E-Book, Deutsch, Band 7, 447 Seiten
Reihe: Die Yorkshire-Morde
Robinson Die letzte Rechnung
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98952-622-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Die Yorkshire-Morde 7
E-Book, Deutsch, Band 7, 447 Seiten
Reihe: Die Yorkshire-Morde
ISBN: 978-3-98952-622-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Peter Robinson (1950-2022) wurde in Yorkshire geboren und lebte nach seinem Studium der englischen Literatur in Toronto, Kanada. Er wurde für seine Werke mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Edgar Allan Poe Award. Seine Bestseller-Reihe um Inspector Alan Banks feierte internationale Erfolge und wurde auch als Fernsehserie adaptiert. Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die »Yorkshire-Morde«-Reihe um Detective Chief Inspector Banks. Band 1 »Augen im Dunkeln« ist auch als Hörbuch bei AUDIOBUCH erhältlich.
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Kapitel 1
Um dreizehn Minuten vor drei Uhr am Morgen hob der uniformierte Constable das Absperrband und winkte Chief Inspector Alan Banks durch.
Als Banks auf den holperigen Hof fuhr und anhielt, tanzten seine Scheinwerfer über die Szenerie. Links von ihm stand das gedrungene, massive Wohnhaus mit Mauern aus dickem Kalkstein und einem bemoosten Schindeldach. Sowohl in den Fenstern im Erdgeschoss als auch im zweiten Stock brannte Licht. Zu seiner Rechten bildete eine hohe Steinmauer die Grenze eines Wäldchens, das sich den Hang hinauf ausbreitete, wo sich die Bäume in der Finsternis verloren. Genau vor ihm stand die Scheune.
Vor den geöffneten Toren, hinter denen sich ein Lichtkegel zu bewegen schien, hatte sich eine Gruppe Beamter versammelt. Sie sahen aus wie die Mitwirkenden eines Science-Fiction-Films der fünfziger Jahre, die voller Ehrfurcht auf ein außerirdisches Raumschiff oder ein Wesen von einem anderen Stern starrten.
Als Banks sich näherte, traten sie schweigend beiseite, um ihn durchzulassen. Beim Eintreten in die Scheune bemerkte er einen jungen Constable, der gegen die Außenmauer lehnte und sich auf seine großen Schuhe übergab. Drinnen sah es aus wie auf einem Filmset.
Peter Darby, der Polizeifotograf, war mit Videoaufnahmen beschäftigt; die auf seiner Kamera angebrachte Lichtquelle erzeugte beim Umherstreifen durch das Innere der Scheune ein unheimliches Licht-und-Schatten-Spiel und leuchtete unvermittelt grässliche Details aus. Jetzt müsste nur noch jemand »Action!« brüllen, dachte Banks, dann würde sich der Ort plötzlich mit Leben erfüllen.
Aber keine Brüllerei der Welt hätte wieder Leben in die groteske Gestalt am Boden hauchen können, neben der ein milchgesichtiger junger Polizeimediziner namens Dr. Burns mit einem schwarzen Notizbuch in der Hand hockte.
Auf den ersten Blick erschien Banks die Körperhaltung der Leiche wie die Parodie eines betenden Moslems: Der kniende Mann lag mit dem Oberkörper vornüber gebeugt da, seine Arme waren nach vorn ausgestreckt, der Hintern ragte in die Luft, während die Stirn den Boden berührte und vielleicht gen Mekka zeigte. Seine auf dem staubigen Untergrund ruhenden Hände waren zu Fäusten geballt, und als sie in den Strahl von Darbys Scheinwerfer gerieten, fiel Banks ein goldener Manschettenknopf auf, der mit den Initialen »KAR« verziert war.
Tatsächlich aber war keine Stirn mehr vorhanden, die den Boden berühren konnte. Über dem schwarzen Jackett stand wenige Zentimeter hoch der blutgetränkte Kragen des Hemdes hervor, danach folgte nur noch eine dunkle, geronnene Masse aus Knochen und Gewebe, die sich wie eine Ölspur im Dreck ausgebreitet hatte. Allem Anschein nach eine Schusswunde. Wie abstrakte, expressionistische Muster prangten Flecken aus Blut, Knochen und Gehirnmasse an den weiß getünchten Mauern. Neben einer verrosteten Hacke fing Darbys umherschweifendes Licht etwas ein, das wie ein Teil des Schädelknochens aussah, aus dem ein Büschel blondes Haar spross.
