Rodewill / Rodewil / Porcelli | Die Pappenheims: Aus den Tagebüchern einer Berliner Familie 1910–1920 | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Rodewill / Rodewil / Porcelli Die Pappenheims: Aus den Tagebüchern einer Berliner Familie 1910–1920

Friedrich Fröbel, Maria Montessori: Revolutionäre Ideen von Kindheit
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-9820572-3-1
Verlag: artesinex verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Friedrich Fröbel, Maria Montessori: Revolutionäre Ideen von Kindheit

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

ISBN: 978-3-9820572-3-1
Verlag: artesinex verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kinder sind anders Eine christliche Familie jüdischer Herkunft zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Berlin. Der Gymnasialprofessor Karl Pappenheim und seine Frau Erna bewohnen die Beletage in der Söhtstraße 1 in Gross-Lichterfelde, heute: Berlin-Lichterfelde. Der Sohn Hans wird 1908 geboren und Erna Pappenheim beginnt die täglichen Ereignisse in ihrem Tagebuch niederzuschreiben. Das sind u. a. Erlebnisse während der Sommerfrische in Krummhübel, i. Riesengebirge, heute: Karpacz (Polen). Man trifft sich dort mit der Berliner Freundin der Familie, der Komponistin und Pianistin der Spätromantik, Anna Teichmüller, die einen größten Teil ihres Lebens in der von Carl und Gerhart Hauptmann um 1890 gegründeten Künstlerkolonie im benachbarten Schreiberhau, heute: Szklarska Por?ba verbringt. 1911 werden die Zwillinge Inge und Ursel geboren und Erna Pappenheim beobachtet und beschreibt die Entwicklung ihrer Kinder. Sie ist sehr vertraut mit dem Verhalten von Mädchen und Jungen, denn der Schwiegervater, der Fröbel Pädagoge Dr. Eugen Pappenheim hat sein Engagement für die »Fröbelbewegung« an seine Töchter Anna und Gertrud weitergegeben. Herausragend war Tochter Anna, die zum Kreis der Pädagoginnen zählte, die Kindergärten gründete und leitete. Als Clara Grunwald, Initiatorin und Protagonistin der Montessori-Bewegung in Berlin, die Dottoressa Maria Montessori für einen Vortrag 1922 nach Berlin einlädt, werden Gertrud Pappenheim und ihre Schwester Anna Wiener-Pappenheim, vermutlich Maria Montessori auch getroffen haben. Erna Pappenheims Tagebücher sind ein bemerkenswertes Dokument aus der Zeit des Berliner Bürgertums zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wir erfahren auch von der katastrophalen Ernährungssituation der Zivilbevölkerung im »Hungerwinter« 1916/17, die selbst im Großbürgertum als äußerst schmerzhaft empfunden wurde. Neben den Aufzeichnungen sehen wir private Fotografien der Familie aus Gross-Lichterfelde, den Ferien in Krummhübel und Längenfeld im Ötztal in Tirol.

Rengha Rodewill geboren in Hagen (Westfalen) ist eine deutsche Fotografin, Autorin, Publizistin, Malerin und Objektkünstlerin. Publikationen (Auswahl): »Zwischenspiel« mit Eva Strittmatter, Plöttner Verlag Leipzig, 2010; »Hoheneck - Das DDR-Frauenzuchthaus«, Vergangenheitsverlag Berlin, 2014; »-ky's Berliner Jugend« mit Horst Bosetzky, Vergangenheitsverlag Berlin, 2014; »Leben ohne Heimat« mit Angelika Schrobsdorff, btb Verlag München, 2019; »Hunzinger - Luxemburg«, artesinex verlag Berlin, 2019; »Bautzen II - Mit Stasi-Zentrale«, artesinex verlag Berlin, 2019; »Intermezzo« Foto & Lyrik mit Eva Strittmatter, artesinex verlag Berlin, 2019; »Hans E. Pappenheim Münzstraße 20 - Goethe im Palais Zedlitz«, artesinex verlag Berlin, 2021.
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Weitere Infos & Material


