E-Book, Deutsch, 316 Seiten
Scheffler Gestohlenes Leben
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7584-1921-8
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Ein Leipzig-Krimi
E-Book, Deutsch, 316 Seiten
ISBN: 978-3-7584-1921-8
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Ethel Scheffler ist eine waschechte Leipzigerin. Nach Abitur und Lehre zur Finanzkauffrau studierte sie Finanzwirtschaft. Sie arbeitete im Handel und führte als Inhaberin von 1998 bis 2019 eine Hausmeisterfirma. Seit 2006 schreibt sie fiktive schwarzhumorige Kurzgeschichten, die regelmäßig in Anthologien erschienen. Außerdem widmet sie sich dem True Crime, dazu veröffentlichte sie ein Sachbuch über authentische Kriminalfälle in Leipzig, worüber der MDR zur Leipziger Buchmesse berichtete. Ein Krimiautor kann auch anders. Es entstanden mehrere regionale Bücher über die liebenswerten Eigenschaften der Sachsen. Sie ist Vorsitzende des Vereins »FürWort« - der Verein für Mitteldeutsche Literatur e.V. und Mitglied bei den »Mörderischen Schwestern«.
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2
Mist, Karen hätte das Blaulicht einsetzen sollen. Ständig musste sie hupen. Ein paar Polizisten hielten mit Mühe den Verkehr im Fluss. Karen nutzte die erste Gelegenheit zum Wenden. Der eingesetzte Rückstau auf dem Schleußiger Weg ließ sie nur schleppend vorwärtskommen. Zudem gaffte jeder Fahrer neugierig in Richtung der Absperrung. Dadurch fuhren die Autos quälend langsam an dem von der Polizei blockierten Fahrbahnstreifen vorbei.
Dreiste Schaulustige hatten ihr Auto einfach auf den Fußweg geparkt und damit auch den Fahrradweg versperrt. Sie wurden angewiesen, sofort in ihre Autos zu steigen und wegzufahren. Ohne Eile kamen sie der Aufforderung nach.
Endlich erreichte Karen das rot-weiße Absperrband. Polizeiobermeister Uwe Kenter kam ihr entgegen und winkte sie durch. Auf einem kleinen Rasenstück parkte sie parallel zur Straße und stieg aus. Die Junisonne versprach einen herrlichen Sommertag. Karen hielt kurz inne. Mein erster Fall, also los Karen, vergeig ihn nicht. Sie hob den Kopf und grüßte die Einsatzkräfte der Spurensicherung mit einem freundlichen Hallo. Einige kannte sie von anderen Ermittlungen, diese nickten kurz zurück. Gerade durchsuchten sie jeden Quadratzentimeter des Parkplatzes nach verwertbaren Spuren ab. Karen staunte. Diesen Parkplatz hatte sie noch nie so richtig wahrgenommen. Er war ungewöhnlich groß, was sie von der Straße aus nicht erwartet hatte. Wie auch, die Sträucher versperrten den kompletten Einblick. Die angrenzenden Bäume nach der Asphaltfläche kündigten den Wald neben der Elster an.
Karen ging auf Kenter zu. Bisher hatte sie mit ihm noch nicht zu tun gehabt, ihn allerdings bei zwei anderen Einsätzen gesehen. Schon da war ihr sein langes lockiges Deckhaar aufgefallen, welches in die Stirn fiel und im Gegensatz zu den kurz geschnittenen Seiten stand. Dies fand sie sehr modisch für eine Diensthaarfrisur, aber es stand ihm gut.
Hastig zog Kenter sein Notizblock aus der Tasche. Mit: »Uwe Kenter«, stellte er sich vor.
»Karen Goldtotter, Kripo.«
»Ja, ich weiß«, sagte er und schaute kurz auf seine Schuhe.
Karen lächelte. War er aufgeregt? »Wir haben uns schon gesehen und da können uns ruhig duzen.«
Kenter strahlte sie an. Wurde aber sogleich wieder ernst und las von seinen Notizen ab: »Die Meldung erfolgte heute, um 10.15 Uhr.« Er blätterte um. »Der Rentner Hartmut Bleichert spazierte gegen 10.00 Uhr mit seinem Collie auf dem unteren Weg am Elsterflutbecken entlang.« Er deutete hinter den Parkplatz. Dieser lag höher und so konnte Karen sehen, dass ein Weg vom Parkplatz zum Elsterufer führte, aber das Ufer oder den Uferweg konnte sie wegen des Höhenunterschiedes nur ahnen. Auch der Fundort der Leiche blieb für Karen von ihrem Standort aus verborgen.