Banks spürte, wie ihm die Galle hochkam. Er konnte noch das an Lagerfeuernächte der Kindheit erinnernde Schießpulver riechen, das sich mit dem Gestank von Urin und Kot und dem Geruch nach ranzigem, rohem Fleisch vermischte, der dem plötzlichen, gewaltsamen Tod eigen ist.
»Um wie viel Uhr kam der Anruf rein?«, fragte er den Constable neben ihm.
»Acht Minuten nach halb zwei, Sir. Constable Carstairs aus Relton war als Erster am Tatort. Er ist noch draußen am Kotzen.«
Banks nickte. »Wissen wir, wer das Opfer ist?«
»Detective Constable Gay hat seine Brieftasche überprüft, Sir. Sein Name ist Keith Rothwell. Und das ist auch der Name des Mannes, der hier wohnt.« Er zeigte hinüber zum Haus. »Arkbeck Farm heißt das Anwesen.«
»Ein Bauer?«
»Nee, Sir, Steuerberater. Auf jeden Fall irgendein Geschäftsmann.«
Einer der Constables fand einen Lichtschalter und machte die nackte Glühbirne an, deren Licht nun zu einer Art Grundierung für den helleren Spot von Peter Darbys Videokamera wurde. Da es schwer war, damit eine gute Qualität zu erhalten, arbeiteten die meisten Reviere nicht mit Video, doch Peter Darby war ein Technikfreak, der ständig neue Dinge ausprobierte.
Banks widmete sich wieder dem Tatort. Anscheinend hatte es sich bei dem Gemäuer einst um eine große, für Yorkshire typische Steinscheune mit Flügeltüren und einem Heuboden gehandelt, die man in dieser Gegend »field house« nannte. Ursprünglich hatte sie wohl dazu gedient, Futter zu lagern und zwischen November und Mai die Kühe unterzubringen; Rothwell schien sie jedoch in eine Garage verwandelt zu haben.
Rechts von Banks war ein silbergrauer BMW geparkt, der, etwas schräg stehend, ungefähr die Hälfte des Platzes in Anspruch nahm. In einer Reihe Metallregale vor der Mauer am anderen Ende, hinter dem Wagen, befanden sich Werkzeuge und allerlei Mittel zur Autopflege: Frostschutz, Wachspolitur, ölige Lappen, Schraubenzieher und Schraubenschlüssel. In der anderen Hälfte der Garage hatte Rothwell das ländliche Erscheinungsbild bewahrt. Er hatte sogar alte landwirtschaftliche Geräte an die weiß getünchte Steinmauer gehängt, unter anderem eine Mistgabel, eine Sense, eine Schaufel und einen Spaten, die alle, wie es sich gehörte, verrostet waren.
Während Banks dort stand, versuchte er sich auszumalen, was passiert sein mochte. Offenbar hatte das Opfer gekniet und vielleicht um sein Leben gebeten oder gefleht. Es sah jedenfalls nicht so aus, als hätte der Mann versucht zu fliehen. Warum hatte er so einfach aufgegeben? Wahrscheinlich hatte er keine Wahl, dachte Banks. Wenn man sich dem Lauf einer Waffe gegenübersieht, widersetzt man sich für gewöhnlich nicht. Und dennoch ... würde sich ein normaler Mann einfach niederknien, sich seinem Schicksal ergeben und darauf warten, dass sein Henker den Abzug drückt?
Banks drehte sich um und verließ die Scheune. Draußen traf er auf Detective Sergeant Philip Richmond und Detective Constable Susan Gay, die gerade um das Gebäude herumkamen.
»Nichts, Sir, soweit ich das beurteilen kann«, sagte Richmond; er hatte eine große Taschenlampe in der Hand. Neben ihm wirkte Susan im Lichtschein, der aus dem Scheunentor drang, sehr blass im Gesicht.
»Alles in Ordnung?«, fragte Banks sie.