Tagebuch Erna Pappenheim


Längenfeld i. Tirol und Gross-Lichterfelde


Längenfeld i. Tirol (Österreich) mit den Ötztaler Hochalpen, um 1952

Längenfeld, Juli–August 1910

Am 1. Juli reisen wir ab. Hansl fühlte sich gleich sehr wohl in Erwartung und sagte: »nun fahren wir nach Tante Hasenknopf4«. Er wollte auch gleich einen Koffer an das Fenster gesetzt haben, um rauszuschauen, wie wir es im vorigen Jahr getan haben. Von ½ 8 mrgs. bis ½ 6 Uhr hat er fein geschlafen, sonst während der Fahrt ganz gut gegessen. In München hat er mir sogar mein weniges Mittagsbrot, was es überhaupt gab, aufgegessen. In Innsbruck hatte er den nächsten Morgen etwas Brechreiz, war dabei ganz fidel und nach trocken Brötchen und Honig fand der Magen sein Gleichgewicht. Während der Fahrt war er brav und hat uns und die Mitreisenden durch seine Gespräche unterhalten. Sehr dankbar habe ich empfunden, dass Trude5 und Frau Schulrat Stier6 mit uns in einem Zuge fuhren, dadurch hatte H. mehr Bewegungsfreiheit, lief von einem Abteil ins andere und fand überall Interessantes. Frau Schulrat hatte aber auch in ihrer Ledertasche zu viel feines: Eine »Cologne« einen Bleistift, eine kleine Seife, Schokolade, einen kleinen Haken, ein Messer und noch viel mehr für ein Hanslherz. Manchen unabsichtlichen Witz hat er geliefert. Während er sonst so leise spricht, dass man ihn kaum verstehen kann, schreit er Sachen in die Welt hinaus, die sich anschicken, geflüstert oder am besten ganz verschwiegen zu werden: »Vati musst Du auch um die Ecke?« Vaterchen passiert’s nicht oft verlegen zu werden, doch diesmal verschwindet er samt Jungen. Kaum ist das überwunden und Vater erscheint mit ihm wieder auf der Bildfläche, erzählt H. seine Erlebnisreise: »Also erst hat Vati ›zugelappt‹ (den Deckel nämlich) und dann hat er gedrückt und denn ist lauter Wasser rausgekommen.« So verging uns allen die Fahrt lustig und gut. Um 12 Uhr in München schnell Mittagbrot, wobei Hansl guten Appetit entwickelte, in Kufstein Kaffee, in Innsbruck übernachtet. Immerzu fragte er: »Mutti wo sind wir nun, ist hier nun Kufstein usw.« So kamen wir durch Verzollungs-Unregelmässigkeiten erst um ½ 7 Uhr abends in Längenfeld an, und von Anna7 und Alfred8 sehnlichst erwartet. Eine 6-stündige Postfahrt in grausiger Kälte und Regen hatten wir hinter uns, wobei sich unser Jung’ wieder mal zur Zufriedenheit aller Mitreisenden benommen hat. Die 6 harten Stunden sind ihm angenehm verlaufen, er verbrachte sie aus Platzmangel auf meinem Schoss, teils schlafend, teils wachend und schauend, teils essend. Die geheizten Zimmer und die warme Küche in unserem Längenfelder Heim, einem einfachen Bauernhause, taten uns sehr wohl. Wir wohnen mitten im Dorf an der Dorfstrasse beim Anton Schennach, Tierarzt und Gemischtwarenhändler daselbst. Dort hatten wir viel schönen Raum, 4 Zimmer zum benutzen, herrliche Betten, die Möbel in Tiroler Art, Hansl ein reizendes, geschnitztes niedriges Tiroler Kinderbett. Dazu die Küche mit Wasserleitung (eine Seltenheit in Längenfeld) und frei Holz u. bezahlen dafür pro Person 1 Krone. Zwar war am Hause nicht viel Grün zum Erholen in frischer Luft, nur eine Bank zum Kaffeetrinken. In wenigen Minuten ein Lärchenwald von dem wir aber für’s Erste keinen Gebrauch machen konnten, da Regen und Kälte uns im Zimmer hielten, dann lag unser Gepäck noch in Kufstein, das kam nach 5 Tagen.

Gasthof Kohlhiasl, Besitzerin 1909: »Tante Hasenknopf« Schönau am Königssee, i. Oberbayern.

Königssee, Blick auf St. Bartholomä mit Watzmannwänden, Berchtesgarden i. Obb.

»Rosenkranz-Kapelle« Längenfeld Aquarellkarte: ›Hafried Verlag‹ Hamburg, 1909

Wie sah das hier in Tirol anders aus als in Lichterfelde. Noch ganz abgesehen von den hohen Bergen, die meistens grosse weisse Spitzen hatten vom Neuschnee, um die kümmerte sich Hansl am wenigstens, die Berge waren ihm eben etwas Altes, kannte er sich doch schon vom vorigen Mal aus Bayern. Einmal äusserte er: »Da sind ja die Berge«, dann war er eben wieder mitten drin als wäre er niemals weg gewesen und als hätte er Recht gehabt, dass er in Berlin den Grunewald bei Krumme Lanke, mit Bayern bezeichnete. Am 1. Tag kam’s ihm wohl komisch vor, bislang hatte er doch geglaubt, wie früher wieder nach ›Hasenknopfs‹ auf der Schönau, denn er fragte, als wir auf der Strasse gingen: »Wo ist denn nun Tante Hasenknopf und die Schweine?« Das war mir erst wirklich traurig, dass man ihm solche Enttäuschung bereitet hatte. Doch gar bald sollten wir sehen, dass es auch in Längenfeld schön ist. Für wen war nicht alles die neue Dorfstrasse da. Zwar gab’s keine Autos; denn die sind im Ötztal verboten, doch kam 2-3x täglich die Post vorbei, da fuhren die Ochsenwagen mit Heu (auf die leeren durften wir uns setzen), da kam der Sägemüller mit seinem Maultiergespann und manchmal kam der Gemüsewagen mit dem grossen, dünnen Pferd davor. Da gingen im trauten Verein auf der Dorfstraße spazieren: Sommergäste, Kühe und Kälbchen, Hühner, Ziegen, Katzen usw. Jeden Morgen wurde Hansl vom Geläut geweckt, das waren die Ziegen, die der Geisbub’ auf die Weide nach Gries zu trieb und jeden Abend gingen wir mit Geläut schlafen, das waren die Abendglocken der kleinen Kapelle, die unserem Hause gegenüberstand. Eine sogenannte Rosenkranz-Kapelle, in der zur Zeit des andauernd schlechtem Wetter jeden Abend Rosenkranz-Beten war, um gutes Wetter. Die Betenden hatte Hansl die ›Abendmännlein‹ getauft, weil sie abends kamen.

