von ihm zu einem kleinen Aperitif einladen ließ, eine abgemagerte Cousine, die ihre Verzweiflung in billigen Pressgläsern ertränkte. Er hatte nicht einmal einen Freund, der vorbeikam, um ihm seine Geld-, Sex- oder sonstigen Probleme zu beichten, bei denen man mit der Faust auf den Tisch schlagen möchte. »Unter Mitterrand war alles besser!« Niemand, nicht einmal ein Nachbar, klopfte an seine Tür und fragte, ob es ihm gut gehe, ob er...




