Robinson | Gilead | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Robinson Gilead

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-10-403593-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-10-403593-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



?Gilead? ist das erste Buch der großartigen Romanserie von der amerikanischen Meistererzählerin Marilynne Robinson und längst ein Klassiker der amerikanischen Literatur. Wie das Licht über der Prärie den Blick in die Weite lenkt und die Nähe umso bedeutender erscheinen lässt, verleiht sie dem Leben eine ungeahnte Perspektive. Auf seinem Sterbebett schreibt John Ames einen Brief an seinen siebenjährigen Sohn. Dem Kind will er alles erklären: Die Einsicht, mit der man das eigene Leben auf einen Schlag begreift, den Trost, der in einer einzelnen Berührung liegen kann, und den Ort, der sein Ende beschließt: Gilead, die kleine Stadt unter dem unermesslichen Himmel des Mittleren Westens, leicht wie Staub und so schwer wie die Welt. Seit Generationen lebte seine Familie in Gilead, waren die Männer Pastoren. Der Großvater half schwarzen Sklaven in die Freiheit, der Vater versuchte das Leben der Menschen in der Dürrekatastrophe erträglich zu machen. Sie lebten eng verwoben mit den Menschen und waren getrieben von einer unerbittlichen Sehnsucht nach Versöhnung. Mit visionärer Kraft und sprachlicher Eindringlichkeit erzählt Marilynne Robinson von der Ungeheuerlichkeit des Lebens, das wir erst in der Rückschau begreifen. Und wie John Ames fühlen wir uns im Blitz dieser Einsicht weniger allein. Dieser Trost macht ihre Bücher so einzigartig. »Gefühlvoll, ergreifend, fesselnd - Robinson gelingt es, das Wunder der Existenz zu fassen.« Merle Rubin, L. A. Times Book Review »Doch am Ende steht das Glück und die Rettung, und man begreift - auch so könnte eine Geschichte wirklich enden.« Zsuzsa Bánk »Was für ein Geschenk: Marilynne Robinsons Texte üben eine magische Wirkung aus.« Carolin Emcke »Ich liebe ihre Bücher.« Barack Obama

Marilynne Robinson ist eine der großen Stimmen Amerikas. Für ihre Romane hat sie fast jeden Literaturpreis der USA gewonnen für »Gilead«, den Auftakt ihrer berühmten Trilogie, sogar gleichzeitig den Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award. Es folgten »Zuhause« und »Lila«. Seit Präsident Obama im Wahlkampf durch Iowa kam und ihre Bücher las, stehen sie ständig in Kontakt, und Obama interviewte sie für die »New York Review of Books«. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der »Library of Congress Prize for American Fiction« zugesprochen. Robinson ist 1943 geboren und lebt heute in Iowa.
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Gestern Abend habe ich dir gesagt, dass ich eines schönen Tages vielleicht gehen müsste, und du meintest, Wohin, und ich sagte, Zu unserem lieben Herrn, und du meintest, Wieso, und ich sagte, Weil ich alt bin, und da hast du gesagt, Gar nicht. Und du hast deine Hand in meine geschoben und gesagt, Du bist gar nicht so alt, als wäre damit alles geklärt. Ich habe dir gesagt, dass dein Leben vielleicht ganz anders sein würde als meines und als dein Leben hier bei mir und dass es ein prima Leben sein würde, weil es so viele Arten gebe, ein gutes Leben zu leben. Und du hast gesagt, Das hat mir Mama doch schon gesagt. Und dann hast du gesagt, Lach nicht!, weil du glaubtest, ich lachte dich aus. Du hast hochgelangt und mir die Finger auf die Lippen gelegt und mich mit diesem Blick angesehen, den ich in meinem ganzen Leben auf keinem Gesicht sonst gesehen habe als dem deiner Mutter. Es ist eine Art wilder Stolz, brennend und streng. Ich staune immer ein bisschen, dass es mir nicht die Augenbrauen versengt, wenn mich ein solcher Blick straft. Er wird mir fehlen.

