Scheffer / Spinath / Kersting | Motivation in der Arbeitswelt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 177 Seiten

Scheffer / Spinath / Kersting Motivation in der Arbeitswelt

Wie Bedürfnisse, Motive, Emotionen und Ziele unser Handeln leiten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-17-036585-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie Bedürfnisse, Motive, Emotionen und Ziele unser Handeln leiten

E-Book, Deutsch, 177 Seiten

ISBN: 978-3-17-036585-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In Zeiten großer Unsicherheit und Komplexität, bedingt u. a. durch dringliche globale Krisen, neue Produktionsformen, technologischen und demografischen Wandel, müssen sich Individuen, Unternehmen und Gesellschaften in einem nie zuvor gekannten Tempo verändern und - bestenfalls - anpassen. Dazu ist viel Motivation nötig. Die moderne empirische Motivationspsychologie wurde in gut 100 Jahren entwickelt und getestet. Sie ist in der Lage, die Initiierung von adaptiven Verhaltensänderungen zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen. Sie ist praxisnah, evidenzbasiert und verständlich. Über ihre Geschichte, ihre theoretische Besonderheit und ihre praktischen Leistungen will das Buch informieren und dabei die Leserinnen und Leser als Lernende einbeziehen. Der Autor beleuchtet das Phänomen Motivation aus einer empirischen Perspektive, er erklärt die wichtigsten Begriffe und verdeutlicht die Auswirkungen von Motivation immer wieder an konkreten Beispielen. Den Abschluss des Bandes bildet ein Kapitel zum Spannungsfeld von Motivation und Ethik.