»Plötzlich sei der Hund losgelaufen und auch nicht zurückgekommen, als sein Herrchen ihn gerufen hat.« Kenter blätterte wieder um. »Hartmut Bleichert ist nichts anderes übrig geblieben, als seiner Cassie zu folgen, denn der Hund hat nicht mehr aufgehört zu bellen. An der angezeigten Stelle hat Cassie dann unter Laub und Zweigen den Körper erschnüffelt. Bleichert hat den toten Körper mehr erahnt als gesehen.«
Karen zog die Plastiküberzieher für die Schuhe aus der Tasche. Eine Leiche unter Laub und Zweigen? Das konnte nur ein Gewaltverbrechen sein, dachte sie, während Kenter weiter sprach.
»Bleichert hat sofort die 110 gewählt, und wir sind informiert worden. Polizeiobermeisterin Inge Dauber und ich trafen als Erste hier ein. Bei dem aufgefundenen Körper handelt sich um eine Leiche. Die Kollegen vom Erkennungsdienst wurden benachrichtigt und trafen wenig später ein. Sie haben die Leiche freigelegt und suchen nach weiteren Spuren. Heilmann ist auch schon da. Er wurde sofort angefordert. Thomas Drechsler macht die Fotos.«
»Danke. Wo ist dieser Bleichert jetzt?« Karen wandte den Kopf. Der Streifenwagen stand etwas abseits am Rand des Parkplatzes. Nur schemenhaft waren im Innern ein großer Mann und eine Frau in Uniform zu erkennen.
»Sitzt im Streifenwagen. Inge ist bei ihm. Er ist ziemlich fertig.«
»Gut, ich befrage ihn gleich, dann kann er gehen. Noch weitere Zeugen?«
»Nein.« Kenter zuckte mit den Schultern.
»Ich muss jetzt erst einmal zum Fundort.«
In kleinen Schritten folgte sie den vorgezeichneten Weg über den Parkplatz. Dabei schaute sie ständig in die Runde und ließ den Platz auf sich wirken. Wieder wunderte sie sich über dessen Größe. Doch dann erinnerte sie sich, dass sich vor den Garagen ein Gartenverein befand. Sicher nutzten die Besitzer und die Besucher eines Schrebergartens diesen Platz, um ihre Autos abzustellen. Am Ende des Parkplatzes blieb sie stehen. Weiter unten kauerte Ulli Heilmann im weißen XXL-Ganzkörperanzug zwischen den Farnen und Büschen im Unterholz. Unten, denn das Gelände fiel von der Kante des Parkplatzes aus einige Meter ab. Der kleine Weg, der vom Parkplatz an das Elsterufer führte, war vor vielen Jahrzehnten aufgeschüttet worden. Von dieser Stelle aus sah Karen nun auch das Elsterufer.
Der gekennzeichnete Weg führte in einem weiten Bogen zu Ulli. Damit war das Gefälle nicht so stark und der Weg gut begehbar. Karen setzte vorsichtig jeden Schritt auf den weichen Waldboden, nur um ja keine Spuren oder eventuelle Markierungen der Kollegen zu übersehen. Doch auf dem Weg zu dem Fundort der Leiche gab es keine Markierungen.
Beim Näherkommen sah sie, dass Ulli neben der Leiche hockte und diese betrachtete. Karen fielen als Erstes die nackten Füße und die dünnen Beine an dem Körper auf, die aus einem angeschmutzten Leinenhemd hervorschauten. Thomas fotografierte jede von Ulli ausgeführte Lageveränderung. Dabei wechselte er immer wieder seine Position. Anschließend kontrollierte er die Aufnahmen im Display seines Fotoapparates.
Karen hob den Kopf. Oben stand niemand. Aufgrund der großräumigen Absperrung konnten Schaulustige die Leiche nicht sehen, weshalb die Kollegen auch kein Zelt gegen neugierige Blicke aufgestellt hatten.
Ulli drehte sich zu ihr: »Hallo! Na erster Fall?«
Karen und Ulli kannten sich seit Jahren. Er war der netteste Kollege aus der Rechtsmedizin, den sie kannte. Er hatte etwas Väterliches an sich. Karen nickte mit einem kleinen Lächeln.