»Jetzt geht es wieder, Sir. Ich habe mich nur übergeben.« Richmond sah so aus wie immer. Für seine Seelenruhe war er in der ganzen Gegend berühmt; manchmal fragte sich Banks, ob der Kerl überhaupt jemals irgendwelche Gefühle hatte oder ob er mittlerweile schon zu einem dieser Computer geworden war, mit denen er sich die ganze Zeit beschäftigte.
»Weiß irgendjemand, was passiert ist?«, fragte Banks.
»Constable Carstairs hat kurz mit der Frau des Opfers gesprochen, als er hier eintraf«, sagte Susan. »Sie konnte ihm nur erzählen, dass ein paar Männer gewartet hatten, als sie nach Hause kamen, die ihren Mann mit nach draußen nahmen und erschossen.« Sie zuckte mit den Achseln. »Dann ist sie hysterisch geworden. Ich glaube, sie hat jetzt ein Beruhigungsmittel bekommen, Sir. Aber ich habe seine Brieftasche aus der Jacke gezogen«, fuhr sie fort und hielt einen Plastikbeutel hoch. »Demnach lautet sein Name ...«
»Ja, ich weiß«, unterbrach Banks sie. »Hat schon jemand Beweismaterial eingesammelt?«
»Nein, Sir«, antwortete Susan, und dann schauten sie und Phil Richmond weg. Das Sammeln des Beweismaterials war eine der unbeliebtesten Aufgaben bei einer Ermittlung. Es bedeutete, jedes mögliche Beweisstück aufzuspüren und einen lückenlosen Bericht darüber anzufertigen. Normalerweise wurde dieser Job demjenigen aufgehalst, der gerade in Ungnade gefallen war.
»Dann setzen Sie Farnley an die Sache«, bestimmte Banks. Constable Farnley war zwar niemandem auf die Füße getreten und hatte auch keinen Mist gebaut, aber es mangelte ihm an Fantasie und auf dem Revier stand er gemeinhin im Rufe des Langweilers vom Dienst.
Sichtlich erleichtert, marschierten Richmond und Susan zum Spurensicherungsteam, das gerade in einem großen Transporter auf den Hof gefahren war. Als sich die Männer in ihren weißen Overalls aus dem Wagen zwängten, sahen sie aus wie eine Gruppe von Wissenschaftlern, die von der Regierung losgeschickt worden war, den Landeplatz eines Ufos unter die Lupe zu nehmen.
Die Nacht war kalt und ruhig, die Luft feucht und mit einem leichten Jauchegeruch versetzt. Trotz des Schocks durch das, was er gerade in der Garage gesehen hatte, fühlte sich Banks immer noch schläfrig. Vielleicht träumte er nur. Nein. Er dachte an Sandra, die zu Hause im warmen Bett lag, und seufzte.
Detective Superintendent Gristhorpes Ankunft gegen halb vier Uhr verscheuchte seine Träumereien. Gristhorpe humpelte von seinem Wagen herüber. Er trug eine alte, gefütterte Jacke über seinem Hemd, und allem Anschein nach hatte er sich nicht die Mühe gemacht, sich zu rasieren oder seinen wilden grauen Haarschopf zu kämmen.
»Verdammt und zugenäht, Alan«, sagte er zur Begrüßung, »du siehst aus wie Inspector Columbo.«
Das schlägt dem Fass doch den Boden aus, dachte Banks. Aber der Superintendent hatte Recht. Er hatte nur schnell einen alten Trenchcoat übergeworfen, weil er wusste, dass die Nacht kühl werden würde.
Nachdem Banks berichtet hatte, was er bisher herausgefunden hatte, warf Gristhorpe einen kurzen Blick in die Scheune, befragte Constable Carstairs, den Beamten, der als Erster am Tatort gewesen war, und gesellte sich dann wieder zu Banks, wobei sein für gewöhnlich rötliches, pockennarbiges Gesicht nun ein wenig blasser war als sonst. »Gehen wir ins Haus, ja, Alan?«, sagte er. »Ich habe gehört, Constable Weaver setzt einen Tee auf. Vielleicht kann er uns mit ein bisschen Hintergrundwissen...