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1.2.2     Das Wertequadrat und das Konzept des Inneren Teams
Das Konzept des Inneren Teams ist sowohl von Kuhl (2001) als auch von Schulz von Thun (2002) vorgelegt worden. Es postuliert die auf den ersten Blick erschreckende Vorstellung, dass in unserem Kopf mehrere Agenten unabhängig voneinander agieren und dabei Koalitionen untereinander eingehen. Im besten Fall kann dieses Team eine Vielfalt von Kompetenzen zusammenbinden und so ein funktionales motivationales System bilden, das in jeder Phase des Rubikonmodells gut aufgestellt ist. Im schlechtesten Fall jedoch blockieren sich die Agenten gegenseitig oder eines der Subsysteme dominiert über die anderen, bis es alle in den Abgrund reißt. Beide Autoren formulieren ganz klar die Vorstellung, dass psychische Störungen darauf zurückzuführen sind, dass die Balance im Inneren Team gestört ist und dadurch Extreme entstehen, die für das Individuum und/oder sein soziales Umfeld schädlich sind. Eine auf Aristoteles (Deutsche Fassung, 2001) zurückgehende und meiner Erfahrung nach sehr praktische Methode, um die Komplexität motivationaler Systeme zu veranschaulichen, ist das Wertequadrat. Es ist äußerst nützlich auch in der konkreten Praxis, um bspw. Mitarbeitende und Organisationen zu coachen und zu entwickeln (Westermann, 2007). Es soll an vielen Stellen dieses Buches die Dynamik des motivationalen Systems mit seinen antagonistischen Verschaltungen, seinen komplementären Kompetenzen und Übertreibungen greifbarer machen. Die auf die Nikomachische Ethik von Aristoteles zurückgehende und von Schulz von Thun (2002) wiederentdeckte Idee des Wertequadrates ist die, dass Motive, Werte und Kompetenzen sowie alle Persönlichkeitssysteme immer auch übertrieben werden können und so ihre eigentlich adaptive Wirkung verlieren und sogar in etwas »Böses« umschlagen. So kann bspw. der Wert Großzügigkeit durch Übertreibung zur Verschwendung werden. Und der Wert der Sparsamkeit kann zu Geiz verkommen, wenn er zu einseitig betont wird. Großzügigkeit und Sparsamkeit müssen sich komplementär ergänzen, um die schädlichen Übertreibungen zu verhindern, sie müssen in eine dynamische Balance gebracht werden, obwohl sie sich eigentlich zu widersprechen scheinen (Schulz von Thun, 2002). Abbildung 1.3 ( Abb. 1.3) verdeutlicht diese Konzeption von Werten anhand des Ur-Wertequadrats von Schulz von Thun (2002). Wie in Abbildung 1.3 dargestellt ( Abb. 1.3), stehen Sparsamkeit und Großzügigkeit in einem komplementären Spannungsverhältnis. Je nach Strategie, Persönlichkeit und Umfeld des Individuums kann es nun aber dazu kommen, dass einseitig nur einer der Werte verfolgt wird, was dann zu einer entwertenden Übertreibung führt. Sparsamkeit wird dann zum Geiz und Großzügigkeit zur Verschwendung. Übertreibungen müssen rechtzeitig erkannt und in eine komplementäre Entwicklungsrichtung übersetzt werden, ein Grundprinzip jeden Coachings. Abb. 1.3: Wertequadrat auf Basis von Aristoteles und Schulz von Thun (2002) Nehmen wir als nächstes das Beispiel Macht mit dem Wertequadrat durch. Macht hat durchaus ihren Wert, denn ohne Macht bzw. Hierarchie, die das Machtmotiv ja anstrebt, kann in Gruppen in schwierigen Situationen keine Entscheidung getroffen werden. Andererseits wissen wir auch aus der eigenen historischen Vergangenheit und gegenwärtig durch die Berichte über Länder mit einem diktatorischen System, dass Macht korrumpiert und totale Macht sogar total korrumpiert. Ohne ein dynamisches Gleichgewicht mit einem komplementären Gegenwert kann das Machtmotiv nur immer destruktiver werden. Aber es gibt diesen komplementären Gegenwert, bspw. in Form des Bindungsmotivs. Während das Machtmotiv nach Hierarchie strebt, strebt das Bindungsmotiv nach Gleichheit und Harmonie. Winter (1993; 2004; 2008) hat in seinem Lebenswerk diesen bemerkenswerten Mechanismus der Komplementarität zwischen Bindungs- und Machtmotiv herausgearbeitet und gezeigt, dass sich destruktive Machtpolitik in historischen Momenten tatsächlich als extrem hohes Machtmotiv und sehr geringes Bindungsmotiv in der Kommunikation der Führer manifestiert. Aber auch das Bindungsmotiv kann übertrieben werden und wird dann ebenso destruktiv wie das übertriebene Machtmotiv. Bischof (1985) hat das übertriebene Bindungsmotiv als Abhängigkeit bezeichnet, die eine persönliche Weiterentwicklung verhindert, weil Exploration und Autonomie mit Angst besetzt und dementsprechend vermieden werden. Was in den Wertequadraten jedoch fehlt, ist die Darstellung des 0-Punktes bei den Motiven, der ebenso maladaptiv bzw. dysfunktional