Ulli kam aus der Hocke. »Na, dann: Toi toi.« Aufgrund seiner 1,91 Meter sah er jetzt auf Karen herab. »Siehst heute aber ein bissel blass aus.«
Karen zuckte nur mit dem Schultern. Er konnte ja nicht wissen, dass sie eine Magenspiegelung hinter sich hatte. Wie sollte sie da schon aussehen? Und gegessen hatte sie auch noch nichts.
»Hallo, Thomas«, grüßte Karen ihn und lenkte von sich ab. Thomas sah kurz auf und nickte. Schon im nächsten Moment beugte er sich wieder über die Leiche und der Auslöser surrte.
»Na Ulli, was kannst du mir schon sagen?« Der Tote lag in Bauchlage mit dem Gesicht nach unten. Karen fiel die grobe Struktur des Leinenhemdes auf.
»Der Mann ist circa 50 bis 60 Jahre alt.« Ullis Handbewegung zeigte hin und her, als wäre er sich nicht ganz sicher. »Ich habe gerade die Körpertemperatur gemessen. Vorläufig würde ich sagen: Der Tod trat gestern etwa zwischen 18 und 20 Uhr ein. Lange liegt er noch nicht hier. Die Leichenstarre ist vollkommen ausgeprägt, aber hat sich noch nicht wieder komplett gelöst. Ich vermute, der Mann wurde im Morgengrauen hier abgelegt.«
Karen ließ den Blick über den toten Körper gleiten. »Ich sehe gar keine Verletzungen oder Blut.«
»Äußerliche Verletzungen habe ich auch nicht erkennen können.« Ulli ruckelte den Einmaloverall zurecht, der ziemlich knapp saß. Ein Wunder, dass es für diesen Bauchumfang auch noch eine Größe gab. »Aber für einen Mann seines Alters sieht er mir recht ausgemergelt aus.« Ulli zeigte auf die dünnen nackten Waden. »Er hat nichts bei sich gehabt. Das Leinenhemd hat auch keine Taschen« Ulli rieb sich die Knie.
»Ja, das letzte Hemd hat keine Taschen. Das sagt ja schon der Volksmund.« Karens zeigte auf die Füße des Mannes. »Er hat keine Schuhe an.«
Der Waldboden war von üppigen Farnen überwuchert.
»Er muss welche getragen haben. Die Fußsohlen sind sauber. Vielleicht werden die Schuhe noch gefunden.«
»Gibt es Anzeichen auf ein Tötungsdelikt?«
Ulli wischte sich den Schweiß von der Stirn, kein Wunder bei den Temperaturen und dann so eingepackt. »Ich würde sagen: Ja. Die Leiche war wirklich ganz mit Laub und Zweigen bedeckt. Hier ist vermutlich nur der Ablageort. Deshalb gehe ich von einem Gewaltverbrechen aus. Aber an was er letztendlich gestorben ist, das kann ich dir erst sagen, wenn ich ihn untersucht habe.«
Das war Ullis Standardsatz.
»Jaja, ich weiß schon.« Karen wandte sich an Thomas. »Sag mal, kennst du die Ecke hier im Südwesten genauer?«
Thomas, der gerade abgeknickte Zweige und niedergedrückte Farne im Makromodus fotografierte, nahm den Finger vom Auslöser und richtete sich auf. »Ja, ich fahre hier oft Rad.« Er kontrollierte erneut sein Display, bevor er weitersprach. »Es ist eine beliebte Strecke für Jogger. Bei sonnigem Wetter kannst du mit einem Paddelboot auf der Elster rudern. Ach, und von der Bushaltestelle aus bist du mit wenigen Schritten im Wald.« Er zeigte in Richtung Stadtzentrum. »Auf der anderen Seite des Elsterufers befindet sich die Pferderennbahn mit einem tollen Freisitz. Dort gibt es Eis und Aperol Spritz. Es ist eine richtig grüne Ecke, hier mitten in der Stadt.«
Kein Wunder, dass Karen das Gebiet nicht kannte. Joggen war nicht ihr Ding und Rad war sie schon eine Ewigkeit nicht mehr gefahren.
»Ist es da nicht riskant für den Täter, die Leiche in so einem Gebiet...




