E-Book, Deutsch, Band 3, 464 Seiten
Reihe: Die Yorkshire-Morde
Robinson Ein unvermeidlicher Mord
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-593-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Die Yorkshire-Morde 3 - Für Fans von Martha Grimes und Nicci French
E-Book, Deutsch, Band 3, 464 Seiten
Reihe: Die Yorkshire-Morde
ISBN: 978-3-98952-593-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Peter Robinson (1950-2022) wurde in Yorkshire geboren und lebte nach seinem Studium der englischen Literatur in Toronto, Kanada. Er wurde für seine Werke mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Edgar Allan Poe Award. Seine Bestseller-Reihe um Inspector Alan Banks feierte internationale Erfolge und wurde auch als Fernsehserie adaptiert. Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die »Yorkshire-Morde«-Reihe um Detective Chief Inspector Banks. Band 1 »Augen im Dunkeln« ist auch als Hörbuch bei AUDIOBUCH erhältlich.
Weitere Infos & Material
Kapitel 4
Lauter und anhaltender Applaus erstickte alle anderen Geräusche. Die Männer der Special Branch ließen ihre Waffen los. Die Abgeordnete Honoria strahlte in das Publikum und hob triumphierend ihre gefalteten Hände über den Kopf.
Banks fühlte sich immer noch unbehaglich. Er war sicher, Geräusche eines Streites oder Kampfes von draußen gehört zu haben. Er wusste, dass eine kleine Demonstration geplant gewesen war, und fragte sich, ob es zu Ausschreitungen gekommen war. Aber was sollte er tun? Die Show musste weitergehen, um jeden Preis, und er wollte kein Aufsehen erregen, indem er aufstand und früher ging.
Wenigstens war die Rede vorbei. Wenn sich die Fragestunde nicht zu lange hinzog, könnte er in einer halben Stunde hinausgehen und eine Zigarette rauchen. In einer Stunde könnte er zu Hause bei seinem Scotch sein und Sandra am anderen Ende der Telefonleitung hören. Außerdem war er hungrig. In Sandras Abwesenheit hatte er begonnen, sich an der haute cuisine zu versuchen, und wenn bisher auch noch nicht alles ganz klappte – dem Curry fehlte die Würze, eine Fischcasserole war verkocht –, so machte er doch Fortschritte. Ein spanisches Omelette würde er ja wohl noch hinkriegen, oder?
Der Applaus verebbte, und der Vorsitzende eröffnete die Fragestunde. Als sich die erste Person erhob und nach dem beabsichtigten Standort für das Atomkraftwerk fragte, flogen die Türen auf und ein kräftiger, ungepflegter junger Mann taumelte mit zwei Polizisten im Schlepptau in den Saal. Ein Schlagstock krachte nieder, und die drei stürzten auf die letzte Sitzreihe. Der junge Mann schrie vor Schmerzen auf. Als die zerbrechlichen Stühle unter der Last der drei Männer umkippten und zersplitterten, kreischten ein paar Frauen auf und griffen nach ihren Pelzmänteln.
Chas und Dave fackelten nicht lange. Sie eilten zu Honoria, schirmten sie vom Publikum ab und verließen, angeführt von Banks, den Saal durch eine Hintertür. Jenseits der vollgestopften Lagerräume kam man durch einen Ausgang auf ein Gewirr von Seitenstraßen. Banks führte sie eine enge Gasse hinab, in der die Geschäfte der York Road ihren Abfall abluden. Im Nu hatten die vier die Straße überquert und betraten das alte Riverview Hotel, wo die Abgeordnete für diese Nacht untergebracht worden war. Zum ersten Mal an diesem Abend war sie still. Im gedämpften Licht der Hotellobby bemerkte Banks, wie bleich sie geworden war.
Erst als sie im Zimmer waren, einer Suite mit einem großartigen Blick auf die terrassenförmig angelegten Gärten am Fluss, entspannten sich Chas und Dave. Honoria seufzte und ließ sich aufs Sofa fallen. Dave verschloss die Tür und legte die Kette vor, während Chas zum Barschrank ging.
»Schenk mir ein Gin Tonic ein, ja, Schatz?«, sagte Honoria mit zittriger Stimme.