ist. Gar kein Machmotiv ist das Fehlen jeglichen Eigeninteresses und die Unfähigkeit, sich von anderen abgrenzen und die eigenen Bedürfnisse gegen die Interessen der anderen durchsetzen zu können. Auch dieses Fehlen eines Motivs kann, besonders wenn es gleichzeitig mit einem anderen stark ausgeprägten Motiv einhergeht, mit bestimmten Emotionen verbunden sein. So ist die Kombination aus sehr geringem Macht- und sehr hohem Bindungsmotiv mit Scham- und Schuldgefühlen assoziiert. Voland und Voland (1995) nennen dieses Motivmuster das »Helfer-am-Nest-Syndrom«, bei der Individuen ihre gesamte Energie in den Dienst von nahen Verwandten oder einer als verwandt bezeichneten Gruppe (»Brüder und Schwestern«) stellen. Dabei opfern sie sich manchmal auf, verzichten bspw. auf eigene Nachkommen oder sind bereit, für das Vaterland zu sterben. Aufgrund der geteilten Gene zwischen Eltern und ihren Nachkommen kann diese Strategie als kin selection evolutionär stabil sein (Voland & Voland, 1995). Die Kombination aus extrem geringem Bindungsmotiv und extrem hohem Machtmotiv hat Bischof (1985) mit dem von Freud postulierten Todestrieb in Verbindung gebracht. Es äußert sich als Überdruss, also dem Gegenteil von Bindung, vor allem gegenüber allem Fremden und aller Veränderung. Hier verbinden sich die Emotionen Ekel, Abscheu und Wut zu einer toxischen Mischung. Auch System 1 und 2, die von Kahneman (2012) in seinem Buch »Schnelles Denken, langsames Denken« beschrieben wurden, lassen sich durch ein Wertequadrat veranschaulichen. System 1 ist schnell und verarbeitet ungeheure Mengen von Informationen mit oft hinreichender Genauigkeit, ist dabei allerdings unbewusst und macht Fehler. System 2 dagegen ist langsam, bewusst und verarbeitet wenige Informationen sehr genau. System 1 ist evolutionär lange vor System 2 entstanden, es wirkt vor allem durch Emotionen, verwendet Heuristiken und Stereotype. System 2 ist evolutionär erst beim Menschen voll entwickelt und Grundlage für Logik, Vernunft und langfristiges Planen. Beide Systeme sind weder Bedürfnis noch Motiv, aber sie können zu Werten werden, denn sie helfen uns dabei, unseren Lebensvollzug auf erstrebenswerte Zustände auszurichten. Es sind Umsetzungsstrategien von Motiven. System 1 ist sehr gut darin, einfach loszulegen und durch automatisierte Verhaltensabläufe und Gewohnheiten Erstaunliches zu leisten. So zum Beispiel im Sport, wo komplexe Bewegungen, wie der Aufschlag beim Tennis oder das Fangen eines Balls, durch diese unbewusste Intelligenz viel besser gelingen, als wenn wir bewusst darüber nachdenken würden (Gigerenzer, 2007). Aber die Verwendung von System 1 kann auch übertrieben werden, wenn wir Heuristiken und Stereotypen auch dann anwenden, wenn eigentlich bessere Informationen vorliegen. Dann werden Mitglieder von Minderheiten vorschnell abgeurteilt und Menschen in Schubladen kategorisiert, oft mit grausamen Folgen. Dann müsste eigentlich die Entwicklungsrichtung in Richtung Vernunft und langsamem Denken aufgezeigt werden. Aber auch System 2 kann übertrieben werden. Eine rein rationale Betrachtung der Welt, kalt und ohne Gefühl, kann abgehoben und so abstrakt werden, dass sich Menschen in einen »Elfenbeinturm« einschließen. Hier wäre dann, wie Abbildung 1.4 verdeutlicht ( Abb. 1.4), die Entwicklungsrichtung hin zu schnellem Denken angezeigt, denn mit guten Daumenregeln können wir unser Leben sehr effizient und energieschonend steuern. Abbildung 1.4 zeigt, dass System 1 und 2 in einer dynamischen Balance zueinander stehen können ( Abb. 1.4), was für die Motivation funktional ist. Wird das analytische, langsame System 2 übertrieben, dann entsteht Lageorientierung (Kuhl, 1994). Es wird gar nichts mehr entschieden, Rigidität, Zwanghaftigkeit und sogar Depression können die Folge sein. Die Entwicklung muss dann hin zu mehr System 1 führen, also mehr intuitive Verhaltenssteuerung, mehr Fühlen, mehr Ganzheitlichkeit. Aber auch das kann natürlich übertrieben werden und dann haben wir die Abb. 1.4: Komplementäre Systeme 1 und 2 von Kahneman (2012) so eingehend beschriebenen Dysfunktionalitäten von System 1, das oft viel zu schnell und auf der Basis von Fake News und kruden Vorurteilen sehr weitreichende Entscheidungen trifft. Dann muss die Entwicklung hin zu mehr Sensing bzw. kritischem Empfinden...


Prof. Dr. David Scheffer leitet den Studiengang Wirtschaftspsychologie an der Nordakademie, Hochschule der Wirtschaft. Sein Forschungsinteresse gilt dem Einfluss impliziter Persönlichkeitssysteme auf das Berufs- und Konsumverhalten.



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