Es scheint unsinnig, anzunehmen, dass den Toten irgendetwas fehlen könnte. Wenn du dies als erwachsener Mann liest – und so ist dieser Brief ja gedacht –, werde ich lange schon fort sein. Ich werde über das Totsein so ziemlich alles wissen, was man wissen kann, es aber wahrscheinlich für mich behalten. So scheint es vorgesehen.

Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft mich Leute gefragt haben, wie das ist mit dem Tod, manchmal keine zwei Stunden, bevor sie von ganz alleine dahinterkommen würden. Schon, als ich noch ein ganz junger Mann war, fragten mich selbst Menschen so alt, wie ich es jetzt bin, danach, packten meine Hände und sahen mir mit ihren alten, trüben Augen in die Augen, als wüssten sie, dass ich es weiß, und als würden sie mich , es ihnen zu sagen. Ich sagte dann meist, es wäre wie heimkehren. Denn in dieser Welt sind und bleiben wir heimatlos, sagte ich meist, dann ging ich die Straße wieder zu diesem alten Haus hinab, machte mir Kaffee und ein Spiegelei-Toast und hörte, als ich schließlich eines besaß, Radio, und zwar meist im Dunkeln. Kannst du dich an dieses Haus erinnern? Ich denke schon, ein bisschen. Ich bin in Pfarrhäusern großgeworden. In diesem habe ich fast mein ganzes Leben gelebt, und in vielen anderen war ich zu Gast, weil die Freunde meines Vaters und ein Großteil der Verwandtschaft ebenfalls in Pfarrhäusern lebten. Und wenn ich überhaupt einmal drüber nachdachte damals, was nicht oft der Fall war, fand ich dieses von allen das schlimmste, zugig und trostlos wie kein andres. So war es damals um mich bestellt. An diesem alten Haus ist nicht das Geringste auszusetzen, aber ich war eben darin ganz allein. Und das machte es für mich fremd. Ich war damals in der Welt heimatlos, keine Frage. Jetzt nicht mehr.

Und nun muss ich hören, dass mein Herz langsam versagt. Der Arzt sprach von »Angina pectoris«, was ein bisschen einen theologischen Beiklang hat, wie Misericordia. Nun, in meinem Alter muss man mit derlei rechnen. Mein Vater ist alt geworden, aber seine Schwestern haben nicht so arg lange gelebt, eigentlich. Also kann ich nur dankbar sein. Ich bedauere allerdings, dass ich deiner Mutter und dir fast nichts hinterlassen kann. Ein paar alte Bücher, die sicher niemand sonst haben will. Ich habe nie sehr viel Geld bekommen, und auf das Geld, das da war, habe ich nie sehr geachtet. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich eine Frau und ein Kind zurücklassen könnte, glaub mir. Hätte ich es geahnt, wäre ich ein besserer Vater gewesen. Ich hätte vorgesorgt.

Das wollte ich dir vor allem sagen: wie sehr ich die schweren Zeiten bedauere, die du und deine Mutter gewiss durchgemacht habt, ohne nennenswerte Hilfe von mir, außer Gebeten, und ich bete immerzu. Das habe ich getan, als ich lebte, und das tue ich noch – wenn das nächste Leben danach ist.

Ich höre dich mit deiner Mutter reden: dich fragen, sie antworten. Ich höre nicht, was ihr sagt, nur eure Stimmen. Du schläfst abends ungern ein, und jeden Abend muss sie dich wieder von neuem dazu bereden. Nie höre ich sie sonst singen, nur abends im Zimmer nebenan, wenn sie dich in den Schlaf lullt. Und ich weiß nie, was sie da singt. Sie tut es sehr leise. Für mich klingt es schön, aber wenn ich das sage, lacht sie.