»Was zum Teufel war da los?«, fragte Chas und schenkte auch zwei Gläser Scotch ein.
»Keine Ahnung«, sagte Banks. »Draußen war eine kleine Demonstration. Ich nehme an, sie ist vielleicht ... «
»Ziemlich miese Sicherheitsvorkehrungen haben Sie hier«, sagte Dave, nahm seinen Drink und reichte Honoria ihren Gin Tonic.
Sie stürzte ihn runter und legte eine Hand auf die Stirn. »Mein Gott«, sagte sie, »ich dachte, hier würden nur Bauern und Pferdetrainer leben. Schaut mich an, ich zittere wie Espenlaub.«
»Hören Sie«, sagte Banks, der an der Tür stand. »Ich gehe besser und schaue, was passiert ist.« Es war offensichtlich, dass er keinen Drink bekommen würde, und er verspürte auch keinerlei Lust, den Prügelknaben für die Sicherheitsbeamten zu spielen. »Kommen Sie hier klar?«
»Hier sind wir auf jeden Fall wesentlich sicherer als dort«, sagte Dave. Dann wurde sein Ton etwas milder und er kam zu Banks an die Tür. »Ja, gehen Sie nur. Das ist jetzt Ihr Problem, Kumpel.« Er lächelte und senkte seine Stimme, deutete mit seinem Kopf in Honorias Richtung. »Sie ist unseres.«
In der Eile hatte Banks seinen Regenmantel im Gemeindezentrum vergessen, und seine Zigaretten steckten in der rechten Seitentasche. Beim Gehen sah er, wie Chas sich eine anzündete, aber es war ihm zu peinlich, ihn um eine zu bitten. Es war schon alles schlimm genug. Mit hochgeschlagenem Jackenkragen lief er hinunter zum Marktplatz, bog vor der Kirche nach rechts ab und blieb wie erstarrt stehen.
Die Verwundeten lagen stöhnend oder bewusstlos im Nieselregen. Die Polizei schlug sich immer noch mit denjenigen herum, die sie festgenommen hatte, und versuchte, sie auf die Rücksitze der Wagen oder in die Grüne Minna zu zwängen. Einige an den Haaren festgehaltene Demonstranten wanden sich und traten um sich und erhielten als Antwort Hiebe mit den Schlagstöcken. Andere gingen friedfertig mit. Sie waren jetzt verängstigt und müde; der größte Widerstand war gebrochen.
Banks stand wie angewurzelt da und beobachtete das Geschehen. Funkgeräte knisterten, Blaulichter rotierten. Die Verletzten schrien vor Schmerz und Schrecken, während Rettungssanitäter mit Tragen herumliefen. Man wollte es nicht glauben. Ein ausgewachsener Krawall in Eastvale, wenn auch in kleinem Ausmaß, war einfach undenkbar. An die steigende Kriminalitätsrate, die selbst so kleine Orte wie Eastvale mit gerade mal vierzehntausend Einwohnern heimsuchte, hatte sich Banks gewöhnt, aber Krawalle waren doch beschränkt auf Birmingham, Liverpool, Leeds, Manchester, Bristol oder London. Hier könnte so etwas nicht passieren, hatte er immer gedacht, wenn er kopfschüttelnd die Nachrichten aus Brixton, Toxteth und Tottenham sah.
Doch jetzt war es passiert, und die klagenden Opfer sowohl auf Seiten der Polizei wie der Demonstranten waren Zeugen dieser traurigen Wahrheit.
Die Straße war am Marktplatz nach Süden hin und in der Nähe der Stadthalle, an der Kreuzung mit der Elmet Street, nach Norden hin verbarrikadiert. Die Gaslaternen und beleuchteten Schaufenster der niedlichen Touristenläden voller Strickwaren aus Yorkshire, Wanderutensilien und regionaler Produkte warfen ihr Licht auf die chaotische Szenerie. Ein Junge, nicht älter als fünfzehn oder sechzehn, schrie auf, als ihn zwei Polizisten an den Haaren über das glitzernde Kopfsteinpflaster zerrten. Ein zerrissenes Plakat, auf dem einmal trotzig ATOMKRAFT? NEIN DANKE! gestanden hatte, flatterte im Märzwind, während die Regenfäden ein zartes Muster darauftröpfelten. Ein Polizist, ohne Helm und mit zerzaustem Haar, bückte sich, um einem anderen aufzuhelfen, dessen Schnurrbart mit Blut verklebt war und dessen Nase seltsam schief im Gesicht saß.