»Unsere Kapelle« Hansl als ›Salon-Tiroler‹ mit den ›Schennach-Kindern‹ Franzl und Rosl.

Noch lieber wie die Rosenkranz-Kapelle hatte H. eine Kapelle auf einer Anhöhe von 50 m, zu der er gern rauf kraxelte, denn es ging ziemlich steil und es ging mit genagelten Stiefeln, wie Hansl sie hatte, sehr fein. Nächststehendes zeigt den Hansl, als Touristen auf der Höhe, unter ihm Längenfeld, in der Ferne der Lehmbachfall, als weisser Streifen (Dorf Oberried). Wie gefährlich unsere Tierfreunde werden können, haben wir auch kennen gelernt: Hunderte von Schafen wurden ins Dorf getrieben und die zusammenzuhalten, kostet viel Mühe; so waren sie vom Wege abgelaufen und drängten sich vor unserem Hause. Hansl, der Tierfreund, wurde zu seinem Vergnügen von Ihnen beschnüffelt und um die Freude zu erhöhen, gaben wir ihm eine Hand voll Salz. Da war es schon bald kein Vergnügen mehr und wir hatten grosse Mühe, unseren Jungen vor den dummen Tieren zu retten. Hansl allein der Seelenruhige, verstand unser Handeln nicht und fragte uns noch lange, warum er nicht bei den Schafen stehen bleiben durfte oder ein andres: Wenn wir auf der Höhe mühsam herrliche Margeriten gepflügt haben, die für den Empfang der Grossmutter bestimmt sind und angesichts des Leckerbissens gerät eine Kuh in Verzückung und setzt im Trab hinter uns her, um uns unserer Habe zu berauben, dann fragt man sich doch nachher, was von beiden aufregender und gefährlicher ist, ein Grosstadt-Auto oder eine Tiroler Kuh? Harmloser dagegen waren die Ziegen, die auch dem Hansl die meiste Freude machten. Mutig kriegte er irgendeine am Halsband zu packen und lief mit ihr. Oft fütterte er sie mit Blättern, wie nachstehendes Bild zeigt. Einmal kamen wir beim Spazierengehen an einem Stall vorbei, davor stand eine Ziege und meckerte, und auf ihr Meckern antwortete es jedesmal von innen ganz leise . Nun fing die Sache an, für uns erst recht interessant zu werden. Die Ziege guckte durch ein Loch hinein in den Stall, doch keiner kam, die Tür zu öffnen. Nun kam sie ganz dicht an uns heran und meckerte uns kläglich an, grad’ als wollte sie uns bitten, sie einzulassen. Wir wollten nun mit ihr geduldig warten, bis jemand käme. Da hatten wir nun Muße, uns die Ziegenmutter, denn das konnte sie ja nur sein, genau anzuschauen. U. a. entdeckte H. das Euter und machte mich aufmerksam: »Sieh mal, Mutter, hat das Geissenmutterchen aber einen grossen P… hinten bei die Beine.« Ich sagte ihm, dass das der Euter ist, wie es ja auch die Kuh hat (das kannte er lange) und dass sie darin ihren Ziegenkinderlein die Milch von der Weide mitbringt. Da kam auf einmal der Ziegenmann und machte die Tür auf. Wir durften mit hinein zu den 2 Geisenkindern. Wie freuten die sich, dass sie die Mutter wiederhatten und vor Freude rannten sie aneinander. Bald hatten sie auch das ›Mitbringsel‹ gefunden und die Zicklein tranken bis sie satt waren. Nur wunderte sich Hansl, dass es nur 2 Geislein waren u. fragte: »wo sind denn nun die Geisenkinder?« Die Geschichte vom Wolf und den 7 Geislein hatte ich ihm schon erzählt (ohne Bilder) er hatte sich also unter 7, richtig mehrere vorgestellt. Bei den saugenden Ziegen war ihm das Erlebnis vom vorhergehenden Tage im Kuhstall mit Tante Anna eingefallen und erzählte mir auf dem Heimweg: »Also da war ich gestern mit Tante Anna in den Kuhstall und da waren 1, 3, 5,...


Pappenheim, Erna
Geb. 1888 in Berlin; gest. 1976 in Berlin. Erna Pappenheim war die Ehefrau von Prof. Karl Pappenheim und Mutter der Kinder Hans, Inge und Ursel Pappenheim.

Rodewill, Rengha
Geb. in Hagen (Westfalen) ist eine deutsche Fotografin, Autorin und Publizistin.



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