Ich weiß nicht mehr recht, was schön ist. Neulich bin ich auf der Straße an zwei jungen Burschen vorbeigekommen. Ich weiß, wer sie sind, sie arbeiten in der Autowerkstatt. Es sind keine Kirchgänger, beide nicht, einfach anständige junge Gauner, die andauernd Witze reißen müssen, und da standen sie also, lehnten in der Sonne mit dem Rücken an der Werkstattwand und steckten sich ihre Zigaretten an. Immer starren sie so vor schwarzer Ölschmiere und stinken sie so nach Benzin, dass ich mich frage, warum sie nicht selbst Feuer fangen. Sie plänkelten, wie sie es gern tun, und lachten auf ihre dreckige Art. Und ich fand es schön. Menschen lachen zu sehen ist ein erstaunlicher Anblick: wie es sie irgendwie überkommt. Manchmal müssen sie regelrecht dagegen ankämpfen. Das sehe ich in der Kirche oft genug. Ich frage mich, was das ist und wo es herkommt, und ich frage mich, was der Körper da ausschüttet, dass man nicht anders kann, bis man nicht mehr kann, ähnlich wie beim Weinen, eigentlich, nur dass man sich leichter vor Lachen ausschüttet.

Als sie mich kommen sahen, war natürlich Schluss mit der Witzelei, aber ich sah sie weiter in sich hineinlachen bei der Vorstellung, was der alte Prediger sie um ein Haar hatte sagen hören.

Ich hätte ihnen gern gesagt, dass ich genauso viel für Witze übrig habe wie jedermann sonst. Es hat in meinem Leben viele Gelegenheiten gegeben, wo ich das gern gesagt hätte. Aber das wollen die Leute nicht hören. Sie wollen dich ein bisschen entrückt haben. Ich hätte gern gesagt, Ich sterbe, und es wird für mich zum Lachen nicht mehr viel Gelegenheit geben, zumindest nicht in dieser Welt. Aber dann wären sie wahrscheinlich bloß sehr ernst und höflich geworden. Ich behalte meinen Gesundheitszustand noch möglichst für mich. Für einen, der stirbt, geht es mir ja eigentlich gut, und das ist ein Segen. Deine Mutter weiß natürlich Bescheid. Sie meinte, wenn es mir aber doch gut gehe, irre sich der Doktor vielleicht. Aber irren kann er sich in meinem Alter nur bedingt.

Das ist wirklich kurios an einem solchen Leben, an einem geistlichen Amt. Die Leute wechseln in deiner Gegenwart gleich das Thema. Und dann kommen aber genau dieselben Leute zu dir ins Kirchenbüro und erzählen dir die erstaunlichsten Dinge. Im Leben spielt sich vieles im Verborgenen ab, das weiß jeder. Viel Böswilligkeit und Grauen und Schuld – und viel Einsamkeit, wo du es gar nicht vermutest.

Der Vater meiner Mutter war Geistlicher und auch der Vater meines Vaters und dessen Vater davor, und was davor war, weiß niemand, aber ich kann es mir denken. Das geistliche Leben war ihnen zweite Natur, wie es das auch für mich ist. Es waren gute Menschen, und wenn es eines gibt, was ich von ihnen hätte lernen müssen, aber nicht gelernt habe, dann, meinen Zorn im Zaum zu halten. So weise müsste ich längst geworden sein. Selbst jetzt, wo schon ein flatternder Puls mich an die Letzten Dinge ermahnt, verliere ich noch die Beherrschung, wenn eine Schublade klemmt oder ich meine Brille verlegt habe. Das sage ich dir, damit du bei dir selbst darauf achten kannst.

Ein bisschen zu viel Zorn nur, zu oft oder zur Unzeit, kann mehr zerstören, als du dir überhaupt vorstellen kannst. Vor allem achte auf deine Worte. »Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an! Und die Zunge ist auch ein Feuer« – wahrlich, so ist es. Als mein Vater alt war, hat er mir genau das in einem Brief geschrieben. Den ich, wohlgemerkt, verbrannt habe. Ich habe ihn kurzerhand in den Ofen geworfen. Das hat mich seinerzeit weit mehr überrascht – als jetzt im Rückblick.