In den sich drehenden Blaulichtern kamen Banks die Nachwirkungen der Schlacht surreal vor. Verlängerte Schatten strichen über die Mauern. Für Sekunden tauchten im Licht seltsame Gegenstände auf der Straße auf und schienen dann wieder zu verschwinden: Ein umgedrehter Helm, eine leere Bierflasche, ein Schlüsselring, ein halb gegessener Apfel, der an den Rändern braun wurde, oder ein langer weißer Schal, der sich wie eine Schlange wand.
Aus dem Revier waren mehrere Polizisten zu Hilfe geeilt. Banks erkannte Sergeant Rowe, der hinter einem Mannschaftswagen an der Ecke stand.
»Was ist passiert?«, fragte er.
Rowe schüttelte den Kopf. »Die Demo ist außer Kontrolle geraten, Sir. Noch wissen wir nicht, wie oder warum.«
»Wie viele waren es?«
»Ungefähr hundert.« Er schwenkte seine Hand über die Szenerie. »Aber so was haben wir nicht erwartet.«
»Haben Sie eine Zigarette, Sergeant?«
Rowe gab ihm eine Senior Service. Nach Silk Cut war sie stark, aber er zog den Rauch trotzdem tief in seine Lungen.
»Wie viele sind verletzt?«
»Weiß ich noch nicht, Sir.«
»Und von unseren Leuten?«
»Tja, einige, nehme ich an. Ungefähr dreißig Beamte hatten die Aufgabe, die Menge im Zaum zu halten, aber die meisten von ihnen wurden auf Überstundenbasis aus York und Scarborough abgezogen. Craig war dabei, und der junge Tolliver. Ich habe beide noch nicht gesehen. Heute Nacht werden wir im Revier alle Hände voll zu tun haben. Sieht so aus, als hätten wir die Hälfte von ihnen geschnappt.«
Zwei Rettungssanitäter zuckelten mit einer Trage heran. Darauf lag eine Frau in mittleren Jahren, ihr linkes Auge war von Blut getrübt. Als sie vorbeigingen, drehte sie unter Schmerzen ihren Kopf zur Seite und spuckte Sergeant Rowe an.
»Verdammte Scheiße!«, sagte Rowe. »Das war Mrs. Campbell. Sie leitet die Sonntagsschule im Gemeindehaus am Cardigan Drive.«
»Der Krieg macht aus uns allen Tiere, Sergeant«, sagte Banks und wünschte, er könnte sich daran erinnern, wo er das gehört hatte. Dann wandte er sich ab. »Ich gehe besser ins Revier. Weiß der Superintendent schon Bescheid?«
»Es ist sein freier Tag, Sir.« Rowe schien immer noch fassungslos zu sein.
»Ich werde ihn lieber anrufen. Hatchley und Richmond auch.«
»Richmond ist da hinten, Sir.« Rowe zeigte auf einen großen, schlanken Mann, der nahe bei der Grünen Minna stand.
Banks ging hinüber und berührte Richmonds Arm.
Der junge Polizist zuckte zusammen. »Ach, Sie sind es, Sir. Entschuldigung, das hat mich ziemlich mitgenommen.«
»Wie lange sind Sie schon hier, Phil?«
»Ich kam raus, als uns Sergeant Rowe erzählte, was los ist.«
»Den Anfang haben Sie also nicht miterlebt?«
»Nein, Sir. In fünfzehn Minuten war alles vorbei.«
»Kommen Sie, wir gehen lieber rein und helfen den Kollegen.«
Im Revier herrschte Chaos. Jeder verfügbare Quadratzentimeter war von verhafteten Demonstranten besetzt worden, manche bluteten aus geringfügigen Schnittverletzungen und die meisten beschwerten sich lautstark über die Brutalität der Polizei. Als sich Banks und Richmond zum Treppenhaus durchboxten,...