Ich denke, ich werde es mal mit der ungeschönten Wahrheit wagen. Also, und das sage ich mit dem größten Respekt. Mein Vater war ein Mann, der sich von Prinzipien leiten ließ, das sagte er selbst. Er handelte getreu dem Glauben, wie er ihn verstand. Aber irgendetwas an der Art, wie er ihn lebte, machte ihn von Zeit zu Zeit enttäuschend, und das nicht nur für mich. Das sage ich trotz der großen Sorgfalt, mit der er mich aufzog, wofür ich ewig in seiner Schuld stehe, obwohl er das selbst bestreiten würde, Gott hab ihn selig. Ich jedenfalls habe ihn gewiss enttäuscht. Das ist schon bemerkenswert, wenn man’s bedenkt. Wir meinten es schließlich gut miteinander.

Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht, und mit hörenden Ohren hören sie nicht; denn sie verstehen es nicht, so steht es geschrieben. Ich kann nicht behaupten, dass ich den Vers verstehe, sooft ich ihn auch gehört und für meine eigenen Predigten verwandt habe. Es ist schlicht eine zutiefst rätselhafte Feststellung. Man kann etwas zu Tode kennen und doch nicht das Geringste davon wissen. Da glaubt ein Mann seinen Vater zu kennen, seinen Sohn, und doch verbindet sie womöglich nichts als Loyalität und Liebe und gegenseitiges Unverständnis.

Das erwähne ich deshalb, weil Menschen, die Grund sehen, dich zu bedauern, dir oftmals Trotz und Zorn unterstellen werden und das in allem erkennen wollen, was du tust, selbst wenn du nur still und leise dem Leben deiner Wahl nachgehst. Sie geben dir Selbstzweifel ein, und die können, je nachdem, zur ernsten Irritation werden und dir viel Zeit rauben. Ich wünschte, ich hätte das eher begriffen. Schon darüber nachzudenken ärgert mich etwas. Auch Ärger ist eine Form von...


Strätling, Uda
Uda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.

Robinson, Marilynne
Marilynne Robinson ist eine der großen Stimmen Amerikas. Für ihre Romane hat sie fast jeden Literaturpreis der USA gewonnen für 'Gilead', den Auftakt ihrer berühmten Trilogie, sogar gleichzeitig den Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award. Es folgten 'Zuhause' und 'Lila'. Seit Präsident Obama im Wahlkampf durch Iowa kam und ihre Bücher las, stehen sie ständig in Kontakt, und Obama interviewte sie für die 'New York Review of Books'. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der 'Library of Congress Prize for American Fiction' zugesprochen. Robinson ist 1943 geboren und lebt heute in Iowa.

Marilynne RobinsonMarilynne Robinson ist eine der großen Stimmen Amerikas. Für ihre Romane hat sie fast jeden Literaturpreis der USA gewonnen für 'Gilead', den Auftakt ihrer berühmten Trilogie, sogar gleichzeitig den Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award. Es folgten 'Zuhause' und 'Lila'. Seit Präsident Obama im Wahlkampf durch Iowa kam und ihre Bücher las, stehen sie ständig in Kontakt, und Obama interviewte sie für die 'New York Review of Books'. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der 'Library of Congress Prize for American Fiction' zugesprochen. Robinson ist 1943 geboren und lebt heute in Iowa.
Uda SträtlingUda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.

Marilynne Robinson ist eine der großen Stimmen Amerikas. Für ihre Romane hat sie fast jeden Literaturpreis der USA gewonnen für »Gilead«, den Auftakt ihrer berühmten Trilogie, sogar gleichzeitig den Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award. Es folgten »Zuhause« und »Lila«. Seit Präsident Obama im Wahlkampf durch Iowa kam und ihre Bücher las, stehen sie ständig in Kontakt, und Obama interviewte sie für die »New York Review of Books«. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der »Library of Congress Prize for American Fiction« zugesprochen. Robinson ist 1943 geboren und lebt heute in Iowa.
Uda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.



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